L 9 KR 202/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 96/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 202/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zwar ist das Urteil eines Sozialgerichts nicht mit Gründen versehen (§ 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG), wenn es 18 Monate nach Verkündung abgesetzt wird; die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an das Sozialgericht nach § 159 Abs. 1 SGG liegen damit aber nicht zwingend vor.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 7. Oktober 2015 aufgehoben. Die Klage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2012 wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens, abgesehen von den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass die Beigeladene zu 1. in ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin für die Klägerin in der Zeit ab dem 1. Januar 2011 der Versicherungspflicht in der Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung, der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Die Klägerin betreibt einen Fachbetrieb für die Planung, den Bau und die Wartung von Heizungs-, Sanitär-, und Klimaanlagen, Energieberatung sowie den Verkauf von Einbauküchen sowie Haus- und Gartengeräten. Der Betrieb wurde nach eigenen Angaben 1991 als Einzelfirma gegründet (https://www.h-h.de/).

Die Beigeladene zu 1. ist Diplom-Ingenieurin für Versorgungs- und Energietechnik. Mit Gesellschaftsvertrag vom 28. Dezember 1993 errichteten der Inhaber der Einzelfirma, Herr N H, seine Ehefrau A H sowie ihre beiden Töchter, die Beigeladene zu 1. und ihre Schwester J H als Gesellschafterinnen/Gesellschafter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Von dem Stammkapital i.H.v. 50.000 DM übernahm Herr N H eine Stammeinlage im Nennbetrag von 23.000 DM (= 46 vom Hundert), seine Ehefrau eine Stammeinlage im Nennbetrag von 2.500 DM, die Beigeladene zu 1. im Nennbetrag von 22.000 DM (= 44 vom Hundert) und ihre Schwester i.H.v. 2.500 DM (= 5 vom Hundert des Stammkapitals). Zum 1. Geschäftsführer wurde Herr N H bestellt.

Gemäß dem Gesellschaftsvertrag hat die Gesellschaft einen oder mehrere Geschäftsführer. Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt dieser die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinschaftlich oder durch einen Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten. Die Gesellschafterversammlung kann allen oder einzelnen Geschäftsführern die Befugnis zur alleinigen Vertretung der Gesellschaft erteilen und Geschäftsführer von den Beschränkungen des § 181 BGB befreien (§ 5 Gesellschaftsvertrag - GV). Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 1. Dezember 2010 bestellte die Gesellschafterversammlung die Beigeladene zu 1. ab dem 1. Januar 2011 zur Geschäftsführerin, sie war von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit und erhielt ab dem 1. Januar 2011 eine betriebliche Altersvorsorge in Form einer Direktversicherung. Beide Geschäftsführer handelten gemäß dem Beschluss gegenüber Dritten in Einzelvertretung (so auch Anmeldung der Geschäftsführerbestellung zum Handelsregister). Die Bestellung zur Geschäftsführerin wurde für die Beigeladene zu 1. am 14. Februar 2011 in das Handelsregister eingetragen.

Die Mitgesellschafterin J H verkaufte ihren Gesellschaftsanteil i.H.v. 5 vom Hundert an die Beigeladene zu 1. und trat ihn ab, die Gesellschaft und die übrigen Gesellschafter stimmten der Übertragung zu (Geschäftsanteilskauf- und -abtretungsvertrag vom 13. Dezember 2010, Notarieller Kauf- und Abtretungsvertrag vom 25. Januar 2011). Der Gesellschaftsanteil der Beigeladenen zu 1. erhöhte sich dadurch auf 49 vom Hundert.

Mit Anstellungsvertrag für Gesellschafter-Geschäftsführer vom 13. Dezember 2011 betraute die Klägerin die Beigeladene zu 1. mit den Aufgaben einer Geschäftsführerin der Gesellschaft, sie sollte auch die klägerische Gesellschaft alleine vertreten (§ 1 Abs. 1 und 2 des Anstellungsvertrags - AV).

Der AV bestimmte u.a.:

"Die Gesellschafter verzichten auf ihr Recht, der Geschäftsführerin Weisungen zu erteilen und sich in die laufende Geschäftsführung einzuschalten. Unabhängig hiervon verpflichtet sich die Geschäftsführerin, bei all ihren Tätigkeiten die Sorgfalt einer ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsfrau zu beachten." (§ 1 Abs. 3 AV)

§ 1 Abs. 6 und Abs. 7 des AV bestimmten: "Die Geschäftsführerin haftet der Gesellschaft und den Gesellschaftern nur für eine vorsätzliche Schädigung der Gesellschaft. An bestimmte Dienstzeiten ist die Geschäftsführerin nicht gebunden. Die Geschäftsführerin ist jedoch verpflichtet, der Gesellschaft, soweit erforderlich, jederzeit zur Verfügung zu stehen."

Gemäß § 2 AV wurde der Geschäftsführervertrag auf unbestimmte Dauer geschlossen. Bis zum 30. Juni 2011 konnte der Vertrag nur aus wichtigem Grund gekündigt werden, danach konnte jede Vertragspartei den Vertrag mit 6-monatiger Frist zum Ende eines Kalenderjahres kündigen. Die Geschäftsführerin konnte nur aus wichtigem Grund abberufen werden. Mit der Abberufung war gleichzeitig die Kündigung des Anstellungsvertrages ausgesprochen. Wurde jedoch rechtskräftig festgestellt, dass die Abberufung wirksam war, so war ab Rechtskraft des die Abberufung feststellenden Urteils auch der Anstellungsvertrag beendet; im Übrigen endete der Anstellungsvertrag mit Erreichung des 67. Lebensjahres der Geschäftsführerin (§ 2 Abs. 1 und 2, Abs. 4 und Abs. 5 AV).

Der Vertrag bestimmte in § 3 - § 6:

"§ 3 Bezüge(1) Als Vergütung erhält die Geschäftsführerin monatlich 1.500 EUR Gehalt. (2) Die Gesellschaft übernimmt 50 % der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Geschäftsführerin. (3) Die Geschäftsführerin erhält außerdem eine Gewinntantieme i.H.v. 25 % des in dem vor Steuern handelsrechtlichen Jahresabschluss ausgewiesenen Gewinnes. Die Tantieme darf 25 % der Gesamtbezüge der Geschäftsführerin nicht übersteigen. (4) Bei Arbeitsunfähigkeit (Krankheit, Unfall) erhält die Geschäftsführerin für die Dauer von 12 Monaten die Bezüge nebst Nebenleistung weiter vergütet. (5) Mit Wirkung vom 1. Januar 2011 erhält die Geschäftsführerin eine betriebliche Altersvorsorge.

§ 4 Nebenleistungen Die Geschäftsführerin hat Anspruch auf 30 Urlaubstage, die sie in Abstimmung mit der Gesellschafterversammlung zu nehmen hat.

§ 5 Aufwendungsersatz Die Geschäftsführerin erhält von der Gesellschaft Aufwendungen und Spesen gegen Belegnachweis und/oder im Rahmen der steuerlich zulässigen Pauschsätze ersetzt.

§ 6 Schlussbestimmungen (1) Mündliche Nebenabreden werden nicht getroffen. Vertragsänderungen und/oder Vertragsergänzungen sind nur für die Zukunft zulässig und nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart werden.

(2) Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages unwirksam sein oder werden, so berührt dies die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen nicht. Anstelle der unwirksamen Bestimmungen ist eine Regelung zu vereinbaren, die dem wirtschaftlichen Gehalt der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt.

(3) Ergänzend gelten die Bestimmungen der Satzung und des GmbH-Gesetzes, sofern dieser Vertrag hiervon nicht abweicht.

(4) Für alle Rechtsstreitigkeiten aus diesem Vertrag ist das Landgericht Luckenwalde zuständig."

Die Beigeladene zu 1. beantragte bei der Beklagten die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung entsprechend dem Vordruck zur Prüfung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Angehörigen für ihre ab dem 1. Januar 2011 ausgeübte Geschäftsführertätigkeit. Einem Beginn der Versicherungspflicht mit Bekanntgabe des Bescheides über die Feststellung stimmte sie nicht zu.

Nach Anhörung der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. stellte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juli 2011 fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. als Gesellschafter-Geschäftsführerin für die Klägerin ab dem 1. Januar 2011 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung, einschließlich des Rechts der Arbeitsförderung ab diesem Zeitpunkt bestehe.

Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2012 zurück. Bei dem Geschäftsführer, der am Kapital der Gesellschaft nicht zur Hälfte beteiligt sei, liege entsprechend dem Bundessozialgericht in der Regel ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vor. Zur Beschlussfassung in der klägerischen Gesellschafterversammlung sei eine einfache Mehrheit erforderlich, die Stimmrechte richteten sich nach der Höhe der gehaltenen Geschäftsanteile. Ein maßgeblicher Einfluss seitens der Beigeladenen zu 1. auf die Geschicke der Gesellschaft könne somit aus ihrem Anteil am Stammkapital der Gesellschaft nicht abgeleitet werden. Die Gesellschafter hätten jederzeit die Rechtsmacht, ihr allgemeine oder für den Einzelfall geltende Weisungen zu erteilen. Die Abberufung als Geschäftsführerin sei trotz der Regelungen in § 2 Abs. 4 des AV möglich, da die gesellschaftsrechtliche Regelung Vorrang vor der schuldrechtlichen Vereinbarung habe. Aufgrund ihres Kapitalanteils von nur 49 vom Hundert habe die Beigeladene zu 1. keine Möglichkeit, ihr nicht genehme Beschlüsse und somit Weisungen an sich zu verhindern. Dass die Gesellschafterversammlung im Alltag von ihrem Weisungsrecht keinen Gebrauch mache, sei bei erhaltener Rechtsmacht unerheblich. Aus ihrem Kapitalanteil und der entsprechenden Beteiligung an Gewinn und Verlust resultierten weder größere Chancen und Risiken noch Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung der eigenen Tätigkeit und die Geschicke der Gesellschaft. Die Klägerin hat gegen den Widerspruchsbescheid am 19. März 2012 Klage zum Sozialgericht Potsdam erhoben, in welcher sie ausgeführt hat, dass trotz einer Beteiligung der Beigeladenen zu 1. von weniger als der Hälfte am Kapital der Gesellschaft zu berücksichtigen sei, dass keiner der Gesellschafter aus der Gesellschafterstellung heraus alleine die Möglichkeit habe, die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen und die Beigeladene zu 1. die Geschäfte gleich einer Eigentümerin führe, insbesondere alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffe.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 7. Oktober 2015 hat die Beigeladene zu 1. ausgeführt, die Geschäftsführung gemeinsam mit ihrem Vater auszuüben, der sich insgesamt aus dem Unternehmen zurückziehen wolle. Sie habe die gesamte Bürotätigkeit zu verantworten, während ihr Vater die Montagetätigkeiten verrichte. Sie übernehme die gesamte Planung von Aufträgen, dies beinhalte insbesondere auch die Heizberechnungen, Rohrnetzberechnung etc. Ihr überwiegender Anteil an der Unternehmensführung ergebe sich daraus, dass heutzutage eine höhere Beratungsleistung abgefordert werde, die allein sie erbringe. Ihre monatliche Vergütung sei seit 2011 auf 2.500 Euro gestiegen. Auch im Falle eines Auftrages, z.B. in 7-stelliger Höhe, würde sie die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung treffen. Natürlich gebe es eine Besprechung mit dem Vater. Die wichtigen Entscheidungen würden immer im Büro getroffen, nicht auf der Baustelle, die Letztentscheidung liege deshalb bei ihr, weil sie die fachliche Kompetenz und die kaufmännische Verantwortung habe. So sei vor kurzem ein Auftrag aus Gründen kalkulatorischer Risiken gegen den Willen ihres Vaters von ihr abgelehnt und anschließend auch nicht durchgeführt worden. Gewinnausschüttungen gebe es schon seit Jahren nicht mehr. Auf die ausgezahlten Gehälter würden Lohnsteuern entrichtet. Die an sie gerichteten Zahlungen würden als Betriebsausgaben gebucht.

Mit Urteil vom 7. Oktober 2015 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben. Es hat festgestellt, dass die Beigeladene zu 1. in ihrer Tätigkeit für die Klägerin nicht der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege. Die Entscheidung der Beklagten stütze sich letztlich ausschließlich auf den Umstand, dass die Beigeladene zu 1. lediglich 49 vom Hundert der Geschäftsanteile auf sich vereinige. Dies halte die Kammer deswegen nicht für ausreichend, weil es den Umstand übersehe, dass sie damit von allen Gesellschaftern immer noch die meisten Geschäftsanteile halte. In diesem Sinne sei sie zwar keine Mehrheitsgesellschafterin, aber Hauptgesellschafterin. Ihrer Ausbildung mit entsprechendem Fachwissen trage die Klägerin dadurch Rechnung, dass sie der Beigeladenen zu 1. im Anstellungsvertrag völlige Weisungsfreiheit zugesichert habe, indem sie in § 1 Abs. 3 des Vertrages auf das Recht verzichtet habe, Weisungen zu erteilen. Ohne Ansehung der Rechtsgültigkeit einer solchen Vereinbarung komme darin jedenfalls zum Ausdruck, dass nach dem Willen der Gesellschafterversammlung die Geschicke der Klägerin ausschließlich durch die Beigeladene zu 1. bestimmt werden sollten. Maßgeblich sei, dass letztlich keiner der Gesellschafter über 50 vom Hundert der Gesellschaftsanteile verfüge und somit keiner nach der von der Beklagten vertretenen Auffassung selbständiger Unternehmer sein könne. Das stehe im Widerspruch zu den (tatsächlichen) Verhältnissen in der Gesellschaft. Ursprünglicher Geschäftsführer sei der Vater der Beigeladenen zu 1. mit einem Geschäftsanteil von 44 vom Hundert gewesen. Die Gesellschaft sei ursprünglich von vier Gesellschaftern errichtet worden, von denen die Beigeladene zu 1. und ihr Vater jeweils Anteile von 44 vom Hundert gehalten hätten. Daraus sei zu entnehmen, dass die übrigen zwei Familienmitglieder mit deutlich geringeren Geschäftsanteilen und mangels Fach- und Branchenkenntnissen in die Geschicke der Gesellschaft nicht hätten eingreifen sollen. Mit der Übernahme weiterer Geschäftsanteile durch die Beigeladene zu 1. sei eine deutliche Verlagerung des Einflusses auf diese erfolgt. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei darin die Übergabe des Unternehmens vom Vater auf die Tochter zu sehen. Der Beigeladenen zu 1. werde damit zugestanden, die höchsten Gesellschaftsanteile zu halten, bis eine Unternehmensstruktur erkennbar sei, die sie als die allein maßgebliche Gesellschafterin anerkennen solle. Diese ganz besonderen Umstände des Einzelfalles habe die Beklagte in ihrer Entscheidung nicht ausreichend gewürdigt. Demgegenüber träten Aspekte, die für eine Arbeitnehmereigenschaft sprechen, wie der Anspruch auf Urlaub, klar zurück.

Gegen das ihr am 24. April 2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4. Mai 2017 Berufung eingelegt. Das BSG habe, beginnend mit den Entscheidungen vom 19. Juli 2015, 19. August 2015 und 11. November 2015, nochmals die Bedeutung der gesellschaftsvertraglichen Rechtsmacht betont. Gleichzeitig habe es die sogenannte "Kopf und Seele-Rechtsprechung" aufgegeben. Außerdem habe es ausgeführt, dass auch familiäre Rücksichtnahmen nicht zu einem sozialversicherungsrechtlich anzuerkennenden besonderen Status führten (Entscheidung vom 19. August 2015 - B 12 KR 9/14 R). Schließlich habe das BSG in den jüngeren Entscheidungen eine Rechtsmachtverschiebung aufgrund von Stimmbindungsvereinbarungen verneint. Insoweit werde die erforderliche Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände betont. Die vom Sozialgericht als ganz besonders bezeichneten Umstände des Einzelfalles einer Übergabe auf die nächste Generation und der Stellung der Beigeladenen zu 1. als Hauptgesellschafterin seien häufig anzutreffen und nicht geeignet, die Rechtsmacht infrage zu stellen. Schließlich beantrage die Beklagte zu klären, ob in der sozialgerichtlichen Entscheidung ein Verstoß gegen § 202 S. 1 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO (absoluter Revisionsgrund) vorliege, weil die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei. Dies sei anzunehmen, wenn das Urteil mit den Entscheidungsgründen nicht binnen fünf Monaten nach der Beratung unterschrieben und der Geschäftsstelle zur Zustellung übergeben worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 7. Oktober 2015 aufzuheben und die Klage der Klägerin gegen den Bescheid vom 8. Juli 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2012 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die von der Beklagten in Bezug genommene jüngere BSG-Rechtsprechung zur Maßgeblichkeit der Ausgestaltung der GmbH könne nur auf Verhältnisse angewandt werden, die bei der rechtlichen Gestaltung diese Rechtsprechung hätten berücksichtigen können. Das Sozialgericht habe zutreffend berücksichtigt, dass die Beigeladene zu 1. die einzige in der GmbH sei, die alle zur Führung des Unternehmens erforderlichen Qualifikationen auf sich vereinige. Dazu gehörten die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle wie auch das technische und kaufmännische Wissen. Außerdem könne die schuldrechtliche Regelung des § 1 Abs. 3 des AV, welche die Weisungsfreiheit begründe, nur theoretisch, aber nicht praktisch geändert werden.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Am 19. April 2018 hat ein Termin zur Erörterung mit den Beteiligten stattgefunden.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgericht Potsdam vom 7. Oktober 2015 ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben.

I. Die Klage der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2012 festgestellt, dass die Beigeladene zu 1. in ihrer seit dem 1. Januar 2011 ausgeübten Geschäftsführertätigkeit für die Klägerin der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung einschließlich des Rechts der Arbeitsförderung unterliegt.

1. Rechtsgrundlage für die erfolgte Feststellung der Beklagten ist § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV können die Beteiligten schriftlich oder elektronisch eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet; die Beklagte entscheidet auf Grund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles (§ 7a Abs. 1 Satz 3, § 7a Abs. 2 SGB IV). Die Beigeladene zu 1. hat einen Antrag bei der Beklagten gestellt, darüber zu entscheiden, ob ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin der Klägerin ab dem 1. Januar 2011 als Beschäftigung der Sozialversicherungspflicht unterliegt.

2. Die inhaltlichen Voraussetzungen für Feststellung der Beklagten lagen vor. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI), der gesetzlichen Krankenversicherung und Sozialen Pflegeversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V -, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI) und nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 25 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III).

a. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach Satz 2 dieser Vorschrift eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Eine Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Diese Maßstäbe gelten auch für Geschäftsführer einer GmbH, ungeachtet der konkreten Bezeichnung des der Geschäftsführertätigkeit zugrunde liegenden Vertrags. Die seit dem 1. April 2017 in § 611a BGB erstmals aufgenommene gesetzliche Definition des Arbeitsvertrags ist für den Begriff der Beschäftigung dagegen nicht maßgeblich. Dies ergibt sich bereits aus der Gesetzesbegründung zu § 611a BGB: "Soweit andere Rechtsvorschriften eine abweichende Definition des Arbeitnehmers, des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses vorsehen, um einen engeren oder weiteren Geltungsbereich dieser Rechtsvorschriften festzulegen, bleiben diese unberührt." (BT-Drs. 18/9232 S. 31 - Zu Artikel 2).

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung, welches sich nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine "Beschäftigung" vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine (formlose) Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts seit dem Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, sowie des Senats, vgl. Urteil vom 14. Juni 2017, L 9 KR 354/13, jeweils bei juris).

Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist in Fällen wie dem vorliegenden vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Dazu haben Verwaltung und Gerichte zunächst deren Inhalt konkret festzustellen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Diese sind ebenfalls nur maßgeblich, soweit sie rechtlich zulässig sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen und auszuschließen, dass es sich hierbei um einen "Etikettenschwindel" handelt, der u.U. als Scheingeschäft i.S.d. § 117 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Nichtigkeit dieser Vereinbarungen und der Notwendigkeit führen kann, ggf. den Inhalt eines hierdurch verdeckten Rechtsgeschäfts festzustellen. Erst auf Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (Bundessozialgericht, Urteil vom 29. Juli 2015, B 12 KR 23/13 R , juris).

b. Hieran gemessen ist die Beklagte zu Recht von einer Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin ausgegangen. Der zwischen der Beigeladenen zu 1. und der Klägerin für die streitige Zeit geschlossene "Anstellungsvertrag für Gesellschafter-Geschäftsführer" (AV) vom 13. Dezember 2010 lässt zwar erkennen, dass die Vertragsparteien ein Beschäftigungsverhältnis nicht begründen wollten. Für diesen Willen sprechen die Bestimmung der Aufgaben und Pflichten der Beigeladenen zu 1. als Geschäftsführerin. So ist der in § 1 Abs. 3 des AV vorgesehene Verzicht der Gesellschafter, der Geschäftsführerin Weisungen zu erteilen und sich in die Geschäftsführung einzuschalten genauso Ausdruck dieses Willens wie die Regelung in § 1 Abs. 7 Satz 1 des AV, wonach die Geschäftsführerin an bestimmte Dienstzeiten nicht gebunden sein soll. Die übrigen vertraglichen, die Arbeit der Geschäftsführerin bestimmenden Regelungen, sind für ein Beschäftigungsverhältnis aber ihrem objektiven Gehalt nach typisch, so dass es auf den Parteiwillen nicht maßgeblich ankommt. Auch sprechen die weiteren Umstände der Tätigkeit dafür, dass die Beigeladene zu 1. als Geschäftsführerin der Klägerin weisungsgebunden arbeitet und in die Struktur eines fremden, dagegen nicht ihres eigenen Unternehmens, eingegliedert ist. Der insoweit von der Klägerseite in Anspruch genommene Betriebsübergang vom Vater auf die Tochter hat rechtlich (noch) nicht stattgefunden. aa. Typisches Element des Beschäftigungsverhältnisses ist die im Vertrag vereinbarte feste monatliche Vergütung (§ 3 Abs. 1 AV). Dabei ist unschädlich, dass die Vergütung selbst mit 1.500 Euro zunächst in Anbetracht der verantwortungsvollen Tätigkeit eher gering bemessen war und in ihrer Höhe erkennbar auf die Ergänzung durch Gewinntantieme nach § 1 Abs. 3 AV angelegt. Zum einen ist es auch bei abhängig Beschäftigten nicht unüblich, einen Grund- oder Sockellohn zu vereinbaren, der auf Aufstockung durch erfolgsorientierte weitere Vergütungsanteile angelegt ist (z.B. Stück- oder Akkordlohn). Zum anderen hat sich die monatliche Vergütung der Beigeladenen zu 1. nach 2011 zwischenzeitlich auf 2.500 Euro erhöht (so die Angabe der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht, bestätigt im Erörterungstermin vor dem LSG). Typisch für ein Beschäftigungsverhältnis ist die Beschränkung der Haftung der Beigeladenen zu 1. im Fall der Schädigung der Gesellschaft im Innenverhältnis zur Klägerin auf Vorsatz. Sie entspricht im Kern den Grundsätzen, die das Bundesarbeitsgericht (BAG) zur Haftungsbegrenzung bei Arbeitnehmern im Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber entwickelt hat und stellt die Beigeladene zu 1. sogar noch besser. Nach diesen richterrechtlichen Grundsätzen ist bei normaler Fahrlässigkeit der Schaden im Innenverhältnis zu teilen, bei grober Fahrlässigkeit (und Vorsatz) hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen (BAG, Urteil vom 15. November 2012 - 8 AZR 705/11 -, Rn. 25, juris). Die Klägerin behielt sich demgegenüber nach § 1 Abs. 6 AV des Vertrags gegenüber der Beigeladenen zu 1. vor, diese sogar nur bei Vorsatz in Regress zu nehmen, dagegen nicht für grobe Fahrlässigkeit. Arbeitsvertragstypisch erhielt die Beigeladene zu 1. von der Klägerin einen Zuschuss in Höhe von 50 vom Hundert ihrer Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Die Regelung entspricht § 257 SGB V und § 61 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), wonach Arbeitgeber für freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versicherte Beschäftigte, die nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei sind, einen Beitragszuschuss zu diesen Versicherungsbeiträgen zahlen. Die Beigeladene zu 1. hatte darüber hinaus einen Anspruch auf Weiterzahlung ihrer Vergütung im Falle von Krankheit und Unfall für die Dauer 12 Monaten und damit in einem Umfang, der denjenigen nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (§ 3 EntgFG - sechs Wochen) sogar übersteigt sowie arbeitnehmertypisch einen jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Tagen sowie Anspruch auf eine betriebliche Altersvorsorge (§§ 3 Abs. 4 und 5, § 4 AV). Ferner erhielt sie von der Gesellschaft Aufwendungen und Spesen im Rahmen der steuerlich zulässigen Pauschsätze ersetzt (§ 5 AV).

bb. Die Beigeladene zu 1. war weisungsabhängig und in ein fremdes und nicht ihr eigenes Unternehmen eingegliedert, da sie weder die Geschicke der Klägerin lenken konnte noch in der Lage war, zumindest unliebsame Weisungen für ihre Geschäftsführertätigkeit abzuwehren. Zwar ist für den Geschäftsführer, einen Dienst höherer Art, das Weisungsrecht typischerweise eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert, aber nicht ausgeschlossen. Geschäftsführer unterliegen den Weisungen der Gesellschafterversammlung. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des § 37 Abs. 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG). Das Weisungsrecht nach § 37 GmbHG kann sich auf einzelne Geschäftsführerentscheidungen beziehen und zwar sowohl negativ-verbietend als auch positiv-gebietend oder aber allgemeine Ge- bzw. Verbote enthalten (vgl. Henssler/Strohn/Oetker GesR § 37 GmbHG Rn. 11; Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck GmbHG 20. Aufl. § 37 Rn. 20). Es ist erst dort begrenzt, wo die Geschäftsführer die im Allgemein- und Gläubigerinteresse bestehenden Gesetzespflichten zu erfüllen haben (ArbG Stuttgart, Urteil vom 21. Dezember 2016 - 26 Ca 735/16 -, Rn. 151, juris). Die Beigeladene zu 1. ist als Gesellschafter-Geschäftsführerin nicht per se bereits kraft ihrer Kapitalbeteiligung selbständig, weil in ihrem eigenen Unternehmen tätig. Allgemein gilt für (Gesellschafter-)Geschäftsführer: Ein Fremdgeschäftsführer, der keine Kapitalanteile hält, kann nicht selbständig sein. Das gilt auch, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn die Gesellschafter daran hinderten. Ist der GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einfluss ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. Er muss über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 vom Hundert der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist Selbständiger, wenn er entweder exakt 50 vom Hundert der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Denn der selbständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss eine solche Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine "unechte", auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln (BSG, Urteil vom 14. März 2018 - B 12 KR 13/17 R -, BSGE 125, 183-189, Rn. 20/21). Die erforderliche Rechtsmacht muss gesellschaftsrechtlich im Gesellschaftsvertrag (Satzung) eingeräumt sein. Eine Rechtsmacht oder ein Vetorecht, die außerhalb des Gesellschaftsvertrags verankert sind, oder bloße wirtschaftliche Verflechtungen reichen nicht aus, denn sie vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben (BSG, aaO, Rn. 22).

Gemessen daran kann die Beigeladene zu 1. nicht selbständig sein, da sie weder über einen Kapitalanteil von mindestens 50 vom Hundert verfügt noch ihr gesellschaftsvertragliche Vetorechte eingeräumt sind. Da der Gesellschaftsvertrag keine explizite Regelung traf, bedurften Beschlüsse der Gesellschafterversammlung grundsätzlich der einfachen Mehrheit (der abgegebenen Stimmen, § 47 Abs. 1 GmbHG). Konnte die Beigeladene zu 1. mit ihrem Gesellschaftsanteil von unter 50 v.H. bereits keine Mehrheitsentscheidung herbeiführen, hatte sie auch keine gesellschaftsrechtlich wirkende Sperrminorität, die es ihr erlaubt hätte, zumindest ihr nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie nach dem Gesellschaftsvertrag für ihren Kapitalanteil eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt erhalten hätte (BSG, Urteil vom 14. März 2018 - B 12 KR 13/17 R -, Rn. 21). Das war aber nicht der Fall, denn der Gesellschaftsvertrag knüpfte an ihren Kapitalanteil von 49 % keine Sperrminorität. Daher ist es auch ohne Relevanz, dass sie den größten Gesellschaftsanteil der drei Gesellschafter/Gesellschafterinnen hielt. Ebenfalls ohne Bedeutung ist der klägerische Einwand, dass bei einer GmbH, bestehend aus drei Minderheitsgesellschaftern, u.U. keine natürliche Person die notwendige Rechtsmacht besitzt, um Arbeit- und Weisungsgeber i.S. von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV zu sein. Dies ist in einem solchen Fall nur die juristische Person selbst.

Es kommt nicht darauf an, inwieweit die Beigeladene zu 1. schuldrechtlich von Weisungen der übrigen Gesellschafter hinsichtlich ihrer Tätigkeit freigestellt wurde. Zwar haben die übrigen Gesellschafter in § 1 Abs. 3 des AV ausdrücklich auf ihr Recht verzichtet, der Beigeladenen zu 1. Weisungen zu erteilen und sich in die laufende Geschäftsführung einzuschalten. Auch kann davon ausgegangen werden, dass dies praktisch auch nicht erfolgt. Allerdings ist diese Selbstbeschränkung der Gesellschaft und ihrer Gesellschafterversammlung, wie der gesamte AV, einseitig kündbar und gerade nicht im Gesellschaftsvertrag verankert. Bereits wegen dieser einseitigen Kündigungsmöglichkeit kann sich diese arbeitsvertragliche Regelung nicht gegen Mehrheitsbeschlüsse der Gesellschafterversammlung durchsetzen und genügt nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände (BSG, Urteil vom 14. März 2018 - B 12 KR 13/17 R -, BSGE 125, 183-189, Rn. 22, juris). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gesellschafterversammlung das AV tatsächlich kündigte. Im Interesse sowohl der Versicherten als auch der Versicherungsträger ist die Frage der (fehlenden) Versicherungspflicht wegen Selbständigkeit oder abhängiger Beschäftigung schon zu Beginn der Tätigkeit zu klären, weil es darauf nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern auch für die Leistungspflichten der Sozialversicherungsträger und die Leistungsansprüche des Betroffenen ankommt (BSG, aaO, Rn. 22).

Nicht entscheidend ist, ob die Beigeladene zu 1. allein über ein überlegenes Sachwissen in technisch-fachlicher und kaufmännischer Hinsicht verfügt. Die früher teilweise vom BSG vertretene sog "Kopf und Seele"-Rechtsprechung, wonach ein Geschäftsführer, z.B. einer Familiengesellschaft, ausnahmsweise als selbständig angesehen worden ist, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt hat, ohne dass ihn die Gesellschafter daran hinderten, hat das BSG ausdrücklich aufgegeben (BSG, Urteil vom 14. März 2018 - B 12 KR 13/17 R, Rn. 20). Daher ist auch unbeachtlich, ob die Beigeladene zu 1. den Betrieb faktisch führt und dessen "Kopf-und-Seele" ist. Eine Rechtsmacht ist so lange beachtlich, wie sie nicht durch förmliche Beendigung oder entsprechenden Verzicht aufgehoben ist. Entscheidend ist, dass sie sich im Konfliktfall durchsetzen kann (vgl. zur "latent vorhandenen Rechtsmacht", LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. April 2012 - L 11 KR 312/10 -, Rn. 66, juris).

cc. Die Beigeladene zu 1. trug als Geschäftsführerin kein nennenswertes Unternehmerrisiko. Maßgebendes Kriterium für ein solches Risiko ist, dass eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Ein unternehmerisches Risiko ist allerdings nur dann hinreichendes Indiz für eine selbständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen (BSG, Urteil vom 19. August 2015 - B 12 KR 9/14 R -, Rn. 32, juris). Die eigene Arbeitskraft als Geschäftsführerin setzte die Beigeladene zu 1. angesichts des vertraglichen monatlichen Festgehaltes nicht mit der Gefahr des Verlustes ein. Die in § 3 Abs. 3 des AV vorgesehene Gewinntantieme ist jeweils nicht ausschließlich typisch für Selbständige; auch Arbeitnehmer können eine vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens in der Höhe abhängige Vergütung haben. Außerdem verleiht die Gewinntantieme der Beigeladenen zu 1. keine größeren Gestaltungsfreiheiten in ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin. Nicht entscheidend ist schließlich, ob die Klägerin bei Gestaltung der Gesellschafts- und Geschäftsführerverhältnisse die Rechtsprechung des BSG zur Maßgeblichkeit der Rechtsmacht kannte. § 7 SGB IV knüpft an rechtliche und vertragliche Gestaltungen an und unterwirft sie einer speziell sozialversicherungsrechtlichen Bewertung. Diese steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Ergibt sich aus den frei gewählten gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen die Sozialversicherungspflicht, tritt diese kraft Gesetzes ein.

dd. Für die Einordnung als Beschäftigung spricht schließlich, dass von dem monatlichen Entgelt der Beigeladenen zu 1. Lohnsteuer abgezogen wurde und es als Betriebsausgabe und nicht als vorweggenommener Gewinn eines Gesellschafters/einer Gesellschafterin steuerrechtlich geführt wurde.

Die Beschäftigung begründete Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung ab Aufnahme, damit ab dem 1. Januar 2011. Einer Verschiebung des Beginns der Versicherungspflicht auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides der Beklagten (§ 7a Abs. 6 Satz 1 SGB IV) hat die Beigeladene zu 1. nicht zugestimmt.

3. Eine Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht war nicht angezeigt. Zwar leidet das Verfahren an einem wesentlichen Mangel, weil das erstinstanzliche Urteil nicht mit Gründen versehen ist (§ 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG). Tatbestand und Entscheidungsgründe wurden nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung schriftlich niedergelegt und der Geschäftsstelle übergeben (zur Rechtsfolge bei Überschreitung dieser von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten festen zeitlichen Grenze, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. § 134 Rn. 4 m.w.N.). Die weiteren Voraussetzungen der Zurückverweisung liegen aber nicht vor (§ 159 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGG). Weder hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, ohne in der Sache zu entscheiden noch ist aufgrund des Mangels eine Beweisaufnahme notwendig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war im Hinblick auf die gefestigten höchstrichterliche Rechtsprechung nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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