L 1 KR 435/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 3711/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 435/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen einschließlich der Kosten der Beigeladenen zu 1). Die übrigen Beigeladenen haben für ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst aufzukommen. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 5.000,- EUR.

Gründe:

I.

Im Streit steht, ob die Beigeladene zu 1) (nachfolgend nur noch: "die Beigeladene") in ihrer für die Klägerin in der Zeit vom 9. Februar 2010 bis zum 31. Mai 2014 ausgeübten Tätigkeit als Bürokraft versicherungspflichtig beschäftigt war.

Die 1964 geborene Beigeladene ist Diplom Kauffrau. Sie war im genannten Zeitraum für die Klägerin als Bürokraft tätig. Das Vorstellungsgespräch fand am 5. Februar 2010 in den Büroräumen der Klägerin statt. Nach Angaben der Beigeladenen war sie von Anfang an an einer Festanstellung interessiert, der Geschäftsführer der Klägerin habe aber nur ein freies Mitarbeiterverhältnis gewollt. Eine schriftliche Vereinbarung wurde nicht getroffen. Die Beigeladene und die Klägerin schlossen am 15. April 2014 vor dem Arbeitsgericht Berlin (Geschäftszeichen 35 Ca 4179/14) einen Vergleich, wonach das Rechtsverhältnis zwischen ihnen mit Ablauf des 31. Mai 2014 ende. Die Klägerin verpflichtete sich zur Zahlung von jeweils 2.200,00 EUR zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer für die Monate März, April und Mai 2014.

Die Beigeladene beantragte am 8. August 2014 bei der Beklagten die Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Tätigkeit und begehrte die Feststellung, dass sie abhängig beschäftigt gewesen sei. Sie habe als Sekretärin und Bürokraft weisungsgebunden gearbeitet und sie sei in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingebunden gewesen. Die Arbeitszeit sei von 10 Uhr bis 15 Uhr gewesen. Auf Anweisung der Klägerin habe sie in deren Räumlichkeiten in S gearbeitet und sie habe dort auch an Dienstbesprechungen teilgenommen. Die Kommunikation habe in der Regel per E-Mail stattgefunden. Die Klägerin teilte mit, die Tätigkeit habe in einem normalen Büroservice bei freier Stundeneinteilung bestanden ("Ablage Dokumente und Telefonservice, wenn im Büro. Rechnungstellung und Versand von Produkten"). Der Beigeladenen sei ein firmeneigener PC zur Verfügung gestellt worden, sie habe aber auch immer ihre eigene Festplatte eingesetzt. Sie habe vom klägerischen Büro aus teilweise auch Arbeiten für andere Unternehmen getätigt. Die Arbeitsleistung habe sie überwiegend persönlich erbracht, teilweise seien ihr Weisungen gegeben worden. Die Beigeladene sei nicht in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingegliedert gewesen und habe eine eigene Firma gehabt, R Consulting. Ihre Arbeiten seien überwiegend nicht kontrolliert worden, nur in speziellen Fällen habe eine Überprüfung der Arbeiten auf dem Server der Klägerin stattgefunden. Teilweise habe die Beigeladene mit der Serviceabteilung zusammenarbeiten müssen. Die Vergütung habe 20 EUR pro Stunde betragen und sei monatlich mittels Rechnung abgerechnet worden.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 7. Januar 2015 fest, dass die Prüfung ergeben habe, dass die Tätigkeit der Beigeladenen bei der Klägerin in der Zeit vom 9. Februar 2010 bis 31. Mai 2014 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei. Es habe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden.

Die Klägerin erhob Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. September 2015 zurückwies.

Hiergegen hat die Klägerin am 6. Oktober 2015 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ergänzend ausgeführt, dass der Beigeladenen arbeitsnehmeruntypisch eine Anfahrtspauschale in Höhe von 150 EUR monatlich gezahlt worden sei. Sie habe das Risiko getragen, dass ihre Arbeitsleistung nicht abgerufen werde und sei deshalb als Freelancer beschäftigt gewesen. Konkrete Weisungen seien ihr nicht erteilt worden weil der Geschäftsführer der Klägerin überwiegend überhaupt nicht im Büro gewesen sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23. August 2017 abgewiesen. Die Beigeladene sei abhängig beschäftigt gewesen, weil sie in die Betriebsorganisation der Klägerin eingegliedert gewesen sei und einem Weisungsrecht unterlegen habe.

Gegen diese am 22. September 2017 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin vom 18. Oktober 2017. Zu deren Begründung trägt sie vor, die Beklagte habe bereits rechtswidrig festgestellt, dass eine abhängige Beschäftigung vorliege. Das SG habe weiter zu Unrecht eine Weisungsgebundenheit angenommen und einzelne Indizien unzutreffend gewürdigt. Unberücksichtigt sei geblieben, dass sie eigenes Arbeitsgerät, einen Laptop sowie eine eigene Festplatte häufig, wenn nicht fast immer mitgebracht und verwendet habe. Sie sei häufig, wenn nicht fast immer auch in den von ihr in den Rechnungen angegebenen Zeiten mit Wissen der Klägerin auch für andere Auftraggeber tätig gewesen. Im Übrigen gebe es auch bei selbstständigen Dienstverhältnissen Anweisungen, z. B. des Mandanten an einen Rechtsanwalt. Ungewürdigt gelassen habe das SG auch, das die Beigeladene am freien Markt und mit entsprechender Werbewirkung als selbstständige Unternehmerin aufgetreten sei. Für die Klägerin sei eine Abwesenheit der Beigeladenen zur Aufrechterhaltung ihres Bürobetriebes nicht von Relevanz gewesen. Posteingang, Postausgang bzw. Telefon seien von anderen Mitarbeitern übernommen worden. Es sei nicht zutreffend, dass sich die Beigeladene habe abmelden müssen. Auch habe sie ihre Tätigkeit nicht persönlich erbringen müssen. Ihr hätte es frei gestanden, jemand anderes zu beauftragen. Wie sich aus der Aufstellung für den Zeitraum Oktober 2010 bis Dezember 2012 ergebe, habe die Beigeladene unterschiedlich lang gearbeitet, weil sie in der Zeit-und Arbeitseinteilung freigewesen sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. August 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2015 aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene zu 1) in der für die Klägerin ausgeübten Tätigkeit als Bürokraft in der Zeit vom 9. Februar 2010 bis zum 31. Mai 2014 wegen selbstständiger Ausübung nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Die Beigeladene zu 1) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt ergänzend vor, von Anfang an eine Festeinstellung angestrebt zu haben. Der Geschäftsführer der Klägerin habe mitgeteilt, dass die Unternehmenszahlen dies nicht zuließen. Eine Beschäftigung auf selbstständiger Basis würde Kosten sparen. Sie habe auch abends bei sich zu Hause E-Mails gelesen. Auch sei das Bürotelefon auf ihr Funktelefon umgeleitet worden, so dass sie auch nach Dienstschluss immer erreichbar gewesen sei und Telefonate angenommen habe. Im Ausgleich dazu habe sie die so geleisteten Überstunden mit der Zeit im Büro der Klägerin "verrechnet", indem sie dort private Dinge erledigt habe.

II.

Die Berufung ist durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Der Senat hält sie einstimmig für unbegründet. Er hält auch eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind auf die Absicht zu dieser Vorgehensweise im Erörterungstermin am 14. Juni 2019 hingewiesen worden.

Der zulässigen Berufung muss Erfolg versagt bleiben.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2015 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Zunächst hat die Beklagte im angefochten Bescheid nicht zusätzlich zur rechtsgestaltenden Feststellung, dass Versicherungspflicht in den einzelnen Sparten der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe, verfügt, dass eine abhängige Beschäftigung vorgelegen habe. Die entsprechenden einleitenden Ausführungen sind lediglich eine vorweggestellte Begründung für die Feststellung der Versicherungspflicht. Das BSG hat in dem von der Klägerin angeführten Urteil vom 26. Februar 2019 (B 12 R 8/18 R) eine solche Interpretation als das im Allgemeinen vorliegende Auslegungsergebnis bezeichnet (Rdnr. 16).

Die Beigeladene stand in ihrer Sekretärinnentätigkeit bei der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, aus dem Versicherungspflicht folgt. Gleichzeitig besteht damit kein Anspruch auf die begehrte Feststellung eines anderslautenden Ergebnisses.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach hat die Beklagte im Anfrageverfahren über das Vorliegen einer Versicherungspflicht auslösenden Beschäftigung zu entscheiden. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, § 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch, § 20 Abs. 1 Nr. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch sowie § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Die danach für den Eintritt von Versicherungspflicht erforderliche Beschäftigung wird in § 7 Abs. 1 SGB IV definiert. Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Abzugrenzen ist die eine Versicherungspflicht begründende abhängige Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht wird. Dieses Merkmal ist bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und mit seiner Tätigkeit einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung erfassenden Weisungsrecht unterliegt. Dabei kann sich die Weisungsgebundenheit insbesondere bei Diensten höherer Art zu einer funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinern. Dagegen ist eine selbständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob eine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit vorliegt, richtet sich danach, welche der genannten Merkmale bei Betrachtung des Gesamtbildes der Verhältnisse überwiegen (Urteile des BSG vom 25. April 2012 – B 12 KR 24/10 R – und Urteil vom 12. November 2015 – B 12 KR 10/14 R -).

Ausgangspunkt der Prüfung sind die für die Tätigkeit maßgeblichen vertraglichen Vereinbarungen. Eine schriftliche Vereinbarung haben die Beteiligten nicht abgeschlossen. Beabsichtigt war eine freie Tätigkeit, wie auch die Beigeladene einräumt. Allerdings sollte bereits nach dem Vertragswillen überwiegend in den Räumen der Klägerin typische Sekretariatsarbeiten verrichtet werden (Post, Telefonate etc.), was bereits auf eine gewollte Eingliederung in den Geschäftsbetrieb der Klägerin hindeutet.

Entscheidend für den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Tätigkeit ist aber nicht die Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Auch eine von den Beteiligten ausdrücklich gewollte Selbständigkeit muss vor den tatsächlichen Verhältnissen bestehen können. Denn die Versicherungspflicht entsteht kraft Gesetzes und kann nicht Gegenstand einzelvertraglicher Vereinbarungen sein. Entscheidend für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist deswegen die tatsächliche Ausgestaltung der Verhältnisse, welche gegebenenfalls sogar stärkeres Gewicht als abweichenden vertraglichen Regelungen zukommen kann (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R – juris Rdnr. 17 und Urteil vom 24. Januar 2007 – B 12 KR 31/06 R – juris Rdnr. 17).

An diesen Grundsätzen gemessen war die Beigeladene in ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der fraglichen Zeit abhängig beschäftigt. Wie bereits das SG ausführlich dargestellt hat, hat die Beigeladene in den Betriebsräumen der Klägerin in S Post bearbeitet, indem sie diese aus dem Briefkasten geholt hatte und Ausgangspost auf den Weg gebracht hat. Von Anfang an hatte sie einen Schlüssel. Sie bediente das Telefon, vereinbarte Termine, erstellte Rechnungen und verfasste nach Vorgaben Korrespondenz. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass es sich damit um Tätigkeiten handelt, die sich regelmäßig durch eine Eingliederung in den Betriebsablauf auszeichnen, auch wenn im Einzelfall Freiheiten in der Ausübung bestehen. Hinzu kommt, dass auch nach dem Vortrag der Klägerin der Geschäftsführer der Klägerin im Einzelfall Weisungen erteilt hat und sich das letzte Entscheidungsrecht vorbehalten hat. Die Klägerin selbst hat zudem angegeben, einzelne Arbeiten auf dem Server kontrolliert zu haben. Die Beigeladene hat ferner mit den weiteren Mitarbeitern der Klägerin zusammen gearbeitet und hat ausschließlich deren Betriebsmittel benutzt. Sie hat ihre Arbeit stets persönlich erbracht. Ferner hat das SG bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass es eine stundenweise Vergütung von Tätigkeiten auch bei Arbeitnehmern gibt. Gleiches gilt für die Gewährung von Fahrtkostenzuschüssen. Die Umstände, dass die Beigeladene Rechnungen geschrieben habe und im Krankheits- und Urlaubsfall kein Entgeltanspruch bestand, rechtfertigt nur die Annahme, dass die Beteiligten zum Zeitpunkt der Durchführung der Meinung waren, es handele sich um eine freiberufliche Tätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2015, B 12 KR 16/13 R, juris-Rdnr. 27). Der Umstand, dass die Beigeladene in den Büroräumen erlaubterweise auch Arbeit für andere Auftraggeber verrichtet hat, lässt keinen Rückschluss auf Weisungs(un)abhängigkeit oder auf die Eingliederung in den Geschäftsbetrieb zu. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass in ihrer Abwesenheit ihre Tätigkeiten von anderen Personen übernommen wurden. Ergänzend wird auf die Begründung des SG im angegriffenen Urteil verwiesen, § 153 Abs. 2 SGG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Der Beschluss über den Streitwert, der nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar ist, folgt aus § 52 Abs. 1, Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
Rechtskraft
Aus
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