L 3 U 174/19 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 U 1/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 174/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. Juli 2019 aufgehoben und werden auch die Kosten für die Begutachtung des Klägers durch Frau Dipl.-Med. A auf die Staatskasse übernommen. Die Staatskasse erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

I.

Im Ausgangsverfahren (S 8 U 1/13) begehrte der Kläger die Feststellung, dass eine chronische schmerzhafte Bewegungseinschränkung sowie Belastungsschmerzhaftigkeit des rechten Ellenbogengelenkes sowie die Tendinose der gemeinsamen Sehne der Extensoren im Sinne einer Epicondylitis radialis humeri Folgen des Arbeitsunfalls vom 02. November 2009 sind.

Nachdem das Sozialgericht (SG) Neuruppin von Amts wegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. B vom 06. Juni 2014 eingeholt hatte, veranlasste es auf den Antrag der Klägerin durch Beweisanordnung vom 11. September 2015 nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das am 21. April 2016 bei dem SG eingegangene Gut-achten der Fachärztin für Orthopädie Dipl.-Med. (DM) A. Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2016 und nochmals in der mündlichen Verhandlung des SG am 27. Juni 2016 beantragte der Kläger die mündliche Anhörung der Sachverständigen DM A. Diesem Antrag kam das SG nicht nach.

Mit Urteil vom 27. Juni 2017 wies das SG sodann die Klage ab, wobei es in den Entscheidungsgründen maßgeblich der Beurteilung des Sachverständigen Dr. B, nicht hingegen der Einschätzung der Sachverständigen DM A folgte. Den Antrag des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Erstellung des Gutachtens nach § 109 SGG auf die Staatskasse wies das SG mit Beschluss vom 21. September 2017 und unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des Urteils zurück. Rechtsmittel wurde hiergegen nicht eingelegt.

Im nachfolgenden Berufungsverfahren (L 3 U 164/17) hörte der Senat die Sachverständige DM A auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG in der mündlichen Verhand-lung am 07. März 2019 zum Gegenstand der Begutachtung mündlich an. Mit Urteil vom selben Tage änderte der Senat das erstinstanzliche Urteil ab und stellte fest, dass die chronische schmerzhafte Bewegungseinschränkung, die Belastungsschmerzhaftigkeit sowie die Tendinose der gemeinsamen Sehne der Extensoren des rechten Ellenbogengelenkes im Sinne einer Epicondylitis radialis humeri Folgen des Arbeitsunfalls vom 02. November 2009 sind.

Mit Beschluss vom 08. März 2019 übernahm der Senat die Kosten der Anhörung der Sachverständigen DM A im Termin am 07. März 2019 gemäß § 109 SGG auf die Staatskasse, weil die Anhörung zur Sachaufklärung wesentlich beigetragen habe.

Am 26. April 2019 beantragte der Kläger beim SG die Übernahme der Kosten der "Anhörung" der Sachverständigen DM A. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Klage nunmehr im Berufungsverfahren aufgrund des Gutachtens der Sachverständigen Erfolg gehabt habe, wie dies auch der Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) vom 08. März 2019 belege.

Mit Beschluss vom 30. Juli 2019 wies das SG diesen Antrag zurück. In der ersten Instanz habe gar keine Anhörung stattgefunden und die Kosten der vor dem LSG durchgeführten Anhörung seien entsprechend dem Beschluss vom 08. März 2019 bereits übernommen worden. Dieser Beschluss wurde dem Kläger am 22. August 2019 zugestellt.

Am 26. August 2019 hat der Kläger beim SG erneut unter Verweis auf den Beschluss des LSG vom 08. März 2019 die Übernahme der Gutachtenkosten der Sachverständigen DM A auf die Staatskasse beantragt und zugleich Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 30. Juli 2019 eingelegt. Das Sozialgericht habe in seiner Entscheidung übersehen, dass die Norm des § 109 Abs. 1 SGG auch die Erstellung eines Gutachtens durch einen Arzt als Anhörung bezeichne. Diese Anhörung im Sinne des Gesetzes sei mit der Beweisanordnung des SG vom 11. September 2015 beauftragt worden und mit Eingang des Gutachtens am 21. April 2016 bei Gericht auch erfolgt.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens des Klägers wird auf dessen Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 30. Juli 2019 ist begründet. Auch die Kosten der Begutachtung durch DM A werden auf die Staatskasse übernommen.

Nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG können die Kosten für die Anhörung eines vom Kläger benannten Arztes seines Vertrauens der Staatskasse auferlegt werden. Das Gericht trifft die Entscheidung nach Ermessen. In der Regel werden die Kosten von der Staatskasse übernommen, wenn die Einholung des Gutachtens die Sachaufklärung wesentlich gefördert oder zur Beendigung des Verfahrens geführt hat.

Dies war hier nicht nur bezüglich der mündlichen Anhörung der Sachverständigen DM A vor dem Senat (vgl. hierzu Beschluss vom 08. März 2019), sondern ist auch hinsichtlich der erstinstanzlich erfolgten Begutachtung des Klägers durch die Sach-verständige der Fall.

Die gutachterliche Anhörung nach § 109 SGG betrifft den Sachverständigenbeweis und steht im engen Zusammenhang mit § 106 SGG (Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 109 Rn. 2). Der Sachverständigen-beweis wird nach §§ 106 Abs. 2 Nr. 4 und 5, 118 Abs. 1 SGG, 404 Zivilprozessordnung (ZPO) im Wege mündlicher Vernehmung des Sachverständigen und/oder (schriftlicher) Begutachtung durch den Sachverständigen erhoben.

Vorliegend ist die "Anhörung" im Sinne des § 109 SGG auch auf zweierlei Wegen erfolgt: Zum einen wurde im Klageverfahren durch die Beweisanordnung des SG vom 11. September 2015 die Untersuchung und (schriftliche) Begutachtung des Klägers angeordnet und mit der Erstellung des undatierten, am 21. April 2016 beim SG eingegangenen Sachverständigengutachtens der Sachverständigen DM A vollzogen. Zum anderen wurde im Berufungsverfahren auf den Antrag des Klägers die Sachverständige in der mündlichen Verhandlung im Umfang der Beweisanordnung vom 11. September 2015 persönlich angehört, was maßgeblich zur Überzeugungsbildung des Senates beigetragen, den Rechtsstreit in besonderer Weise gefördert und der Klage zum Erfolg verholfen hat. Nicht nur unter Einbeziehung dieses im Berufungsverfahren eingetretenen Verfahrensfortschritts werden die Kosten der Begutachtung durch DM A - nunmehr einheitlich - auf die Staatskasse übernommen, sondern auch eingedenk der Tatsache, dass dieser Erkenntnisgewinn bereits früher, im Klageverfahren zu erlangen gewesen wäre. Den entsprechenden Antrag auf Anhörung der Sachverständigen hatte der Kläger bereits gegenüber dem SG mit Schriftsatz vom 14. Juli 2016 und nochmals in der mündlichen Verhandlung des SG am 27. Juni 2016 gestellt.

Dem steht nicht die Rechtskraft des Beschlusses des SG vom 21. September 2017 entgegen, da sich seit diesem Beschluss die für eine Kostenübernahme nach § 109 SGG zu berücksichtigenden tatsächlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben (Keller, a.a.O., Rn. 18; § 141 Rn. 8c). Durch die Anhörung der Sachverständigen DM A im Berufungsverfahren vollzog sich ein - sich zuvor nicht abbildender und für den Erfolg der Klage maßgeblicher – Erkenntnisgewinn.

Die Kostenentscheidung resultiert aus der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG (vgl. Keller/Schmidt, a.a.O., § 109 Rn. 22).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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