Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 KR 1691/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 58/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklage hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt den Erlass von Beiträgen sowie Säumniszuschlägen.
Er bezog vor dem 1. Oktober 2011 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und war insoweit bei der Beklagten zu 1) (nachfolgend nur noch: "die Beklagte") gesetzlich krankenversichert. Seit dem 1. Oktober 2011 war er pflichtversichert nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Die Beklagte übersandte dem Kläger am 18. Oktober 2011 ein Schreiben mit dem Betreff "Ihr Krankenversicherungsschutz ist uns wichtig!", in dem sie anlässlich des Endes des Bezuges von Arbeitslosengeld II um Ausfüllung und Rücksendung einer Veränderungsanzeige bat. Beigefügt war eine "Mitgliedsbescheinigung nach § 175 SGB V zur Vorlage bei dem Arbeitgeber, Bundesagentur für Arbeit oder Arbeitslosengeld II-Behörde", in der es heißt, der Kläger ihr Mitglied. In einem weiteren Schreiben vom Oktober 2011 bat sie ihn um Einreichung eines Lichtbildes für die neue elektronische Gesundheitskarte.
Am 3. November 2011 nahm der Kläger bei der Zahnarztpraxis Dr. F in B zahnärztliche Leistungen in Anspruch. Der Kläger hat hierzu später vorgetragen, seine Zahnärztin als Notfall aufgesucht zu haben, da ihm etwas von seinem Zahnimplantat abgebrochen sei. Die Beklagte wendete für diese Behandlung 45,90 EUR auf
Am 8. November 2011 übersandte sie ein Antragsformular zur freiwilligen Krankenversicherung.
Am 24. Mai 2012 gab der Kläger bei der Beklagten eine Anzeige zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) ab.
Die Beklagte setzte daraufhin – auch im Namen der Beklagten zu 2) – mit Bescheid vom 25. Mai 2012 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis zum 31. Dezember 2011 auf insgesamt 145,64 EUR monatlich fest, für die Zeit ab dem 1. Januar 2012 auf 149,63 EUR. Für den rückwirkenden Zeitraum seien Säumniszuschläge von 112,00 EUR angefallen. Sie mahnte unter dem 25. Juni 2012 die ausstehenden Beträge an.Mit Schreiben vom 10. Oktober 2013 informierte sie den Kläger über die durch das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung eingeführte Möglichkeit, Beiträge und Säumniszuschläge zu erlassen. Unter dem 18. Dezember 2013 sandte dieser die beigefügte "Erklärung zum Erlass von Beiträgen" zurück und erklärte, während des Nacherhebungszeitraumes vom 1. Oktober 2011 bis 30. April 2012, für den bisher noch keine Beiträge gezahlt worden seien, Leistungen nicht in Anspruch genommen zu haben bzw. auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung zu verzichtenEr beantragte ferner mit Schreiben vom 23. Dezember 2013 ausdrücklich den Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen im Nacherhebungszeitraum.
Mit Schreiben vom 11. März 2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, am 17. Januar 2014 noch nicht gezahlte Säumniszuschläge teilweise gemäß § 256a Abs. 3 SGB V für den Zeitraum vom Beitragsmonat Oktober 2011 bis Mai 2013 erlassen zu haben, insgesamt 1.302,00 EUR. Sie lehnte es mit Bescheid vom 13. März 2014 ab, auch darüber hinaus Beiträge und Säumniszuschläge nach § 256a SGB V zu erlassen. Nach den am 4. September 2013 aufgestellten einheitlichen Grundsätzen zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (einheitliche Grundsätze Beitragsschulden) setze ein Erlass der Beiträge voraus, dass der Versicherte schriftlich erkläre, im Nacherhebungszeitraum Leistungen nicht in Anspruch genommen zu haben oder im Falle in Anspruch genommener Leistungen auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung zu verzichten. Der Kläger habe zwar schriftlich erklärt, keine Leistungen in Anspruch genommen zu haben. Tatsächlich habe er sich jedoch am 3. November 2011 als gesetzlich Versicherter zahnärztlich behandeln lassen.
Der Kläger erhob Widerspruch. Zum Zeitpunkt seiner Erklärung am 18. Dezember 2013 sei ihm nicht mehr bewusst gewesen, dass er über zwei Jahre zuvor zahnärztliche Leistungen in Anspruch genommen habe. Er sei allerdings auch nicht darauf hingewiesen worden, die Behandlung selbst bezahlen zu können, um in den Genuss des Beitragserlasses zu kommen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2014 zurück (Zustellung: 23. August 2014).
Der Kläger hat hiergegen am 23. September 2014 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Die Beklagte hat mitgeteilt, dass am 1. August 2013 noch Beiträge in Höhe von 1.035,44 EUR, also die gesamten Beiträge für den Nacherhebungszeitraum, und Säumniszuschläge in Höhe von 295,00 EUR offen seien.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 19. Dezember 2016 klageantragsgemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 13. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2014 verpflichtet, dem Kläger die am 1. August 2013 noch offenen Beiträge und Säumniszuschläge für den Nacherhebungszeitraum Oktober 2011 bis April 2012 bis auf einen Betrag von 45,90 EUR zu erlassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Erlass aus § 256a Abs. 2 S. 2 SGB V in Verbindung mit § 3 Abs. 1 einheitliche Grundsätze Beitragsschulden zu. § 256a Abs. 2 S. 2 SGB V sei einschlägig, weil der Kläger seine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V im Mai 2012 angezeigt habe, also vor dem 31. Dezember 2013. Es liege demnach ein gebundenes Ermessen in Richtung eines Erlasses der noch ausstehenden Beiträge und Säumniszuschläge vor. Zudem sei nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden der Erlass zwingend vorzunehmen. § 3 Abs. 1 Satz 2 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden stehe dem nicht entgegen. In dieser Vorschrift sei der hier vorliegende Fall, dass ein Versicherter während des Nacherhebungszeitraumes Sachleistungen in Anspruch genommen habe, nicht geregelt und ein Erlass deshalb nicht ausgeschlossen. Nehme ein Versicherter während des Nacherhebungszeitraumes Leistungen in Anspruch, könne er weder (wahrheitsgemäß) die Erklärung abgeben, Leistungen nicht in Anspruch genommen zu haben, noch einen Verzicht auf Kostenübernahme ober Kostenerstattung abgeben. § 3 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden sei deshalb nur dahingehend auszulegen, dass bei Inanspruchnahme von Leistungen im Sachleistungswege jedenfalls die Beiträge und Säumniszuschläge zu erlassen seien, soweit sie die bei der Krankenkasse für die im Sachleistungswege in Anspruch genommenen Leistungen entstandenen Kosten überstiegen. Eine Auslegung im Sinne der Beklagten, dass bei Inanspruchnahme von Sachleistungen ein Erlass gänzlich ausgeschlossen sei, verstieße zudem gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es läge nämlich eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor, wenn die Inanspruchnahme im Sachleistungswege unabhängig von der Höhe der dadurch entstandenen Kosten einen Erlass insgesamt ausschlösse, zugleich aber bei Inanspruchnahme von Leistungen außerhalb des Sachleistungsverfahrens ein Anspruch auf Erlass bestehe, wenn der Versicherte entsprechend auf Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung verzichte. Im Falle des Klägers stünden Kosten von 45,90 EUR Beiträge und Säumniszuschläge in Höhe von 1.330,44 EUR gegenüber. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass mit der Regelung des § 256a SGB V ein möglichst weitreichender Erlass erreicht und lediglich verhindert habe werden sollen, dass ein zu hoher Verwaltungsaufwand entstehe und Versicherte sowohl Beitragsfreiheit als auch Leistungen in Anspruch nähmen.
Gegen das ihr am 10. Januar 2017 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 8. Februar 2017. Zur Begründung führt sie aus, ihres Erachtens ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, dass ein Beitragserlass nicht möglich sei, wenn der Versicherte Leistungen in Anspruch genommen habe. Das SG sei zudem nicht auf die Begründung zu den einheitlichen Grundsätzen Beitragsschulden eingegangen.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er beruft sich auf den Beschluss des hiesigen Senats vom 30. September 2014 (L 1 KR 331/14 B ER). Er habe die in Anspruch genommene Sachleistung bereits am 19. April 2016 zurückerstattet.
Entscheidungsgründe:
Der Berufung bleibt Erfolg versagt.Das SG hat die Beklagte im angegriffenen Urteil zu Recht unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 13. März 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2014 verpflichtet, dem Kläger die im Nacherhebungszeitraum entstandenen Beiträge und Säumniszuschläge zu erlassen.
Gemäß § 256a Abs. 1 SGB V (eingeführt durch Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. Juli 2013, BGBl. I S. 2423, gültig ab 1. August 2013) soll die Krankenkasse die für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beiträge angemessen ermäßigen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nummer 13 erst nach einem der in § 186 Abs. 11 S. 1 und 2 SGB V genannten Zeitpunkte anzeigt. Nach § 256a Abs. 2 SGB V soll die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beitrag und die darauf entfallenden Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV erlassen, wenn die Anzeige nach Abs. 1 bis zum 31. Dezember 2013 erfolgt. Satz 1 gilt für bis zum 31. Juli 2013 erfolgte Anzeigen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V für noch ausstehende Beiträge und Säumniszuschläge entsprechend. § 256a Abs. 4 SGB V ermächtigt schließlich den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, das Nähere zur Ermäßigung und zum Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen nach den Absätzen 1 bis 3 zu regeln, insbesondere zu einem Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen als Voraussetzung für die Ermäßigung oder den Erlass. Seine Regelungen bedürfen aufgrund § 256a Abs. 4 S. 1 SGB V zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit.
§ 256a SGB V ist hier einschlägig. In allen Varianten setzt die Vorschrift voraus, dass ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erst nach Eintritt der Versicherungspflicht anzeigt. Ermäßigt bzw. erlassen sollen Beitragsschulden für die Zwischenzeit zwischen dem Beginn und dem Bekanntwerden der Auffangpflichtversicherung. Die Vorschrift greift im Umkehrschluss dann nicht ein, wenn die Auffangpflichtversicherung von Anfang an bekannt ist (so bereits Urteil des Senats vom 16. Mai 2018 – L 1 KR 85/17). In den Gesetzesmaterialien wird der Anwendungsbereich der Vorschrift in "zukünftig" festgestellten Mitgliedschaften nach § 5 Abs. 1 Nummer 13 SGB V gesehen (vgl. BT-Drucksache 17/13947 S. 28 linke Spalte). Die Norm setzt nicht voraus, dass die Anzeige unverschuldet verspätet erfolgt. Die Regelung des § 256a SGB V soll nach dem Willen des Gesetzgebers großzügiger sein als die Vorgängerregelung in § 186 Abs. 11 S. 4 SGB V alte Fassung, wonach zu entrichtenden Beiträge nachträglich ermäßigt, gestundet oder ganz erlassen werden konnten, soweit die Versicherten das verspätete Anzeigen der Versicherungspflicht "nicht zu vertreten haben". In der Praxis sei die Regelung des § 186 Abs. 11 Satz 4 SGB V eher selten angewendet worden, weil kaum nachweisbar sei, dass das Mitglied das verspätete Anzeigen nicht zu verschulden habe (BT-Drucksache 17/13947 S. 28 rechte Spalte).
Das hiesige Verfahren ist durch die Anzeige des Klägers vom 24. Mai 2012 in Gang gekommen. Erst danach setzte die Beklagte Beiträge fest. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger von Beginn ab 1. Oktober 2011 an wusste, nunmehr in der Auffangpflichtversicherung pflichtversichert zu sein. Aus dem Anfrageschreiben der Beklagten vom 18. Oktober 2011 und der beigefügten Mitgliedschaftsbescheinigung nach § 175 SGB ergibt sich nur, dass er von einer fortbestehenden Mitgliedschaft ausgehen musste. Dies lässt aber allenfalls den Schluss zu, dass er sich fahrlässig nicht um die Art seiner Versicherung gekümmert hat. Dass die Anzeige der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nummer 13 ein halbes Jahr später mutmaßlich verschuldet verspätet erfolgt ist, ist jedoch wie ausgeführt für einen Erlass nach § 256a SGB V unschädlich.
Erlassgrundlage ist hier § 256a Abs. 2 S. 2 SGB V i. V. m. § 3 S. 1 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden einschlägig. Die Anzeige des Klägers ist im Mai 2012 erfolgt, also vor Juli 2013. Aus der Sollbestimmung der formellgesetzlichen Regelung wird damit eine Verpflichtung zum Erlass. Dem exakten Wortlaut nach erfüllt der Kläger zudem die in S. 2 der einheitlichen Grundsätze formulierten Voraussetzungen. Er hat schriftlich erklärt, im Nacherhebungszeitraum Leistungen für sich nicht in Anspruch genommen zu haben. Dem SG ist zuzustimmen, dass § 3 S. 2 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden keine ausdrückliche Regelung für Fälle wie hier enthält, bei denen der Versicherte Sachleistungen in Anspruch genommen hat. Die Klarstellung der Fachkonferenz Beiträge des GKV Spitzenverbandes in der Ergebnisniederschrift der Sitzung am 19. November 2013 (Top 4 S. 19ff), wonach jede Leistungsinanspruchnahme einen Beitragserlass ausschließe, mag zwar als Ergänzung des § 3 S. 2 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden naheliegen. Nach Auffassung der Fachkonferenz Beiträge dürfe bei einer tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme weder nach der Art der Leistung differenziert werden noch nach der Höhe der entstanden Kosten. Auch Erstattungen und Rückabwicklungen zwecks Beitragserlass seien (stets) ausgeschlossen. Es dürfe keinen Günstigkeitsvergleich geben, der mit den einheitlichen Grundsätzen unvereinbar sei. Die Fachkonferenz Beiträge ist aber vom Gesetzgeber nicht beauftragt worden, die Voraussetzungen des § 256a SGB V näher auszugestalten (so bereits Beschluss des Senats vom 30. September 2014 -L 1 KR 331/14 B ER- juris-Rdnr. 21, juris). Der Sinn und Zweck der Vorschrift kann auch nur darin gesehen werden, dass die Kasse Beiträge nur dann erlassen soll, wenn dem keine Behandlungskosten mehr gegenüberstehen. Denn es macht keinen Unterschied, ob zunächst dem Versicherten Kosten durch eine ärztliche Behandlung entstanden sind, die bei bestehender Pflichtversicherung nach dem Gesetz von den Krankenkassen erstattet werden sollen, oder ob bereits Sachleistungen abgerechnet worden sind, der Versicherte aber die Kosten der zu Unrecht erhaltenen Leistungen der Kasse erstattet (SG Gießen, Beschl. v. 26.5.2014 &8722; S 9 KR 108/14 -NZS 2014, 748).
Jedenfalls wäre die Ergänzung des § 3 S. 2 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der wahrheitsgemäßen Erklärung fehlender Leistungsinanspruchnahme nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt.
§ 256a SGB V schließt nicht per sei bei jeder tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme einen Erlass aus (a. A. Knispel in Peters Handbuch KV II SGB V, § 256a Rdnr. 35; Ziegelmeier NZS 2019, 199, 200 ohne Begründung). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der § 256a Abs. 2 und Abs. 4 SGB V und dem systematischen Verhältnis der Absatzes 2 zu § 256a Abs. 1 SGB V. Auch der Sinn und Zweck des Gesetzes spricht für diese Lösung:
§ 256a Abs. 4 Satz 1 SGB V ermächtigt den GKV Spitzenverband bereits nach dem Wortlaut nur zur Regelung des Näheren insbesondere zu einem Verzicht als Voraussetzung. Bereits mit Beschluss vom 30. September 2014 (a. a. O.) hat der Senat deshalb bezweifelt, dass § 256a Abs. 4 Satz 1 SGB V den Spitzenverband dazu ermächtigt, eine Regelung zu treffen, wonach als Folge jeder tatsächlichen Inanspruchnahme von Leistungen in der Vergangenheit ein Erlass ausgeschlossen ist. Zwar hat ihm der Gesetzgeber in § 256a Abs. 4 Satz 1 SGB V das Mandat erteilt, insbesondere einen Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen als Voraussetzung für den Erlass zu regeln. Ein Verzicht setzt aber voraus, dass noch Ansprüche bestehen (a. a. O., juris Rdnr. 19 mit Bezug auf Felix, NZS 2013, Seite 924f). Daran fehlt es, wenn -wie hier- Sachleistungen in Anspruch genommen wurden. Der völlige Ausschluss jeglichen Erlasses ist zudem keine bloße Regelung "des Näheren" mehr. Es fehlt bereits an einer nach dem Gesetz allgemein vorausgesetzten atypischen Situation, aufgrund derer ausnahmsweise von der Regelrechtsfolge abgewichen werden kann. Dass nämlich eine solche Leistungsinanspruchnahme wie hier kaum möglich ist, weil der Betreffende keine Krankenversicherungskarte vorlegen kann (Knispel, a. a. O. Rdnr. 50), ist rein faktisch unzutreffend. In allen Fällen, in denen –wie hier- zunächst eine Mitgliedschaft bestanden hat, deren Fortbestehen unklar ist und der Versicherte (noch) eine Karte besitzt, kann es zur Behandlung als Kassenpatient kommen, in Notfällen auch ohne Kartenvorlage (vgl. z. B. Urteil des Senats vom 28. Juni 2017 – L 1 KR 368/15 – juris-Rdnr. 3ff). Regelmäßig stellt sich erst im Nachhinein bestandskräftig heraus, dass eine anderweitige Pflichtversicherung oder Familienversicherung nicht mehr besteht.
Es ist aus Sicht des Senats in diesen Fällen nicht von vornherein selbstverständlich, dass ein Beitragserlass bei gleichzeitig realisiertem Leistungsanspruch unabhängig vom Verhältnis der aufgelaufenen Beiträge zur Inanspruchnahme nicht in Betracht kommen kann (so aber Knispel, a. a. O. Rdnr. 34). Der Gesetzgeber hat –wie bereits ausgeführt- gerade davon abgesehen, fehlendes Verschulden als Voraussetzung vorzusehen. Er wollte den betroffenen Versicherten durch die Einführung die Wahl eröffnen, von dem Beitragserlass Gebrauch zu machen oder nachträglichen Versicherungsschutz durch das Einreichen von Rechnungen in Anspruch zu nehmen (BT-Drs. 17/13947 S. 29). Die Regelungen in § 256a SGB V sind aber nur zugeschnitten auf den Fall einer den Krankenkassen mangels Meldung/Anzeige unbekannt gebliebenen Auffangmitgliedschaft nach § 5 Abs.1 Nr. 13 SGB V (BT-Drs. 17/13947 S. 28). Eine tatsächlich erfolgte Inanspruchnahme von Leistungen steht einer Meldung als Versicherter zumindest nahe und hätte deswegen Anlass für die Prüfung des Versicherungsverhältnisses einschließlich der Durchsetzung bestehender Beitragsforderungen gewesen sein können. Die sich aus der unterbliebenen Prüfung ergebenen nachteiligen Folgen müssen nicht notwendig alleine dem Antragsteller angelastet werden (so bereits Beschluss des Senats vom 30. September 2014 a. a. O. Rdnr. 19). Im vorliegenden Fall ist die Beklagte untätig geblieben, obwohl sie auf ihren Serienbrief vom 18. Oktober 2011 "Versicherungsverhältnis klären" keine eindeutigen Angaben erhalten hat und auf das übersandte Antragsformular für eine freiwillige Krankenversicherung gar keinen Rücklauf erhielt und sie zudem für den Kläger trotz ungeklärtem Versicherungsverhältnis Kosten aufwandte.
Sollten die einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden einen Erlass bei jeglicher Inanspruchnahme von Sachleistungen im Nacherhebungszeitraum ausschließen wollen, wäre eine solche Regelung zudem nicht in Einklang zu bringen mit der Grundregel des § 256a Abs. 1 SGB V. In allen Fällen soll danach die Krankenkasse im Falle einer verspäteten Anzeige des Vorliegens der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V die Beiträge "angemessen ermäßigen". Säumniszuschläge "darauf", also auf die erlassenen Beiträge, sind zwingend vollständig zu erlassen. Auch bereits bei der Grundvorschrift des § 256a Abs. 1 SGB V handelt es sich um eine "Soll"-Regelung. Nur in Ausnahmefällen kann im Ermessenswege die Krankenkasse von einem zumindest teilweisen Erlass der Beitragsschulden absehen. Ob der Versicherte die verspätete Meldung zu vertreten hat, ist – wie oben dargestellt – unerheblich (vgl. auch Becker/Kingreen/Mecke, SGB V, 6. Aufl. 2018, § 256a Rdnr. 4).
§ 256a Abs. 1 SGB V wird nicht vollständig durch den Absatz 2 der Norm als speziellerer Vorschrift verdrängt (a. A. Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 256a SGB V, Rdnr. 19). Es erschließt sich zwar nicht unmittelbar, weshalb bei einem nur teilweisen Erlass nach Absatz 1 die Säumniszuschläge zwingend zur Gänze entfallen sollen, hingegen bei der Soll-Vorschrift des § 256a Abs. 2 SGB V hinsichtlich eines gänzlichen Beitragserlass die Säumniszuschläge nicht zwingend, sondern ebenfalls nur als Soll-Regelung zu erlassen sind. Eine Unstimmigkeit der Regelungen untereinander liegt aber nicht vor, wenn bereits dem Absatz 1 des § 256a SGB V die Grundregel entnommen wird, Säumniszuschläge immer in dem Umfang mit zu erlassen, in dem dies für die zu Grunde liegenden Beiträge erfolgt. So verstanden beschränkt sich der speziellere Regelungsgehalt des § 256a Abs. 2 SGB V darauf, für den Regelfall statt eines angemessen Erlass den vollständigen vorzusehen. Die Höhe der zwingenden Ermäßigung liegt nicht im Ermessen der Krankenkasse. Der Gesetzgeber hat vielmehr mit dem Wort "angemessen" einen unbestimmten Rechtsbegriff gewählt, der im Streitfall der vollständigen Kontrolle durch das Sozialgericht unterliegt (Felix a. a. O. Rdnr. 15). Im vorliegenden Fall ist es unangemessen, dem Kläger den Erlass von rund 1.300,- EUR zu versagen, obgleich er lediglich Sachleistungen im Wert von 45,90 EUR in Anspruch genommen hat und dieser Betrag zudem bereits zurückerstattet hat. Zu Recht hat dies das SG dies im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG für bedenklich gehalten. Soweit der Krankenkasse letztlich keine Kosten für Leistungen entstanden sind, kann nur der Verwaltungsaufwand eine Ungleichbehandlung zwischen den Versicherten, welche in dem Zeitraum bis zur Anzeige keine Leistungen in Anspruch genommen haben bzw. auf etwaige Ansprüche verzichten und denjenigen wie dem Kläger, welche zwar Leistungen bezogen haben, die Kosten aber zurückerstattet haben, rechtfertigen. Der gänzliche Ausschluss ist dabei keinesfalls angemessen. Nur ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden mit den §§ 2 Abs. 1 S. 5, 3 Abs. 1 S. 3 Vorschriften enthalten, welche mutmaßlich den Verwaltungsaufwand für die Kassen reduzieren sollen. Soweit es um aufgelaufene Beiträge für nur bis zu drei Monaten geht, ist danach ein Erlass ebenfalls zur Gänze ausgeschlossen. Gegen diese Vorschriften ist bereits eingewandt worden, dass sie kaum als Regelungen des "Näheren" angesehen werden können. Von der Erstattung aufgrund Geringfügigkeit abzusehen ist vielmehr nur denkbar, wenn die Vorteile für den Versicherten gegenüber dem Verwaltungsaufwand der Krankenkassen in keinem Verhältnis stünden, was bei dem vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen gewählten Zeitraum von drei Monaten regelmäßig nicht angenommen werden kann (so zutreffend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Dezember 2015 – L 9 KR 314/15 B PKH –, juris-Rdnr. 7).
Abschließend spricht auch der Sinn und Zweck des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung gegen einen Erstattungsausschluss bei einer tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme. Es sollte ein Anreiz für die Vielzahl der unerkannt gebliebenen Versicherten geschaffen werden, sich umgehend als Krankenversicherte zu melden (Felix NZS 2013, 921/922). Diese Anreizfunktion, welche auf die Herstellung von Versicherungsschutz und nicht auf die Beitragsoptimierung der Krankenkassen zielt, ginge in Fällen wie dem Vorliegenden vollständig verloren, wenn es aus ökonomischer Sicht der vorteilhafteste Weg gewesen wäre, weiter von einer Anzeige der Versicherungspflicht Abstand zu nehmen (so bereits Beschluss des Senats vom 30. September 2014 a. a. O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere kommt dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung zu, da es hier letztlich nur um die Anwendung einer Übergangsvorschrift (§ 256a Abs. 2 SGB V) geht, deren heutige Relevanz sich nur auf bereits abgeschlossene Sachverhalte beziehen kann.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt den Erlass von Beiträgen sowie Säumniszuschlägen.
Er bezog vor dem 1. Oktober 2011 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und war insoweit bei der Beklagten zu 1) (nachfolgend nur noch: "die Beklagte") gesetzlich krankenversichert. Seit dem 1. Oktober 2011 war er pflichtversichert nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Die Beklagte übersandte dem Kläger am 18. Oktober 2011 ein Schreiben mit dem Betreff "Ihr Krankenversicherungsschutz ist uns wichtig!", in dem sie anlässlich des Endes des Bezuges von Arbeitslosengeld II um Ausfüllung und Rücksendung einer Veränderungsanzeige bat. Beigefügt war eine "Mitgliedsbescheinigung nach § 175 SGB V zur Vorlage bei dem Arbeitgeber, Bundesagentur für Arbeit oder Arbeitslosengeld II-Behörde", in der es heißt, der Kläger ihr Mitglied. In einem weiteren Schreiben vom Oktober 2011 bat sie ihn um Einreichung eines Lichtbildes für die neue elektronische Gesundheitskarte.
Am 3. November 2011 nahm der Kläger bei der Zahnarztpraxis Dr. F in B zahnärztliche Leistungen in Anspruch. Der Kläger hat hierzu später vorgetragen, seine Zahnärztin als Notfall aufgesucht zu haben, da ihm etwas von seinem Zahnimplantat abgebrochen sei. Die Beklagte wendete für diese Behandlung 45,90 EUR auf
Am 8. November 2011 übersandte sie ein Antragsformular zur freiwilligen Krankenversicherung.
Am 24. Mai 2012 gab der Kläger bei der Beklagten eine Anzeige zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) ab.
Die Beklagte setzte daraufhin – auch im Namen der Beklagten zu 2) – mit Bescheid vom 25. Mai 2012 Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis zum 31. Dezember 2011 auf insgesamt 145,64 EUR monatlich fest, für die Zeit ab dem 1. Januar 2012 auf 149,63 EUR. Für den rückwirkenden Zeitraum seien Säumniszuschläge von 112,00 EUR angefallen. Sie mahnte unter dem 25. Juni 2012 die ausstehenden Beträge an.Mit Schreiben vom 10. Oktober 2013 informierte sie den Kläger über die durch das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung eingeführte Möglichkeit, Beiträge und Säumniszuschläge zu erlassen. Unter dem 18. Dezember 2013 sandte dieser die beigefügte "Erklärung zum Erlass von Beiträgen" zurück und erklärte, während des Nacherhebungszeitraumes vom 1. Oktober 2011 bis 30. April 2012, für den bisher noch keine Beiträge gezahlt worden seien, Leistungen nicht in Anspruch genommen zu haben bzw. auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung zu verzichtenEr beantragte ferner mit Schreiben vom 23. Dezember 2013 ausdrücklich den Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen im Nacherhebungszeitraum.
Mit Schreiben vom 11. März 2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, am 17. Januar 2014 noch nicht gezahlte Säumniszuschläge teilweise gemäß § 256a Abs. 3 SGB V für den Zeitraum vom Beitragsmonat Oktober 2011 bis Mai 2013 erlassen zu haben, insgesamt 1.302,00 EUR. Sie lehnte es mit Bescheid vom 13. März 2014 ab, auch darüber hinaus Beiträge und Säumniszuschläge nach § 256a SGB V zu erlassen. Nach den am 4. September 2013 aufgestellten einheitlichen Grundsätzen zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (einheitliche Grundsätze Beitragsschulden) setze ein Erlass der Beiträge voraus, dass der Versicherte schriftlich erkläre, im Nacherhebungszeitraum Leistungen nicht in Anspruch genommen zu haben oder im Falle in Anspruch genommener Leistungen auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung zu verzichten. Der Kläger habe zwar schriftlich erklärt, keine Leistungen in Anspruch genommen zu haben. Tatsächlich habe er sich jedoch am 3. November 2011 als gesetzlich Versicherter zahnärztlich behandeln lassen.
Der Kläger erhob Widerspruch. Zum Zeitpunkt seiner Erklärung am 18. Dezember 2013 sei ihm nicht mehr bewusst gewesen, dass er über zwei Jahre zuvor zahnärztliche Leistungen in Anspruch genommen habe. Er sei allerdings auch nicht darauf hingewiesen worden, die Behandlung selbst bezahlen zu können, um in den Genuss des Beitragserlasses zu kommen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2014 zurück (Zustellung: 23. August 2014).
Der Kläger hat hiergegen am 23. September 2014 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Die Beklagte hat mitgeteilt, dass am 1. August 2013 noch Beiträge in Höhe von 1.035,44 EUR, also die gesamten Beiträge für den Nacherhebungszeitraum, und Säumniszuschläge in Höhe von 295,00 EUR offen seien.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 19. Dezember 2016 klageantragsgemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 13. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2014 verpflichtet, dem Kläger die am 1. August 2013 noch offenen Beiträge und Säumniszuschläge für den Nacherhebungszeitraum Oktober 2011 bis April 2012 bis auf einen Betrag von 45,90 EUR zu erlassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Erlass aus § 256a Abs. 2 S. 2 SGB V in Verbindung mit § 3 Abs. 1 einheitliche Grundsätze Beitragsschulden zu. § 256a Abs. 2 S. 2 SGB V sei einschlägig, weil der Kläger seine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V im Mai 2012 angezeigt habe, also vor dem 31. Dezember 2013. Es liege demnach ein gebundenes Ermessen in Richtung eines Erlasses der noch ausstehenden Beiträge und Säumniszuschläge vor. Zudem sei nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden der Erlass zwingend vorzunehmen. § 3 Abs. 1 Satz 2 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden stehe dem nicht entgegen. In dieser Vorschrift sei der hier vorliegende Fall, dass ein Versicherter während des Nacherhebungszeitraumes Sachleistungen in Anspruch genommen habe, nicht geregelt und ein Erlass deshalb nicht ausgeschlossen. Nehme ein Versicherter während des Nacherhebungszeitraumes Leistungen in Anspruch, könne er weder (wahrheitsgemäß) die Erklärung abgeben, Leistungen nicht in Anspruch genommen zu haben, noch einen Verzicht auf Kostenübernahme ober Kostenerstattung abgeben. § 3 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden sei deshalb nur dahingehend auszulegen, dass bei Inanspruchnahme von Leistungen im Sachleistungswege jedenfalls die Beiträge und Säumniszuschläge zu erlassen seien, soweit sie die bei der Krankenkasse für die im Sachleistungswege in Anspruch genommenen Leistungen entstandenen Kosten überstiegen. Eine Auslegung im Sinne der Beklagten, dass bei Inanspruchnahme von Sachleistungen ein Erlass gänzlich ausgeschlossen sei, verstieße zudem gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Es läge nämlich eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor, wenn die Inanspruchnahme im Sachleistungswege unabhängig von der Höhe der dadurch entstandenen Kosten einen Erlass insgesamt ausschlösse, zugleich aber bei Inanspruchnahme von Leistungen außerhalb des Sachleistungsverfahrens ein Anspruch auf Erlass bestehe, wenn der Versicherte entsprechend auf Kostenübernahme bzw. Kostenerstattung verzichte. Im Falle des Klägers stünden Kosten von 45,90 EUR Beiträge und Säumniszuschläge in Höhe von 1.330,44 EUR gegenüber. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass mit der Regelung des § 256a SGB V ein möglichst weitreichender Erlass erreicht und lediglich verhindert habe werden sollen, dass ein zu hoher Verwaltungsaufwand entstehe und Versicherte sowohl Beitragsfreiheit als auch Leistungen in Anspruch nähmen.
Gegen das ihr am 10. Januar 2017 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 8. Februar 2017. Zur Begründung führt sie aus, ihres Erachtens ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, dass ein Beitragserlass nicht möglich sei, wenn der Versicherte Leistungen in Anspruch genommen habe. Das SG sei zudem nicht auf die Begründung zu den einheitlichen Grundsätzen Beitragsschulden eingegangen.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er beruft sich auf den Beschluss des hiesigen Senats vom 30. September 2014 (L 1 KR 331/14 B ER). Er habe die in Anspruch genommene Sachleistung bereits am 19. April 2016 zurückerstattet.
Entscheidungsgründe:
Der Berufung bleibt Erfolg versagt.Das SG hat die Beklagte im angegriffenen Urteil zu Recht unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides vom 13. März 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. August 2014 verpflichtet, dem Kläger die im Nacherhebungszeitraum entstandenen Beiträge und Säumniszuschläge zu erlassen.
Gemäß § 256a Abs. 1 SGB V (eingeführt durch Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. Juli 2013, BGBl. I S. 2423, gültig ab 1. August 2013) soll die Krankenkasse die für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beiträge angemessen ermäßigen, wenn ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nummer 13 erst nach einem der in § 186 Abs. 11 S. 1 und 2 SGB V genannten Zeitpunkte anzeigt. Nach § 256a Abs. 2 SGB V soll die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beitrag und die darauf entfallenden Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV erlassen, wenn die Anzeige nach Abs. 1 bis zum 31. Dezember 2013 erfolgt. Satz 1 gilt für bis zum 31. Juli 2013 erfolgte Anzeigen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V für noch ausstehende Beiträge und Säumniszuschläge entsprechend. § 256a Abs. 4 SGB V ermächtigt schließlich den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, das Nähere zur Ermäßigung und zum Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen nach den Absätzen 1 bis 3 zu regeln, insbesondere zu einem Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen als Voraussetzung für die Ermäßigung oder den Erlass. Seine Regelungen bedürfen aufgrund § 256a Abs. 4 S. 1 SGB V zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit.
§ 256a SGB V ist hier einschlägig. In allen Varianten setzt die Vorschrift voraus, dass ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erst nach Eintritt der Versicherungspflicht anzeigt. Ermäßigt bzw. erlassen sollen Beitragsschulden für die Zwischenzeit zwischen dem Beginn und dem Bekanntwerden der Auffangpflichtversicherung. Die Vorschrift greift im Umkehrschluss dann nicht ein, wenn die Auffangpflichtversicherung von Anfang an bekannt ist (so bereits Urteil des Senats vom 16. Mai 2018 – L 1 KR 85/17). In den Gesetzesmaterialien wird der Anwendungsbereich der Vorschrift in "zukünftig" festgestellten Mitgliedschaften nach § 5 Abs. 1 Nummer 13 SGB V gesehen (vgl. BT-Drucksache 17/13947 S. 28 linke Spalte). Die Norm setzt nicht voraus, dass die Anzeige unverschuldet verspätet erfolgt. Die Regelung des § 256a SGB V soll nach dem Willen des Gesetzgebers großzügiger sein als die Vorgängerregelung in § 186 Abs. 11 S. 4 SGB V alte Fassung, wonach zu entrichtenden Beiträge nachträglich ermäßigt, gestundet oder ganz erlassen werden konnten, soweit die Versicherten das verspätete Anzeigen der Versicherungspflicht "nicht zu vertreten haben". In der Praxis sei die Regelung des § 186 Abs. 11 Satz 4 SGB V eher selten angewendet worden, weil kaum nachweisbar sei, dass das Mitglied das verspätete Anzeigen nicht zu verschulden habe (BT-Drucksache 17/13947 S. 28 rechte Spalte).
Das hiesige Verfahren ist durch die Anzeige des Klägers vom 24. Mai 2012 in Gang gekommen. Erst danach setzte die Beklagte Beiträge fest. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger von Beginn ab 1. Oktober 2011 an wusste, nunmehr in der Auffangpflichtversicherung pflichtversichert zu sein. Aus dem Anfrageschreiben der Beklagten vom 18. Oktober 2011 und der beigefügten Mitgliedschaftsbescheinigung nach § 175 SGB ergibt sich nur, dass er von einer fortbestehenden Mitgliedschaft ausgehen musste. Dies lässt aber allenfalls den Schluss zu, dass er sich fahrlässig nicht um die Art seiner Versicherung gekümmert hat. Dass die Anzeige der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nummer 13 ein halbes Jahr später mutmaßlich verschuldet verspätet erfolgt ist, ist jedoch wie ausgeführt für einen Erlass nach § 256a SGB V unschädlich.
Erlassgrundlage ist hier § 256a Abs. 2 S. 2 SGB V i. V. m. § 3 S. 1 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden einschlägig. Die Anzeige des Klägers ist im Mai 2012 erfolgt, also vor Juli 2013. Aus der Sollbestimmung der formellgesetzlichen Regelung wird damit eine Verpflichtung zum Erlass. Dem exakten Wortlaut nach erfüllt der Kläger zudem die in S. 2 der einheitlichen Grundsätze formulierten Voraussetzungen. Er hat schriftlich erklärt, im Nacherhebungszeitraum Leistungen für sich nicht in Anspruch genommen zu haben. Dem SG ist zuzustimmen, dass § 3 S. 2 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden keine ausdrückliche Regelung für Fälle wie hier enthält, bei denen der Versicherte Sachleistungen in Anspruch genommen hat. Die Klarstellung der Fachkonferenz Beiträge des GKV Spitzenverbandes in der Ergebnisniederschrift der Sitzung am 19. November 2013 (Top 4 S. 19ff), wonach jede Leistungsinanspruchnahme einen Beitragserlass ausschließe, mag zwar als Ergänzung des § 3 S. 2 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden naheliegen. Nach Auffassung der Fachkonferenz Beiträge dürfe bei einer tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme weder nach der Art der Leistung differenziert werden noch nach der Höhe der entstanden Kosten. Auch Erstattungen und Rückabwicklungen zwecks Beitragserlass seien (stets) ausgeschlossen. Es dürfe keinen Günstigkeitsvergleich geben, der mit den einheitlichen Grundsätzen unvereinbar sei. Die Fachkonferenz Beiträge ist aber vom Gesetzgeber nicht beauftragt worden, die Voraussetzungen des § 256a SGB V näher auszugestalten (so bereits Beschluss des Senats vom 30. September 2014 -L 1 KR 331/14 B ER- juris-Rdnr. 21, juris). Der Sinn und Zweck der Vorschrift kann auch nur darin gesehen werden, dass die Kasse Beiträge nur dann erlassen soll, wenn dem keine Behandlungskosten mehr gegenüberstehen. Denn es macht keinen Unterschied, ob zunächst dem Versicherten Kosten durch eine ärztliche Behandlung entstanden sind, die bei bestehender Pflichtversicherung nach dem Gesetz von den Krankenkassen erstattet werden sollen, oder ob bereits Sachleistungen abgerechnet worden sind, der Versicherte aber die Kosten der zu Unrecht erhaltenen Leistungen der Kasse erstattet (SG Gießen, Beschl. v. 26.5.2014 &8722; S 9 KR 108/14 -NZS 2014, 748).
Jedenfalls wäre die Ergänzung des § 3 S. 2 der einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der wahrheitsgemäßen Erklärung fehlender Leistungsinanspruchnahme nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt.
§ 256a SGB V schließt nicht per sei bei jeder tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme einen Erlass aus (a. A. Knispel in Peters Handbuch KV II SGB V, § 256a Rdnr. 35; Ziegelmeier NZS 2019, 199, 200 ohne Begründung). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der § 256a Abs. 2 und Abs. 4 SGB V und dem systematischen Verhältnis der Absatzes 2 zu § 256a Abs. 1 SGB V. Auch der Sinn und Zweck des Gesetzes spricht für diese Lösung:
§ 256a Abs. 4 Satz 1 SGB V ermächtigt den GKV Spitzenverband bereits nach dem Wortlaut nur zur Regelung des Näheren insbesondere zu einem Verzicht als Voraussetzung. Bereits mit Beschluss vom 30. September 2014 (a. a. O.) hat der Senat deshalb bezweifelt, dass § 256a Abs. 4 Satz 1 SGB V den Spitzenverband dazu ermächtigt, eine Regelung zu treffen, wonach als Folge jeder tatsächlichen Inanspruchnahme von Leistungen in der Vergangenheit ein Erlass ausgeschlossen ist. Zwar hat ihm der Gesetzgeber in § 256a Abs. 4 Satz 1 SGB V das Mandat erteilt, insbesondere einen Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen als Voraussetzung für den Erlass zu regeln. Ein Verzicht setzt aber voraus, dass noch Ansprüche bestehen (a. a. O., juris Rdnr. 19 mit Bezug auf Felix, NZS 2013, Seite 924f). Daran fehlt es, wenn -wie hier- Sachleistungen in Anspruch genommen wurden. Der völlige Ausschluss jeglichen Erlasses ist zudem keine bloße Regelung "des Näheren" mehr. Es fehlt bereits an einer nach dem Gesetz allgemein vorausgesetzten atypischen Situation, aufgrund derer ausnahmsweise von der Regelrechtsfolge abgewichen werden kann. Dass nämlich eine solche Leistungsinanspruchnahme wie hier kaum möglich ist, weil der Betreffende keine Krankenversicherungskarte vorlegen kann (Knispel, a. a. O. Rdnr. 50), ist rein faktisch unzutreffend. In allen Fällen, in denen –wie hier- zunächst eine Mitgliedschaft bestanden hat, deren Fortbestehen unklar ist und der Versicherte (noch) eine Karte besitzt, kann es zur Behandlung als Kassenpatient kommen, in Notfällen auch ohne Kartenvorlage (vgl. z. B. Urteil des Senats vom 28. Juni 2017 – L 1 KR 368/15 – juris-Rdnr. 3ff). Regelmäßig stellt sich erst im Nachhinein bestandskräftig heraus, dass eine anderweitige Pflichtversicherung oder Familienversicherung nicht mehr besteht.
Es ist aus Sicht des Senats in diesen Fällen nicht von vornherein selbstverständlich, dass ein Beitragserlass bei gleichzeitig realisiertem Leistungsanspruch unabhängig vom Verhältnis der aufgelaufenen Beiträge zur Inanspruchnahme nicht in Betracht kommen kann (so aber Knispel, a. a. O. Rdnr. 34). Der Gesetzgeber hat –wie bereits ausgeführt- gerade davon abgesehen, fehlendes Verschulden als Voraussetzung vorzusehen. Er wollte den betroffenen Versicherten durch die Einführung die Wahl eröffnen, von dem Beitragserlass Gebrauch zu machen oder nachträglichen Versicherungsschutz durch das Einreichen von Rechnungen in Anspruch zu nehmen (BT-Drs. 17/13947 S. 29). Die Regelungen in § 256a SGB V sind aber nur zugeschnitten auf den Fall einer den Krankenkassen mangels Meldung/Anzeige unbekannt gebliebenen Auffangmitgliedschaft nach § 5 Abs.1 Nr. 13 SGB V (BT-Drs. 17/13947 S. 28). Eine tatsächlich erfolgte Inanspruchnahme von Leistungen steht einer Meldung als Versicherter zumindest nahe und hätte deswegen Anlass für die Prüfung des Versicherungsverhältnisses einschließlich der Durchsetzung bestehender Beitragsforderungen gewesen sein können. Die sich aus der unterbliebenen Prüfung ergebenen nachteiligen Folgen müssen nicht notwendig alleine dem Antragsteller angelastet werden (so bereits Beschluss des Senats vom 30. September 2014 a. a. O. Rdnr. 19). Im vorliegenden Fall ist die Beklagte untätig geblieben, obwohl sie auf ihren Serienbrief vom 18. Oktober 2011 "Versicherungsverhältnis klären" keine eindeutigen Angaben erhalten hat und auf das übersandte Antragsformular für eine freiwillige Krankenversicherung gar keinen Rücklauf erhielt und sie zudem für den Kläger trotz ungeklärtem Versicherungsverhältnis Kosten aufwandte.
Sollten die einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden einen Erlass bei jeglicher Inanspruchnahme von Sachleistungen im Nacherhebungszeitraum ausschließen wollen, wäre eine solche Regelung zudem nicht in Einklang zu bringen mit der Grundregel des § 256a Abs. 1 SGB V. In allen Fällen soll danach die Krankenkasse im Falle einer verspäteten Anzeige des Vorliegens der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V die Beiträge "angemessen ermäßigen". Säumniszuschläge "darauf", also auf die erlassenen Beiträge, sind zwingend vollständig zu erlassen. Auch bereits bei der Grundvorschrift des § 256a Abs. 1 SGB V handelt es sich um eine "Soll"-Regelung. Nur in Ausnahmefällen kann im Ermessenswege die Krankenkasse von einem zumindest teilweisen Erlass der Beitragsschulden absehen. Ob der Versicherte die verspätete Meldung zu vertreten hat, ist – wie oben dargestellt – unerheblich (vgl. auch Becker/Kingreen/Mecke, SGB V, 6. Aufl. 2018, § 256a Rdnr. 4).
§ 256a Abs. 1 SGB V wird nicht vollständig durch den Absatz 2 der Norm als speziellerer Vorschrift verdrängt (a. A. Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 256a SGB V, Rdnr. 19). Es erschließt sich zwar nicht unmittelbar, weshalb bei einem nur teilweisen Erlass nach Absatz 1 die Säumniszuschläge zwingend zur Gänze entfallen sollen, hingegen bei der Soll-Vorschrift des § 256a Abs. 2 SGB V hinsichtlich eines gänzlichen Beitragserlass die Säumniszuschläge nicht zwingend, sondern ebenfalls nur als Soll-Regelung zu erlassen sind. Eine Unstimmigkeit der Regelungen untereinander liegt aber nicht vor, wenn bereits dem Absatz 1 des § 256a SGB V die Grundregel entnommen wird, Säumniszuschläge immer in dem Umfang mit zu erlassen, in dem dies für die zu Grunde liegenden Beiträge erfolgt. So verstanden beschränkt sich der speziellere Regelungsgehalt des § 256a Abs. 2 SGB V darauf, für den Regelfall statt eines angemessen Erlass den vollständigen vorzusehen. Die Höhe der zwingenden Ermäßigung liegt nicht im Ermessen der Krankenkasse. Der Gesetzgeber hat vielmehr mit dem Wort "angemessen" einen unbestimmten Rechtsbegriff gewählt, der im Streitfall der vollständigen Kontrolle durch das Sozialgericht unterliegt (Felix a. a. O. Rdnr. 15). Im vorliegenden Fall ist es unangemessen, dem Kläger den Erlass von rund 1.300,- EUR zu versagen, obgleich er lediglich Sachleistungen im Wert von 45,90 EUR in Anspruch genommen hat und dieser Betrag zudem bereits zurückerstattet hat. Zu Recht hat dies das SG dies im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG für bedenklich gehalten. Soweit der Krankenkasse letztlich keine Kosten für Leistungen entstanden sind, kann nur der Verwaltungsaufwand eine Ungleichbehandlung zwischen den Versicherten, welche in dem Zeitraum bis zur Anzeige keine Leistungen in Anspruch genommen haben bzw. auf etwaige Ansprüche verzichten und denjenigen wie dem Kläger, welche zwar Leistungen bezogen haben, die Kosten aber zurückerstattet haben, rechtfertigen. Der gänzliche Ausschluss ist dabei keinesfalls angemessen. Nur ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die einheitlichen Grundsätze Beitragsschulden mit den §§ 2 Abs. 1 S. 5, 3 Abs. 1 S. 3 Vorschriften enthalten, welche mutmaßlich den Verwaltungsaufwand für die Kassen reduzieren sollen. Soweit es um aufgelaufene Beiträge für nur bis zu drei Monaten geht, ist danach ein Erlass ebenfalls zur Gänze ausgeschlossen. Gegen diese Vorschriften ist bereits eingewandt worden, dass sie kaum als Regelungen des "Näheren" angesehen werden können. Von der Erstattung aufgrund Geringfügigkeit abzusehen ist vielmehr nur denkbar, wenn die Vorteile für den Versicherten gegenüber dem Verwaltungsaufwand der Krankenkassen in keinem Verhältnis stünden, was bei dem vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen gewählten Zeitraum von drei Monaten regelmäßig nicht angenommen werden kann (so zutreffend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Dezember 2015 – L 9 KR 314/15 B PKH –, juris-Rdnr. 7).
Abschließend spricht auch der Sinn und Zweck des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung gegen einen Erstattungsausschluss bei einer tatsächlichen Leistungsinanspruchnahme. Es sollte ein Anreiz für die Vielzahl der unerkannt gebliebenen Versicherten geschaffen werden, sich umgehend als Krankenversicherte zu melden (Felix NZS 2013, 921/922). Diese Anreizfunktion, welche auf die Herstellung von Versicherungsschutz und nicht auf die Beitragsoptimierung der Krankenkassen zielt, ginge in Fällen wie dem Vorliegenden vollständig verloren, wenn es aus ökonomischer Sicht der vorteilhafteste Weg gewesen wäre, weiter von einer Anzeige der Versicherungspflicht Abstand zu nehmen (so bereits Beschluss des Senats vom 30. September 2014 a. a. O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor. Insbesondere kommt dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung zu, da es hier letztlich nur um die Anwendung einer Übergangsvorschrift (§ 256a Abs. 2 SGB V) geht, deren heutige Relevanz sich nur auf bereits abgeschlossene Sachverhalte beziehen kann.
Rechtskraft
Aus
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