L 9 KR 284/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 KR 105/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 284/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der nicht allein sorgeberechtigte und im sozialgerichtlichen Verfahren, betreffend die Familienversicherung des gemeinsamen Kindes nicht (notwendig) beigeladene Vater ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung der Mutter Berufung einzulegen.
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 05. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu er-statten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Familienversicherung des Beigeladenen zu 1) bei der Beklagten.

Der minderjährige Beigeladene zu 1), geboren am 2008, ist der gemeinsame Sohn der Klägerin und des Berufungsklägers. Die Eltern üben das Sorgerecht gemeinsam aus (Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft für das voraussichtlich am 2008 erwartete Kind mit Zustimmungs- und Sorgeerklärung des Landkreises F vom 12. Dezember 2007). Die Klägerin ist versichertes Mitglied der Beklagten. Der Berufungsführer, Herr M S, ist Mitglied der Beigeladenen zu 2).

Der Beigeladene zu 1) war bei der Beklagten über die Klägerin familienversichert. Im Rahmen des maschinellen Meldeverfahrens teilte die Beigeladene zu 2) der Beklagten mit, dass sie ab dem 01. September 2017 eine beitragsfreie Familienversicherung für den Beigeladenen zu 1) hergestellt habe. Auf telefonische Nachfrage erklärte die Klägerin der Beklagten, damit nicht einverstanden zu sein. Das Kind solle weiter bei ihr versichert sein, eine Ummeldung sei mit ihr nicht abgesprochen. Die Beklagte teilte der Beigeladenen zu 2) am 15. November 2017 mit, dass sie aufgrund der Erklärung der Klägerin, die Versicherung des Kindes bei der Beklagten weiterzuführen zu wollen, die Meldung der Beigeladenen zu 2) abweise. Mit Schreiben gleichen Datums teilte sie der Klägerin mit, die Familienversicherung für den Beigeladenen zu 1) zum 31. August 2017 beendet zu haben, da ihr im Rahmen des maschinellen Verfahrens von der Beigeladenen zu 2) mitgeteilt worden sei, dass für den Beigeladenen zu 1) dort eine Familienversicherung ab dem 01. September 2017 bestehe. Für jeden Angehörigen könne nur eine Familienversicherung hergestellt werden. Es sei deshalb erforderlich, dass sich Mutter und Vater als jeweilige Mitglieder über die Wahl der zuständigen Krankenkasse verständigten. Eine Entscheidung, welche Krankenkasse zuständig sei, sei von der Klägerin und dem Kindsvater (dem Berufungskläger) zu treffen. Die Klägerin werde um Klärung und Mitteilung gebeten, wie sie sich entschieden hätten. Am 30. Januar 2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Familienversicherung für den Beigeladenen zu 1) seit dem 01. September 2017 bei der Beigeladenen zu 2) geführt werde und bat um Rückgabe der Krankenversicherungskarte für den Beigeladenen zu 1). Die Klägerin wies die Beklagte am 08. Februar 2018 per Fax darauf hin, dass ein gemeinsames Sorgerecht für den Beigeladenen zu 1) bestehe und der Kindsvater nicht das Recht habe, ohne ihre Zustimmung die Krankenkasse zu wechseln. Sie behalte sich eine Untätigkeitsklage beim Sozialgericht vor. Die Beklagte bat um Übersendung eines entsprechenden Nachweises über das gemeinsame Sorgerecht. Die Klägerin übersandte die Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft mit Zustimmungs- und Sorgeerklärung des Landkreises F vom 12. Dezember 2007. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 30. Januar 2018 mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2018 als unzulässig zurück. Durch die Entscheidung, die Familienversicherung des Beigeladenen zu 1) durch die Beigeladene zu 2) durchführen zu lassen, hätten weder die Klägerin noch der Beigeladene zu 1) Leistungseinschränkungen. Somit sei die Klägerin durch den Bescheid nicht beschwert. Zudem sei bei mehrfacher Ausübung des Wahlrechts nach den Regelungen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen maßgeblich, in wessen Haus-halt das familienversicherte Kind lebe. Nachweislich der vorliegenden Unterlagen lebe der Beigeladene zu 1) im Haushalt des Berufungsklägers.

Auf die von der Klägerin am 02. Mai 2018 erhobene Klage zum Sozialgericht Neuruppin hat das Sozialgericht das Kind sowie die Barmer zum Verfahren beigeladen (Beigeladener zu 1) und 2)). Mit Gerichtsbescheid vom 05. Juli 2019 hat das Sozialgericht – nach vorheriger Anhörung der Beteiligten, für den Beigeladenen zu 1) zu-gestellt auch an den Berufungskläger als gesetzlichem Vertreter – den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2018 aufgehoben. Die Klägerin sei als Stammversicherte klagebefugt und habe auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Zwar sei der Beigeladene zu 1) krankenversichert, ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe aber nicht erst dann, wenn ein Versicherungsschutz fehle, sondern vielmehr auch dann, wenn streitig sei, bei welcher Krankenkasse eine Versicherung bestehe. Der Beigeladene zu 1) erfülle unstreitig die Voraussetzungen für eine Familienversicherung nach § 10 Abs. 1 und Abs. 2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V). Gemäß § 10 Abs. 5 SGB V wähle "das Mitglied" die Krankenkasse. Gesetzlich nicht geregelt sei der Fall, dass die Eltern Mitglieder verschiedener Krankenkassen seien. Die von der Beklagten für diesen Fall angeführten Regelungen des GKV-Spitzenverbandes trügen, unabhängig davon, ob sie Bindungswirkung entfalten könnten, die angefochtene Entscheidung nicht. Der Beigeladene zu 1) halte sich nicht überwiegend bei seinem Vater auf. Beide Eltern hätten das gemeinsame Sorgerecht. Für einen Wechsel der Krankenkasse sei unter Zugrundelegung bürgerlich-rechtlicher Vorschriften die Zustimmung beider Elternteile erforderlich. Da die Klägerin mit einem Wechsel der Krankenkasse in die Krankenkasse des Kindsvaters nicht einverstanden sei, könne ein solcher Wechsel nicht er-folgen. Daher seien die Entscheidungen der Beklagten aufzuheben.

Gegen den dem Berufungskläger als gesetzlicher Vertreter des Beigeladenen zu 1) am 03. August 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 06. August 2019 Berufung eingelegt unter Übersendung eines Beschlusses des Amtsgerichts N– Familiengericht – vom 22. August 2017 (55 F 189/16) zur Aufenthaltsbestimmung u.a. für den Beigeladenen zu 1). Er wisse, dass die ebenfalls sorgeberechtigte Mutter, die Klägerin, niemals ihre Zustimmung zum Wechsel der Krankenkasse für den Beigeladenen zu 1) erteilt hätte. Die Klägerin habe u.a. eine Anzeige beim Jobcenter, von dem er Leistungen erhalte, gegen ihn erstattet. Für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit der gemeinsamen Tochter M liege auch keine Chipkarte der Krankenversicherung vor. Der Berufungskläger stellt keinen Antrag. Die Beklagte stellt keinen Antrag. Eine Stellungnahme sei nicht beabsichtigt, da die erstinstanzlichen Ausführungen nachvollziehbar seien. Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Mit Schreiben vom 23. August 2019 hat der Senat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung, die Berufung durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, angehört.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

II.

Der Senat darf über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil die Berufung nicht zulässig erhoben wurde (§ 158 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Gemäß § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wurde. Dies kann nach Satz 2 der Bestimmung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung erfolgen. Die Berufung kann auch dann durch Beschluss verworfen werden, wenn sie aus anderen als den im Gesetz genannten Gründen unzulässig ist, die gesetzlich genannten Gründe sind insoweit nicht ab-schließend (Adolf in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 158 SGG, Rn. 14). Der Senat darf über die Berufung durch Beschluss im Verfahren des § 158 SGG entscheiden. Ein solcher Beschluss ohne mündliche Verhandlung ist zwar nicht regelhaft zulässig, wenn als Ausgangsentscheidung ein Gerichtsbescheid ergangen ist, sondern wegen der Gewährleistung eines fairen Verfahrens und rechtlichen Gehörs nur im Ausnahmefall (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. § 158 Rn. 6 m.w.N. aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber vor. Zur Einlegung eines Rechtsmittels ist (nur) derjenige berechtigt, gegen den sich das anzufechtende Urteil oder der Gerichtsbescheid richtet. Grundsätzlich ist nur derjenige rechtsmittelberechtigt, dem die angegriffene Entscheidung gegenüber verkündet oder zugestellt wurde, weil er am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt gewesen ist und deshalb auch gemäß § 141 Abs. 1 SGG der Bindungswirkung der vorinstanzlichen Entscheidung unterliegen kann (BSG, Urteil vom 29. November 2011 – B 2 U 27/10 R –, BSGE 109, 285-293, Rn. 14).

Der Berufungskläger war zunächst nicht selbst als Kläger oder Beklagter Beteiligter im sozialgerichtlichen Verfahren, in dem der Gerichtsbescheid ergangen ist. Auch war er kein Beigeladener. Dabei kommt es nicht darauf, an, ob er vom Sozialgericht hätte beigeladen werden müssen. Selbst derjenige, der möglicherweise beizuladen gewesen wäre, aber nicht beigeladen worden ist, ist nicht Beteiligter eines sozialgerichtlichen Verfahrens geworden (BSG, Urteil vom 29. November 2011 – B 2 U 27/10 R –, BSGE 109, 285-293, Rn. 15).

Dem Berufungsschriftsatz lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Berufungsführer die Berufung namens des notwendig Beigeladenen zu 1), seines Sohnes, eingelegt hat. Ein Beigeladener ist rechtsmittelberechtigt. Selbst wenn der Berufungskläger als gesetzlicher Vertreter gehandelt hätte, wäre die Berufung unzulässig, weil der Berufungskläger dazu nicht (allein) berechtigt ist. Ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten sowie des vom Berufungskläger selbst eingereichten Beschlusses des Amtsgerichts Neuruppin – Familiengericht (55 F 189/16) – vom 22. August 2017 besteht nach wie vor ein gemeinsames Sorgerecht für den Beigeladenen zu 1). Die Berufung kann somit nicht ohne Zustimmung der Klägerin (Kindsmutter) des erstinstanzlichen Verfahrens allein vom Berufungskläger wirksam eingelegt werden. Es ist in Anbetracht der Sachlage nicht davon auszugehen, dass die Klägerin ihre Zustimmung erteilt hat, denn eine Berufung entspricht gerade nicht ihrem Interesse. Sie hat den Bescheid der Beklagten angefochten und in der Sache auch Erfolg gehabt.

Der Berufungsführer ist auch nicht als sonst Berechtigter befugt, die Berufung einzulegen (zu diesem Personenkreis, BSG, Urteil vom 29. November 2011 – B 2 U 27/10 R, BSGE 109, 285, 287 ff.). Zwar ist im Rahmen des § 10 SGB V anerkannt, dass auch der Stammversicherte Rechte aus der Familienversicherung für das versicherte Mitglied geltend machen kann. Das betrifft aber nur die eigene Versicherung. Hier macht der Berufungskläger aber nicht Rechte aus seiner Stammversicherung gegen die Beklagte geltend, denn seine Stammversicherung besteht bei der Beigeladenen zu 2). Ansprüche könnte er nur gegen diese, seine eigene Krankenkasse, geltend machen, nicht jedoch gegen die Beklagte. Soweit um die Ausübung des Wahlrechts nach § 10 Abs. 5 SGB V gestritten wird, folgt daraus keine (eigenständige) Rechtsmittelberechtigung, weil dies dem Berufungsführer zusteht und nicht bestritten wird. Besteht aber ein gemeinsames Sorgerecht, könnte eine Berufung zur Klärung des Wahlrechts wiederum jedoch nur von beiden Elternteilen gemeinsam eingelegt und geführt werden.

Der Berufungskläger ist damit nicht rechtlos gestellt, sondern darauf verwiesen, sich im Rahmen des gemeinsamen Sorgerechts unter Berücksichtigung des Kindeswohls des Beigeladenen zu 1) mit der Klägerin zu einigen oder falls dies nicht möglich sein sollte, eine weitere familiengerichtliche Entscheidung herbeizuführen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da der Berufungskläger die Berufung in der Eigenschaft als Versicherter oder Vertreter eines solchen führt, gilt 183 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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