L 18 AL 128/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 35 AL 2924/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 128/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu er-statten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld (Insg) für Bonuszahlungen.

Der 1975 geborene Kläger war seit 1. November 2012 befristet bei der I GmbH als Verkäufer beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 5. November 2012 ist unter Punkt V. (3) geregelt, dass der Mitarbeiter eine Bonuszahlung iHv maximal 4.000,- EUR nach Zielerreichung erhält, die zuvor schriftlich zwischen den Parteien niedergelegt worden ist. Im April 2014 erfolgte ein Betriebsübergang von der I GmbH auf die I D GmbH (im Folgenden: GmbH). Zielvereinbarungen wurden mit dem Kläger zu keiner Zeit abgeschlossen. Er erhielt auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 5. November 2012 auch zu keiner Zeit Bonuszahlungen (vgl Schriftsatz vom 26. Juli 2016).

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH am 27. März 2015 bewilligte die Beklagte auf den entsprechenden Antrag des Klägers vom 6. März 2015, mit dem dieser die Gewährung von Insg unter Berücksichtigung antei-liger mtl Bonuszahlungen iHv 333,33 EUR für die Monate Januar, Februar und März 2015 begehrte, Insg iHv 1.772,38 EUR (Bescheid vom 2. April 2015). Der Kläger wandte sich mit seinem Widerspruch gegen die Nichtberücksichtigung der geltend gemach-ten Ansprüche auf Bonuszahlungen in einer Gesamthöhe von 999,99 EUR. Insoweit wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2015 zu-rück.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung von weiterem Insg iHv 999,99 EUR brutto gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 10. August 2018). Es hat zur Begrün-dung ausgeführt, dass auf der Grundlage einer arbeitsvertraglichen Abrede verein-barte Bonuszahlungen ihrer Art nach insolvenzfähige Bestandteile des Arbeitsent-gelts und beim Insg zu berücksichtigen seien. Entscheidend sei jedoch, dass weder bei der früheren Arbeitgeberin noch der GmbH Bonuszahlungen erfolgt oder Zielver-einbarungen getroffen worden seien, so dass keinerlei Anhaltspunkte für die Höhe der Boni, die aufgrund Verschuldens der Arbeitgeberin nicht gezahlt worden seien, festgestellt werden könnten, und das Gericht diese auch nicht schätzen könne.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren unter Bezugnahme auf die Rspr des Bundessozialgerichts (BSG; Urteil vom 23. März 2006 – B 11a AL 29/05 R = SozR 4-4300 § 183 Nr 6) weiter. Das Nichtzustandekommen von Zielvereinbarungen sei allein der früheren Arbeitgeberin zuzurechnen. Grundlage der Schätzung könnten daher auch nicht Bonuszahlungen in früheren Jahren sein. Er habe stets pflichtbe-wusst und zielstrebig gearbeitet und hätte bei einer realistischen Zielvereinbarung jedenfalls seine individuellen Ziele erreicht. Ich stehe daher ein anteiliger Anspruch auf den Jahresbonus iHv 4.000,- EUR zu.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. August 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 2. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2015 aufzuheben zu verurteilen, ihm weiteres Insolvenzgeld in Höhe von 999,99 EUR brutto zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das SG habe unter Beachtung der höchstrichterlichen Recht-sprechung zutreffend entschieden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Ver-handlung einverstanden erklärt (vgl §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Senat kann mangels hinreichend feststellbarer Anknüpfungstatsachen keinen Anspruch des Klägers auf Bonuszahlun-gen iHv insgesamt 999,99 EUR innerhalb des - von seinem Antrag umfassten - Insg-Zeitraums vom 1. Januar 2015 bis 26. März 2015 erkennen, wobei ein anteiliger An-spruch für die Zeit vom 27. März 2015 bis 31. März 2015 ohnehin nicht vom Insg-Zeitraum umfasst wäre ...

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 2. April 2015 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2015. Dabei ist (nur) über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf höheres Insg unter Berücksichtigung von Bonuszahlungen iHv mtl 333,33 EUR zu entscheiden.

Anspruch auf Insg haben nach § 165 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - SGB III – in der hier anwendbaren, seit 1. April 2012 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl I 2854) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des In-solvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 SGB III gehören zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis.

Bei den vom Kläger nach Maßgabe des Arbeitsvertrages vom 5. November 2012 zu beanspruchenden Bonuszahlungen handelt es sich dem Grunde nach um Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis im vorgenannten Sinn. Denn Bezüge aus dem Arbeitsver-hältnis sind alle Leistungen des Arbeitgebers, die eine Gegenleistung für die Arbeits-leistung des Arbeitnehmers darstellen (vgl etwa BSG SozR 4100 § 141b Nr 26; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 1; vgl zum Ganzen auch BSG, Urteil vom 23. März 2006 – B 11a AL 29/05 R – Rn 22 mwN). Die beanspruchten Bonuszahlungen sind auch lau-fendes Arbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer für einen bestimmten Zeitraum erhält, vorliegend nach Maßgabe der weiteren Entgeltregelungen des Arbeitsvertrages unter Abschnitt V. für ein bestimmtes Jahr, wobei unschädlich ist, dass der Kläger nicht im gesamten Jahr 2015 bei der GmbH beschäftigt war und eine Zielvereinbarung – wie im Arbeitsvertrag ausbedungen – zwischen der GmbH und dem Kläger – aus vom Kläger nicht zu vertretenden Umständen, wovon der Senat ausgeht – zu keiner Zeit geschlossen wurde (vgl BSG aaO Rn 25 ff). In diesen Fällen ist durch gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bzw gegebenen-falls über den Rechtssatz der Bedingungsvereitelung nach § 162 BGB die Höhe der Bonuszahlung durch das Tatsachengericht ggf im Wege der Schätzung (§ 287 Zivil-prozessordnung – ZPO -) festzustellen (vgl BSG aaO Rn 29).

Dem Senat fehlen indes jegliche Anknüpfungspunkte für diese Schätzung. Die GmbH bzw die frühere Arbeitgeberin haben mit dem Kläger zu keiner Zeit Zielverein-barungen getroffen, so dass über deren hypothetischen Inhalt nur spekuliert werden kann. Der Kläger hat – wie er selbst mehrfach erklärt hat - zu keiner Zeit Bonuszah-lungen erhalten bzw diese nicht nachweisen können. Es kann hierbei zu seinen Gunsten zwar als wahr unterstellt werden, dass er stets überdurchschnittliche Leis-tungen erbracht und bei der GmbH wegen der Bonuszahlungen vorstellig geworden ist, diese im Übrigen auch unrealistische Umsatzvorgaben gemacht hatte (weshalb der Senat diesbezüglich eine Vernehmung der angebotenen Zeugin nicht als erfor-derlich angesehen hat), dies enthebt das Gericht aber nicht ausreichender Feststel-lungen dazu, welche (individuellen bzw unternehmerischen Ziele) bei der Beurteilung der "Zielerreichung" zugrunde zu legen sind, an die arbeitsvertraglich die Bonuszah-lung iHv (jährlich) "maximal" 4.000,- EUR geknüpft war, zumal im Hinblick auf die Insol-venz der GmbH eine an den Unternehmenszielen ausgerichtete Zielvereinbarung ohnehin keine Basis für eine Bonuszahlung sein könnte. Ohne Feststellung der ge-nannten Anknüpfungstatsachen fehlt indes auch einer im Rahmen einer entspre-chend § 287 ZPO vorzunehmenden Schätzung jede nachvollziehbare Grundlage. Die pauschale Festsetzung einer abstrakten Bonuszahlung kommt nicht in Betracht. § 287 ZPO gibt dem Gericht nicht das Recht, ohne konkrete Anhaltspunkte einen bestimmten Tatsachenverlauf zugunsten des Klägers zu unterstellen (vgl zum Gan-zen Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 35. Auflage § 287 Rn 11 mwN).

Schließlich dürften auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 287 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sein. Denn diese Norm greift - als Ausnahme von den Grundsätzen in § 286 ZPO und § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG - nur ein, wenn eine "Forderung" dem Grun-de nach mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit besteht, dh im Vollbeweis belegt ist, und nur noch ihre "Höhe streitig ist" (vgl BSG, Urteil vom 28. Mai 2003 - B 3 P 6/02 R = SozR 4-3300 § 15 Nr 1 Rn 12; BSG, Urteil vom 28. Juni 2018 - B 5 RS 7/17 R – juris – Rn 50 mwN). Die Schätzbefugnis und die damit verbundene Be-weismaßreduzierung nach § 287 ZPO beschränkt sich somit auf die Höhe nachge-wiesener Forderungen; nur wenn und soweit allein die Forderungshöhe streitig ist, darf das Gericht insofern Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anstellen. Vorliegend ist indes wegen der auch fiktiv nicht näher inhaltlich konkretisierbaren "Zielerreichung" bereits nicht mit Sicherheit feststellbar, ob der im Arbeitsvertrag ausbedungene An-spruch auf eine (anteilige) Bonuszahlung im Insg-Zeitraum überhaupt bestand.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved