L 1 KR 365/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 4 KR 127/16 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 365/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 23/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 9.254,30 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. März 2012 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 9.254,30 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Im Streit stehen sogenannte Retaxierungen in Höhe von 9.254,30 Euro.

Die Klägerin ist Inhaberin einer Apotheke i. Sie gehört einem Mitgliedsverband des Deutschen Apothekerverbandes e. V. (DAV) an, dem Apothekerverband B e. V. Sie gab auf Verordnung des Facharztes für Pädiatrie B im Zeitraum Oktober 2009 bis September 2010 insgesamt zehnmal das Arzneimittel Oxybutynin® 0,1% à 10 ml zur Injektion an die bei der Beklagten Versicherte S ab. Es handelte sich um Fertigspritzeninstillationssets, welche von der G Apotheke H hergestellt worden waren.

Diese Installationssets waren nach damaligem Arzneimittelrecht als sogenanntes Rezepturarzneimittel bereits am 5. September 2005 im Verkehr gewesen. Am 26. August 2008 war beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Zulassungsantrag gestellt worden.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 9. April 2009 mit, für die Monate Mai 2008 und Juni 2008 auf der Grundlage des Arzneilieferungsvertrages zwischen dem DAV und dem Verband der Angestelltenkrankenkassen e. V. (ALV) sowie dem Rahmenvertrag nach § 129 SGB V 925,43 Euro absetzen (retaxieren) zu wollen.

Die Klägerin widersprach: Beim dem Präparat handele es sich um ein gelistetes, verschreibungspflichtiges Fertigarzneimittel des Herstellers G Apotheke, der über die Herstellerlaubnis nach § 13 Arzneimittelgesetz (AMG) verfüge. Das Präparat könne ausschließlich über diesen Hersteller bezogen werden. Es handele sich dabei um ein niedrig dosiertes Oxybutynin-Präparat, das üblicherweise in der Pädiatrie eingesetzt werde. Es gebe keinen Unterschied zwischen Verkehrsfähigkeit und Zulassung eines Arzneimittels. Die Verkehrsfähigkeit von Oxybutynin ergebe sich aus § 141 Abs. 4 AMG. Auch hätten die Apotheken nicht die Pflicht, eine fehlende Zulassung nach § 21 AMG zu prüfen. Sie habe vertraglich richtig gehandelt. Das streitgegenständliche Fertigarzneimittels sei seit 15. März 2007 in der IFA-Datenbank (der so genannten Lauer-Taxe) als ordentliches Arzneimittel mit der offiziellen PZN 1915747 und dem Status verschreibungspflichtig gelistet.

Die Beklagte antwortete, das retaxierte Arzneimittel sei in Deutschland nicht zugelassen. Maßgeblich sei insoweit alleine der objektive arzneimittelrechtliche Zulassungsstatus. Die bloße Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels, die keinesfalls gleichzusetzen sei mit einer Zulassung, begründe im Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenkassen keinen Versorgungsanspruch (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 27. September 2005 – B 1 KR 6/04 R-zum Arzneimittel Wobe-Mugos E). Ein Antrag auf Zulassung sei von der G Apotheke erst am 26. August 2008 gestellt worden. Damit ergebe sich allenfalls die Rechtsfolge, dass die Sets weiterhin in den Verkehr gebracht werden dürften.

Mit Schreiben vom 5. Juni 2009 teilte die Beklagte der Klägerin ferner mit, für die Monate Juni 2008 und August 2008 weitere Absetzungen in Höhe von 1.878,06 Euro aus demselben Grund vorzunehmen. Weitere Retaxierungsschreiben folgten mit Datum vom 31. August 2009 über 1.029,16 Euro, vom 16. Oktober 2009 über 1.954,88 Euro, vom 4. Dezember 2009 über 1.035,22 Euro, vom 29. Januar 2010 über 1.856,10 Euro und vom 19. März 2010 über 925,43 Euro. Die Klägerin erhob jeweils Einspruch, den die Beklagte durchweg zurückwies. Insgesamt beliefen sich die streitgegenständlichen Kürzungen auf 9.254,30 Euro.

Am 12. März 2012 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhoben. Zu deren Begründung hat sie ihr außergerichtliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Der ALV stelle für das Verhältnis zwischen Apotheke und Krankenkasse darauf ab, ob der Apotheker als Leistungserbringer in der Lage ist, aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu erkennen, dass ein ärztlich verordnetes Produkt abgabefähig ist oder nicht. Auch sei das Medikament bereits am 5. September 2005 als Rezepturarzneimittel in Verkehr gewesen. Diesen Status habe die 14. AMG-Novelle 2005, die auch die zitierte Übergangsvorschrift enthalten habe, per Definition geändert. Dies bedeute aber nicht, dass es dieses Arzneimittel zuvor nicht gegeben habe.

Auch die Beklagte hat ihr vorgerichtliches Vorbringen wiederholt. Die fehlende Zulassung des verordneten und abgegebenen Fertigspritzensets nach § 21 AMG führe zu einer sachlichen Unrichtigkeit im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 ALV und sei ein Beanstandungsgrund. Nicht zugelassene Fertigarzneimittel seien nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst. Anderes ergebe sich auch nicht aus der Übergangsvorschrift des § 141 Abs. 4 AMG. Zwar sei für das hier streitgegenständliche Fertigspritzeninstillationsset am 26. August 2008 ein Antrag auf Zulassung gestellt worden. Jedoch habe sich das Instillationsset in der Form, in der es von der Klägerin abgegeben worden sei, nicht bereits am 5. September 2005 im Verkehr befunden. Selbst wenn der Tatbestand des § 141 Abs. 4 AMG erfüllt sei, ergäbe sich hieraus nicht die Rechtsfolge einer fiktiven Zulassung der Sets. Rechtsfolge wäre lediglich, dass die Sets weiter in den Verkehr gebracht werden dürften. Die vom Apotheker zu beachtende Abgabebestimmungen und Prüfpflichten seien auch hinaus nicht abschließend im ALV oder im Rahmenvertrag geregelt. Der Apotheker sei vielmehr darüber hinaus verpflichtet, sein spezifisches Berufsrecht zu beachten. Hierzu gehörten insbesondere die Vorschriften des AMG und die aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen. Die Klägerin könne sich nicht auf § 4 Abs. 5 Satz 3 ALV berufen, da es sich bei dem streitgegenständlichen Arzneimittel um keines der dort aufgeführten nichtabgabefähigen Produkte handele.

Auf Nachfrage des SG hat die G-Apotheke mitgeteilt, Hersteller des Arzneimittels zu sein, bei welchem es sich um ein Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 AMG handele. Die Herstellung sei im Jahr 2008 nach den Vorgaben der guten Herstellungspraxis (GMP) auf Grundlage einer erteilten Herstellungserlaubnis erfolgt. Das Arzneimittel sei nicht individuell für die bestellende Apotheke hergestellt worden. Im Jahr 2008 habe keine Zulassung vorgelegen, das Zulassungsverfahren sei jedoch bereits eingeleitet. Die Erteilung der PZN bzw. der Eintrag in die so genannte Lauer-Taxe sei am 15. März 2007 erfolgt. Der Zulassungsantrag sei mit Bescheid vom 25. Juli 2013 abschlägig beschieden worden, da die vorgelegten Unterlagen aus konzeptionellen Gründen als nicht geeignet eingestuft worden seien, um die im Zulassungsverfahren geforderten positiven Nachweise zu erbringen. Das Produkt sei zwischenzeitlich als sogenannte Defektur (zulassungsfreies Fertigarzneimittel auf Grundlage des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG) im Verkehr.

Das SG hat die Beklagte antragsgemäß mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2016 verurteilt, an die Klägerin 9.254,30 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. April 2009 zu zahlen (Zustellung: 27. Juni 2016). Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 ALV seien die Voraussetzungen des Anspruches auf Retaxierungen nicht erfüllt. Auch habe das BSG in ständiger Rechtsprechung die Schlüsselfunktion des Vertragsarztes im Bereich der Versorgung der Arzneimittel betont. Es gebe zwar einen Grundsatz, dass nicht zugelassene Arzneimittel nicht verordnet werden dürften. Allerdings würden von diesem Grundsatz nur Fertigarzneimittel erfasst im Gegensatz zu Rezepturarzneimitteln. Hier handele es sich um ein Rezepturarzneimittel. Die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) differenziere in § 1 AMPreisV zwischen Fertigarzneimitteln und für Apotheken hergestellte Arzneimittel, so genannte Rezepturarzneimittel. Bei den hier streitgegenständlichen Oxybutynin-Lösungen handele es sich um Rezepturarzneimittel, denn sie seien in einer Apotheke hergestellt. Unabhängig von dem Streit um die Zulassung des Oxybutynin 1% Instillationsset als Fertigarzneimittel sei die Herstellung zudem keine industrielle Fertigung. Dem Apotheker soll es nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG ermöglicht werden, im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebes Arzneimittel im Sinne einer Defektur herzustellen, wenn es hierzu einen Bedarf gebe. Dies schließe jedoch nicht aus, Rezepturarzneimittel auch für andere Apotheken herzustellen, die gegebenenfalls diese Defekturbedingungen nicht selbst vorhielten.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 21. Juli 2016. Sie hat zunächst angeregt, das Verfahren zum Ruhen zu bringen, weil das LSG Hamburg in einem Rechtsstreit um die gleiche Rechtsfrage (dortiges Aktenzeichen L 1 KR 31/15) das Ruhen angeordnet habe im Hinblick auf das beim Europäischen Gerichtshof anhängige Verfahren C-276/15. Dies beruhe auf einem Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs (BGH; Beschluss vom 16. April 2015 – I ZR 130/13) zu der Frage der Vereinbarkeit des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG mit Art. 3 Nr. 1 und Nr. 2 Richtlinie 2001/83/EG. Im Übrigen seien entgegen der Auffassung des SG die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG nicht gegeben. § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG sei restriktiv auszulegen, um eine Umgehung der Zulassungspflicht zu verhindern. Die Klägerin treffe eine Darlegungslast. Sie habe jedoch nicht nachgewiesen, dass sie die streitgegenständlichen Arzneimittel im streitgegenständlichen Zeitraum (Oktober 2009 bis September 2010) als Folge von häufigen Verschreibungen von der G-Apotheke habe herstellen lassen. Es sei auch nicht nachgewiesen, dass eine Menge von 100 Packungen pro Tag unterschritten worden sei. Auch sei keine Herstellung im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs erfolgt. Vielmehr habe die G-Apotheke die Arzneimittel im Auftrag von anderen Apotheken hergestellt im Sinne einer gewerblichen Tätigkeit. Die Klägerin sei schließlich auch keine Filialapotheke der G-Apotheke, so dass insoweit die Eingrenzung der zulassungsfreien Abgabe von Defekturarzneimitteln auf den Einzugs- und Versorgungsbereich der Apotheke entgegenstehe. Zuletzt sei auch unbeachtlich, dass die Klägerin nicht den gegebenenfalls höheren Betrag für ein Rezepturarzneimittel berechnet habe. Denn die Verordnungen seien nicht erkennbar als Defekturarzneimittel abgerechnet worden. Oxybutynin-Fertigspritzen seien zudem kein Produkt im Sinne der Ziffern 1 bis 7 des § 4 Abs. 5 ALV. Es handele sich also nicht um Fertigarzneimittel nach § 34 Abs. 1 Satz 2, Satz 7 § 34 Abs. 3 SGB V oder um nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel oder Medizinprodukte. Auf eine Subsumtion unter § 4 Abs. 5 Satz 3 ALV im konkreten Rechtsstreit komme es nicht an. Vielmehr sei eine Retaxierung auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstelle, dass ein Medikament nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 13. Juni 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat die Klage teilweise zurückgenommen, indem sie den geltend gemachten Zinsanspruch auf Prozesszinsen in gesetzlicher Höhe beschränkt hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auch die Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorlagen.

Entscheidungsgründe:

Es konnte im schriftlichen Verfahren entschieden werden, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Beide Beteiligten haben sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt.

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Vergütung der von ihr an die Versicherte der Beklagten abgegebenen Fertigspritzen-Sets. Eine Retaxierung durfte nicht erfolgen.

Der zwischen den Beteiligten dem Grunde nach nicht umstrittene zulässig mittels einer allgemeinen Leistungsklage geltend gemachte Zahlungsanspruch der Klägerin für Belieferungen von Versicherten der Beklagten ist nicht analog § 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) durch Aufrechnung mit einem jener zustehenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen die Klägerin in gleicher Höhe erloschen. Diese hatte nach den im Verhältnis zwischen den Beteiligten geltenden Regelungen des Leistungserbringungsrechts einen Anspruch auf Vergütung für die hier im Streit befindlichen Arzneimittellieferungen (vgl. allgemein näher BSG, Urteil vom 28. September 2010 – B 1 KR 3/10 R – juris Rdnr. 12 f.; im Ergebnis ebenso speziell zum hier streitigen (Fertig-)Arzneimittel: LSG Thüringen, Urt. v. 30. Mai 2017 –L 6 KR 424/14).

Der Vergütungsanspruch des Apothekers hat seine Grundlage im öffentlichen Recht und ergibt sich aus § 129 SGB V i. V. m. den Verträgen nach § 129 Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 SGB V (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 13/08 R – juris-Rdnr. 17). Die Rechtsbeziehung der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Apotheken und ihren Verbänden sind gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB V abschließend in den §§ 129 f. SGB V geregelt. Der nach § 129 Abs. 2 SGB V zu schließender Rahmenvertrag regelt u. a. die Einzelheiten über die Apotheken-Abgabepflichten sowie über die Preisangabe auf der Arzneimittelverpackung, § 129 Abs. 1 SGB V. Der nach § 129 Abs. 5 SGB V ergänzend zu schließende Arzneilieferungsvertrag regelt die Arzneimittelabgabe, die Berechnung der Preise, die Rechnungslegung und -begleichung sowie das Verfahren bei Berechnungsbeanstandungen. Hier ist der Arzneilieferungsvertrag (ALV) in der Fassung vom 1. Juli 2005 bzw. vom 1. Oktober 2008) maßgeblich.

Nach § 12 Abs. 1 ALV werden die Rechnungen der Apotheken bzw. der von diesen beauftragten Abrechnungsstellen innerhalb von 10 Tagen nach Eingang der Rechnung ungeprüft beglichen. Die Zahlung erfolgt vorbehaltlich auf später festgestellte Beanstandungen, § 12 Abs. 1 Satz 3 ALV. § 17 regelt dazu das Retaxierungsverfahren. Hat der Einspruch gegen eine Taxdifferenz keinen Erfolg oder gilt die Taxdifferenz nach § 17 Abs. 4 ALV als anerkannt, macht die Ersatzkasse einen Anspruch auf Rückzahlung des unter Vorbehalt geleisteten Betrages in Höhe der Taxdifferenz geltend. Diese Forderung wird im Rahmen einer nachfolgenden Rechnungsbegleichung gegen Vergütungsansprüche der Apotheke aufgerechnet (§ 17 Abs. 4 Satz 2 ALV).

Der ALV steht hier einem Vergütungsanspruch nicht entgegen. Für die streitgegenständlichen Belieferungen mit den Spritzen-Sets lagen in allen Fällen ordnungsgemäße ärztliche Verordnungen auf den hierfür vorgesehenen Verordnungsblättern vor. Die Versicherte erhielt die Mittel von der Klägerin jeweils im Einklang mit diesen Verordnungen (anders als im Fall BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 13/08 R, Rdnr. 12 f., auf den sich die Beklagte berufen hat). Es liegt auch kein Verstoß gegen § 4 Abs. 5 ALV vor. § 4 Abs. 5 ALV Sätze 1 bis 3 lauten:

"Die Apotheken sind zur Nachprüfung der Zugehörigkeit des Versicherten zu der auf der Verordnung angegebenen Ersatzkasse nicht verpflichtet; die angegebene Ersatzkasse ist zur Zahlung verpflichtet, maßgeblich ist das auf dem Verordnungsblatt angegebene Institutionskennzeichen der Ersatzkasse. Verordnungen von 1. Fertigarzneimitteln, die nach § 34 Abs. 3 SGB V von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen sind,

2.bis 8. ( ...)

dürfen nicht zu Lasten der Ersatzkassen beliefert werden, es sei denn, sie sind bei bestimmten Indikationsstellungen verordnungs- und erstattungsfähig.

Satz 2 gilt nur, wenn das verordnete Produkt zum Zeitpunkt der Belieferung der Verordnung in der großen deutschen Spezialitätentaxe (Lauer-Taxe) als ein nach den Ziffern 1 bis 7 nicht abgabefähiges Produkt gekennzeichnet ist."

Nach § 4 Abs. 5 Satz 2 ALV sind also eine Reihe von Fertigarzneimitteln, Pflegemitteln für Kontaktlinsen und Medizinprodukten von der Belieferung zu Lasten der Ersatzkassen ausgenommen, es sei denn, sie sind bei bestimmten Indikationsstellungen verordnungs- und erstattungsfähig. Dies gilt aber nach Satz 3 nur dann, wenn das verordnete Produkt zum Zeitpunkt der Belieferung der Verordnung in der großen deutschen Spezialitätentaxe (Lauer-Taxe) als ein nach den Ziffern 1 bis 7 nicht abgabefähiges Produkt gekennzeichnet ist. Nach einer Fußnote hierzu teilt der VdAK dem DAV Eintragungen in der Lauer-Taxe mit, die er für fehlerhaft hält. Der DAV prüft dies umgehend. Ist die Eintragung nach übereinstimmender Ansicht fehlerhaft, wirken VdAK und DAV auf eine schnelle Korrektur des Eintrages hin. Die hier streitigen Oxybutynin-Fertigspritzen waren unstreitig in der Lauer-Taxe nicht als nicht abgabefähiges Produkt gekennzeichnet gewesen. Eine Übermittlung durch den VdAK an den DAV, dies zu erreichen, ist nicht erfolgt. Für die Apotheke war damit der von der Beklagten angenommene Verordnungsausschluss nicht zu erkennen. Nach Satz 4 des § 4 Abs. 5 ALV sind die Apotheken im Übrigen nicht zur Überprüfung der Verordnungsfähigkeit des verordneten Mittels verpflichtet. Dies gilt nach Satz 5 selbst für gefälschte Verordnungen oder Verordnungen auf missbräuchlich benutzten Verordnungsblättern, soweit die Apotheke die Fälschung oder den Missbrauch nicht erkennen kann oder erkennen könnte. Denn nach der Formulierung sind gefälschte Verordnungen oder Verordnungen auf missbräuchlich benutzten Verordnungsblättern (nur dann) nicht belieferungsfähig, wenn die Apotheke die Fälschung oder den Missbrauch erkennt oder hätte erkennen müssen. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass danach eine noch weitergehende Überprüfung auf Einschränkung verordnungsfähiger Arzneimittel nicht zu den Pflichten nach dem ALV gehört. Die Auffassung der Beklagten, auf Verschulden der Apotheke komme es nicht an, ist mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 ALV nicht in Einklang zu bringen.

Soweit das BSG (Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 3/10 R -) entschieden hat, dass § 4 Abs. 5 Satz 3 ALV entgegen dem Wortlaut nicht auf die Fälle des § 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 8 ALV bezogen werden kann, betrifft dies nur den speziellen Anwendungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 8 ALV. Die Nummer betrifft den Einzelimport gemäß § 73 Abs. 3 AMG. Beim Einzelimport kann sich der Apotheker nicht auf die Lauer-Taxe berufen, da diese keine umfassende Kennzeichnung von Arzneimitteln zum Gegenstand hat, die für einen Einzelimport nach § 73 Abs. 3 AMG in Betracht kommen.

Auch aus der Entscheidung des BSG vom 3. August 2006 – B 3 KR 7/05 R – ergibt sich nichts anderes. Danach hat die Apotheke zur Vermeidung von Retaxierungen die maßgeblichen Vorschriften des Rahmenvertrages zu beachten, im dortigen konkreten Fall die Regelungen zur Stückelungsvorgaben, wenn die verordnete Menge vom Inhalt einer Packung abweicht (BSG, a.a.O., juris-Rdnr. 17 f). Verstöße gegen solche Vorschriften sind hier nicht ersichtlich.

Es ist auch ansonsten kein Pflichtenverstoß etwa gegen das AMG oder weitere Vorschriften des Apothekenbetriebsrechtes ersichtlich. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die betroffenen Spritzensets keine Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG gehabt hätten.

Nach § 141 Abs. 4 AMG dürfen Fertigarzneimittel, die sich am 5. September 2005 im Verkehr befunden haben und nach dem 6. September 2005 nach § 4 Abs. 1 AMG erstmalig der Zulassungspflicht nach § 21 AMG unterliegen, weiter in den Verkehr gebracht werden, wenn für sie bis zum 1. September 2008 ein Antrag auf Zulassung gestellt worden ist.

Die Übergangsvorschrift des § 141 Abs. 4 AMG ist einschlägig (ebenso LSG Thüringen, a. a. O. juris-Rdnr. 25). Bei den Spritzensets hat es sich um Fertigarzneimittel, die sich am 5. September 2005 bereits im Verkehr befunden haben und danach erstmalig der Zulassungspflicht nach § 21 AMG unterlegen haben. Soweit die Beklagte zwischenzeitlich vertreten hat, die Installationssets seien erst anschließend in den Verkehr gebracht worden, ist dieser Vortrag überholt. Unstreitig hat der Hersteller G-Apotheke die Sets schon vorher als Rezepturarzneimittel hergestellt und vertrieben. Die Feststellung der Verkehrsfähigkeit eines im Verkehr befindlichen Arzneimittels fällt nach Auffassung des BfArM in die Zuständigkeit der Landesbehörden. Die zuständige Hamburger Landesbehörde geht davon aus, dass § 141 Abs. 4 AMG erfüllt ist.

Im Übrigen kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass die Zulassung aufgrund dieser Übergangsvorschrift nur eine fiktive gewesen ist, welche für die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht maßgeblich sei. Die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gehört nämlich, wie ausgeführt, nicht umfassend zum Prüfauftrag der Apotheke.

Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass hier auch nicht sicher von fehlender Verordnungsfähigkeit durch den Vertragsarzt ausgegangen werden kann: Grundsätzlich kann aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung eines Arzneimittels, sofern hierbei dessen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklich geprüft worden ist, die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gefolgert werden. Für eine solche Schlussfolgerung von der arzneimittelrechtlichen Zulassung auf die Verordnungsfähigkeit im Rahmen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung fehlt aber dann die Grundlage, wenn die arzneimittelrechtliche Zulassung eines Medikaments keine – oder eine strukturell nur unzureichende – Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zugrunde liegt. Solche Fälle arzneimittelrechtlicher Zulassung ohne Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gab es während der Geltung des Übergangsrechts nach der Neuordnung des Arzneimittelrechts Ende der 1970er Jahre. Damals genügte eine Anzeige mit der Mitteilung über die bisherige Anwendung des Arzneimittels, damit dieses weiterhin als zugelassen galt. Soweit ein Arzneimittel in dieser Weise, ohne Durchlaufen des Arzneimittelzulassungsverfahrens mit Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit die Zulassung behielt bzw. diese verlängert würde, fehlte es an den inhaltlichen Merkmalen, die es rechtfertigten konnten, die Arzneimittelzulassung als ausreichend für die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der DKV zu akzeptieren. Die lediglich auf übergangsrechtlichen Vorschriften beruhende Verkehrsfähigkeit von Arzneimitteln, die keine Prüfung nach den Maßstäben des AMG durchlaufen haben, führt daher nicht ohne weiteres zur Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Krankenkassen (BSG, Beschluss vom 15. Juli 2015 – B 6 KA 19/15 B – Rdnr. 5 mit Bezugnahme auf BSGE 95, 132 und andere Entscheidungen). Nur wenn im Verfahren der Zulassung des Arzneimittels eine Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfolgt ist, ist die Arzneimittelzulassung als ausreichend auch für die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der GKV zu akzeptieren. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist deshalb das Medikament Wobe-Mugos E jedenfalls seit der Ablehnung der Zulassungsverlängerung durch den Bescheid des BfArM vom 9. Juni 1998 im Rahmen der vertragsärztlichen Verordnung nicht mehr verordnungsfähig gewesen (BSG, Beschluss vom 27. Juni 2012 – B 6 KA 72/11 B – Rdnr. 8 mit Bezugnahme auf Urteile vom 5. November 2008 und vom 6. Mai 2009 – B 6 KA 3/08 R). Ob diese Rechtsprechung auf die hiesige Situation einer Zulassungspflicht aufgrund der Änderung des Begriffes Fertigarzneimittels übertragbar ist, ist bereits fraglich. Im Gegensatz zur Situation, dass eine Zulassungsverlängerung durch die zuständige Behörde bereits abgelehnt worden ist, war vorliegend zum hier streitgegenständlichen Zeitraum im vorliegenden Fall jedenfalls über den Zulassungsantrag des Herstellers G-Apotheke noch nicht entschieden. Die Zulassungsfiktion ergab sich unmittelbar aus dem Gesetz nicht nur aufgrund der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die ablehnende Entscheidung des BfArM.

Auf die Frage, ob die Fertigspritzeninstallationssets jedenfalls nach § 21 Abs. 2 AMG als Defekturarzneimittel auch ohne Fertigarzneimittelzulassung abgegeben haben werden können, kommt es ebenfalls nicht an.

§ 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG lautet:

Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die zur Anwendung beim Menschen bestimmt sind und aufgrund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis 100 abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind.

Die Vorschrift ist jedenfalls nicht europarechtswidrig, sondern steht mit Art. 3 Richtlinie 2001/83/EG im Einklang.

(vgl. Art. 3 RL 2001/83EG Diese Richtlinie gilt nicht für: 1. Arzneimittel, die in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet werden (sog. Formula magistralis); 2. In der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmokopöe zubereitete Arzneimittel, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind (sog. Formular officinalis).

Mittlerweile hat nämlich der EuGH im Urteil vom 20. Oktober 2016 in der Rechtssache C-276/15 entschieden, dass Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 geänderten Fassung ("Diese Richtlinie gilt für Humanarzneimittel, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt") dahin auszulegen ist, dass ein Humanarzneimittel, das nach einer nationalen Regelung keiner Zulassung bedarf, weil es aufgrund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu 100 abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt wird und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt ist, nicht als im Sinne dieser Bestimmung gewerblich oder unter Anwendung eines industriellen Verfahrens zubereitet anzusehen ist und folglich nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt. § 21 Abs. 2 AMG verstößt demnach nicht gegen die vorgenannte Richtlinie.

Für die nicht durch Aufrechnung erloschene Forderung stehen der Klägerin Verzugszinsen gemäß § 61 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch und § 69 Satz 3 SGB V i. V. m. §§ 288 Abs. 1, 286 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) analog in der geltend gemachten Höhe zu (BSG, Urteil vom 3. August 2006 – B 3 KR 7/06 R – juris Rdnr. 19 ff.). Gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB beträgt der Verzugszinssatz für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor. Der Beschluss über den Streitwert, der nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden kann, folgt aus § 52 Abs. 1, Abs. 3 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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