L 27 R 779/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 17 R 590/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 R 779/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 12. November 2014 wird zurückgewiesen, soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in dem hier abgetrennten Verfahren noch über eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Die 1960 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur Tierpflegerin, ohne eine Abschlussprüfung abzulegen und ohne einen Facharbeiterbrief zu erhalten. Sie übte diese Tätigkeit von September 1975 bis September 2007 aus. Sie beantragte am 12. September 2009 eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. Juni 2009 ab. Unter Berücksichtigung der Hauterkrankung der Klägerin an den Händen sei sie noch in der Lage, täglich sechs Stunden und mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit könne ebenfalls nicht gewährt werden, weil der Klägerin eine Tätigkeit als Gabelstaplerfahrerin noch vollschichtig zumutbar sei.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2010 als unbegründet zurück. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 8. Oktober 2010 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Befundunterlagen beigezogen und ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Dermatologie Dr. D B vom 10. Juni 2014 veranlasst. Mit Urteil vom 12. November 2014 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet zurückgewiesen und ausgeführt, die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Rente wegen (teilweiser) Erwerbsminderung noch wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die Klägerin noch in der Lage, vollschichtig zu auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Berufsunfähigkeit liege nicht vor, da die Klägerin noch auf eine Tätigkeit als Gabelstaplerfahrerin verwiesen werden könne.

Mit der am 4. Februar 2015 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Dem dermatologischen Sachverständigengutachten könne nicht gefolgt werden. Der Verweisungsberuf der Gabelstaplerfahrerin sei nicht zumutbar.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens des Allgemeinmediziners Dr. Sch vom 7. April 2016. Der Sachverständige hat die Klägerin am 14. März 2016 untersucht. Die Klägerin sei danach – unter Beachtung gewisser qualitativer Leistungseinschränkungen – in der Lage, vollschichtig zu arbeiten.

Die Klägerin hat daraufhin das Berufungsverfahren im Hinblick auf eine Rente wegen Erwerbsminderung für erledigt erklärt und nur bezogen auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit weitergeführt. Der Senat hat im Weiteren das Sachverständigengutachten des Facharztes für Dermatologie Dr. med. H F vom 27. März 2018 veranlasst. Der Sachverständige hat die Klägerin am 28. Februar 2018 untersucht. Danach leide die Klägerin unter einem atopischen Handekzem, durch das die Haut an den Händen bereits durch einfache Reize irritiert werden könne, sich entzünde und einen Zirkel auslöse, in dessen Folge die Haut beginne zu jucken, aufgekratzt werde und sich erneut entzünde. Die Klägerin erleide etwa alle sechs bis acht Wochen einen Schub, der medikamentös behandelt werden müsse. Sie vertrage Handschuhe nicht besonders gut, verwende diese aber zur Erledigung kleinerer Arbeiten. Die Tätigkeit einer Pförtnerin stelle keine besonderen Anforderungen an die Arbeit mit den Händen. Entsprechend den Feststellungen aus dem Vorgutachten des Dr. Sch vom 7. April 2016 bedingten die Gesundheitsstörungen keine relevante Einschränkung der Teilhabe am Arbeitsleben, mit der Einschränkung, dass diese Feststellungen nur solange gelten, wie die Klägerin hauterscheinungsfrei sei. Andernfalls sei die Tätigkeit einer Pförtnerin vollschichtig ausführbar.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie könne nicht auf die Tätigkeit einer Pförtnerin verwiesen werden, da ihr in den Jahren 2009 bis 2011 dauerhaft wegen der Erkrankung an den Händen Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden sei. Es liege eine chronische Erkrankung ohne Besserung vor, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass sich an der Arbeitsunfähigkeit etwas geändert habe.

Mit ergänzender Stellungnahme vom 2. November 2018 hat der Sachverständige ausgeführt, die von der Klägerin angegebene durchgehende Arbeitsunfähigkeit lasse sich derzeit nicht belegen, da nach Aktenlage nur vereinzelte AU-Bescheinigungen, zuletzt von April 2009 bis Februar 2011 vorlägen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 12. November 2014 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist, soweit sie nicht bereits erledigt war, nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagte erweisen sich als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI a. F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, die vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind (Absatz 1). Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4).

Ausgangspunkt der Beurteilung ist danach der bisherige Beruf. Darunter ist im Allgemeinen diejenige der Versicherungspflicht unterliegende Tätigkeit zu verstehen, die zuletzt auf Dauer, d.h. mit dem Ziel verrichtet wurde, sie bis zum Eintritt der gesundheitlichen Unfähigkeit oder bis zum Erreichen der Altersgrenze auszuüben; in der Regel ist das die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls wenn sie die qualitativ höchste ist (vgl. etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 158; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 55, 61 m. w. N.). Nach diesen Grundsätzen ist als bisheriger Beruf der Klägerin deren seit September 1975 bis September 2007 ausgeübte Tätigkeit als Tierpflegerin zugrunde zu legen. Diesen Beruf kann die Klägerin – was auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Hiermit ist die Klägerin aber noch nicht berufsunfähig. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn es auch keine andere Tätigkeit gibt, die ihr sozial zumutbar und für die sie sowohl gesundheitlich als auch fachlich geeignet ist.

Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit richtet sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben, gebildet worden. Dementsprechend werden die Arbeiterberufe durch die Leitberufe des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildung von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (z.B. BSGE 59, 201 = SozR 2200 § 1246 Nr. 132; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend ist allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 240 Satz 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung, bisheriger Beruf, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 27, 33).

Die Klägerin ist, nachdem sie die Ausbildung zur Tierpflegerin ohne Prüfung abgeschlossen hat und keinen Facharbeiterbrief vorweisen kann, als angelernte Arbeiterin (oberer Bereich) nach dem Vier-Stufen-Schema zu beurteilen und damit auch auf ungelernte Tätigkeiten verweisbar, wenn diese sich durch Qualitätsmerkmale, etwa das Erfordernis einer nicht ganz geringfügigen Einweisung bzw. Einarbeitung oder die Notwendigkeit beruflicher oder betrieblicher Vorkenntnisse, auszeichnen (BSG, Urteil vom 5. April 2001 – Az.: B 13 RJ 61/00 R, nach juris). Sie kann dem Leitberuf des Facharbeiters mit einer mehr als zweijährigen Ausbildung daher nicht zugeordnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 27. April 1989 – 5 RJ 8/88 = SozR 2200 § 1246 Nr. 165).

Die Klägerin ist auch nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, eine Tätigkeit als Pförtnerin vollschichtig auszuüben. Nach übereinstimmenden Ausführungen der beiden Sachverständigen Dr. Sch und Dr. F bestehen über die dermatologische Erkrankung an den Händen und mit Ausnahme einer als leicht depressiv zu beschreibenden Stimmungslage keine wesentlichen gesundheitlich bedingten Leistungseinschränkungen. Die Tätigkeitsbeschreibung einer Pförtnerin mit den sich aus dem Gutachten ergebenden qualitativen Anforderungen bedingt keine besonderen hautbelastenden Arbeiten. Dauerhafte Zeiten der Arbeitsunfähigkeit sind nach Aktenlage nicht belegt. Solche würden nach Auffassung des Sachverständigen auch nur durch die zweitweise auftretenden Schübe etwa alle sechs bis acht Wochen erforderlich. Selbst wenn die Klägerin aufgrund der Erkrankung an den Händen mehrfach wegen Arbeitsunfähigkeit ausfiele, ergäbe sich daraus vorliegend noch kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Das Risiko einer häufigen Arbeitsunfähigkeit kann (nur) dann zu einer Erwerbsminderung führen, wenn feststeht, dass die (vollständige) Arbeitsunfähigkeit so häufig auftritt, dass die während eines Arbeitsjahres zu erbringenden Arbeitsleistungen nicht mehr den Mindestanforderungen entsprechen, die ein "vernünftig und billig denkender Arbeitgeber” zu stellen berechtigt ist, so dass eine Einstellung oder Weiterbeschäftigung eines solchen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch ausgeschlossen ist (Bundessozialgericht, Beschluss vom 31. 10. 2012 - B 13 R 107/12 B -, Rn. 15, juris m. w. N.). Diese Mindestanforderungen sind jedenfalls dann nicht mehr als erfüllt anzusehen, wenn der Versicherte die Arbeitsleistung für einen Zeitraum von mehr als 26 Wochen im Jahr gesundheitsbedingt nicht mehr erbringen kann (BSG, a.a.O. Rn. 13, juris). Nach den gutachterlichen Äußerungen bestehen dafür keine Anhaltspunkte. Auch die von der Klägerin zuletzt zu den Akten gereichte Bescheinigung ihrer behandelnden Ärztin, mit der von einer durchgehende Arbeitsunfähigkeit wegen der Erkrankung an den Händen seit 2009 berichtet wird, ändert daran nichts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Sache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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