L 9 KR 470/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 111 KR 1441/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 470/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Auch eine nur vorübergehende Handlungsunfähigkeit Versicherter, die eine auch noch nachträglich erfolgende ärztliche Arbeitsunfähigkeitsfeststellung zulässt, muss so erheblich sein, dass sie der Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB vergleichbar ist.
2. Eine Einschränkung der Organisationsfähigkeit in Alltagsdingen kann deshalb ebenso wenig ausreichen, wie ein Rückzugsbedürfnis oder entsprechende Tendenzen oder die Unfähigkeit, die eigene Wohnung zu verlassen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin in der Zeit vom 16. April 2016 bis zum 05. Juli 2016 einen Anspruch auf Krankengeld hat.

Die Klägerin ist 1966 geboren und stand bis zum 31. Oktober 2015 in einem Beschäftigungsverhältnis. Sie erkrankte am 30. September 2015 arbeitsunfähig, an einer reaktiven Depression sowie einem Schulterarmsyndrom (F32.9G und M54.12G). Die Beklagte bewilligte ihr Krankengeld. Mit der Folgebescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin G vom 1. April 2016 bescheinigte diese der Klägerin weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 15. April 2016, einem Freitag. Mit der dann folgenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 19. April 2016 bescheinigte die Ärztin der Klägerin Arbeitsunfähigkeit bis zum 3. Mai 2016. Die weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 3. Mai 2016, 24. Mai 2016 und 16. Juni 2016 stellen Arbeitsunfähigkeit bis zum 5. Juli 2016 fest.

Die Beklagte lehnte eine Zahlung von Krankengeld über den 15. April 2016 hinaus ab (Bescheid vom 25. April 2016). Die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit müsse spätestens am Tag nach der bisher bescheinigten Arbeitsunfähigkeit durch den behandelnden Arzt/Ärztin festgestellt werden. Die ärztliche Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 19. April 2016 habe nicht am Tag nach der bisherigen Krankschreibung stattgefunden. Die Klägerin sei ab dem 16. April 2016 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert gewesen. Die Klägerin erhob Widerspruch und begründete diesen damit, dass sie alles ihrerseits Erforderliche getan habe, um die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zu erreichen, es liege insoweit ein Ausnahmefall vor. Es sei ihr aufgrund ihrer Erkrankung, nämlich aufgrund der schweren psychischen Dekompensation, nicht möglich gewesen, die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am nächsten Werktag nach dem Ende des zuletzt bescheinigten Zeitraumes zu erreichen, sondern erst am Folgetag. Bei anderer Betrachtung würde doch gerade dasjenige Risiko, gegen dessen Folgen die Klägerin durch die Krankenversicherung geschützt werden solle, den Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen verhindern. Sie übersandte ein Duplikat der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 19. April 2016, auf welchem die behandelnde Ärztin G handschriftlich notiert hat: "Patientin konnte wegen psychischer Dekompensation Praxis am 18. April 2016 nicht aufsuchen".

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin zurück. Ihre Einwände, wonach es ihr aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, die Arztpraxis rechtzeitig aufzusuchen und sich einen fristgerechten Auszahlschein ausstellen zu lassen, begründeten keinen Ausnahmefall (Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2016).

Die Klägerin hat am 3. August 2016 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Es sei in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass das Unterlassen der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit einem Anspruch auf Krankengeld nicht entgegengehalten werden dürfe, wenn die rechtzeitige Feststellung oder Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verhindert oder verzögert worden sei, die nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen seien. Ein solcher Ausnahmefall liege bei ihr vor; es sei ihr gerade aufgrund ihrer Erkrankung nicht möglich gewesen, die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit rechtzeitig feststellen zu lassen. Sie habe am 18. April 2016 einen Versuch unternommen, an diesem Tag ein Vorstellungsgespräch wahrgenommen. Dieses habe allerdings zu einer akuten Dekompensation der weiter bestehenden psychischen Erkrankung geführt, so dass sie an diesem Tage auch nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen Arzt aufzusuchen. In dem Vorstellungsgespräch habe sich unter anderem herausgestellt, dass das Tätigkeitsfeld und andere Umstände der Arbeit anders sein sollten als vorgesehen und im Vorfeld mit ihr besprochen. Das habe erneut Angst bei der Klägerin hervorgerufen zu versagen und ohne Einkünfte zu sein sowie bei ihr einen Schub einer depressiven Dekompensation ausgelöst, was sich darin geäußert habe, dass sie direkt nach dem Gespräch heimgegangen sei und sich dort vollständig zurückgezogen habe. Aus diesem Grunde seien ihr die Nähe fremder Menschen und auch das Aufsuchen einer Ärztin nicht möglich gewesen. Erst nachdem eine gewisse Beruhigung eingetreten sei, habe sie sich in der Lage gesehen, ihr gewohntes Umfeld zu verlassen und Ärzte aufzusuchen. Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite sei sie ab dem 16. April 2016 auch nicht freiwillig versichert ohne Krankengeldanspruch. Vielmehr ergebe sich der Krankengeldanspruch aus dem nachgehenden Anspruch nach § 19 Abs. 2 SGB V. Ab dem 1. Mai 2016 habe sie Leistungen nach dem SGB II bezogen, in dessen Rahmen sie aber bei der Beklagten pflichtversichert gewesen sei. Damit sei innerhalb der Monatsfrist des nachgehenden Anspruchs eine Pflichtversicherung nachgewiesen. Selbst wenn man ihren Ausführungen nicht folge, sei jedenfalls ein Krankengeldanspruch ab dem 19. April 2016 gegeben, so dass ihr jedenfalls ab diesem Zeit-punkt Krankengeld weiterzuzahlen sei. Es sei auch im Rahmen der gebotenen prognostischen Betrachtung zu erwarten gewesen, dass sie nach Ablauf eines Monats nach dem Ende der Mitgliedschaft erneut eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen würde. Sie verweise insoweit auf das von der Beklagten an sie übersandte Schreiben vom 25. April 2016, in welchem die Beklagte ihr mitgeteilt habe, sie möge sich an die Agentur für Arbeit wenden, um eine frühzeitige dortige Meldung zu erreichen. Es sei zu erwarten gewesen, dass sie sich umgehend im Hinblick darauf an das Jobcenter oder die Bundesagentur für Arbeit wende, um durch den Erhalt von Leistungen den Lebensunterhalt sicherzustellen. Es sei auch damit zu rechnen gewesen, dass sie innerhalb der Monatsfrist wieder die Arbeitsfähigkeit er-lange, denn die Bescheinigung vom 19. April 2016 habe eine Arbeitsunfähigkeit lediglich bis 3. Mai 2016 bescheinigt.

Die Klägerin übersandte eine ärztliche Stellungnahme der behandelnden Ärztin G vom 15. März 2017. Diese führte aus, dass die Klägerin infolge des am 18. April 2016 gescheiterten Versuchs, wieder in Arbeit zu kommen, eine Panikattacke bekommen habe und an diesem Tag die Praxis der Ärztin nicht habe aufsuchen können.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Klägerin unter anderem erklärt, sie habe im Anschluss an das Vorstellungsgespräch eine kleine Panikattacke bekommen, sie habe Beklemmungen bekommen und sich nicht wertgeschätzt gefühlt und habe alles als sehr sinnlos empfunden. Sie sei dann nach Hause gegangen, habe die Tür hinter sich zugemacht. Es sei für sie keine Option gewesen, die Ärztin aufzusuchen. Im Hinblick auf ihre Arbeitsunfähigkeit habe sie geglaubt, dass die Ärztin sie auch rückwirkend krankschreiben könne. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Sitzung des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2017 Bezug genommen.

Mit Urteil vom 20. September 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die den Anspruch auf Krankengeld vermittelnde, auf der Beschäftigtenversicherung beruhende Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten habe mit Ablauf des 15. April 2016 geendet. Die Klägerin hätte spätestens am nächsten Werktag, d.h. im vorliegenden Fall am Montag, den 18. April 2016, ihre Arbeitsunfähigkeit feststellen lassen müssen. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, bei dem die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für den weiteren Bewilligungsabschnitt ausnahmsweise rückwirkend auf den letzten Tag hätte nachgeholt werden können. Zwar habe das Bundessozialgericht enge Ausnahmen anerkannt, wenn die Arbeitsunfähigkeitsfeststellung z.B. durch Umstände verhindert werde, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen seien, so z.B. bei Organisationsmängeln sowie Nichterteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund einer ärztlichen Fehlbeurteilung über die Arbeitsunfähigkeit oder wenn der Versicherte geschäfts- oder handlungsunfähig und deshalb an der Wiedervorstellung beim Arzt gehindert gewesen sei. Allerdings müsse der Versicherte alles in seiner Macht Stehende getan haben, um einen Arzt aufzusuchen. Nach Auffassung der Kammer lägen bei der Klägerin derartige Ausnahmetatbestände nicht vor. Die Klägerin sei nicht geschäfts- oder handlungsunfähig gewesen. Vielmehr sei ihr bewusst gewesen, dass die Arbeitsunfähigkeit lückenlos nachzuweisen sei. Sie habe gerade nicht alles getan, um einen lückenlosen Nachweis ihrer Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Beklagten zu erbringen. Die Kammer gehe aufgrund der Aussagen der Klägerin im Termin davon aus, dass diese in der Lage gewesen sei, den am 18. April 2016 vereinbarten Termin bei ihrer Ärztin einzuhalten. Ihrem Vorbringen nach sei dieser Termin am Vormittag verabredet gewesen und das Vorstellungsgespräch habe gegen Mittag stattgefunden. Sie hätte also am Vormittag noch zu ihrer behandelnden Ärztin gehen können, um danach den Vorstellungstermin wahrzunehmen. Auch die vom Bevollmächtigten der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung erwähnte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 11. Mai 2017 sei nicht einschlägig. Es liege kein Fall vor, in welchem der Arzt die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung irrtümlich aus nichtmedizinischen Gründen unterlassen habe. Die Klägerin habe ihre Ärztin gerade nicht zeitgerecht aufgesucht und die Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei auch nicht irrtümlich unterlassen worden. Ein nachgehender Anspruch nach § 19 Abs. 2 SGB V liege nicht vor. Dieser solle nur kurzfristige Lücken schließen und komme zum Tragen, wenn bei prognostischer Betrachtung da-von auszugehen sei, dass die betroffenen Versicherten spätestens nach Ablauf eines Monats nach Ende ihrer bisherigen Mitgliedschaft eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangten. Es sei prognostisch nicht damit zu rechnen gewesen, dass die Klägerin innerhalb eines Monats wieder arbeitsfähig sein würde. Die Tatsache, dass sie ab dem 1. Mai 2016 über § 5 Abs. 1 Nr. 2 der Krankenversicherungspflicht unterlegen habe, ändere hieran nichts, denn eine auf die Zukunft gerichtete prognostische Betrachtung könne nicht rückwirkend korrigiert werden.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 23. Oktober 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. November 2017 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Maßgeblich sei, dass das Hindernis der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit in der Erkrankung selbst liege. Die Ausführungen des Sozialgerichts, wonach es ihr noch möglich gewesen wäre, einen Termin bei ihrer Ärztin am Vormittag des 18. April 2016 wahrzunehmen, überzeugten nicht, denn an dem besagten Vormittag sei die Klägerin selbst noch davon ausgegangen, dass eine weitere Arbeitsunfähigkeit nicht vorliege. Aus diesem Grunde habe sie auch das zu-nächst für sie recht positiv klingende Vorstellungsgespräch wahrgenommen. Erst durch dieses Gespräch sei die schwere psychische Dekompensation ausgelöst worden und habe sich die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit herausgestellt. Insoweit sei es auch unerheblich, ob die Klägerin den Arzttermin am Vormittag des 18. April 2016 hätte wahrnehmen können oder nicht, denn zu diesem Zeitpunkt sei es überhaupt nicht ihre Intention gewesen, sich die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit bescheinigen zu lassen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt selbst davon ausgegangen, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht fortbestehen würde, so dass aus Ihrer Sicht der Gang zum Arzt entbehrlich gewesen sei. Aufgrund des Vorstellungsgespräch und der hierdurch ausgelösten psychischen Dekompensation sei der Arztbesuch dann nicht mehr möglich gewesen. Erst am darauffolgenden Vormittag habe sie sich so weit gefasst gehabt, dass ihr der Gang zum Arzt überhaupt möglich gewesen sei. Sie habe insoweit zeit-nah, nämlich am darauffolgenden Werktag, ihre behandelnde Ärztin aufgesucht und die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vornehmen lassen. Zumindest liege ein nachgehender Leistungsanspruch nach § 19 Abs. 2 SGB V vor. Es möge zwar zutreffen, dass nach der Folgebescheinigung vom 19. April 2016 nicht damit zu rechnen gewesen sei, dass sie binnen Monatsfrist wieder arbeitsfähig sein würde. Dies lasse allerdings nicht den Schluss darauf zu, dass sie nicht innerhalb eines Monats eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall erlangen konnte. Aufgrund des Entfallens des Krankengeldes sei doch offensichtlich gewesen, dass sie nunmehr ersatzweise Leistungen nach dem SGB II habe in Anspruch nehmen müssen, wodurch die Versicherungspflicht ausgelöst werde.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2017 sowie des Bescheides der Beklagten vom 25. April 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2016 zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum 16. April 2016 bis zum 5. Juli 2016 Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

II.

Der Senat darf über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGG). Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2017 ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Krankengeld über den 15. April 2016 hinaus, konkret vom 16. April 2016 bis zum 05. Juli 2016.

Nach eigener Sachprüfung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen überwiegend auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Zu ergänzen bleibt, auch unter Würdigung des Vorbringens der Klägerin in der Berufung:

Ein weiterer Anspruch auf Krankengeld scheitert – anders als die Beklagte meint – nicht daran, dass die Krankheit, die die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 18. April 2016 begründete, nicht dieselbe war, wegen der sie bis zum 15. April 2016 arbeits-unfähig gewesen sei. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit "wegen derselben Erkrankung" ist zum einen bereits nach Vorstellung des Gesetzgebers weiter zu verstehen. Es ist von einer fort-dauernden Arbeitsunfähigkeit wegen "derselben Erkrankung" auch in dem Fall aus-zugehen, in dem zwischen dem Ende der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit an einem Freitag und der neuen Bescheinigung am darauffolgenden Montag am Wochenende eine neue Krankheit hinzutritt und ab Montag dann die (weitere) Arbeitsunfähigkeit nur noch von der hinzugetretenen Erkrankung verursacht wird. Maßgebend ist insoweit, dass zu keinem Zeitpunkt Arbeitsfähigkeit vorlag (BT-Drs. 18/5123, S. 121, zu Nummer 15; Knittel in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 46 Rn. 5). Gemessen daran kommt es darauf an, ob bei einer (Neu-)Erkrankung im Laufe des Montags zu keinem Zeitpunkt davor Arbeitsfähigkeit besteht. Davon ist nach der Gesetzessystematik auszugehen. So entsteht der Anspruch auf Krankengeld nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V Sozialgesetzbuch/ Fünftes Buch (SGB V in der ab dem 23. Juli 2015 geltenden Fassung) von dem Tag der ärztlichen Feststellung an. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Krankheit bereits zu Beginn des Tages besteht oder erst im Laufe des Tages (z.B. durch einen Unfall) eintritt. Dies zeigt sich auch daran, dass der Krankengeldanspruch nur für ganze Kalendertage entsteht und besteht, d.h., auch für den ersten Tag unabhängig davon, wann die Krankheit beginnt (vgl. nur § 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V). Dieselbe Erkrankung läge also auch dann vor, wenn die Klägerin erst im Laufe des Montags, den 18. April 2016, neu erkrankt wäre. Tatsächlich dürfte es sich zum anderen auch medizinisch um dieselbe Erkrankung gehandelt haben, wegen der sie bis zum Freitag, den 15. April 2016, arbeitsunfähig war. Dafür sprechen die ärztliche Stellungnahme der behandelnden Ärztin Frau G vom 15. März 2017 und die folgenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 03. Mai, 24. Mai und 14. Juni 2016.

Der Anspruch der Klägerin scheitert allerdings daran, dass sie erst am 19. April 2016 um eine weitere ärztliche Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit bei ihrer behandeln-den Ärztin nachgesucht und diese erhalten hat. Ein Ausnahmefall, in welchem die Rechtsprechung es bei Versicherten, deren Mitgliedschaft nur durch den Krankengeldanspruch nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrechterhalten blieb, für unschädlich gehalten hat, wenn die für den Anspruch konstitutive ärztliche Bescheinigung nicht nahtlos erfolgt, sondern verspätet, ist bei der Klägerin nicht nachgewiesen. Dies hat das Sozialgericht anhand der überkommenen Grundsätze des Bundessozialgerichts (BSG) zu diesen Ausnahmetatbeständen nachvollziehbar ausgeführt. Die Klägerin macht keinen Fehler der behandelnden Ärztin, sondern das eigene, krankhaft be-dingte Unvermögen, diese am 18. April 2016 noch aufzusuchen, geltend. Allein in Betracht kommt deshalb die Ausnahmekonstellation, in welcher entscheidend ist, ob die (rechtzeitige) ärztliche Feststellung wegen einer bei ihr bestehenden Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit nicht erfolgt ist (BSGE 25, 76, 77 f.; BSGE 111, 9; zuletzt: Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R –, BSGE 123, 134-144, juris, Rn. 22). Die Klägerin war aber nicht geschäftsunfähig i.S. des § 104 Nr. 2 BGB und auch nicht handlungsunfähig. Eine für die Geschäftsunfähigkeit erforderliche krankhafte, zum Ausschluss der Geschäftsfähigkeit führende Störung der Geistestätigkeit müsste andauernder Natur gewesen sein (zu diesem Erfordernis, BeckOK BGB/Wendtland, § 104 Rn. 6). Dies ist bei der Klägerin bereits deshalb nicht gegeben, weil sie zwar vorträgt, am 18. April 2016 nicht in der Lage gewesen zu sein, die ärztliche Praxis ihrer behandelnden Fachärztin G aufzusuchen; am 19. April 2017 war sie dazu aber nachweislich in der Lage. Auch ist sie zur Überzeugung des Senats nicht (nur) am 18. April 2016 handlungsunfähig und deshalb daran gehindert gewesen, die Arbeitsunfähigkeit gerade an diesem Tag ärztlich feststellen zu lassen. Weder lagen äußere Umstände z.B. im Sinne einer Einschränkung ihrer körperlichen Fähigkeit zur Fortbewegung vor (z.B. Bewegungsunfähigkeit oder Bewusstlosigkeit) noch gibt es ausreichend Anhaltspunkte dafür, dass sie aufgrund ihres psychischen Gesundheitszustandes außerstande war, so zu handeln, dass sie die Arbeitsunfähigkeit an diesem Tag noch ärztlich feststellen lassen konnte. Auch eine nur vorübergehende Handlungsunfähigkeit müsste so erheblich sein, dass sie der Geschäftsunfähigkeit im obigen Sinne (§ 104 Nr. 2 BGB) vergleichbar ist. Eine Einschränkung der Organisationsfähigkeit in Alltagsdingen kann deshalb ebenso wenig ausreichen, wie ein Rückzugsbedürfnis oder entsprechende Tendenzen oder die Unfähigkeit, die eigene Wohnung zu verlassen. Gemessen daran war die Klägerin zum einen zumindest noch vor dem Vorstellungsgespräch handlungsfähig und in der Lage, die Ärztin zu den Praxisöffnungszeiten aufzusuchen. Das bestätigt sie in ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht, wonach sie am 18. April 2016 davon ausgegangen ist, die Arbeitsunfähigkeit noch am 19. April 2016 rückwirkend feststellen lassen zu können. Diese Fehlvorstellung war nicht krankheitsbedingt und beruhte nicht auf fehlerhaften Auskünften von Dritten, wie z.B. der Beklagten. Zum anderen ist es zwar nicht ausgeschlossen, ja nachvollziehbar, dass die Klägerin nach ihrem für sie enttäuschenden Vorstellungsgespräch eine Verschlechterung ihrer psychischen Verfassung erlebt hat. Hat diese nach ihrer Darstellung zu einer kleineren Panikattacke und einem Rückzug in ihre Wohnung geführt, so ist aber nicht nachgewiesen, dass ihre Handlungsfähigkeit vergleichbar einer Geschäftsunfähigkeit dadurch völlig aufgehoben war. Dagegen spricht bereits ihr Vortrag vor dem Sozialgericht, wonach sie die Tür ihrer Wohnung hinter sich zugemacht habe und ein Aufsuchen ihrer behandelnden Ärztin für sie "keine Option" gewesen war. Der Senat entnimmt diesen Äußerungen, dass sie das nachvollziehbare Bedürfnis hatte, sich zurückzuziehen, aber auch die Wahlmöglichkeit hatte, stattdessen zur Ärztin zu gehen und sich dagegen entschieden hat. Dies unterscheidet die Situation von der Unfähigkeit zu handeln.

Dabei stellt der Senat in Rechnung, dass es gerade Ausdruck der die Arbeitsunfä-higkeit begründenden Erkrankung der Klägerin gewesen sein kann, dass sie den Arztbesuch unterlassen hat. Von der Obliegenheit, die Arbeitsunfähigkeit nahtlos (hier zumindest im Anschluss an das Wochenende) feststellen zu lassen, dispensieren § 46 und § 192 SGB V erkrankte Versicherte gerade nicht. Dies gilt unabhängig davon, welche Erkrankung die Arbeitsunfähigkeit verursacht oder welchen Schwere-grad sie hat. Sie beruht darauf, dass erkrankte Versicherte ihren behandelnden Arzt typischerweise regelmäßig aufsuchen und die ärztliche Bescheinigung problemlos erhalten können. Die von der Rechtsprechung des BSG entwickelten und vom Senat geteilten Ausnahmen von dieser Obliegenheit sind eng und berücksichtigen die gesetzlichen Erfordernisse. Sie erfassen auch die Fallkonstellation, in der eine Handlungsunfähigkeit gerade von der die Arbeitsunfähigkeit begründenden Erkrankung hervorgerufen wird. Noch weitergehende Ausnahmen sind nicht gerechtfertigt. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit verlöre ihre Funktion, Missbrauch und Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, wenn Versicherte wegen ihrer die Arbeitsunfähigkeit begründenden Erkrankung den Arzt nicht aufsuchen müssten. Außerdem er-scheint – gerade wenn kein Arzt aufgesucht wird – nur schwer bestimmbar, welche Erkrankung in welchem Fall die Obliegenheit entfallen lässt. Im Wissen darum halten selbst Literaturstimmen, die z.B. für psychische Erkrankungen wie schwere Depressionen (weitere) Ausnahmen von der Pflicht zur lückenlosen Bescheinigungen für möglich halten, für entscheidend, ob Versicherte zu der Willensanspannung in der Lage sind, um die für eine Feststellung erforderlichen Handlungen vorzunehmen (Sonnhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 46 SGB V, Rn. 42). Von einer solchen Fähigkeit zur Willensanspannung ist aber bei der Klägerin nach obigen Ausführungen auch in der Zeit nach dem Vorstellungsgespräch auszugehen.

Ein nachgehender Anspruch aus § 19 Abs. 2 SGB V besteht im Fall der Klägerin nicht. Er setzt voraus, dass kein anderweitiger aktueller Krankenversicherungsschutz nach Ende der nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrechterhaltenen Mitgliedschaft besteht. Ein anderweitiger aktueller Versicherungsschutz ist vorrangig und verdrängt Ansprüche aus einer früheren Mitgliedschaft (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 37/14 R –, BSGE 118, 52-63, Rn. 31). Für die Zeit ab 16. April 2016 trat für die Klägerin nach Ende der Pflichtmitgliedschaft entweder eine freiwillige Mitglied-schaft nach § 188 Abs. 4 SGB V ein oder eine Versicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V. Ab dem 01. Mai 2016 hatte sie Versicherungsschutz über den Bezug von Arbeitslosengeld II nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Beide Versicherungsverhältnisse sind vorrangig gegenüber einem nachgehenden Anspruch. Das gilt auch in Anbetracht der Tatsache, dass sie beide keinen Krankengeldanspruch gewährten, denn für das Nachrangverhältnis ist nicht entscheidend, ob das aktuelle Versicherungsverhältnis gleichwertige Leistungsansprüche bereithält (BSG, aaO, Rn. 31).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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