L 18 AS 1347/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AS 926/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1347/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialge-richts Neuruppin vom 2. Juli 2018 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2007 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 27. März 2015 wird in vollem Umfang aufgeho-ben. Die Anschlussberufung des Beklagten wird als unzulässig verworfen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesam-ten Verfahren. Die Revision wird nicht zugelassen. Dem Beklagten werden für das Verfahren bei dem Landessozialgericht Kosten in Höhe von 225,- EUR auferlegt.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung einer Bewilligung von Grundsiche-rungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Juni 2006 bis 30. April 2007 und die insoweit vom Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung iHv 2.177,26 EUR.

Die 1975 geborene Klägerin lebte im Streitzeitraum mit ihren Töchtern A (geb 1994) und L (geb 1999) in einer Haushaltsgemeinschaft; für beide Kinder wurde Kindergeld iHv jeweils mtl 154,- EUR und zusätzlich ein Unterhaltsvorschuss iHv mtl 151,- EUR gezahlt (für A bis August 2006, wegen Vollendung des zwölften Lebensjahres für diesen Monat noch anteilig 111,- EUR). Mit Bescheid vom 2. Februar 2006 bewilligte der Beklagte "für die nachfolgend aufgeführten Personen" (es wurden die Klägerin und ihre Töchter benannt) SGB II-Leistungen iHv mtl 170,66 EUR für die Zeit vom 1. März 2006 bis 31. August 2006. Ausweislich des beigefügten Berechnungsbogens ergab sich nur ein Leistungsanspruch der Klägerin. Diese nahm mWv 1. Mai 2006 im Rah-men einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme eine letztlich bis 30. April 2007 befristete Beschäftigung als Mitarbeiterin in einem Jugendprojekt auf (vgl Arbeitsverträge vom 1. Mai 2006 und 1. November 2006; mtl Entgelt iHv brutto 880,- EUR), aus der ihr jeweils im Folgemonat Nettoentgelte iHv mtl 718,96 EUR (Mai bis Dezember 2006), 402,13 EUR (Januar 2007) bzw mtl 711,48 EUR (Februar und März 2007) zuflossen. Die entsprechenden Kontoauszüge legte die Klägerin laufend vor. Mit Bescheid vom 11. August 2006 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. April 2007 Grundsicherungsleistungen iHv mtl 200,66 EUR und lehnte eine Leistungsgewährung gegenüber den Töchtern ab, da deren Bedarf aus eigenem Einkommen gedeckt sei.

Mit Bescheid vom 2. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2015 hob der Beklagte die Bescheide vom 2. Februar 2006 und 11. August 2006 auf und forderte von der Klägerin die Erstattung der gezahlten Leistungen in einer Gesamthöhe von 2.177,26 EUR. Durch das erzielte Arbeitsentgelt habe der Kläge-rin kein Leistungsanspruch zugestanden. Die Aufhebung des Bescheides vom 2. Februar 2006 beruhe auf § 48 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X), die des Bescheides vom 11. August 2006 auf § 45 SGB X. Die Klägerin habe zwar keine Mitwirkungspflichten verletzt und die Änderungen ordnungsgemäß angezeigt. Aus "verwaltungsinternen Gründen" sei "eine unmittelbare Berücksichtigung sämtlicher Änderungen nicht möglich" gewesen, so dass dies unter Beachtung der Fristen "meist zu einem späteren Zeitpunkt" erfolgt sei.

Das Sozialgericht (SG) Neuruppin hat auf die auf Aufhebung des Bescheides vom 2. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2015 gerichtete Klage die genannten Bescheide aufgehoben, "soweit damit der Bewilligungsbescheid vom 2. Februar 2006 sowie die Leistungsgewährung aus dem Bescheid vom 11. August 2006 für den Monat Februar 2007 über den Betrag von 108,06 EUR hinaus aufgehoben und ein über 1.497,22 EUR hinausgehender Betrag zur Erstattung festgesetzt" worden sei, und die Klage im Übrigen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 2. Juli 2018). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei teilweise begründet. Die Aufhebungsentscheidung hinsichtlich des Bescheides vom 2. Februar 2006 (Juni bis August 2006) sei schon deshalb rechtswidrig, weil sie nur gegenüber der Klägerin ergangen sei, die Bewilligung indes gegenüber der Klägerin und ihren Töchtern. Es sei zudem nicht erkennbar, welcher Erstattungsbetrag von der Klägerin bzw den Töchtern gefordert werde. In Bezug auf den Bescheid vom 11. August 2006 (September 2006 bis April 2007) sei die Aufhebungsentscheidung indes zutreffend auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 und 2 Nr. 3 SGB II iVm § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, 330 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) erfolgt. Aufgrund des Einkommens aus Arbeitsentgelt errechne sich kein Leistungsanspruch der Klägerin. Lediglich für Februar 2007 ergebe sich aus dem niedrigeren Januarentgelt 2007 ein Leistungsanspruch der Klägerin iHv 108,06 EUR. Auf die Berechnung des SG wird Bezug genommen. Die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung habe sich der Klägerin nach ihrer subjektiven Einsichtsfähigkeit aufdrängen müssen, da die Leistungen der Vormonate trotz der Arbeitsaufnahme weiter gewährt worden seien und aus den beigefügten Berechnungsbögen eindeutig zu ersehen gewesen sei, dass der Beklagte das Arbeitseinkommen nicht berücksichtigt habe. Ihr sei daher grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Der Beklagte sei somit berechtigt und verpflichtet gewesen, die Bewilligung für die Monate September 2006 bis April 2007 im dargelegten Umfang aufzuheben. Die Rücknahmefristen seien gewahrt. Die Erstattungsforderung reduziere sich im Ergebnis auf 1.497,22 EUR.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf vollständige Aufhebung des angefochtenen Bescheides weiter. Der Beklagte wendet sich mit seiner "Anschluss-berufung" gegen das Urteil des SG, soweit dieses der Klage stattgegeben hat.

Die Klägerin, die darauf verweist, ihren Mitwirkungspflichten durchweg nachgekom-men zu sein und daher nicht verantwortlich dafür sein könne, wenn der Beklagte fal-sche Bescheide erteile, beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 2. Juli 2018 zu än-dern und den Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2007 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 27. März 2015 in vollem Umfang aufzuheben so-wie die Anschlussberufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und den Gerichtsbescheid des So-zialgerichts Neuruppin vom 2. Juli 2018 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Er meint, seine Berufung sei als (unselbständige) Anschlussberufung zulässig. Da den Töchtern der Klägerin im Streitzeitraum zu keiner Zeit Leistungen gewährt wor-den seien, habe auch die Aufhebungsentscheidung hinsichtlich des Bescheides vom 2. Februar 2006 nur gegenüber der Klägerin ergehen müssen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Verwaltungsakte des Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündli-chen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Anschlussberufung des Beklagten ist bereits unzulässig und war entsprechend zu verwerfen.

Zulässiger Prüfungsgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Be-klagten vom 2. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2015, soweit das SG diesen mit dem angefochtenen Urteil nicht bereits aufgehoben hat. Die innerhalb der Berufungsfrist eingelegte Berufung des Beklagten ist als selb-ständige Berufung unzulässig, da der Beklagte sich gegen den der Klage stattge-benden Ausspruch des SG richtet und damit ein Beschwerdewert von mehr als 750,- EUR (vgl § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) nicht erreicht wird. Die den Beklagten belastende Beschwer beläuft sich nur auf 680,04 EUR. Die Berufung ist aber auch nicht als (unselbständige) Anschlussberufung zulässig.

Die unselbständige Anschlussberufung (§ 202 SGG iVm § 556 Abs 1 Zivilprozess-ordnung (ZPO)) ist nicht eigentlich ein Rechtsmittel, sondern nur ein angriffsweise wirkender Antrag, mit dem sich der Gegner (hier: der Beklagte) innerhalb des Rechtsmittels des Berufungsklägers (hier: der Klägerin) an dieses Rechtsmittel an-schließt. Sie bietet die Möglichkeit, die vom Berufungskläger angefochtene Entschei-dung des SG auch zu seinen, des sich Anschließenden, Gunsten ändern zu lassen (vgl BSG SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; SozR 1750 § 521 Nr 3 mwN). Mit ihr können aber nicht die Teile des sozialgerichtlichen Urteils zur Prüfung des Berufungsgerichts gestellt werden, die von der Berufung (hier: der Klägerin) nicht erfasst werden (vgl BSG SozR 3-5050 § 15 Nr 5 zur vergleichbaren Situation bei der Anschlussrevision; BSG, Urteil vom 23. Juni 1998 – B 4 RA 33/97 R - juris). Für die Zulässigkeit der un-selbständigen Anschlussberufung ist es deshalb erforderlich, dass die selbständige Berufung des Gegners (hier: der Klägerin) zulässig ist, und die Anschlussberufung den gleichen prozessualen Anspruch betrifft (vgl BSG SozR Nr 12 zu § 521 ZPO). Hieran fehlt es. Die Berufung der Klägerin ist zwar zulässig. Die Anschlussberufung betrifft aber nicht denselben prozessualen Anspruch. Vielmehr begehrt der Beklagte mit seiner Anschlussberufung die (erneute) gerichtliche Prüfung, nunmehr im Beru-fungsverfahren, ob (1.) seine die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 2. Februar 2006 verlautbarende und mit der Klage angegriffene Verwaltungsent-scheidung und (2.) die Aufhebung der Leistungsbewilligung für Februar 2007 in vol-lem Umfang rechtmäßig waren. Insoweit hat das SG jedoch der Klage stattgegeben und die Klägerin hiergegen keine Berufung eingelegt, die mangels Beschwer ohnehin unzulässig gewesen wäre. Das Begehren der Anschlussberufung hält sich daher nicht innerhalb des durch die zulässige Berufung der Klägerin begrenzten Streitge-genstands. Letztlich wäre damit in der Sache über eine selbständige Berufung des Beklagten zu entscheiden, ohne dass der erforderliche Beschwerdewert erreicht wird. Dies schließt § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG gerade aus.

Die Anschlussberufung des Beklagten ist daher als unzulässig zu verwerfen.

Die - zulässige - Berufung der Klägerin ist indes begründet, und zwar unabhängig davon, dass eine ordnungsgemäße Anhörung der Klägerin vor Erteilung des ange-fochtenen Bescheides (vgl § 24 SGB X) nicht erfolgt war. Denn mit der für die richterliche Überzeugungsbildung erforderlichen zweifelsfreien Sicherheit vermochte der Senat keine Tatsachen festzustellen, die die rechtliche Bewertung zuließen, dass die Klägerin im Hinblick auf die noch - in zulässiger Weise - streitige Aufhebung der Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. September 2006 bis 30. April 2007 die – anfänglich objektiv vorliegende – Rechtswidrigkeit des entsprechenden Bewilligungsbescheides vom 11. August 2006 kannte bzw infolge grober Fahrlässig-keit iSv § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X – der einzig in Betracht zu ziehenden rück-wirkenden Aufhebungsmöglichkeit - nicht kannte.

Rechtsgrundlage des Rücknahmebescheides vom 11. August 206 kann nur § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 SGB II iVm § 45 SGB X und § 330 Abs. 2 SGB III sein. Danach ist eine rechtswidrige begünstigende Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II auch nach Unanfechtbarkeit mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzu-nehmen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte bzw infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr 3 SGB X). Die anderen Tatbestandsalternativen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kommen von vorn-herein nicht in Betracht, weil die Klägerin weder unrichtige oder unvollständige An-gaben gemacht hat noch die Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt sind. Dies räumt letztlich auch der Beklagte (vgl schon die Ausführungen im Wider-spruchsbescheid vom 27. März 2015) ein.

Die Leistungsbewilligung im Bescheid vom 11. August 2006 war zwar für den streit-befangenen Zeitraum bei Erlass mangels Hilfebedürftigkeit der Klägerin objektiv rechtswidrig. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG hierzu und dessen bean-standungsfreie Leistungsberechnungen nimmt der Senat insoweit Bezug, § 153 Abs. 2 SGG.

Maßgeblich für die Rechtswidrigkeit der zurückgenommenen Bewilligungen als Vo-raussetzung für deren Rücknahme nach § 45 SGB X ist die Situation bei ihrem Er-lass. Der Maßstab, nach dem das Vorliegen grober Fahrlässigkeit, auch in Abgren-zung zu einfacher (leichter) Fahrlässigkeit zu beurteilen ist, ist vom Gesetz vorgege-ben und vom BSG in ständiger Rechtsprechung herausgearbeitet worden. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)). Grob fahrlässig handelt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, dh wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr 3; BSGE 62, 32, 35 = SozR 4100 § 71 Nr 2); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persön-lichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (sog subjektiver Fahrlässigkeits-maßstab, vglBSGE 35, 108, 112 = SozR Nr 3 zu § 13 BKGG; BSGE 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr 2). Deshalb ist die Frage, wann grobe Fahrlässigkeit gegeben ist, einer generalisierenden Beantwortung unabhängig von den Umständen des Einzel-falles nicht zugänglich (vgl etwa BSG, Beschluss vom 24. Oktober 2011 - B 14 AS 45/11 B – juris - Rn 6) und die Entscheidung über das Vorliegen grober Fahrlässig-keit nur in engen Grenzen revisionsrechtlich nachprüfbar (vgl etwa BSGE 47, 180 = SozR 2200 § 1301 Nr 8; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 42).

Nach den genannten Grundsätzen kann eine zumindest grobe Fahrlässigkeit der Klägerin nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Sie hat zwar - wie sie anlässlich ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat mitgeteilt hat - den Bewilli-gungsbescheid gelesen, nach ihrer gezeigten Urteils- und Kritikfähigkeit musste sich ihr die Rechtswidrigkeit des Bescheides indes nicht aufdrängen, zumal sie ihren Mit-wirkungspflichten durchgehend nachgekommen war und glaubhaft versichert hat, auch eine persönliche Nachfrage beim Beklagten habe nur die Auskunft erbracht, dass die Bewilligung "in Ordnung sei". Es besteht im Allgemeinen kein Anlass, einen Verwaltungsakt jedenfalls des Näheren auf Richtigkeit zu überprüfen, wenn im Ver-waltungsverfahren zutreffende Angaben gemacht worden sind und die Behörde – wie hier auf Nachfrage – die Richtigkeit der Bewilligung bestätigt. Allerdings ist der Be-günstigte rechtlich gehalten, einen ihm günstigen Bewilligungsbescheid auch zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen; dies hat die Klägerin auch getan. Dass in dem an-gefügten Berechnungsbogen, der ohnehin eine rechtlich nicht zulässige vertikale Be-darfsberechnung ausweist, ihr Einkommen aus Arbeitsentgelt nicht aufgeführt war, mag ihr auch aufgefallen sein, eine weiterführende Nachfrage bei dem Beklagten erbrachte aber diesbezüglich keine weiteren Erkenntnisse, aus denen sich ihr nun-mehr die Rechtswidrigkeit geradezu hätte aufdrängen müssen. Auch aus der Höhe der bewilligten Leistungen lässt sich eine solche Evidenz nicht herleiten. Allenfalls ein Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit könnte sich hieraus ergeben, zumal der Beklagte seinerzeit weder den Vorgaben des SGB II entsprechende Bewilligungsbescheide zu erstellen in der Lage war noch das Widerspruchsverfahren in angemessener Zeit durchführen konnte. Letztlich sind auch aus diesem Grunde die konkreten Umstände der Bescheiderteilung im August 2006 nicht mehr mit Sicherheit aufklärbar. Die Nichtfeststellbarkeit der eine rückwirkende Aufhebung rechtfertigenden Tatsachen geht aber zu Lasten des Beklagten. Mangels rechtmäßiger Aufhebungsentscheidung hat die Klägerin keine Leistungen zu erstatten (vgl § 50 Abs. 1 SGB X). Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Dem Beklagten waren nach dem entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden im Ver-handlungstermin für das zweitinstanzliche Verfahren Kosten iHv 225,- EUR (vgl § 192 Abs. 1 Satz 3 iVm § 184 Abs. 2 SGG) gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG aufzu-erlegen, weil er die offensichtlich unzulässige Anschlussberufung trotz mehrfacher ausführlicher Hinweise schon im vorbereitenden Verfahren und schließlich in der mündlichen Verhandlung weitergeführt und damit gerade für einen rechtskundigen Träger ein hohes Maß an Uneinsichtigkeit gezeigt hat.
Rechtskraft
Aus
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