L 22 R 981/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 R 407/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 981/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2015 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2012 verurteilt, den Klägern die Regelaltersrente für die Berechtigte vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 2015 unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit von Dezember 1941 bis März 1944 zu gewähren. Die Beklagte hat den Klägern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Vorverfahrens und des erstinstanzlichen Verfahrens zu erstatten. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 3.867,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Kläger begehren als Rechtsnachfolger der 2015 verstorbenen R L (Berechtigte) Regelaltersrente für diese ab 1. Juli 1997 unter Berücksichtigung glaubhaft gemachter Beitragszeiten von Dezember 1941 bis März 1944.

Die Klägerin zu 1 ist die Alleinerbin des 2015 verstorbenen U L eines Sohnes der Berechtigten, der die Berechtigte zu einem Drittel beerbte. Die Kläger zu 2 und 3 sind die weiteren Kinder der Berechtigten, die die Berechtigte jeweils zu einem Drittel beerbten.

Die im September 1931 in J bei K (R) geborene Berechtigte war seit Mai 1948 israelische Staatsangehörige mit Wohnsitz seit 1948 in Israel. Ihr war als Verfolgte im Sinne des § 1 Abs. 1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) Entschädigung zuerkannt worden (Feststellungsbescheid C des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Neustadt/Weinstraße vom 22. Juni 1962).

Im November 2002 beantragte sie die Zahlung einer Regelaltersrente ab dem 1. Juli 1997 unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Es liege bei ihr eine Tätigkeit in einem Ghetto mit Entgeltleistungen vor.

Die Beklagte holte vom israelischen Versicherungsträger den Versicherungsverlauf vom 2. Juni 2003 ein.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2003 lehnte die Beklagte den Antrag mangels Mitwirkung nach § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ab.

Im November 2009 beantragte die Berechtigte die Überprüfung dieses Ablehnungsbescheides. Es sei ein zwangsweiser Aufenthalt im Ghetto und eine Tätigkeit aus eigenem Willensentschluss mit einer Entlohnung eidesstattlich erklärt worden. Sie gab an, als Verfolgte von der Claims Conferenceanerkannt worden zu sein. Sie habe von Dezember 1941 bis März 1944 im Ghetto Shargorod (Transnistrien) eine Beschäftigung als Küchenarbeiterin ausgeübt, wofür ihr als Arbeitsverdienst ein tägliches Mittagessen und wöchentlich zusätzliche Lebensmittel für zu Hause gewährt worden sei.

Die Beklagte holte die Auskunft des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen vom 27. Januar 2010 ein, ermittelte in der Ghettoliste der ZRBG Lenkungsgruppe und zog von der Nachfolgeorganisation der Jewish Claims Conference die dort vorhandenen Unterlagen bei.

Mit Bescheid vom 29. Juni 2011 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Die Arbeitszeit von Dezember 1941 bis zum 18. März 1944 im Ghetto Shargorod sei nicht glaubhaft gemacht worden. Damit sei eine Anerkennung nach dem ZRBG weiterhin nicht möglich. Laut eigener Aussage der Berechtigten im Entschädigungsverfahren bei der Jewish Claims Conference hätte sie im Ghetto Shargorod ihre Habseligkeiten gegen Lebensmittel getauscht, um zu überleben.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Berechtigte geltend, bei den geringen Löhnen sei die Aussage, wonach sie ihre Habseligkeiten gegen Lebensmittel getauscht habe, nachvollziehbar.

Die Beklagte ermittelte in der Ghettoliste der ZRBG Lenkungsgruppe zum Ghetto Mogilew, zog vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg die Entschädigungsakte bei und veranlasste die eidesstattliche Erklärung der Berechtigten vom 15. September 2011.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die Berechtigte habe sich als ca. 10jähriges Kind zusammen mit ihren Eltern im Ghetto aufgehalten und gemäß ihrer eigenen Erklärung im Widerspruchsverfahren und im Entschädigungsverfahren bei der Claims Conference die Habseligkeiten in Lebensmittel eingetauscht. Eine Zeugenerklärung im Verfahren nach dem BEG bestätige, dass sie vor Hunger gefroren und gebettelt habe. Dies bedeute, dass keine im Sinne des ZRBG vorliegende Beschäftigung ausgeübt worden sei. Auch wenn im Widerspruch weiterhin vorgetragen werde, eine vom Judenrat vermittelte freiwillige Arbeit in der Küche angenommen zu haben, verblieben widersprüchliche Angaben, die sich bei wohlwollender Betrachtungsweise nicht erklären ließen.

Dagegen hat die Berechtigte am 25. Januar 2012 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.

Sie hat unter Zitierung der Begründung des ZRBG ausgeführt, für die Anerkennung reiche es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aus, wenn die Betroffenen gegebenenfalls auch durch eine Versicherung an Eides Statt gegenüber dem Rentenversicherungsträger glaubhaft machten, dass sie aus eigenem Willensentschluss in einem Ghetto entgeltlich beschäftigt gewesen seien, in dem sie sich zwangsweise aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung aufgehalten hätten. Eine fehlende Erwähnung der Tätigkeit im BEG-Verfahren könne, so die Berechtigte, nach den Entscheidungen des BSG nicht anspruchsvernichtend sein. Seinerzeit habe sich niemand für freiwillige Tätigkeiten in einem Ghetto und deren Entlohnung interessiert. Im Entschädigungsverfahren sei es nur auf die Darstellung von Zwangsarbeiten angekommen.

Mit Urteil vom 30. November 2015 hat das Sozialgericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung die Klage abgewiesen: Die Berechtigte habe keinen Anspruch auf die begehrte Rentenleistung, da nicht glaubhaft gemacht sei, dass sie im Zeitraum Dezember 1941 bis März 1944 im Ghetto Shargorod eine Beschäftigung, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen sei, ausgeübt gehabt habe. Dagegen sprächen die Aussagen, die die Berechtigte sowie weitere Zeugen im Rahmen des Entschädigungsverfahrens gemacht hätten. Die Berechtigte habe im Verfahren bei der Jewish Claims Conference im Jahr 1993 angegeben, dass sie während ihrer Zeit im Ghetto alles, was sie gehabt hätten, gegen Lebensmittel hätten eintauschen müssen, um leben zu können. Im BEG-Entschädigungsverfahren habe sie in ihrer Erklärung von Februar 1961 angegeben gehabt, dass ihre Eltern in Shargorod bald ihre Habseligkeiten verkauft hätten, hätten hungern und frieren müssen. Dem entspreche auch die damalige Erklärung der Zeugin C. Der Zeuge P habe im BEG-Entschädigungsverfahren geschildert gehabt, dass er sowie die Berechtigte im Ghetto gezwungen worden seien, in halb verfallenen Häusern zu vegetieren; sie hätten gehungert, gefroren und gebettelt. Auch wenn diese Angaben die jetzt geltend gemachte regelmäßige Tätigkeit als Küchenhilfe nicht ausschlössen und insbesondere auch die Aussage, im Ghetto Hunger gelitten zu haben, mit der vorgebrachten Entlohnung eines täglichen Mittagessens in Anbetracht von Lebensmittelmangel und allgemeinem Hunger und Not im Ghetto vereinbar sei, so ließen die damaligen Angaben die geltend gemachte Tätigkeit zur Überzeugung der Kammer doch als die unwahrscheinlichere Variante gegenüber dem Nichtvorliegen der Beitragszeit erscheinen. Denn bei den konkreten Schilderungen der Berechtigte und der Zeugen vom Hunger im Ghetto und von der täglichen Notwendigkeit, sich Nahrung zu besorgen – sei es durch Tausch oder Betteln –, hätte es aus Sicht der Kammer nahe gelegen, dass hierbei eine regelmäßige Arbeit als Küchenhilfe und die Entlohnung mit einem täglichen Mittagessen erwähnt worden wäre. Auch wenn im damaligen Entschädigungsverfahren eine freiwillige Arbeit keine Rolle gespielt habe und danach auch nicht gefragt worden sei, so sei kein überzeugender Grund ersichtlich, weshalb bei den im Entschädigungsverfahren gemachten konkreten Angaben eine Arbeit der damals 10 bis 12 Jahre alten Berechtigte als Küchenhilfe verschwiegen worden sein sollte. Zwar weise die Berechtigte nachvollziehbar darauf hin, dass sie und ihre Familie sich nicht für die Dauer der drei Jahre mit dem Eintauschen von Habseligkeiten gegen Lebensmittel hätte versorgen können. Dennoch erkläre dies nicht, weshalb weder die Berechtigte noch die Zeugin bei ihren Schilderungen der alltäglichen Notwendigkeit, sich Nahrung zu besorgen, eine regelmäßige Arbeit der Klägerin als Küchenhilfe mit täglichem Mittagessen und regelmäßigem Erhalt von Lebensmitteln in keiner Weise erwähnten. Die geltend gemachte Beitragszeit erscheine damit zwar möglich, aber gegenüber dem Nichtbestehen der Beitragszeit als der weniger wahrscheinlichere Geschehensablauf.

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 11. Dezember 2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. Dezember 2015 eingelegte Berufung.

Es wird vorgetragen, die Berechtigte sei von Dezember 1941 bis März 1944 im Ghetto Shargorod gewesen und habe dort Küchenarbeiten gegen Entgelt verrichtet. Der Aufenthalt im Ghetto sei neben den Angaben im ZRBG-Verfahren auch im BEG-Verfahren bestätigt worden. Sie habe diese Tätigkeit im Ghetto eidesstattlich erklärt. Das ZRBG setze kein bestimmtes Mindestalter voraus. Auch Kinder seien durch die Verhältnisse im Ghetto genötigt worden, Arbeiten aus eigenem Willensentschluss aufzunehmen, um zu überleben. Dass freiwillige Tätigkeiten im BEG-Entschädigungsverfahren nicht erwähnt worden seien, sei nicht verwunderlich. Die Aussage der Berechtigten erscheine historisch plausibel. Nach der Arbeitsanweisung der Beklagten gelte: Sofern aus den Akten auch Angaben der Verfolgten oder von Zeugen aus früheren (Entschädigungs-)Verfahren ersichtlich seien, sei zu berücksichtigen, dass Widersprüche zwischen diesen Angaben der Glaubhaftigkeit der heutigen Erklärungen im Sinne einer guten Möglichkeit insbesondere dann nicht entgegenstünden, wenn die Angaben des Antragstellers bezogen auf den geltend gemachten Zeitraum bei allen Unterschieden im Einzelnen im Kern im Wesentlichen übereinstimmten und sich verbleibende Widersprüche bei wohlwollender Betrachtungsweise erklären ließen. Dies gelte umso mehr, wenn die Angaben in den wichtigsten Zügen historisch plausibel erschienen.

Es sind Feststellungsbögen für Ghettofälle nach dem ZRBG nebst Versicherungsverläufen zu zwei anderen Berechtigten im Ghetto Mogilew, Auszüge aus Arbeitsanweisungen der Beklagten, einen Auszug aus dem Gutachten der Diplom-Sozialwissenschaftlerin Kristin Platt des Instituts für die Dioaspora- und Genozidforschung an der Ruhr-Universität Bochum von Februar 2009 und das Protokoll des Amtsgerichts T viv-Jaffo vom 21. April 2016 über die Vernehmung eines Zeugen zu dessen Arbeit als Kind im Ghetto Mogilew-Podolsk (Rumänien) vorgelegt worden.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. November 2015 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2012 zu verurteilen, den Klägern Rente der Berechtigten ab 1. Juli 1997 bis 30. Juni 2015 unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit von Dezember 1941 bis März 1944 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, eine Beschäftigung im Ghetto Shargorod von Dezember 1941 bis März 1944 sei nicht glaubhaft. Vor dem Hintergrund, dass die ganze Familie unter Hunger gelitten und die Eltern ihre Habseligkeiten gegen Lebensmittel getauscht hätten, erscheine es unverständlich, dass die Berechtigte im Entschädigungsverfahren ihre Beschäftigung nicht angegeben habe. Sie habe mit ihrer Tätigkeit mit den im Antrag auf Versichertenrente gemachten Angaben einen Beitrag für ihr tägliches Überleben und das ihrer Familie geleistet. Die Vermutung liege nahe, dass die Berechtigte einen so gewichtigen Umstand in ihrem Entschädigungsverfahren deutlich zum Ausdruck gebracht hätte, zumal die Beschreibung der Lebensverhältnisse bestimmt und dabei präzise erfolgt sei. Das Verfolgungsschicksal des Zeugen nach dem Protokoll des Amtsgerichts Tel Aviv-Jaffo stehe in keinem Zusammenhang mit dem Verfolgungsschicksal der Berechtigten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten () und der BEG-Entschädigungsakte des Amtes für Wiedergutmachung in Saarburg (), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 29. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Berechtigte und damit die Kläger in ihren Rechten. Die Berechtigte hatte Anspruch auf Regelaltersrente ab 1. Juli 1997 unter Anerkennung einer glaubhaft gemachten Beitragszeit von Dezember 1941 bis März 1944. Dieser Anspruch ist auf die Kläger übergegangen.

Der Wirksamkeit des Urteils vom 30. November 2015 steht nicht entgegen, dass es gegenüber der zu diesem Zeitpunkt bereits 2015 verstorbenen Berechtigten ergangen ist. Mit dem Tod der Berechtigten hat zwar auf Klägerseite ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes insoweit stattgefunden, als in die Rechtsstellung der Berechtigten die Kläger als Rechtsnachfolger der Berechtigten (vgl. dazu unten) eingerückt sind. Eine Unterbrechung des Verfahrens durch den Tod der Berechtigten, wie in § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 239 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) vorgesehen, ist jedoch nicht eingetreten, denn eine solche erfolgt nach § 246 Abs. 1 erste Alternative ZPO nicht, wenn eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfand. Die Berechtigte ist erstinstanzlich durch den Prozessbevollmächtigten vertreten gewesen, der auch die jetzigen Kläger vertritt. Dieser damalige (und jetzige) Prozessbevollmächtigte hat dabei diesen Rechtsstreit nach dem Tod der Berechtigten für den (ggf. noch unbekannten) Rechtsnachfolger fortgeführt. Wahrer Kläger ist daher mit Eintritt des Todes der Berechtigten, auch wenn dies den damaligen Prozessbevollmächtigten des Berechtigten, der Beklagten und dem Sozialgericht nicht bewusst gewesen sein sollte bzw. war, der (seinerzeit ihnen unbekannte) Rechtsnachfolger der Berechtigten geworden (BSG, Urteil vom 23. Juli 2014 – B 8 SO 14/13 R, Rdnr. 10, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 116, 210 = SozR 4-3500 § 28 Nr. 9; BSG, Urteil vom 2. Februar 2012 - B 8 SO 15/10 R, Rdnr. 11, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 110, 93 = SozR 4-3500 § 19 Nr. 3). Damit ist dieses Urteil tatsächlich gegenüber den Klägern ergangen. Soweit das angefochtene Urteil Bestand hätte, wäre es ausreichend, dies entweder im zweitinstanzlichen Urteil klarzustellen oder das erstinstanzliche Urteil zu berichtigen.

Die Kläger sind aktiv legitimiert, denn sie sind die Rechtsnachfolger der Berechtigten.

Die Kläger sind allerdings nicht Sonderrechtsnachfolger der Berechtigten.

Nach § 56 Abs. 1 SGB I stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tode des Berechtigten nacheinander 1. dem Ehegatten, 1a. dem Lebenspartner, 2. den Kindern, 3. den Eltern, 4. dem Haushaltsführer zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Mehreren Personen einer Gruppe stehen die Ansprüche zu gleichen Teilen zu (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB I).

Die Sonderrechtsnachfolge nach § 56 Abs. 1 SGB I geht den allgemeinen Regeln zur Rechtsnachfolge vor. Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) werden nur solche Ansprüche vererbt, die nicht nach den § 56 SGB I einem Sonderrechtsnachfolger zustehen (§ 58 Satz 1 SGB I).

Die Berechtigte und die Kläger bewohnten zur Zeit des Todes der Berechtigten, wie ihre jeweiligen Anschriften zeigen, nicht dieselbe Wohnung. Sie lebten auch nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Andere in § 56 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 bis 4 SGB I genannte Personen, auf die solches zutreffen könnte, sind nicht ersichtlich.

Die Kläger sind daher als Erben Rechtsnachfolger der Berechtigten geworden. Diese nach israelischem Recht eingetretene Rechtsfolge wird durch die vorgelegten Erbschaftsanordnungen des Staates Israel (Register in Erbschaftssachen in Tel Aviv) vom 13. Dezember 2015 und vom 10. Oktober 2017 bewiesen.

Die Berechtigte hatte gegen die Beklagte einen Anspruch auf Regelaltersrente, der auf die Kläger als Rechtsnachfolger der Berechtigten übergegangen ist.

Das anzuwendende Recht bestimmt sich dafür nach § 300 SGB VI.

Nach § 300 Abs. 1 SGB VI gilt: Vorschriften dieses Gesetzbuchs sind von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat. Aufgehobene Vorschriften dieses Gesetzbuchs und durch dieses Gesetzbuch ersetzte Vorschriften sind nach § 300 Abs. 2 SGB VI (aber) auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird.

Der Anspruch auf eine Regelaltersrente wurde am 18. Juni 1997 geltend gemacht, denn nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG gilt ein Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18. Juni 1997 gestellt.

Nach § 35 SGB VI in der Fassung des insoweit maßgebenden Gesetzes vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I 1989, 2261, I 1990 1337) – a. F. - haben Versicherte Anspruch auf Altersrente, wenn sie 1. das 65. Lebensjahr vollendet und 2. die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die im September 1931 geborene Berechtigte vollendete im September 1996 ihr 65. Lebensjahr. Sie war auch Versicherte.

Versicherter im Sinne des materiellen Rentenversicherungsrechts ist jeder, der eine Beitragszeit erlangt hat. Dies geschieht grundsätzlich dadurch, dass ein Beitrag entweder von dem Bürger selbst oder für ihn von seinem Arbeitgeber wirksam gezahlt wird. Versicherter im materiell-rechtlichen Sinne ist ferner auch jeder, dem kraft Bundesrecht eine Beitragszeit – auch ohne Beitragszahlung – zuerkannt worden ist (BSG -, Urteil vom 14. Mai 2003 – B 4 RA 6/03 R, Rdnr. 16, zitiert nach juris).

Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 SGB VI a. F.).

Die Berechtigte hatte eine solche Beitragszeit zurückgelegt.

Dies folgt aus § 2 Abs. 1 ZRGB, der bestimmt: Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar 1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie 2. für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet (Ghetto-Beitragszeiten).

Eine solche Beschäftigung liegt vor.

Nach § 1 Abs. 1 ZRBG gilt dieses Gesetz für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und 2. das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag, soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Als System der sozialen Sicherheit ist jedes System anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen wurden, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen zu sichern.

Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZRBG sind erfüllt. Dabei ist ausreichend, wenn die danach erforderlichen Tatsachen glaubhaft gemacht sind.

Nach § 1 Abs. 2 ZRBG ergänzt dieses Gesetz die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Nach § 3 Abs. 1 WGSVG gilt: Für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind. Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Als Mittel der Glaubhaftmachung können auch eidesstattliche Versicherungen zugelassen werden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 WGSVG).

Eine Tatsache ist als glaubhaft anzusehen, wenn mehr dafür als dagegen spricht. Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es reicht die gute Möglichkeit aus, wobei es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber einer das Übergewicht zukommen, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08. August 2001 - B 9 V 23/01 B, Rdnr. 5, unter Hinweis u. a. auf BSG, Urteil 17. Dezember 1980 - 12 RK 42/80, Rdnr. 26, zitiert nach juris, abgedruckt in SozR 5070 § 3 Nr. 1).

Die Berechtigte war Verfolgte im Sinne des BEG.

Nach § 1 Abs. 1 BEG ist Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat (Verfolgter).

Der Berechtigten war nach dem Feststellungsbescheid C des Bezirksamtes für Wiedergutmachung Neustadt/Weinstraße vom 22. Juni 1962 Entschädigung für Schaden an Freiheit wegen einer während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus Gründen der Rasse erlittenen Verfolgung gewährt worden.

Die Berechtigte hielt sich von Dezember 1941 bis März 1944 zwangsweise im Ghetto Shargorod auf.

Das Ghetto Shargorod bestand vom 30. August 1941 bis 18. März 1944 (vgl. u. a. docplayer.org/55252033-Zrbg-ghetto-liste-stand.html; www.avivshoa.co.il/wp-content/uploads/2017/ .../ZRBG-&1502;&1506;&1493;&1491;&1499;&1503;.pdf). Ob Shargorod, das in Transnistrien liegt, welches ursprünglich zur UdSSR gehörte, im Zuge des Zweiten Weltkriegs nicht dem Deutschen Reich eingegliedert wurde (BSG, Urteil vom 26. Juli 2007 – B 13 R 28/06 R, Rdnr. 31, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 99, 35 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 4), aber vom sog Vertrag von Tighina vom 30. August 1941 erfasst wurde (BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 29/06 R, Rdnr. 95, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 3; näheres zum Vertrag von Tighina: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 03. Februar 2006 – L 4 R 47/05, Rdnrn. 61 – 79, zitiert nach juris), zumindest ein "vom Deutschen Reich besetztes Gebiet" (zum Begriff: vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 29/06 R, Rdnrn. 92, 93, 96, zitiert nach juris) war, wie dies § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZRBG in der ursprünglichen Fassung des ZRBG, die rückwirkend durch Gesetz vom 15. Juli 2014 (BGBl I 2014, 952) die heute geltende Fassung erhielt, voraussetzte, kann dahin stehen. Es lag jedenfalls in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs, wie sich aus der Ghettoliste der ZRBG Lenkungsgruppe der Beklagten ergibt (zur Ghettoliste vgl. die Information der Deutschen Botschaft in Tel Aviv – Stichworte Änderung des ZRBG-Gesetzes im Jahre 2014 / Anerkennung von 18 weiteren Ghettos / Informationsbroschüre zu Ghettorenten: https://tel-aviv.diplo.de/il-de/service/-/1605974; zu dieser Lenkungsgruppe vgl. Bundestag-Drucksache 17/13355, S. 6; vgl. im Übrigen auch https://deutsche-rentenversicherung.de: Suchwort Transnistrien; Bundestag-Drucksache 18/6493, S. 2; Bundestag-Drucksache 18/2428, S. 5, 6).

Der Aufenthalt der Berechtigten in diesem Ghetto ist durch ihre eidesstattliche Erklärung vom 17. Februar 1961 sowie durch die eidesstattlichen Erklärungen der M C vom 2. Februar 1961 und des JPe vom 28. April 1961 glaubhaft gemacht. In ihrer eigenen Erklärung gab die Berechtigte an, im Oktober 1941 zusammen mit ihren Eltern gezwungen worden zu sein, zur Bahnstation in ihrem Wohnort Kimpolung zu kommen, wo sie in einem Viehwagen per Bahn nach Ataki und von dort auf einer Fähre über den Dnepr gebracht worden seien. In einem Fußmarsch seien sie über das Ghetto Mogilev ins Ghetto Shargorod geführt worden. Nach der Befreiung im März 1944 sei sie nach Kimpolung zurückgekehrt. In ihrem Antrag vom 17. Mai 1993, den sie bei der Jewish Claims Conference eingereicht hatte, ist ergänzend zu diesen Angaben ausgeführt worden, dass sie nach ihrer Ankunft im Ghetto Mogilev nach ungefähr 1 bis 2 Monaten ins Ghetto Shargorod transportiert worden seien. Dies wird durch die eidesstattliche Erklärung der M C bestätigt, wonach sich die Berechtigte zusammen mit dieser Zeugin nach ihrer Verladung im Oktober 1941 zunächst im Ghetto Mogilev und anschließend bis März 1944 im Ghetto Shargorod aufhielt. Nach der eidesstattlichen Erklärung des J P erfolgten die Verladung ebenfalls im Oktober 1941 und die Befreiung im März 1944. Diese Angaben beziehen sich sowohl auf den Zeugen als auch auf die Berechtigte. Der Zeuge erwähnte allerdings nicht den vorübergehenden Aufenthalt im Ghetto Mogilev. Dies ist jedoch nicht wesentlich, denn von der Berechtigten ist eine Beschäftigung im Ghetto Mogilev nicht geltend gemacht worden. Bei dem nur vorübergehenden Aufenthalt im Ghetto Mogilev ist jedenfalls glaubhaft, dass sich die Berechtigte ab Dezember 1941 im Ghetto Shargorod befand.

Die Berechtigte übte von Dezember 1941 bis März 1944 eine von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG erfasste Beschäftigung aus Darunter fällt jegliche Beschäftigung, die von Verfolgten ausgeübt wurde, während sie sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben. Ist diese Voraussetzung erfüllt, bedarf es keiner gesonderten Prüfung mehr, ob Dienstleistungen oder Arbeiten, die außerhalb des räumlichen Bereichs eines Ghettos verrichtet wurden, "Ausfluss der Beschäftigung im Ghetto waren". Abgesehen davon, dass der Wortlaut nicht dazu zwingt, die Anwendung des Gesetzes auf Beschäftigungen innerhalb eines Ghettos zu beschränken, müsste sich die Gegenmeinung mit dem Einwand einer willkürlichen Abgrenzung auseinandersetzen. Die Unterscheidung hat lediglich insoweit Bedeutung, als bei einer Tätigkeit außerhalb des Ghettos eher die Prüfung veranlasst sein könnte, ob es sich um Zwangsarbeit gehandelt hat (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 17, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 103, 220 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 8 in Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 29/06 R, Rdnr. 99, zitiert nach juris, abgedruckt in BSGE 98, 48 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 3).

Das Merkmal einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung ist aus der bisherigen Rechtsprechung übernommen worden und dient der tatsächlichen Abgrenzung zur Zwangsarbeit. Insoweit kann auf das Gesetz über die Errichtung der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 (BGBl I 2000, 1263) - EVZStiftG - zurückgegriffen werden, das in § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 demjenigen eine Entschädigung wegen Zwangsarbeit zubilligt, der in einem Ghetto unter vergleichbaren Bedingungen (wie in einem Konzentrationslager) inhaftiert war und "zur Arbeit gezwungen wurde". Diese Wendung macht auch für das ZRBG deutlich, dass eine Situation, in der jemand (allgemein) zur Arbeit gezwungen "war", nach dem Gesetz noch keine Zwangsarbeit darstellt. Ein genereller (faktischer oder rechtlicher) Arbeitszwang allein macht die mit Rücksicht darauf ausgeübte Tätigkeit nicht zur Zwangsarbeit und steht deshalb einer "Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss" nicht entgegen; eine solche ist vielmehr erst dann nicht mehr gegeben, wenn jemand zu einer (spezifischen) Arbeit gezwungen "wurde" (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 19, zitiert nach juris).

Im Lichte dessen ist Zwangsarbeit die Verrichtung von Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) Zwang, wie z. B. bei Kriegsgefangenen. Typisch ist dabei die obrigkeitliche Zuweisung von Arbeitern an bestimmte Unternehmen, ohne dass die Arbeiter selbst hierauf Einfluss haben. Eine verrichtete Arbeit entfernt sich umso mehr von dem Typus des Arbeits-/Beschäftigungsverhältnisses und nähert sich dem Typus der Zwangsarbeit an, als sie durch hoheitliche Eingriffe überlagert wird, denen sich der Betroffene nicht entziehen kann (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 20, zitiert nach juris).

Ob eine aus eigenem Willensentschluss i. S. des ZRBG zustande gekommene Beschäftigung oder eine den eigenen Willensentschluss ausschließende Zwangsarbeit vorlag, ist vor dem Hintergrund der wirklichen Lebenslage im Ghetto zu beurteilen. Dabei sind die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen; ebenso spielen die Beweggründe zur Aufnahme der Beschäftigung keine Rolle. Eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Beschäftigung liegt vor, wenn der Ghetto-Bewohner noch eine Dispositionsbefugnis zumindest dergestalt hatte, dass er die Annahme oder Ausführung der Arbeit auch ohne unmittelbare Gefahr für Leib, Leben oder seine Restfreiheit ablehnen konnte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn es sich um eine vom Judenrat angebotene Arbeit handelt, ohne dass im Einzelnen zu ermitteln wäre, wer letztlich als "Arbeitgeber" fungierte und wie das Verhältnis zwischen diesem, dem Beschäftigten und dem Judenrat ausgestaltet war (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 21, zitiert nach juris).

Ein bestimmtes Mindestalter als Voraussetzung einer Beschäftigung, insbesondere ein solches von 14 Jahren, ist nicht erforderlich, weil auch verbotswidrige Kinderarbeit erfasst werden soll (BSG, Urteil vom 02. Juni 2009 – B 13 R 139/08 R, Rdnr. 24, m. w. N., abgedruckt in BSGE 103, 201 = SozR 4-5075 § 1 Nr. 5).

Entgelt ist jegliche Entlohnung, gerade auch in Form von Nahrungsmitteln oder entsprechenden Lebensmittelkarten und Gutscheinen (Coupons). Weitergehende Erfordernisse (z. B Einhaltung einer Mindesthöhe oder die Miternährung einer anderen Person) müssen nicht erfüllt werden. Unerheblich ist daher, ob das Entgelt nur "geringfügig" war oder zum Umfang der geleisteten Arbeit in keinem angemessenen Verhältnis stand, ob als Entgelt nur Sachbezüge in Form freien Unterhalts (oder eines Teils davon) gewährt wurden oder ob das Entgelt unmittelbar von der Beschäftigungsstelle ("Arbeitgeber") oder von einer anderen Instanz (z. B. dem Judenrat) gewährt wurde (BSG, Urteil vom 03. Juni 2009 – B 5 R 26/08 R, Rdnr. 25, zitiert nach juris).

Die Berechtigte hat glaubhaft gemacht, dass sie im Ghetto Shargorod von Dezember 1941 bis März 1944 eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausübte. Dies folgt aus ihren im Dezember 2009 gegenüber der Beklagten gemachten Angaben nebst ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 15. September 2011. Entgegen der Ansicht der Beklagten verbleiben keine widersprüchlichen Angaben zu von ihr zuvor getätigten Äußerungen. Diese Auffassung der Beklagten hat bereits das Sozialgericht zutreffend nicht geteilt. Soweit das Sozialgericht allerdings eine Beschäftigung als die unwahrscheinlichere Variante angesehen hat, überzeugt dies nicht, denn die Nichterwähnung dieser Beschäftigung in früheren Erklärungen ist ohne weiteres nachzuvollziehen.

Im Dezember 2009 gab die Berechtigte an, im Ghetto Shargorod von Dezember 1941 bis März 1944 Küchenarbeiten verrichtet zu haben. Dafür habe sie täglich ein Mittagessen und zusätzlich wöchentlich Lebensmittel für zu Hause erhalten. In ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 15. September 2011 hat sie ausgeführt, beim Judenrat um Arbeit gebeten und in der Küche gearbeitet zu haben.

Mit diesen Angaben ist die Ausübung einer aus eigenem Willensentschluss zustande gekommenen Beschäftigung im Ghetto Shargorod ebenso belegt wie deren Ausübung gegen Entgelt in Form von Lebensmitteln, die überlebenswichtig waren und daher zur Lebensgrundlage dienten.

Die Angaben der Berechtigten sind glaubhaft gemacht, denn ihr Vorliegen ist auch unter Berücksichtigung früherer eigener Angaben der Berechtigten insbesondere ihrer früheren eidesstattlichen Erklärung vom 17. Februar 1961 überwiegend wahrscheinlich. Es besteht die gute Möglichkeit, dass eine solche Beschäftigung tatsächlich von der Berechtigten ausgeübt wurde, um dadurch die prekäre Lebenssituation zu verbessern. Diese Lebenssituation spricht dafür, dass auch die seinerzeit 10- bis 12jährige Berechtigte eine sich bietende Möglichkeit nutzte, Hunger zu lindern, statt darauf zu verzichten.

Die Beklagte hat verbliebene widersprüchliche Angaben darin gesehen, dass Erklärungen über den Eintausch von Habseligkeiten in Lebensmitteln und zu vorhandenem Hunger vorlägen. Dies betrifft die eidesstattliche Erklärung der Berechtigten vom 17. Februar 1961, in der es heißt: "In Shargorod hatten die Eltern bald unsere Habseligkeiten verkauft und mussten wir hungern und frieren." M C gab in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 2. Februar 1961 an, "F, R und ich hungerten und froren." In der eidesstattlichen Erklärung des J P vom 28. April 1961 ist mitgeteilt: "F, R und ich hungerten, froren und bettelten." Im Antrag an die Jewish Claims Conference vom 17. Mai 1993 machte die Berechtigte folgende Angaben: "Hier mussten wir alles, was wir hatten, auf Lebensmittel auftauschen, um Leben zu können. Sehr viel litten wir auch an Kälte und hungerten schrecklich." Wie dazu das Sozialgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, schließen diese Angaben eine Tätigkeit als Küchenhilfe nicht aus, und ist in Anbetracht von Lebensmittelmangel und allgemeinem Hunger und Not im Ghetto auch die Aussage, Hunger gelitten zu haben, mit der Entlohnung eines täglichen Mittagessens vereinbar. Dies gilt gerade im Hinblick darauf, dass die Berechtigte insoweit nicht nur über sich, sondern vom Hunger ihrer Familie ("wir"), also auch von ihren Eltern, gesprochen hat.

Soweit das Sozialgericht allerdings gemeint hat, eine Beschäftigung sei die unwahrscheinlichere Variante, weil kein überzeugender Grund ersichtlich sei, weshalb bei den im Entschädigungsverfahren gemachten Angaben eine Arbeit der Berechtigten als Küchenhilfe verschwiegen worden sein sollte, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die vom Sozialgericht vorgenommene Würdigung setzt voraus, dass in eidesstattlichen Erklärungen, die in BEG-Verfahren abgegeben wurden, Angaben von Betroffenen zur Ausübung freiwilliger Beschäftigungen zu erwarten waren, denn lediglich in diesem Fall kann aus einem Schweigen zu solchen Beschäftigungen auf ihr Nichtvorliegen geschlussfolgert werden. Kam es hingegen auf freiwillige Beschäftigungen in BEG-Verfahren nicht an, ist schon nicht zu erwarten, dass solche in eidesstattlichen Erklärungen erwähnt werden, so dass sich verbietet, aus dem Schweigen in solchen eidesstattlichen Versicherungen auf ein Nichtvorhandensein freiwilliger Beschäftigungen zu schließen. Das Antragsformular des BEG-Verfahrens enthält Fragen zu (zwangsweisen oder freiwillig verrichteten) Tätigkeiten nicht. Unter B des Antragsformulars wird zwar darauf hingewiesen, dass eine Schilderung des Verfolgungsvorganges und eine Erläuterung der Schadensfälle beigefügt werden sollen. Einen Gesundheitsschaden, insbesondere aus einer Tätigkeit, machte die Berechtigte jedoch nicht geltend, so dass dahinstehen kann, ob in dem entsprechenden Formular nach einer zwangsweisen oder freiwillig verrichteten Tätigkeit gefragt wurde, die zu einer entsprechenden Antwort geführt hätte. Die Berechtigte stützte ihren Antrag auf Entschädigung ausschließlich auf einen entstandenen Schaden an Freiheit. Im Formular zum Schaden an Freiheit wird der Antragsteller lediglich gebeten, Angaben u. a. zu Zwangsarbeitslagern und Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen zu machen. Im BEG-Verfahren wurde somit nicht nach einer freiwilligen Beschäftigung gefragt, so dass sich ohne Weiteres erschließt, wenn dazu Angaben fehlen. Angesichts dessen war es im Fall der Berechtigten auch eher fernliegend, in der eidesstattlichen Erklärung vom 17. Februar 1961, die dem Antrag entsprechend bezweckte, ihre Angaben zum erlittenen Schaden an Freiheit glaubhaft zu machen, sich zu einer freiwilligen Beschäftigung zu äußern. Nichts anderes gilt für den Antrag der Berechtigten vom 17. Mai 1993 bei der Jewish Claims Conference. Dieser Antrag diente der Feststellung der Verfolgung der Berechtigten, so dass sich dort keine Fragen zu einer freiwilligen Beschäftigung finden. Mithin bestand für die Berechtigte keine Veranlassung, sich in diesem Antrag zu einer solchen freiwilligen Beschäftigung zu erklären.

In Würdigung der gesamten Umstände erachtet es der Senat daher als glaubhaft gemacht, dass die Berechtigte im Ghetto Shargorod von Dezember 1941 bis März 1944 eine aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung gegen Entgelt ausübte.

Für die Zeit von Dezember 1941 bis März 1944 wird auch keine Leistung i. S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 2. Satzteil und Satz 2 ZRBG erbracht.

Es kann hierbei dahin stehen, ob der Berechtigten zwischenzeitlich auf ihren beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen gestellten Antrag eine Anerkennungsleistung nach der Anerkennungsrichtlinie vom 20. Dezember 2011 (Bundesanzeiger 2011, 4608) gewährt worden war, denn diese Leistung ist keine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit. Es handelt sich schon nicht um eine regelmäßig wiederkehrende Geldleistung, denn nach § 2 der Anerkennungsrichtlinie besteht die Leistung, auf die nach § 3 der Anerkennungsrichtlinie kein Rechtsanspruch besteht, aus einer (einmaligen) Kapitalleistung in Höhe von 2.000 Euro. Zudem ordnet § 1 der Anerkennungsrichtlinie ausdrücklich an, dass die Prüfung anderer Entschädigungsansprüche und der Ansprüche nach dem ZRBG von dieser Richtlinie unberührt bleiben.

Die allgemeine Wartezeit ist ebenfalls erfüllt.

Sie beträgt als Voraussetzung für einen Anspruch auf Regelaltersrente fünf Jahre (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet (§ 51 Abs. 1 SGB VI).

Die Berechtigte erreicht zwar mit den Beitragszeiten von Dezember 1941 bis März 1944 keine fünf Jahre, sondern nur 28 Kalendermonate. Auf die Wartezeit werden jedoch auch die in Israel zurückgelegten Versicherungszeiten angerechnet.

Nach Art. 20 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (BGBl II 1975, 246) in der Fassung des Änderungsabkommens vom 7. Januar 1986 (BGBl II 1986, 863) - DJSVA - gilt: Sind nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden, so werden für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Zu den Versicherungszeiten gehören nach Art 1 Nr. 10 DJSVA eine Beitragszeit oder eine gleichgestellte Zeit.

Nach dem Versicherungsverlauf des israelischen Versicherungsträgers vom 2. Juni 2003 hat die Klägerin von April 1956 bis Juli 1956, von November 1956 bis März 1957, von August 1961 bis November 1961 und von April 1978 bis Februar 1984 insgesamt 84 Monate Versicherungszeiten einer Beschäftigung bzw. einer sonstigen Pflichtversicherung zurückgelegt.

Die Regelaltersrente ist dem Klageantrag entsprechend ab 1. Juli 1997 zu gewähren.

Nach § 99 Abs. 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.

Die Berechtigte vollendete das 65. Lebensjahr im September 1996, so dass wegen der nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ZRBG angeordneten fiktiven Antragstellung am 18. Juni 1997 die Regelaltersrente bereits zum 1. Juni 1997 beginnen könnte.

Die Regelaltersrente ist bis zum 30. Juni 2015 zu gewähren.

Nach § 102 Abs. 5 SGB VI werden Renten bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

Da die Berechtigte am 3. Juni 2015 verstarb, endet die Regelaltersrente zum 30. Juni 2015.

Die Berufung hat somit Erfolg.

Die Kostenentscheidung entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits. Sie folgt einerseits aus § 193 Abs. 1 SGG und andererseits aus § 197a Abs. 1 Satz 1 3. Halbsatz SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Sie berücksichtigt, dass allein im Berufungsverfahren Gerichtskosten anfallen, so dass hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens nur über außergerichtliche Kosten, zu denen auch die Kosten des Vorverfahrens gehören, zu entscheiden ist. Dies folgt aus § 183 Sätze 1 und 2 SGG. Danach gilt: Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 SGB I kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger – wie vorliegend die Erben der Berechtigten - das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug – hier also im erstinstanzlichen Verfahren - kostenfrei. Ansonsten fallen nach § 197a Abs. 1 1. Halbsatz SGG Gerichtskosten an.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.

Die Festsetzung des Streitwertes, die nach § 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i. V. m. § 197a Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz SGG ergeht, ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 2 GKG und bestimmt sich, wenn der Antrag des Rechtsmittelführers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, nach deren Höhe. Bei wiederkehrenden Leistungen gilt § 42 Abs. 1 Satz 1 4. Alt. GKG, wonach in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen dem Grunde oder der Höhe nach geltend gemacht oder abgewehrt werden, der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Ausgehend von der Auskunft der Beklagten vom 28. Februar 2019 errechnet sich ein Jahreswert von 1.289,00 Euro.
Rechtskraft
Aus
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