L 3 U 78/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 18 U 120/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 78/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. April 2016 geändert und die Klage vollständig abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Eine Kostenerstattung findet für das gesamte Verfahren nicht statt.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Feststellung bestimmter Arbeitsunfallfolgen sowie die Gewährung von Heilbehandlung über den 31. Dezember 2006 hinaus und einer Verletztenrente.

Die Klägerin wurde 1969 geboren und war als gelernte Krankenschwester in der mobilen Hauskrankenpflege beschäftigt, als sie am Freitag, dem 15. September 2006 beim Versuch, bei der Intimwäsche einen halbseitig gelähmten, 1,85 m großen und 120 kg schweren, infolge eines Krampfes im Bein aus dem Stand plötzlich zusammensackenden Schlaganfallpatienten in nach schräg links vorgebeugter Schrittstellung über den Rollstuhl hinweg zu halten, einen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) einschießenden Schmerz verspürte. Sie schaffte es noch, dem Patienten die Unterhose hochzuzuziehen und ihn abzusetzen. Sie schloss die Versorgung des Patienten ab und meldete sich dann im Büro des Arbeitgebers ab. Nachmittags trat sie eine vordem geplante Ostseewochenendreise an. Wegen der weiter zunehmenden Schmerzen und Taubheitsgefühle im Bein stellte sie sich am 17. September 2006 im Universitätsklinikum R vor, wo sie eine Schmerzspritze erhielt. Am 19. September 2006 suchte sie ihre Hausärztin Dr. N auf (vgl. Krankheitsbericht vom 21. Dezember 2006), auf deren Veranlassung am 19. September 2006 eine Röntgenuntersuchung der LWS durchgeführt wurde. Diese erbrachte eine flache rechtskonvexe Skoliose des dorso-lumbalen Überganges und osteochondrotische Veränderungen in den Übergangsregionen der LWS mit besonderer Schädigung bei L5/ S1 mit 30 %-igem Höhenverlust des Zwischenwirbelraums und Pseudoretrolisthesis L5 über S1 bei hypoplastischer Deckplatte von S 1. Anschließend stellte sie sich dem Praktischen Arzt und Sportmediziner Dr. S vor, auf dessen Veranlassung die MRT-Untersuchung vom 20. September 2006 durchgeführt wurde. Diese ergab eine Fehlstellung der Wirbelsäule und einen Bandscheibenvorfall L5/ S1 (vgl. Arztbrief von Dr. S vom 14. Oktober 2006). Am 04. Oktober 2006 stellte sie sich beim H-Arzt Dr. S vor, vgl. H-Arzt-Bericht vom 04. Oktober 2006, worin als Erstdiagnose ein Verhebetrauma der LWS mit Bandscheibenprolaps L5/ S1 festgehalten ist. Bereits seit dem 20. September 2006 durchlief die Klägerin eine periradikuläre Therapie (PRT), auf welche sie gut ansprach, indem weitgehende Schmerzfreiheit erzielt wurde, vgl. Bericht von Dr. R vom 24. Oktober 2006.

Die Beklagte ermittelte bei der Krankenkasse der Klägerin ein Arbeitsunfähigkeitsverzeichnis, wonach sie wegen akuter Lumbago vom 17. bis zum 30. April 1996 arbeitsunfähig erkrankt war. Sie holte im Mai 2007 beim Unfallchirurgen Dr. M ein Gutachten zur Zusammenhangsfrage aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin ein, wonach die Klägerin über einen ständig bestehenden, stechenden Schmerz im Bereich der unteren LWS mit Sensibilitätsstörungen im Bereich des linken Beines (lateraler Fußrücken und Streckseite der Zehen III bis V links) und unregelmäßig auftretenden Krämpfen im Bereich der linken Wade berichte. Sie könne nur noch Gewichte von bis zu 5 kg tragen, Überkopfarbeiten könnten nicht durchgeführt werden, beschwerdefrei könne sie nur maximal zwei Stunden lang sitzen, nur 500 m weit gehen und nur fünf Minuten lang stehen. Im Befund hielt er ein unauffälliges Gangbild, eine großbogige rechtskonvexe Seitausbiegung der BWS mit großbogiger linkskonvexer Seitausbiegung der LWS fest. Es zeige sich lediglich ein Druckschmerz auf der linken IS-Fuge, eine Hypästhesie im Bereich der Außenkante des linken Unterschenkels, der äußeren Fußkante sowie der Zehenrücken III bis V. Angesichts der im Röntgenbild aufgedeckten Osteochondrose L5/ S1 sowie Pseudoretrolisthesis habe am Ort des später im MRT nachgewiesenen Bandscheibenschadens ein bedeutender Vorschaden bestanden. Der Vorgang vom 15. September 2006 sei nicht geeignet, bei einer gesunden Wirbelsäule einen Bandscheibenvorfall durch Sprengung des Faserrings hervorzurufen. Es sei lediglich eine vorübergehende Verschlimmerung in Gestalt einer Ischialgie links mit sensibler radikulärer Symptomatik im Segment L5/ S1 ausgelöst worden, weil sich durch den Unfallhergang bedingt durch die Bück-Drehbewegung Scherkräfte entwickelt hätten, die den bis dato klinisch stummen Verlauf der Bandscheibenschädigung durchbrochen hätten. Dies werde durch die Tatsache, dass die radikuläre Symptomatik zeitnah aufgetreten sei, bestätigt. Ab dem 23. Oktober 2006 sah Dr. M weder behandlungs- noch entschädigungsbedürftige Unfallfolgen.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 26. Mai 2008 unter Aufhebung des zuvor erlassenen, ablehnenden Bescheids vom 18. Oktober 2006 das Ereignis vom 15. September 2006 als Arbeitsunfall mit einer traumatischen Ischialgie links mit sensibler radikulärer Symptomatik im Segment L5/ S1 als Arbeitsunfallfolge im Sinne einer vorübergehenden Verschlimmerung der unabhängig vom Arbeitsunfall bestehenden Bandscheibenveränderungen sowie Heilbehandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit bis zum 22. Oktober 2006 an und lehnte die Gewährung einer Rente ab. Hiergegen erhob die Klägerin am 24. Juni 2008 Widerspruch. Zur Begründung führte sie aus, dass entgegen der Einschätzung von Dr. M kein bedeutender Vorschaden bestanden habe. Sie sei bis zum Unfall beschwerdefrei gewesen. Zur Untermauerung ihres Vorbringens legte die Klägerin ein für die Bayerische Beamtenversicherung erstelltes Gutachten des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. S vom 18. Juni 2008 vor. Danach ließen sich weder röntgenologisch noch im MRT-Befund wesentliche degenerative Vorerkrankungen erkennen. Das Unfallereignis sei mit hoher Wahrscheinlichkeit als Auslöser des radiologisch nachgewiesenen Bandscheibenvorfalls als Ursache festzustellen. Die unfallbedingte Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit betrage angesichts des erhobenen körperlichen Befunds (paravertrebral in Höhe der oberen LWS deutliche Verspannungen und rechtsseitige Myogelosen, Wirbelsäulenschmerz linksseitig lumbal auslösbar, Sensibilitätsstörungen im lateralen und dorsalen Wadenbereich, dorsalen Oberschenkelbereich und teilweise im Fußsohlenbereich) 10 %. Ferner legte die Klägerin einen Röntgenbefund vom 20. Juni 2002 vor.

Die Beklagte holte ein weiteres auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin beruhendes Gutachten des Neurochirurgen Prof. Dr. Z vom 13. März 2009 ein. Er hielt ein raumgreifendes und flüssiges Gangbild der Klägerin bei ansonsten unauffälligem Befund, Schmerzangaben bei den durchgeführten negativen Tests und eine Hypästhesie im Dermatom S1 links im Bereich des Unterschenkels und Fußes fest. Er ging davon aus, dass – bei einer vorbestehenden Bandscheibendegeneration - der Unfall als wesentliche Ursache zu einem lumbalen Schmerzsyndrom mit intermittierender Ischialgie und Sensibilitätsstörungen im Dermatom S1 mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 vom Hundert (vH) geführt habe. Die Beklagte ließ ihn unter dem 15. September 2009 ergänzend Stellung nehmen. Mit Widerspruchsbescheid vom 07. September 2010 erkannte die Beklagte eine unfallbedingte Heilbehandlungsbedürftigkeit bis zum 31. Dezember 2006 an und wies den gegen die Ablehnung einer Verletztenrente gerichteten Widerspruch als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 29. September 2010 vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie hat eine über den 31. Dezember 2006 fortbestehende unfallbedingte Heilbehandlungsbedürftigkeit, die Feststellung des Bandscheibenvorfalls L5/ S1 als Arbeitsunfallfolge und die Gewährung einer Rente nach einer MdE von mindesten 20 vH geltend gemacht.

Das SG hat Befundunterlagen der die Klägerin behandelnden Ärzte beigezogen, darunter ein MRT-Befund vom 09. Mai 2009, wonach eine deutliche Größenregredienz des Bandscheibenvorfalls L5/ S1 festzustellen sei. Der raumfordernde Effekt habe deutlich abgenommen, die Wurzel von S1 werde allenfalls noch tangiert, ebenso wie der Duralsack nur noch punktuell tangiert werde. Diskret zugenommen habe das Ausmaß der Osteochondrose in Höhe von L5/ S1. Bei L4/ L5 befinde sich eine Bandscheibenprotrusion ohne raumfordernden Aspekt. Das SG hat das auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin beruhende schriftliche Sachverständigengutachten des Unfallchirurgen und Orthopäden Dr. Hornung vom 16. April 2012 eingeholt. Dieser hat bei einem weitgehend unauffälligen Wirbelsäulenbefund lediglich mit leichtem Druckschmerz über der unteren LWS und der linken Kreuz-Darmbeinfuge bzw. über den Nervus ischiadicus links bis ins Gesäß ziehend einen Zustand nach lumbosakralen Bandscheibenvorfall L5/ S1, lumbales Radikulärsyndrom und Sensibilitätsstörungen im linken Bein diagnostiziert. Diese Diagnosen seien durch das Ereignis vom 15. September 2006 wesentlich mitverursacht, weil es prinzipiell geeignet gewesen sei, eine derartige Schädigung zu verursachen. Die Rückenschmerzen 1996 seien nicht als wesentlicher Vorschaden heranzuziehen. Es sei durchaus wahrscheinlich, dass bereits vor dem Unfall eine Bandscheibenvorwölbung oder sogar ein kleiner Bandscheibenvorfall bestanden hätten, da auch im Segment L4/ L5 bereits eine Bandscheibenvorwölbung bestanden und der Bandscheibenschaden im Segment L5/ S1 sicher stärker ausgeprägt einzuschätzen sei. Allerdings habe dieser Bandscheibenvorfall sicher nicht in der ausgewiesenen Größe mit deutlicher Beeinträchtigung der Nervenwurzel bestanden. Das Ereignis sei geeignet, eine radikuläre Symptomatik zu verursachen. In Übereinstimmung mit Dr. M und Prof. Dr. Z sei der Unfall wesentlich für die Nervenwurzelsymptomatik, sie sich in einer Sensibilitätsstörung am linken Fuß und Bein und im Sinne eines lumbalen Schmerzsyndroms äußere. Angesichts der geringen funktionellen Ausfälle bestehe mit 10 vH noch keine rentenberechtigende MdE. Das SG hat Dr. H unter dem 05. Oktober 2012 ergänzend Stellung nehmen lassen.

Das SG hat auf Antrag der Klägerin sodann das ebenfalls auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin beruhende schriftliche Sachverständigengutachten des Neurochirurgen und Physiologen Dr. S vom 26. September 2013 eingeholt. Im Befund hat Dr. S bei unauffälligem Gangbild, Fersen- und Hackengang eine Druckschmerzhaftigkeit paravertebral links- und rechtsseitig im Bereich der unteren LWS mit einem muskulärem Hartspann festgehalten. In der LWS sei ein Vor- und Zurückbeugen sowie die Seitneigung möglich. Der Fingerbodenabstand betrage 25 cm. Es bestehe einer Hypästhesie im dorso-lateralen linken Oberschenkel und des dorso-lateralen Unterschenkels links sowie der Fußaußenkante und der Fußsohle im Bereich des lateralen Randes und des Fußballens, ferner der Zehen I bis III. Ferner hat der Sachverständige eine Kreuzbandverletzung am linken Knie festgehalten, welche nach Angaben der Klägerin auf einem anerkannten Arbeitsunfall vom 27. August 2012 beruht. Er ist von einem durch den Unfall eingetretenen Bandscheibenvorfall ausgegangen und hat die hierauf entfallende Gesamt-MdE auf 25 vH eingeschätzt (20 vH wegen rezidivierender, belastungsabhängiger Schmerzeinschränkungen und Einschränkungen der Bewegungsfähigkeit und 10 vH wegen der Hypästhesie im Dermatom S1). Eine Vorschädigung sei in der Osteochondrose nicht zu erkennen, weil die Klägerin ja beschwerdefrei gewesen sei. Ebenso sei eine Schadensanlage auszuschließen.

Das SG hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. H vom 02. April 2014 eingeholt, wonach die Osteochondrosen, die sich bereits auf Röntgenaufnahmen aus dem Jahr 2002 andeuteten und welche sich aus den MRT-Aufnahmen 2006 ergäben, eine relevante Bandscheibendegeneration verkörperten. Sie seien nicht durch den Bandscheibenvorfall L5/ S1 bedingt. Dieses vorbestehende Verschleißleiden verursache ohne Zweifel einen Teil der heute bestehenden Beschwerden. Deshalb sei eine unfallbedingte MdE von 10 vH angemessen, zumal nach dem letzten MRT keine Wurzelkompression bestehe. Die sensiblen Störungen im Dermatom S1 ergäben bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt keine MdE, da nur ein Segment betroffen sei. Verletzungsrisiken im Arbeitsleben seien hieraus nicht abzuleiten.

Das SG hat nach persönlicher Anhörung der Klägerin mit Urteil vom 27. April 2016 die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 26. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. September 2010 verurteilt, die unfallbedingten Behandlungskosten der Klägerin insbesondere bezüglich des Bandscheibenvorfalls im Bereich L5/ S1 über den 31. Dezember 2006 hinausgehend zu tragen, festgestellt, dass der Bandscheibenvorfall L5/ S1 durch den Arbeitsunfall vom 15. September 2006 als wesentliche Ursache verursacht wurde, und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Die Beteiligten haben gegen das ihnen am 10. bzw. 13. Mai 2016 zugestellte Urteil am 30. Mai bzw. 03. Juni 2016 wechselseitig Berufung eingelegt.

Die Klägerin macht weiterhin eine Verletztenrente nach einer MdE von mindesten 20 vH geltend. Das SG habe die festgestellten Funktionseinschränkungen nicht hinreichend gewürdigt.

Die Klägerin beantragt ,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. April 2016 und des Bescheides der Beklagten vom 26. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. September 2010 zu verurteilen, ihr ab dem 15. September 2006 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vom Hundert zu gewähren, und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. April 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie ist der Meinung, dass die bei der Klägerin festgestellten Funktionseinschränkungen nicht mit einer MdE von mehr als 10 vH zu bewerten seien. Davon abgesehen könne der Bandscheibenvorfall keine Unfallfolge sein. Ein isolierter Bandscheibenvorfall könne nicht unfallbedingt auftreten, sondern nur auf einer überragenden Schadensanlage beruhen, die hier mit einer röntgenologisch als vorbestehend gesicherten Osteochondrose dokumentiert sei. Zur Untermauerung ihres Vorbringens legt die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Radiologen Prof. Dr. M vom 07. Juli 2016 vor, wonach sich aus der bildgebenden Diagnostik (Röntgenaufnahmen 2002 sowie Röntgen- und MRT-Aufnahmen kurz nach dem Unfall im September 2006) im Segment eine zunächst leichte Chondrose L5/ S1 mit zunehmender Höhenminderung, ferner im Segment L4/ L5 eine geringe Chondrose Grad 1 mit einer geringen dorsalen Bandscheibenprotrusion, aber keine Hinweise auf frische ossäre oder diskoligamentäre Traumafolgen abbildeten, womit sich keine Hinweise auf eine traumatische Genese des Prolaps im Segment L5/ S1 durch den Unfall vom 15. September 2006 ergäben.

Der Berichterstatter hat die Klägerin im Erörterungstermin vom 01. Juni 2017 noch einmal zum Unfallhergang befragt und sodann das auf einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 06. September 2017 beruhende schriftliche Sachverständigengutachten des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. S vom 08. September 2017 eingeholt. Dieser hat an der LWS zunächst einen unauffälligen Befund erhoben, sodann lediglich am Facettengelenk L5/ S1 und am Ligamentum interspinosum L5/ S1 einen Druckschmerz auslösen können. Bei der Rumpfvorneigung würden Schmerzen an der unteren LWS links angegeben. Der Finger-Boden-Abstand betrage 31 cm, die Retroflexion 10° ohne Schmerzangabe, die Seitneigung rechts/ links 30-0-30° ohne Schmerzangabe. Der Finger-Zehen-Abstand auf der Liege betrage 26 cm. Die Aufrichtung in den Langsitz gelinge zügig mit einer Abstützreaktion mit den Armen. Der Liegen-Jugulum-Abstand auf der Untersuchungsliege betrage 14 cm. Neurologisch finde sich eine Hypästhesie am Oberschenkel seitlich, am Unterschenkel seitlich, am Fuß seitlich und den Zehen 1 und 2 geringer als an den Zehen 3 bis 5 links, dem Dermatom S1 zuordenbar, sowie ein Ausfall des Achillessehnenreflexes. Ferner hat er einen Zustand nach vorderer Kreuzbandplastik links vom 15. Oktober 2012 mit diskreter Funktionseinschränkung für Beugung festgehalten. Der Unfall vom 15. September 2006 sei die wesentliche Ursache für den Bandscheibenvorfall L5/ S1 mit Nervenwurzelkompression. Von einem unfallbedingt hervorgerufenen Bandscheibenvorfall könne gesprochen werden, wenn durch das Ereignis eine Rissbildung im Bereich des Anulus fibroses hervorgerufen werde und im Anschluss eine schmerzhafte Funktionseinschränkung vorliege, ohne dass knöcherne oder ligamentäre Verletzungen erforderlich seien. Behandlungsbedürftigkeit bestehe nach wie vor. Die Funktionsbeeinträchtigungen seien mit einer MdE von 10 vH zu bewerten.

Die Beklagte ist den Zusammenhangserwägungen von Dr. S mit der beratungsärztlichen Stellungnahme des Unfallchirurgen Dr. L vom 02. Oktober 2017 entgegengetreten, wonach dahinstehen könne, ob von einem gesicherten Vorschaden auszugehen sei. Jedenfalls sei vorliegend ein unfallbedingter Gesundheitserstschaden zu keinem Zeitpunkt gesichert worden. Röntgenologisch und im MRT bildeten sich keinerlei Verletzungszeichen in der LWS ab. Es lägen weder Weichteil- noch knöcherne Ödeme vor. Eine unfallbedingte Schädigung des Anulus fibrosus sei im MRT nicht gesichert worden. Ein unfallbedingter Bandscheibenschaden im Bereich der LWS gehe nach der herrschenden unfallmedizinischen Lehrmeinung zwingend mit einer Verletzung vorgelagerter und benachbarter Strukturen einher. Die Bandscheiben seien nicht der Schutzwall der Wirbelsäule, sondern eine geschützte Struktur. Das Fehlen eines Gesundheitserstschadens werde im Übrigen dadurch bestätigt, dass die Klägerin als Krankenschwester weitergearbeitet habe und noch am gleichen Tag einen Wochenendurlaub angetreten habe, um sich erstmals zwei Tage später am Urlaubsort in ärztliche Behandlung zu begeben.

In seiner hierzu eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 27. Oktober 2017 ist Dr. S bei seinen Zusammenhangserwägungen geblieben und hat auf die Kriterien nach Lob 1973 verwiesen.

Auf Antrag der Klägerin ist das schriftliche Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr. T vom 28. Juli 2018 eingeholt worden, welchem am 22. Februar 2018 eine ambulante Untersuchung der Klägerin vorangegangen war. Dieser führt den Bandscheibenvorfall L5/ S1 auf den Unfall zurück und verweist hierfür neben der von ihm für geeignet gehaltenen biomechanischen Krafteinwirkung auf die radiologisch dargestellten Bandscheiben- und Wirbelsäulenveränderungen. Die Ablösung des dorsalen Longitudinalbandes vom Lendenwirbelkörper L4 bis in den Bereich der Kreuzbeinwinkels S2 könne sich durch eine Scher- und Rotationseinwirkung von Kraft bilden. Weiterhin fänden sich eine Flüssigkeitsansammlung im vorderen Teil der Grundplatte des Lendenwirbelkörpers L5 und eine Reihe von akuteren Reizzeichen im Spondyl- oder auch Facettengelenk L5/ S1 rechts. Es lägen Zeichen einer Anulus-Fibrosus-Ruptur vor, die durch eine überfordernde Krafteinwirkung hervorgerufen werde. Hier sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ein frischer Bandscheibenvorfall in Form einer Herniation durch den alten Bandscheibenvorfall hindurch durch den Unfall hervorgerufen worden sei. Im Befund hat Dr. T festgehalten: Gang etwas undynamisch ohne wesentlichen Armschwung, in der Gangbewegung klinische Zeichen von deutlicher Instabilität in der lumbo-abdominellen Abstützmuskulatur mit betontem Beckenvorschub im Beginn der Bewegung sowie mit ausgleichendem Schulterhochziehen sowie dann verstärkter Kopf-Hals-Vorhalte sowie dann zunehmender Betonung der Kyphose im cervikothorakalen Übergang, Gangbild ohne Hilfsmittel mit ganz dezent, mehr hörbar als sichtbar, links patschendem kürzerem Auftritt im Sinne von links sehr dezent entlastend, Zehenspitzen- und Hackengang rechts gut und links etwas zunehmend unsicher möglich, links kein Fersenstand und nur kurz Kniebeugestand, Zeichen nach Trendelenburg links angedeutet positiv möglich, Einnehmen einer Hockstellung möglich, Aufrichten aus der Hocke zwar ohne Abstützen, aber nur über das rechte Bein, für die lumbale Aufrichtung deutliches Abstützen der linken Hand am linken Oberschenkel, An-/ Auskleiden mit leichten Problemen möglich, auf das Ausziehen der Strümpfe wird aus Furcht vor einschießenden Beschwerden und Problemen beim Anziehen verzichtet, kein Klopfschmerz der Dornfortsätze der LWS, dezenter paravertebraler Druckschmerz sowie leichter muskulärer Hartspann über den Segmenten des thorakolumbalen Übergangs rechts und des lumbosakralen Übergangs links, kein Klopf-, aber Druckschmerz der Iliosakralfuge links, Ischias-Nervendehnungszeichen nach Lasegue links bei Beinanhebung von 35° positiv, "Beinanhebung bis 70 Grad (über 120 Grad) mit unangenehmen Beschwerden möglich – darüber nicht", in der Vorbeugebewegung im Rumpf Seitausweichbewegung nach rechts und auffällige Bewegungen im Becken, bei der Aufrichtbewegung im Rumpf noch deutlichere Seitausweichbewegung nach rechts und Aufstützen mit rechts auf rechtem Oberschenkel, Becken in Verwringungsposition, positives Vorlaufzeichen nach Sachse links in der Rumpfvorbeugetestung, positiver Druckschmerz initial in Iliospoasmuskulatur links mit Fortleitung sowie nach lumbal als auch - dezenter – in Oberschenkelinnenseite, Druckschmerz an Trochanterrückseite links mit Fortleitung in tiefe Gesäßmuskulatur/ Hüftrotatoren links, leichte Hüftgelenksbeweglichkeitseinschränkung links und Angabe von dezentem Bewegungsschmerz in linke Hüfte mit Fortleitung nach lumbosakral links und endgradig zunehmende muskuläre Hemmung, neurologisch radikulär bezogene Auffälligkeiten (Oberflächen- und Tiefensensibilitätsabschwächung links Unterschenkel-, Fußaußenseite bis Digiti pedis IV und V links auf grad 3/5, Tiefensensibilitätseinschränkungen in der Fußsohle mir deutlich erweiterter Diskriminierungsweite für stumpfe Reize und verzögerter oder fehlender Wahrnehmung für die Stellungswahrnehmung der Zehen IV und V links, Parästhesie im L5- und S1-dermatom links (Fußaußenrand bis Unterschenkelaußenseite sowie Ferse, aber auch Fußrücken bis mediale Unterschenkel-/ Schienbeinkante), in der Motorik Abschwächung der Aktivierbarkeit des Fußhebers bzw. Fußaußenrandanhebers auf Kraftgrad 5-/ 5 nach Janda (nicht im Einbeinstand ausreichend aktiviert), Fußheberschwächung links auch unter Einfluss muskulärer Verkettung bei Überaktivierung der Iliospsoasmuskulatur im Sinne eines Unteren Gekreuzten Syndroms nach JANDA, Fußaußenrandanhebung auch im Liegen im Seitenvergleich zu rechts deutlich verzögert und mit weniger Kraft gegen Widerstand). Die lumboischialgieformen Verletzungsfolgen seien einschließlich der Radikulärproblematik mit einer MdE von 25 vH zu bewerten. Die Einschränkung aufgrund der zusätzlich zu den für die Erkrankung üblichen Schmerzen hinzutretenden Schmerzen sei mit einer MdE von 10 vH einzuschätzen. Hinzukomme eine erschwerende besondere berufliche Betroffenheit, so dass eine Gesamt-MdE von 35 vH zu veranschlagen sei.

Die Beklagte hat eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. L vom 05. November 2018 vorgelegt. Danach seien die von Dr. S zugrunde gelegten Prüfkriterien veraltet. Dr. T Gutachten sei schon angesichts der zwischen der ambulanten Untersuchung der Klägerin und der Erstellung des Gutachtens verstrichenen Zeit kaum überzeugend. Seine fachfremde Deutung der bildgebenden Diagnostik überzeuge ebenfalls nicht. Weder der Orthopäde noch der Unfallchirurg könnten den Radiologen überstimmen. Die MdE-Einschätzung stehe jenseits der MdE-Erfahrungswerte. Für die besondere berufliche Betroffenheit sei der ärztliche Gutachter nicht zuständig.

Anschließend ist eine ergänzende Stellungnahme von Dr. S vom 21. Januar 2019 eingeholt worden. Er hat auf die Unterschiede in den erhobenen Befunden verwiesen, ferner darauf, dass die MdE-Einschätzung von Dr. T nicht auf die von ihm erhobenen Befunde gestützt werden könne und allem Anschein nach im Wesentlichen auf die Angaben der Klägerin gestützt sei.

Wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht festgestellt, dass der Bandscheibenvorfall L5/ S1 durch den Arbeitsunfall vom 15. September 2006 verursacht wurde (I.), und zu Unrecht der Klägerin die Behandlungskosten insbesondere bzgl. des Bandscheibenvorfalls über den 31. Dezember 2006 hinaus zugesprochen (II.). Dementsprechend hat die Klägerin keinen Anspruch auf Verletztenrente (III.). Vielmehr ist der Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. September 2010, soweit sich die Klägerin durch ihn beschwert fühlt, rechtlich nicht zu beanstanden

I. Die Klägerin hat zunächst keinen Anspruch auf die Feststellung, dass der Bandscheibenvorfall L5/ S1 Folge des Unfalls vom 15. September 2006 ist.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 29/07 R -, zitiert nach juris). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie "Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, a.a.O.). Ob der Gesundheitsschaden eines Versicherten durch einen Arbeitsunfall (wesentlich) verursacht wurde, entscheidet sich - bei Vorliegen einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne - danach, ob das Unfallereignis selbst - und nicht eine andere, unfallunabhängige Ursache - die wesentliche Bedingung für den Eintritt des Gesundheitsschadens war (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris).

Hieran gemessen bestehen keine Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalls einschließlich der oben angesprochenen haftungsbegründenden Kausalität. Die Klägerin zog sich am 15. September 2006 in Ausübung ihrer versicherten Beschäftigung als Krankenschwester (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) – dies erkannte die Beklagte mit dem Bescheid vom 26. Mai 2008 bindend an - eine traumatische Ischialgie links mit sensibler radikulärer Symptomatik im Segment L5/ S1 im Sinne einer vorübergehenden Verschlimmerung der unabhängig vom Arbeitsunfall bestehenden Bandscheibenveränderungen zu. Nicht durch den Unfall im Sinne eines Gesundheitserstschadens oder einer Arbeitsunfallfolge verursacht wurde hingegen der Bandscheibenvorfall L5/ S1. Entgegen dem Votum der Gerichtssachverständigen lässt sich ein Zusammenhang insofern nicht annehmen.

Der Gesetzgeber bringt mit der wiederholten Formulierung "infolge" – vgl. §§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII - das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Versicherungsfalls bzw. seiner Folgen mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob der Versicherungsfall wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Maßgebend ist, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (BSG, a.a.O., Rn. 17). Dies erfordert nicht, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG, a.a.O., Rn. 18). Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, a.a.O., Rn. 19). Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Versicherungsfall und den Krankheitsfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 20).

Hiervon ausgehend ist der Senat nicht im nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG erforderlichen Maße überzeugt, dass bei der Klägerin infolge des unstreitigen Arbeitsunfalls vom 15. September 2006 ein Bandscheibenvorfall eintrat bzw. ein solcher eine Unfallfolge ist. Ein solcher lässt sich auf den Unfall nicht zurückführen. Hierfür bezieht sich der Senat auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand über die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen einem Ereignis der hier angeschuldigten Art und des Eintritts von Bandscheibenverletzungen, wie er sich bei Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Kap. 8.3.1.7.1 (S. 459 ff.) abbildet. Danach entstehen Bandscheibenverletzungen unfallmäßig meist mit Wirbelkörperfrakturen. Die Bandscheibenbeteiligung ist eine häufige Begleitverletzung des Wirbelkörperbruchs. Ältere Lehrmeinungen über das Vorliegen isolierter traumatischer Bandscheibenvorfälle sind aufgrund moderner bildgebender Verfahren (CT, MRT) nicht zu halten. Als Unfallfolge erscheinen Bandscheibenvorfälle stets mit begleitenden (minimalen) knöchernen oder Bandverletzungen im betroffenen Segment. Bei den Bandscheiben handelt es sich um bradytrophe, spärlich versorgte Gewebe, mithin passiv tätige Organe, deren Funktion in einem gewissen Deformierungswiderstand gegen von außen kommende mechanische Belastungen besteht (vgl. Schönberger et al., a.a.O., Kap. 8.3.1.7.2). Neben der Analyse des Unfallereignisses unter biomechanischen Gesichtspunkten und einer zeitlichen Zuordnung von festgestellten strukturellen Veränderungen und Funktionseinschränkungen ist die Feststellung begleitender, wenn auch minimaler, knöcherner oder Bandverletzungen im – vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment – unerlässlich. Liegen derartige Begleitverletzungen nicht vor, kann ein Unfall einen Bandscheibenvorfall nur herbeiführen, wenn eine gravierende Schadensanlage vorliege, d.h. eine weit fortgeschrittene Zermürbung des Faserrings der Bandscheibe. Das Unfallereignis führt dann nur zu einem Zerreißen der letzten Fasern und zu einer Manifestation des Bandscheibenvorfalls. Da der unfallunabhängige Prozess, welcher primär zur fortgeschrittenen Zermürbung des Faserrings geführt hat, seinem Wesen nach fortschreitend ist, ist das Unfallereignis als Ursache des Bandscheibenvorfalls unwesentlich. In absehbarer Zeit wäre der Bandscheibenvorfall auch unter den Bedingungen des alltäglichen Lebens zu erwarten gewesen. So kommt es etwa bei Überstreckungen, Überbeugungen, Rotationen oder Kombinationsbewegungen erst zur Bandscheibenschädigung, wenn die ligamentären Strukturen oder die Wirbelgelenke beseitigt wurden (vgl. auch Thormann/ Schröter/ Grosser, Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 1. Aufl. 2009, Kap. 8.2.3, S. 79; Becher/ Ludolph, Grundlagen der ärztlichen Begutachtung, 1. Aufl. 2012, Kap. 8.2, S. 124; Meyer-Clement in: Der Unfallmann, 13. Aufl. 2013 unter Darlegung der Forschungsergebnisse).

Dies zugrunde gelegt lässt sich ein Zusammenhang zwischen dem angeschuldigten Ereignis und dem Bandscheibenvorfall – selbst im Sinne einer herabgesetzten Kausalitätsanforderung in Gestalt einer nur hinreichenden Wahrscheinlichkeit – nicht annehmen. Der Beratungsarzt Dr. L führt dementsprechend zu Recht aus, dass dahinstehen kann, ob von einem gesicherten Vorschaden auszugehen ist. Jedenfalls verweist er zutreffend darauf, dass vorliegend ein unfallbedingter Gesundheitserstschaden zu keinem Zeitpunkt gesichert wurde. Röntgenologisch und im MRT bildeten sich keinerlei Verletzungszeichen in der LWS ab. Es lagen in der Tat weder Weichteil- noch knöcherne Ödeme vor. Dies ergibt die radiologische Stellungnahme von Prof. Dr. M vom 07. Juli 2016, wonach sich aus der bildgebenden Diagnostik (Röntgenaufnahmen 2002 sowie Röntgen- und MRT-Aufnahmen kurz nach dem Unfall im September 2006) im Segment zwar zunächst eine Chondrose Grad 1 im Segment L5/ S1 mit zunehmender Höhenminderung, ferner im Segment L4/ L5 eine geringe Chondrose mit einer geringen dorsalen Bandscheibenprotrusion, aber keine Hinweise auf frische ossäre oder diskoligamentäre Traumafolgen abbildeten, womit sich keine Hinweise auf eine traumatische Genese des Prolaps im Segment L5/ S1 durch den Unfall vom 15. September 2006 ergaben. Dr. L weist weiterhin darauf hin, dass eine unfallbedingte Schädigung des Anulus fibrosus im MRT gerade nicht gesichert wurde. Prof. Dr. M konnte als Fachradiologe eine solche im Wege der Eigenbefundung nicht identifizieren. Dementsprechend steht die Einschätzung von Dr. L, dass ein unfallbedingter Bandscheibenschaden im Bereich der LWS zwingend mit einer Verletzung vorgelagerter und benachbarter Strukturen einhergeht und die Bandscheiben nicht der Schutzwall der Wirbelsäule, sondern eine geschützte Struktur sind, mit der herrschenden unfallmedizinischen Lehrmeinung konform. Das Fehlen eines Gesundheitserstschadens sieht Dr. L nachvollziehbar dadurch bestätigt, dass die Klägerin – trotz der von ihr beklagten Beschwerden - als Krankenschwester weiterarbeitete und noch am gleichen Tag einen Wochenendurlaub antrat, um sich erst zwei Tage später am Urlaubsort in ärztliche Behandlung zu begeben. Richtig führt Dr. L ferner aus, dass die von Dr. S zugrunde gelegten Prüfkriterien veraltet und aufgrund moderner, bildgebender Verfahren nicht zu halten sind. Hiervon ausgehend bleiben letztlich auch die Gerichtssachverständigen Dr. H und Dr. S in ihren schriftlichen Sachverständigengutachten vom 16. April 2012 bzw. 26. September 2013 schlüssige Zusammenhangserwägungen schuldig, soweit sie im Unfall den wesentlichen Grund für die Bandscheibenschädigung sehen.

Soweit von den gerichtlich bestellten Sachverständigen einzig Dr. T in seinem auf Antrag der Klägerin eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachten vom 28. Juli 2018 differenziertere Zusammenhangserwägungen anstellt, vermögen auch diese den Senat letztlich nicht zu überzeugen. Dr. T geht von einer unfallbedingten, frischen Herniation eines vorbestehenden Bandscheibenvorfalls und von der Prämisse aus, dass sich in den unmittelbar nach dem Unfall gefertigten MRT-Aufnahmen sowohl eine dorsale Ablösung des Longitudinalbandes vom Lendenwirbelkörper (LWK) L4 bis in den Bereich des Kreuzbeinwirbels S2 als auch eine Flüssigkeitsansammlung im vorderen Teil der Grundplatte des LWK 5 sowie eine Reihe akuterer Reizzeichen im Spondyl- oder auch Facettengelenk L5/ S1 rechts Ödem im Segment zeigten. Dies steht im Widerspruch zur Eigenbefundung der MRT-Aufnahmen durch Prof. Dr. M. Dieser hat als erfahrener und dem Senat als gerichtlich bestellter Sachverständiger aus einer Vielzahl von Berufungsstreitverfahren bekannter radiologischer Experte die von Dr. T ausgemachten Veränderungen schlichtweg nicht feststellen können, sondern vielmehr (frische) diskoligamentäre oder ossäre Veränderungen im Bereich der unteren LWS – und damit gerade auch eine Ablösung des Longitudinalbandes bzw. ein Ödem – der Sache nach ausschließen können. Davon abgesehen erläutert Dr. T auch nicht, inwiefern die Herniation im Wesentlichen auf das angeschuldigte Ereignis und eben nicht auf den auch von ihm als vorbestehend identifizierten älteren Bandscheibenvorfall zurückzuführen ist, zumal nach seinen Zusammenhangserwägungen der frische Anteil des Bandscheibenvorfalls ohne den alten Bandscheibenvorfall nicht denkbar ist. Außer Acht lässt er zudem, dass in den MRT-Aufnahmen der damals erst 37jährigen Klägerin sowohl ein altersvorauseilender LWS-Verschleiß im betroffenen Segment L5/ S1, den er ebenfalls als Chondrose Grad I bis II (= MODIC II°) beurteilt, als auch im Segment L4/ 5 ablesbar ist und damit deutliche Anhaltspunkte für eine vorbestehende Erkrankung bestehen, die sehr wohl als maßgeblicher Grund für den zu Tage getretenen Bandscheibenschaden in Betracht kommt. Hier lässt das schriftliche Sachverständigengutachten von Dr. T die erforderliche Gewichtung vermissen. Nichts anderes gilt für die von ihm befundete "Ablösung des Longitudinalbandes". So legt er selbst dar, dass das in den zeitnah nach dem Unfallereignis gefertigten Röntgen- und MRT-Aufnahmen dokumentierte Wirbelgleiten im betroffenen Segment L5/S1 (degenerative Pseudo-Spondylolisthesis MEYERDING I°) Zeichen der durch die Bandscheibendegeneration bedingten abnehmenden Spannung der Längsbänder und der dadurch verursachten – degenerativen - strukturellen Instabilität ist. Wenn jedoch die abnehmende Spannung und damit "Ablösung" der Längsbänder schon Ausdruck des vorbestehenden Degenerationsprozesses ist, fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung für eine wesentliche Verursachung durch das Unfallgeschehen.

II. Soweit mithin der Bandscheibenvorfall als versicherte Arbeitsunfallfolge ausscheidet, liegt auch nichts für einen Anspruch auf Übernahme etwaiger Heilbehandlungskosten ab dem 01. Januar 2007 vor. Nach §§ 26 Abs. 1, 27 ff. SGB VII wird Heilbehandlung nur erbracht, wenn die Versicherte infolge des Versicherungsfalls behandlungsbedürftig ist. Dies und die vorstehenden Zusammenhangskriterien zugrunde gelegt, ist nicht bewiesen, dass der Behandlungsbedarf ab 01. Januar 2007 auf unfallbedingte Funktionsbeeinträchtigungen beruht, wo sich doch nur gemäß der bindenden Anerkennung im Bescheid vom 26. Mai 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 07. September 2010 eine vorübergehende Verschlimmerung in Form einer Ischialgie links mit sensibler radikulärer Symptomatik im Segment L5/ S1 als Arbeitsunfallfolge verantwortlich machen lässt und Dr. S und die übrigen Gerichtssachverständigen unter der unzutreffenden Prämisse eines unfallbedingten Bandscheibenvorfalls von einem fortbestehenden Heilbehandlungsbedarf ausgegangen sind. Dessen ungeachtet ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, welche konkreten Heilbehandlungskosten die Klägerin wegen ihres Rückenleidens selbst tragen musste.

III. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verletztenrente. Die Voraussetzungen des hierfür als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 56 SGB VII liegen nicht vor. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 56 Abs. 1 S. 2 SGB VII besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert ist und die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen. Nach § 56 Abs. 1 S. 3 SGB VII sind die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vH mindern.

Diese Voraussetzungen sind letztlich insgesamt nicht gegeben. Zwar liegt ein Arbeitsunfall vor. Die bei der Klägerin festgestellten Funktionseinbußen und krankhaften Veränderungen "infolge" des Arbeitsunfalls begründen jedoch keine rentenberechtigende MdE - mangels Stützrententatbestands - von mindestens 20 vH. Es liegt nach den obigen Ausführungen nichts dafür vor, dass nach dem Ende der "anerkannten" Arbeitsunfähigkeit am 22. Oktober 2006 überhaupt noch auf den Unfall zurückzuführende Gesundheitsbeeinträchtigungen verobjektivierbar sind, wenn der Bandscheibenschaden eben gerade nicht als Arbeitsunfallfolge verantwortlich gemacht werden kann. Dessen ungeachtet geben die erhobenen Befunde, eine Unfallursächlichkeit des Bandscheibenschadens unterstellt, nichts für eine rentenberechtigende MdE her.

Soweit die haftungsausfüllende Kausalität unterstellt wird, gilt Folgendes: Nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Nach § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII werden bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R -, zitiert nach juris Rn. 12). Für eine Art "Risikozuschlag" oder "Gefährdungs-MdE" wegen der Prognoseunsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung der Krankheit ist in der auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten bezogenen MdE-Schätzung in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Raum, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. Allerdings ist eine schon bestehende Rückfallgefahr, die bereits vor dem Eintritt des eigentlichen Rückfalls die Erwerbsfähigkeit mindert, bei der Bemessung der gegenwärtigen MdE zu berücksichtigen (BSG a.a.O., Rn. 18).

Hieran gemessen liegt nichts für eine rentenberechtigende MdE aufgrund der unterstellten Unfallfolgen vor. Im Einklang mit den MdE-Werten geben die erhobenen Befunde für eine rentenberechtigende MdE von 20 vH oder mehr nichts her. Hierfür zu fordernde mittlere Leistungseinschränkungen, d.h. mittelgradige belastungsabhängige Beschwerden und deutliche Funktionseinschränkungen, die dauerhafte Zwangshaltungen im Sitzen oder Stehen bzw. ein mehr als gelegentliches Arbeiten in gebückter Haltung oder Handhaben schwerer Lasten ausschlössen (vgl. Schönberger et al., a.a.O. Kap. 8.3.5.6.7, S. 548), liegen zur Überzeugung des Senats nicht im hierfür zu fordernden Vollbeweis vor.

Sämtliche im vorliegenden Verfahren mit der Begutachtung der Klägerin beauftragte Ärzte, Dr. M (Verwaltungsgutachten vom Mai 2007), Prof. Dr. Z (Verwaltungsgutachten vom 13. März 2009), Dr. H (schriftliches Sachverständigengutachten vom 16. April 2012), Dr. S (schriftliches Sachverständigengutachten vom 26. September 2013), und Dr. S (schriftliches Sachverständigengutachten vom 08. September 2017), haben zunächst jeweils einen körperlichen Befund mit jeweils nur leichten Funktionseinschränkungen mit erhaltener Rumpfbeuge- und Seitneigungsfähigkeit sowie Druckschmerzen erhoben. Die Bewegungsabläufe, insbesondere das Gangbild zeigten sich weitgehend unauffällig. Endgradig traten Beschwerden und mitunter Bewegungsunsicherheiten auf. Die vorgenannten Ärzte haben – bis auf Dr. S in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 26. September 2013 - dementsprechend eine MdE von 20 vH noch nicht als erreicht angesehen. Dr. S hat in seinem von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Gutachten vom 18. Juni 2008 nur eine zehnprozentige Einschränkung gesehen.

Dr. S MdE-Einschätzung überzeugt nicht, weil die fehlende Schwere des von ihm erhobenen Befundes, der im Wesentlichen denjenigen von Dr. H und Dr. S entspricht, eine auf die Funktionsbeeinträchtigungen der LWS entfallende Einzel-MdE von 20 nicht trägt. Warum die vorliegende Hypästhesie allein schon eine Einzel-MdE von 10 mit sich bringen soll, wird nicht plausibilisiert. Er zieht zum Vergleich eine mit 0 bis 10 vH bewertete MdE bei Schädigung des N. cutaneus femoris lateralis heran, übersieht allerdings, dass die MdE-Erfahrungswerte sich auf einen vollständigen Ausfall des betroffenen Nervs beziehen und bereits Teillähmungen geringer zu bemessen sind (vgl. Schönberger et al., a.a.O. Kap. 5.6). Warum dann allein schon eine Hypästhesie (herabgesetzte Empfindlichkeit der Berührungs- und Drucksensibilität der Haut) bereits in der oberen Spanne der MdE-Erfahrungswerte liegen soll, erschließt sich so nicht.

Dr. T bleibt bei den von ihm am 22. Februar 2018 erhobenen, wohl etwas schwereren Befunden jegliche Ausführungen schuldig, die eine Befundverschlimmerung und damit höhere MdE-Bewertung etwa gegenüber den zuletzt von Dr. S – nicht einmal ein halbes Jahr zuvor am 06. September 2017 - erhobenen Befunden erklären könnte. Auch Dr. T stellt im Gangbild nur dezente Beeinträchtigungen fest. Ein nachvollziehbarer Abgleich mit den MdE-Erfahrungswerten unterbleibt. Das Schmerzgeschehen als unüblich und damit einer eigenen Einzel-MdE-Bewertung zugänglich zu erachten, überzeugt nicht, solange der Sachverständige nicht auf einen durch eine konsequente Schmerztherapie der Klägerin manifesten Leidensdruck zu verweisen vermag und eine fundierte Schmerzdiagnostik insbesondere mit einer Plausibilitätsprüfung durchführt. Zudem sich als ärztlicher Sachverständiger jenseits des Begutachtungsauftrags gar zur Annahme einer – nach Billigkeitsgesichtspunkten allein durch das Gericht zu beurteilenden - besonderen beruflichen Betroffenheit zu versteigen, setzt die Überzeugungskraft seines Gutachtens noch weiter herab, zumal der Sachverständige mit § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) einen falschen rechtlichen Maßstab bemüht. Die eine Höherbewertung der MdE rechtfertigenden Nachteile liegen im Rahmen des § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII im Übrigen nur dann vor, wenn unter Wahrung des in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde. Selbst wenn der Verletzte seinen erlernten Beruf in Folge des Versicherungsfalles nicht mehr ausüben kann, muss dies daher nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der MdE führen (vgl. BSG, Urteil vom 05. September 2006 – B 2 U 25/05 R –, zitiert nach juris Rn. 18). So liegt es hier. Abgesehen von der fehlenden Spezifität des beruflichen Werdegangs der Klägerin als Krankenschwester liegt nichts für einen ggf. nach Billigkeitsgesichtspunkten durch einen MdE-Zuschlag zu entschädigen sozialen Abstieg vor, zumal die Klägerin noch eine qualifizierte Tätigkeit in ihrer Berufsausbildung ausübt (Qualitätsmanagement, Wundmanagement, Beratung bzgl. Pflegegutachten, Weiterbildung der Pflegekräfte).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des gerichtlichen Verfahrens in der Sache selbst. Die Kostenentscheidungen der Beklagten in ihren Bescheiden vom 26. Mai 2008 und 07. September 2010 bleiben hiervon unberührt.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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