L 1 KR 116/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 3 KR 211/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 116/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Januar 2016 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 986,12 EUR nebst 2 vom Hundert Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26. Juni 2008 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Übernahme der Kosten einer Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin ist Trägerin eines zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen Krankenhauses. Das Krankenhaus nahm den am 15. November 1987 geborenen Versicherten der Beklagten P M vom 28. April 2008 bis zum 29. April 2008 zur stationären Behandlung auf. Auf der vom behandelnden Vertragsarzt Dr. E. W am 22. April 2008 ausgestellten Verordnung von Krankenhausbehandlung sind als Diagnosen angegeben Infantile Zerebralparese, Tetraparese, Anfallsleiden, schwere geistige Behinderung. Als Fragestellung ist vermerkt Verlaufskontrolle Anfallsleiden, Indikation Botox.

Für die Behandlung des Versicherten stellte die Klägerin der Beklagten am 6. Mai 2008 einen Betrag von 986,12 EUR in Rechnung. Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst, beauftrage aber den MDK am 3. Juni 2008 mit der Überprüfung der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung. Der MDK zeigte der Klägerin die Prüfung mit Schreiben vom 4. Juni 2008 an. In seinem der Beklagten erstatten Gutachten vom selben Tag (4. Juni 2008) kam der MDK zu dem Ergebnis, dass eine stationäre Behandlung des Versicherten medizinisch nicht begründet sei. Aus den vorliegenden Daten ergäben sich keine entsprechenden Sachverhalte. Das EEG hätte prästationär durchgeführt werden können.

Mit Schreiben vom 19. Juni 2008 wies die Beklagte die Klägerin auf das Ergebnis der Begutachtung durch den MDK hin, dem sie sich anschließe. Der unter Vorbehalt gezahlte Rechnungsbetrag werde maschinell verrechnet werden, was am 25. Juni 2008 dann auch erfolgte.

Am 30. September 2008 verwahrte sich die Klägerin gegenüber der Beklagten gegen die Verrechnung. Das Prüfverfahren sei schon deswegen nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, weil keine Einsicht in die Behandlungsunterlagen genommen worden sei. Die durch den behandelnden Neurologen angefragten Untersuchungen hätten aufgrund des Zustands des Versicherten nicht ambulant durchgeführt werden können. Auch sei eine Beobachtung unter klinischen Bedingungen unter Bezug auf die Häufigkeit epileptischer Anfälle angezeigt gewesen.

Die Beklagte befragte erneut den MDK: Dieser befand in seinem Gutachten vom 20. Januar 2010, dass auch bei schwerstbeeinträchtigten Patienten zunächst eine ambulante oder vorstationäre Diagnostik versucht werden müsse. Eine Beobachtung der Häufigkeit der Anfälle könne die stationäre Aufnahme nicht begründen, weil es keine Daten über eine engmaschige Überwachung gebe. Durch Schreiben vom 31. März 2010 wies die Beklagte die Klägerin auf das Ergebnis der Prüfung durch den MDK hin, dem sie sich anschließe. Sie verzichtete gegenüber der Klägerin am 12. Dezember 2012 auf die Einrede der Verjährung bis zum 31. Dezember 2012.

Mit der am 25. Juli 2013 bei dem Sozialgerichts Potsdam eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Behandlungskosten. Die Beklagte hat während des Verfahrens vor dem Sozialgericht nochmals den MDK mit einer gutachterlichen Stellungnahme beauftragt. Frau Dr. W vom MDK hat in ihrem Gutachten vom 4. März 2014 daran festgehalten, dass aus ex ante Sicht zum Zeitpunkt der Aufnahme keine Befunde vorgelegen hätten, die eine Krankenhausbehandlung rechtfertigten. Auch die diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen rechtfertigten eine Behandlung im Krankenhaus nicht.

Das Sozialgericht hat den Chefarzt der Klinik für Neurologie des V Klinikums Neukölln Prof. Dr. N mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Behandlungsbedürftigkeit beauftragt. In seinem Gutachten vom 8. Juni 2015 führt Prof. Dr. N aus, dass das Krankenhaus der Klägerin bei der Aufnahme des Versicherten einen Behandlungsplan erstellt habe. Die durchgeführte Behandlung habe das Potenzial gehabt, die Krankheitsbeschwerden zu lindern und einer Verschlimmerung entgegen zu wirken. Warum die stationäre Aufnahme eingeleitet worden sei und welche Folgen bei einer unterbliebenen Einweisung zu befürchten gewesen wären, könne den Akten nicht entnommen werden. Grundsätzlich könne eine Verlaufskontrolle bei Epilepsiepatienten auch ambulant erfolgen, im Falle des Versicherten erscheine das aber wegen seiner schweren Beeinträchtigungen schwer vorstellbar. Dagegen wäre zur Prüfung der Indikation für eine Behandlung mit Botox auch im Falle des Versicherten wahrscheinlich eine ambulante Behandlung ausreichend gewesen. Insgesamt müsse stark angezweifelt werden, ob das Behandlungsziel auch ambulant hätte erreicht werden können. Auch wenn keine zwingende Indikation für eine stationäre Einweisung bestanden habe, habe diese Entscheidung im ärztlichen Ermessensspielraum gelegen. Sie müsse gutachterlich als plausibel und nachvollziehbar eingeschätzt werden. Zu den gegen sein Gutachten erhobenen Einwendungen der Beklagte hat Prof. Dr. N am 11. November 2015 in einer ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass die Verlaufskontrolle von Anfallsleiden nicht zwingend auf apparative Methoden wie die Durchführung eines EEG beschränkt. Signifikante medizinische Bedeutung sei gerade in dem vorliegenden Fall einer klinischen Verlaufskontrolle beizumessen. Zu Unrecht wolle die Beklagte aus der Tatsache, dass bei dem Versicherten erfolgreich eine ambulante Operation durchgeführt worden sei ableiten, dass auch eine Verlaufskontrolle ambulant möglich gewesen wäre. Beides sei nicht miteinander zu vergleichen, weil bei der Verlaufskontrolle gerade keine Sedierung oder Narkose erfolge.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 14. Januar 2016 abgewiesen. Die Klägerin habe kein Anspruch auf die Kosten für die Behandlung des Versicherten i.H.v. 986,12 EUR. Die stationäre Behandlung in der Klinik der Klägerin vom 28. bis 29. April 2008 sei nicht notwendig gewesen. Das ergebe sich aus dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Professor Dr. N vom 8. Juni 2015. Für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung komme es auf die medizinische Erfordernisse im Einzelfall und nicht auf eine abstrakte Betrachtung an. Die Sozialgerichte hätten uneingeschränkt zu überprüfen, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig war, wobei sie von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen hätten. Die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung sei auch dann vollständig zu überprüfen, wenn eine Krankenkasse ihre Leistungspflicht nachträglich für einen bereits verstrichenen Zeitraum bestreite. Die Einschätzung des verantwortlichen Krankenhausarztes habe keinen Vorrang. Der Sachverständige habe in seinem Gutachten zunächst dargelegt, dass keine Dosiserhöhung der antikonvulsiven Medikation erfolgt sei. Er habe weiter dargelegt, dass bei dem Versicherten eine infantile Zerebralparese mit Tetraspastik, eine schwere Intelligenzminderung mit Verhaltensstörung, fehlender Kommunikationsmöglichkeit und fehlender Entscheidungsfähigkeit, eine therapiefraktäre Epilepsie mit einer Frequenz generalisierter Anfälle von ein bis zwei im Monat und vollständige Schluckunfähigkeit mit Kachexie vorgelegen habe. Es habe ein knapper aber noch ausreichender Behandlungsplan vorgelegen. Sowohl der Versuch einer Botoxtherapie als auch die Behandlung der Epilepsie mit dem Ziel, die Anfallsfrequenz und -schwere zu optimieren, sei jeweils ein nachvollziehbarer Behandlungsansatz gewesen. Nach dem Sachverständigen sei den Akten nicht zu entnehmen, warum die Behandlung gerade zu diesem Zeitpunkt erforderlich gewesen sei und es sei dem einweisenden Neurologen wohl darum gegangen, Behandlungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Epilepsie und die schwere Tetraspastik auszuloten. Die Dokumentation der Klinik zeige aber keine Häufung der Anfallsfrequenz, auch seien keine bisher unbekannten kleineren epileptischen Anfälle überwacht worden. Es sei nicht mit Gewissheit zu beantworten, welche Folgen eine nicht durchgeführte Behandlung zu diesem Zeitpunkt gehabt hätte. Zudem habe der Sachverständige dargelegt, dass die Behandlung sowohl im Hinblick auf die Verlaufskontrolle als auch im Hinblick auf die Prüfung einer Behandlungsindikation mit Botox nicht zwingend stationär erfolgen musste. Im konkreten Behandlungsfall erscheine es zwar schwer vorstellbar, dass eine medizinisch verlässliche und fachgerechte Verlaufskontrolle in einem üblichen ambulanten Setting möglich gewesen wäre. Insgesamt habe der gerichtlich bestellte Sachverständige aber dargelegt, dass ambulante Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung standen und dass die Indikation zur Prüfung einer Botoxtherapie auch im konkreten Behandlungsfall unter Berücksichtigung des komplexen Epilepsiesyndroms nicht ausgereicht habe, um die stationäre Behandlungsnotwendigkeit zu begründen. Danach habe die Kammer keinerlei Zweifel daran, dass keine stationäre Behandlungsnotwendigkeit bestanden habe. Weiter habe der Sachverständige mitgeteilt, dass die Verlaufskontrolle des Anfallsleidens auch im ambulanten Rahmen habe erfolgen können. Eine zwingende Indikation für die stationäre Einweisung gebe es nicht. Es sei den Akten nicht zu entnehmen, was konkret den behandelnden Neurologen dazu bewogen habe, eine stationäre Einweisung auszustellen. Weiter habe der Sachverständige dargelegt, dass über die Frage der Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden könne, und auf den ärztlichen Ermessensspielraum hingewiesen. Er habe aber auch ausgeführt, dass die ärztliche Verlaufsdokumentation nicht ausreiche, um die Frage abschließend zu beantworten. Zur Problematik einer engmaschigen Verlaufskontrolle des Epilepsieleidens im Krankenhaus habe der Sachverständige dargelegt, dass eine Verlaufskontrolle nicht zwingend apparative technische Methoden voraussetze, sondern auch angemessen durch engmaschige hochfrequente klinische Verlaufsbeobachtung erfolgen könne. Eine entsprechende spezielle ärztliche Verlaufsdokumentation sei jedoch nicht vorhanden. Im Übrigen habe der Sachverständige darauf hingewiesen, dass eine Verweildauer von einer Nacht in Anbetracht der Anfallsfrequenz von ein bis zwei Fällen pro Monat ungewöhnlich kurz gewesen sei, um Aussagen zur Epilepsieerkrankung treffen zu können. Danach komme die erkennende Kammer insgesamt zu der Einschätzung, dass weder die Frage einer Behandlungsindikation für Botox noch die Beobachtung des Anfallsleidens eine konkrete medizinische Notwendigkeit für die stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten begründen konnte. Der Sachverständige habe dargelegt, dass die Indikation für eine Behandlung mit Botox auch im ambulanten Rahmen hätte gestellt werden können und dass eine engmaschige Verlaufsbeobachtung der Grunderkrankungen im Rahmen des Epilepsiesyndroms nicht dokumentiert sei. Der konkrete Zweck der Verordnung von Krankenhausbehandlung sei dem Aktenmaterial nicht zu entnehmen, für eine ärztliche Ermessensentscheidung zugunsten der stationären Behandlung sei die Verlaufsdokumentation nicht ausreichend und eine engmaschige hochfrequente klinische Verlaufsbeobachtung sei wegen des Fehlens einer entsprechenden ärztlichen Verlaufsdokumentation nicht zu ermitteln. Zwar habe der Sachverständige noch auf die GAEP- Kriterien verwiesen und dargelegt, nach denen wegen der fehlenden Kommunikations- und Einsichtsfähigkeit des Patienten auch dann eine Indikation zur stationären Aufnahme in Betracht komme, wenn keine der explizit definierten Kriterien vorliegen würden. Der Sachverständige habe dazu aber weiter ausgeführt, dass die Anwendung einer solchen Ermessensentscheidung zu begründen sei und ein entsprechender Zusatznutzen der Behandlung im Krankenhaus dokumentiert werden müsse. Daran fehle es jedoch im streitigen Behandlungsfall. Die Klinik der Klägerin habe versäumt, die Verlaufsdokumentation so zu gestalten, dass die ärztliche Ermessensentscheidung zur vollstationären Aufnahme und die Erfüllung des Behandlungsauftrags unzweifelhaft abgebildet worden seien. Schon eine medizinische Verlaufsnotiz wäre hilfreich gewesen, aus der hervorgegangen wäre, warum der Versicherte bereits am nächsten Tag entlassen worden sei. Wegen der fehlenden Dokumentation und Begründung habe nicht entschieden werden müssen, ob die GAEP Kriterien im streitigen Behandlungsfall überhaupt anwendbar seien, obwohl sie grundsätzlich nur für Akuterkrankungen gelten würden. An einer akuten Erkrankung sei hier zu zweifeln, weil die Erkrankung des Versicherten mit unveränderter Anfallsfrequenz bereits seit Jahren bestanden habe. Außerdem sei die stationäre Aufnahme erst sechs Tage nach der Ausstellung der Verordnung erfolgt. Wenn eine stationäre Krankenhausbehandlung notwendig gewesen wäre, hätte dies in der Patientenakte dokumentiert und begründet werden müssen, was jedoch nicht mit der erforderlichen Genauigkeit und Deutlichkeit geschehen sei. Die Klägerin mache einen Vergütungsanspruch geltend, daher gehe die Nichterweislichkeit der beweiserheblichen Tatsachen zu Ihren Lasten.

Gegen das ihr am 9. Februar 2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 9. März 2016 bei dem Landessozialgericht Berlin Brandenburg eingegangene Berufung der Klägerin. Dem Urteil des Sozialgerichts könne nicht gefolgt werden. Bei dem Versicherten hätten vorgelegen eine infantile Zerebralparese mit Tetraspastik, schwere Intelligenzminderung mit Verhaltensstörung, fehlende Kommunikationsmöglichkeit und Entscheidungsfähigkeit, therapiefraktäre Epilepsie mit fequenzgeneralisierten Anfällen von ein bis zwei pro Monat und vollständige Schluckunfähigkeit mit Kachexie. Nachvollziehbarer Behandlungsansatz sei die Linderung der Krankheitsbeschwerden durch den Versuch einer Botoxtherapie und gegebenenfalls die Optimierung der Epilepsie im Hinblick auf Anfallsfrequenz und -schwere gewesen. Zwar habe der Sachverständige gerügt, dass sich aus der Dokumentation der Klinik keine Häufung der Anfallsfrequenz ergebe und nicht klar sei, ob bisher unerkannte kleinere epileptische Anfälle überwacht werden sollten. Auch habe der Sachverständige dargelegt, dass sowohl die Verlaufskontrolle der Epilepsie als auch die Prüfung eine Behandlungsindikation für Botox nicht zwingend eine stationäre Krankenhausbehandlung benötige, sondern ausgeführt, dass beide Behandlungsmaßnahmen prinzipiell ambulant durchführbar gewesen sein, auch wenn dies bei unkooperativen und nicht kommunikativen Patienten schwierig sei. Das Gericht habe aber die weiteren Ausführungen des Sachverständigen unberücksichtigt gelassen, dass es im konkreten Behandlungsfall nur schwer vorstellbar gewesen sei, eine medizinisch verlässliche und fachgerechte Verlaufskontrolle in einem üblichen ambulanten Setting durchzuführen. Es stelle stattdessen auf die Aussage ab, dass die Indikationsstellung für eine Behandlung mit Botox auch im Falle des Versicherten unter Hinzuziehung eines Physiotherapeuten bei ausreichender ärztliche Fachkompetenz ambulant ausreichend gewesen wäre. Der Sachverständige habe aber eben nicht gesagt, dass grundsätzlich ambulante Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten und eine stationäre Behandlungsnotwendigkeit auch unter Berücksichtigung des kompletten Epilepsiesyndroms nicht bestanden habe. Vielmehr habe er Zweifel geäußert, ob das Behandlungsziel ohne stationäre Behandlung erreicht werden könnte, auf das ärztliche Ermessen verwiesen und die stationäre Behandlung als plausibel, nachvollziehbar und medizinisch gerechtfertigt bezeichnet. Nach dem Gutachten habe aus der ex ante-Perspektive des aufnehmenden ärztlichen Krankenhausteams praktisch alles dafür gesprochen, dass nur durch eine stationäre Krankenhausbehandlung die definierten Behandlungsziele erreicht werden konnten. Der Sachverständige habe sogar ausgeführt, dass die Verweildauer von nur einer Nacht ungewöhnlich kurz gewesen sei, um eine Aussage über die Epilepsiekrankheit zu treffen. Er gehe also davon aus, dass im Grunde genommen eine längere stationäre Behandlung als tatsächlich durchgeführt notwendig gewesen wäre. Nach der Einschätzung des Sachverständigen sei der stationäre Aufenthalt aufgrund der massiven Unruhe des Patienten abgebrochen worden, auch wenn sich dies nicht ausdrücklich aus der Akte ergebe. Auch das habe das Sozialgericht außer Acht gelassen. Soweit sich das Sozialgericht auf die Angabe des Sachverständigen beziehe, wonach Maßnahmen zur Überwachung des Anfallsleidens des Versicherten nicht dokumentiert seien, müsse auf die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 11. November 2015 Bezug genommen werden. Der Sachverständige habe dort ausgeführt, dass die Verlaufskontrolle bei komplexen Anfallsleiden eine längere Beobachtung durch ein erfahrenes Team erfordere, was über die Durchführung eines EEG weit hinausginge. Insbesondere bei einer Epilepsieerkrankung der bei dem Versicherten vorliegenden Art sei der klinischen Verlaufskontrolle und nicht den apparativen Methoden signifikante Bedeutung beizumessen. Zu fragen sei dann, welche Anforderungen an die Dokumentation einer solchen Verlaufskontrolle zu stellen sei. Das Sozialgericht habe außer Acht gelassen, dass sich schon aus der Patientenakte die stationäre Überwachung des Patienten ergebe. Der Versicherte sei am Aufnahmetag zweimal ärztlich gesehen worden und einmal noch bei der Entlassung. Die eigentlichen Beobachtungen würden durch das entsprechend geschulte Pflegepersonal stattfinden, das mit einem schwer beeinträchtigten Patienten wie dem Versicherten ständig Kontakt gehabt hätte. Dokumentiert seien etwa mehrere Windelwechsel, Umlagerungen und Beruhigungen durch Körperkontakt. Aus der Dokumentation werde deutlich, dass der Versicherte pro Schicht mindestens stündlich Kontakt mit dem Pflegepersonal gehabt haben müsse. Im Rahmen dieser Kontakte hätten dann auch Verlaufsbeobachtungen sowie eine Kontrolle auf Anfallsanzeichen stattgefunden. Eine Anfallsverlaufskontrolle erfordere nicht, dass der Patient stündlich durch einen Arzt gesehen werde, der Arzt werde vielmehr erst bei Auffälligkeiten herbeigerufen. Dass keine Anfallsanzeichen dokumentiert seien, weise lediglich darauf hin, dass solche Anzeichen nicht beobachtet worden wären, nicht aber, dass keine Beobachtung stattgefunden habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 14. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 986,12 EUR nebst 2 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26. Juni 2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Der Sachverständige habe dargelegt, dass nicht mit letzter Sicherheit über die Notwendigkeit der stationären Behandlung entschieden werden könne. Das Bundessozialgericht habe zur Frage der akut-stationären Behandlungsnotwendigkeit explizit ausgeführt, dass sich die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit allein nach medizinischen Erfordernissen bestimme. Es gehöre dagegen nicht zu den Aufgaben der Krankenversicherung, die für eine erfolgreiche Krankenbehandlung notwendigen gesellschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen zu schaffen. Für die Frage der medizinischen Notwendigkeit sei die Klägerin beweispflichtig. Das Sozialgericht habe nach seiner freien Überzeugung und nach umfassender Würdigung des Sachverständigengutachtens in nicht zu beanstandender Weise entschieden.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Patientenakte der Klägern verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf Vergütung für die stationäre Behandlung des Versicherten der Beklagten in der Zeit vom 28. bis 29. April 2008.

Die Klägerin verfolgt ihren Zahlungsanspruch zulässigerweise im Wege einer allgemeinen Leistungsklage. Er ergibt sich aus dem Zahlungsanspruch für eine andere unstreitige Forderung, gegen den die Beklagte zu Unrecht am 25. Juni 2008 mit einem vermeintlichen Erstattungsanspruch wegen der hier streitigen Behandlung aufgerechnet hat. Der Beklagten stand aber in der Höhe des streitigen Betrags kein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu Die stationäre Behandlung des Versicherten der Beklagten ist von dieser nicht ohne Rechtsgrund vergütet worden. Die Klägerin hatte gegen die Beklagte entsprechend der gestellten Rechnung einen Vergütungsanspruch in Höhe von 986,12 EUR.

Rechtsgrundlage für die Vergütung der Behandlung der Versicherten der Beklagten in der Zeit vom 24. September 2009 bis zum 3. Oktober 2010 sind § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17 b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), § 7 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und der Brandenburger Vertrag über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V) vom 8. Oktober 1996 in der Fassung vom 22. September 1997. Nach diesen Regelungen entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V objektiv erforderlich gewesen ist.

Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder einer ambulanten Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist ein Krankheitszustand, dessen Behandlung den Einsatz der besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich macht. Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich ausschließlich nach medizinischen Erfordernissen (Urteil des BSG vom 25. September 2007 - GS 1/06 - und Urteil des BSG vom 23. Juni 2015 - B 1 KR 26/14 R - zitiert jeweils nach juris). Die vollstationäre Behandlung als intensivste - und institutionell konstitutive Form der Krankenhausbehandlung wird in § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V als Ultima Ratio normiert. Demgemäß muss die notwendige medizinische Behandlung in jeder Hinsicht und ausschließlich nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses durchgeführt werden können (Noftz in Hauck/Noftz SGB V § 39 RdNr. 72 m.w.Nachw.).

Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts ergibt sich aus dem von Prof. Dr. Nerstatteten Sachverständigengutachten, dass die Aufnahme des Versicherten zu stationären Behandlung in der Klinik der Klägerin medizinisch notwendig gewesen ist. Der Sachverständige hat dargelegt, dass die stationäre Aufnahme erfolgte, um zu prüfen, ob eine Botoxtherapie sinnvoll wäre und ob die Behandlung der Epilepsie noch optimiert werden konnte, beispielsweise durch eine Änderung der vorhandenen Medikation. Er hat weiter dargelegt, dass dieses Behandlungsziel geeignet gewesen wäre, die Krankheitsbeschwerden des Versicherten zu lindern und eventuell sogar einer weiteren Verschlimmerung entgegen zu wirken. Dass damit eher allgemeine Ziele verfolgt wurden, die nicht durch einen konkrete Änderung der Krankheitsbildes oder einen sonstigen akuten Anlass bedingt waren, ändert an der medizinische Indikation für die Überprüfung noch offener Behandlungsoptionen nichts.

Aus dem Sachverständigengutachten ergibt sich auch mit hinreichender Deutlichkeit, dass gerade die besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich gewesen sind, um das Ziel der Behandlung zu erreichen. Für die Frage der Behandlungsnotwendigkeit kommt es nicht darauf an, ob im Allgemeinen die Indikation für die Einleitung einer Botox-Therapie ambulant gestellt werden und der Verlauf eines Epilepsieleidens auch ambulant untersucht werden kann. Maßgebend sind vielmehr die konkret bei dem Versicherten bestehenden Verhältnisse, soweit sie krankheitsbedingt geprägt sind. Nach der Einschätzung des Gutachters hätte die Frage nach einer Botox-Therapie für den Versicherten zwar noch auf ambulantem Wege geklärt werden können. Eine ambulante Verlaufskontrolle des Epilepsieleidens hält er aber infolge der massiven bei dem Versicherten bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen für praktisch nicht durchführbar. Der Senat hat keine Veranlassung, die Richtigkeit dieser Einschätzung des Gutachters in Frage zu stellen. Das Gutachten zeichnet sich durch differenzierte Beantwortung der gestellten Fragen aus. Wenn der Sachverständige ausführt, dass die Verlaufskontrolle komplexer Anfallsleiden und deren neuromedizinische Einordnung manchmal eine kontinuierliche Beobachtung in einem multiprofessionellen Team erfordere, wie es nur in einem Krankenhaus vorhanden sei, erscheint das dem Senat ohne weiteres als nachvollziehbar. Nachvollziehbar ist auch die Annahme, dass ein solcher Fall vorliegend gegeben war. Der Versicherte war nicht in der Lage, bei einer Untersuchung zu kooperieren und zu kommunizieren, was erhöhte Anforderungen an Ärzte und Pflegepersonal stellte. Die bloße theoretische Möglichkeit, dass auch eine ambulante Verlaufskontrolle hätte gelingen können, reicht nicht aus. Der Sachverständige hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. November 20115 noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass allein die Durchführung eines EEG nicht ausreichend für die Verlaufskontrolle des bei dem Versicherten vorliegenden Epilepsieleidens erschien, sondern eine weitere Überwachung erforderlich war.

Zu Unrecht meint das Sozialgericht, aus dem Fehlen der Dokumentation einer stattgefundenen engmaschigen multiprofessionellen Verlaufskontrolle ableiten zu können, dass eine stationäre Behandlung entgegen der Einschätzung des Sachverständigen nicht erforderlich gewesen sein könne. Über die Erforderlichkeit einer stationären Behandlung ist bei Aufnahme des Patienten im Wege einer ex-ante-Prognose zu entscheiden. Wenn sich eine geplante Behandlung - wie hier - letztlich als undurchführbar erweist, ist sie abzubrechen, ohne dass deswegen aber ihre zunächst bestehende Indikation in Frage gestellt werden könnte. Selbst eine unzureichend umgesetzte Überwachung des Versicherten widerlegt deswegen nicht, dass aus medizinischer Sicht bei Aufnahme noch eine entsprechende Behandlungsnotwendigkeit bestand. Mit Recht weist die Klägerin auch darauf hin, dass zumindest ein regelmäßiger Kontakt des Versicherten mit dem Pflegepersonal dokumentiert ist. Im Übrigen ist der tatsächliche Behandlungsverlauf dadurch gekennzeichnet, dass der Versicherte umgehend am nächsten Tag wieder entlassen worden ist. Der Sachverständige erklärt das mit einer vermutlich bei dem Versicherten infolge des Umgebungswechsels aufgetretenen starken Unruhe. Da dies keine unbedingt vorhersehbare Entwicklung gewesen ist, kann von der Kürze des Aufenthalts nicht auf das Fehlen von Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit geschlossen werden. Die Grundvoraussetzungen für die Abrechnung der stationären Behandlung in der Zeit vom 28. April 2008 bis zum 29. April 2008 liegen hier vor.

Auch der Höhe nach ist die erhobene Forderung der Klägerin berechtigt. Maßgebend für die Höhe der Vergütung, welche die sog DRG-Krankenhäuser, zu denen auch die Klägerin gehört, für die Behandlung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zu beanspruchen haben, ist nach § 17b KHG iVm §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 KHEntGG ein diagnosebezogenes pauschaliertes Vergütungssystem, das aus einem Fallpauschalenkatalog und einer Fallpauschalenvereinbarung (FPV) besteht, die hier in der Fassung des Jahres 2008 anzuwenden sind. Welche der über die Höhe der Vergütung entscheidenden DRG-Positionen abzurechnen sind, ergibt sich nicht aus einem abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzelnen in einem Programm vorgesehenen Daten. Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 FPV sind zur Zuordnung des Behandlungsfalles zu einer Fallpauschale Programme (sog. Grouper) einzusetzen, die von dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus zertifiziert sein müssen. Welche Daten in das Programm einzugeben sind, bestimmt sich nach dem ICD-10 in der deutschen Fassung sowie nach dem vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) herausgegebenen Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS). Die Klägerin hat ihre Rechnung nach diesen Vorgaben erstellt. Einwendungen gegen die von der Klägerin in die Abrechnung eingestellten Diagnosen und Prozeduren hat die Beklagte nicht erhoben, so dass von der sachlichen Richtigkeit der erhobenen Forderung auszugehen ist.

Soweit die Beklagte vor dem Sozialgericht geltend gemacht hat, dass jedenfalls noch ein Abschlag gem. § 140d SGB V (a.F.) in Höhe von 8,30 EUR abgezogen werden müsse, weist der Senat darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BSG der in § 140d SGB V (a.F.) vorgesehene Einbehalt zur Anschubfinanzierung der Integrierten Versorgung nur solange vorgenommen werden darf, wie das Behandlungsentgelt noch nicht vollständig ausgezahlt worden ist (BSG v. 2. November 2010 - B 1 KR 11/10 R). Die Beklagte hatte aber an die Klägerin zunächst gezahlt, ohne einen Vorbehalt für den möglicherweise noch nachzuholenden Einbehalt gem § 140d SGB V zu erklären. Damit kann der Einbehalt jetzt nicht mehr geltend gemacht werden.

Nach alledem war auf die Berufung der Klägerin hin das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung zu verurteilen.

Der Zinsanspruch für die Forderung folgt aus § 18 Abs. 4 und 5 des Brandenburger Vertrags über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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