L 24 KA 9/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
24
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 76/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KA 9/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die 257fache Nachvergütung der GOP 35110 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM) im Quartal 2012/II.

Sie war bis zum Ende dieses Jahres als ärztliche Psychotherapeutin in S zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Rahmen der Honorarabrechnung für das Il. Quartal 2012 forderte die Beklagte mit Schreiben vom 8. September 2012 die Patientendokumentationen von 20 betroffenen Versicherten an. Die Praxis der Klägerin sei auf der Grundlage einer zufälligen Stichprobe für eine durchzuführende Plausibilitätsprüfung ausgewählt worden. Die Beklagte habe festgestellt, dass Leistungen nach der GOP 35110 EBM in 20 Behandlungsfällen 258 mal abgerechnet worden seien. Es sei daher beabsichtigt, die Patientendokumentationen der 20 betroffenen Versicherten zu überprüfen. Die Klägerin teilte mit, dass sie die handschriftlichen Patientendokumentationen aus Gründen der Schweigepflicht nicht aushändige. Sie habe die Dokumentation (Datum der Behandlung, die Diagnose, die Sicherheit der Diagnose und die Art der Behandlung) bereits digital eingereicht. Mit Bescheid vom 28. April 2014 gewährte die Beklagte der Klägerin als Honorar für das Quartal 2012/II 19.480,66 EUR. Sie setzte dabei u. a. 257 mal die GOP 35110 EBM ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die abgesetzte Gebührenordnungsposition entsprechend den Regelungen des EBM nur einmal je Arzt-Patienten-Kontakt abrechnungsfähig sei. Aufgrund der Stellungnahme der Klägerin lasse sich feststellen, dass die GOP nicht vollständig erfüllt worden seien und somit eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vorzunehmen sei.

Die Klägerin erhob Widerspruch: Die Gebühren-Nr. 35110 EBM sei dreimal am Behandlungstag abrechnungsfähig. Die Dauer betrage mindestens 15 Minuten. In den Fällen, in denen die Sitzung 50 Minuten gedauert habe, habe sie die Gebühren-Nr. 35110 EBM deshalb dreimal abgerechnet. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2015 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück: Die GOP 35110 EBM sei je Sitzung nur einmal abrechnungsfähig. Dauere die Sitzung länger als 15 Minuten, könne sie daher nicht mehrfach abgerechnet werden. Die GOP könne zwar bis zu dreimal am Tag berechnet werden. In diesem Fall müssten jedoch zeitlich getrennte Sitzungen vorliegen, die dokumentiert sein sollten. Bei 20 Patienten sei die GOP 35110 EBM an mehreren Behandlungstagen bis zu dreimal abgerechnet worden. Hier sei die Klägerin aufgefordert worden, die Kopie der Patientendokumentation einzureichen, was die Klägerin trotz mehrmaliger Aufforderung unterlassen habe. Insofern habe eine detaillierte Prüfung nicht erfolgen können.

Hiergegen hat die Klägerin am 8. Juli 2015 beim Sozialgericht Potsdam (SG) Klage erhoben. Zu deren Begründung hat sie ergänzend ausgeführt, in der GOP 35110 EBM finde sich eindeutig nicht die Forderung, dass es sich um drei völlig unterschiedliche Sitzungen handeln müsse. Die Vorschrift sei im Lichte der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie) und des im Jahre 2005 völlig überarbeiteten EBM auszulegen. Die Psychotherapierichtlinien seien wesentlicher Bestandteil des Bundesmantelvertrages für Ärzte. Eine Leistung dürfe abgerechnet werden, wenn sie durch die Leistungsbeschreibung im EBM eindeutig definiert werde. Dem Arzt werde also nicht zugemutet, sich Kenntnis über den abrechenbaren Leistungsinhalt erst im Wege der Auslegung zu beschaffen. Die Psychotherapierichtlinien meinten mit kontinuierlicher Behandlung selbstverständlich auch die zeitliche Gestaltung der Therapie insgesamt. Innerhalb einer Sitzung dürfe die Position mehrfach abgerechnet werden, maximal aber dreimal pro Tag. Im Jahre 2005 sei aus der GOP 35110 EBM der Zusatz ,,je Sitzung” entfernt worden. Wolle der Normgeber bei Mindestdauerangabe mit der Determination Mehrfachabrechnungsfähigkeit die Behandlung nur zeitlich getrennt zulassen, gebe er den Zusatz ,,je Sitzung” an. Dies ergebe sich auch durch den Vergleich mit der GOP 35141 EBM. Im Verwaltungsverfahren habe die Klägerin eine Gesprächsaufzeichnung zur GOP 35110 EBM für eine Patienten, die eine Schweigepflichtentbindung erteilt habe, übersandt. Gleichwohl habe die Beklagte weitere Patientendokumentationen zur GOP 35110 EBM angefordert. Zur GOP 23220 EBM seien hingegen keine Gesprächsaufzeichnungen abgefordert worden. Diese GOP sei im Il. Quartal 2012 502 mal vergütet worden. Bei dieser GOP genügen sowohl für die Honorarabrechnung als auch für die Plausibilitätsprüfung die digital übermittelten Dokumentationen zum Nachweis der vollständigen Leistungserbringung. Diese unterschiedliche Handlungsweise der Beklagten sei nicht nachvollziehbar. Die Klägerin habe zudem eine von der KBV geprüfte und zertifizierte Abrechnungssoftware für Psychotherapeuten verwendet. Hinsichtlich der Angabe der Streichungen wegen mangelnder Dokumentation habe der hiesige Senat noch nichts entschieden. Bereits aus dem Wortlaut der Leistungslegende ergäben sich die von der Beklagten gestellten Anforderungen an die Dokumentation nicht. Die Symptomatik und die aktuelle Diagnose ergäben sich in jedem einzelnen Fall bereits aus der Angabe des ICD 10 Codes. Die von der Klägerin insofern gelieferte Dokumentation sei für die Abrechnung der Nr. 35110 EBM ausreichend, so dass zumindesten die siebenundachtzigmalige Streichung der GOP unzulässig sei. Darüber hinaus enthalte der Widerspruchsbescheid keine Aussagen zu den Streichungen wegen mangelnder Dokumentation. Er sei bereits aus diesem Grunde aufzuheben.

Die Beklagte hat vorgebracht, die GOP 35110 EBM sei in 20 Behandlungsfällen 258 mal abgerechnet worden, was einer Überschreitung i. H. v. 6195,02 % des Wertes der Vergleichsgruppe entspreche. Nicht die Beklagte sei für die korrekte Abrechnungsweise und deren Anerkennung verantwortlich. Vielmehr bestätige der Vertragsarzt mit der Sammelerklärung, dass er die abgerechneten Leistungen persönlich erbracht habe und die von ihm eingereichte Abrechnung den allgemeinen Abrechnungsbestimmungen entspreche. Er garantiere mit der Abrechnungssammelerklärung, dass die Angaben auf den von ihm eingereichten Behandlungsausweisen zuträfen. Allein der Umstand, dass der obligate Leistungsinhalt seit 2005 nicht mehr den Begriff ,,je Sitzung” enthalte, unterstütze nicht das Begehren der Klägerin. Die GOP 35110 EBM für die verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen sei nach der zweiten Anmerkung zur Leistungslegende bis zu dreimal pro Tag berechnungsfähig. Diese mehrmalige Berechnungsfähigkeit hänge damit zusammen, dass bei psychosomatischen Krankheitsbildern nicht selten an einem Tag mehrere verbale Interventionen erforderlich seien. Dies setze zeitlich getrennte Arzt-Patienten-Kontakte voraus. Das LSG habe zudem in seiner Entscheidung vom 18. März 2016 (L 24 KA 91/13) ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin zur Vorlage der Patientendokumentation verpflichtet sei. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 6. Dezember 2017 abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht die Gebührennummer 35110 EBM zweimal wegen Mehrfachabrechnung gestrichen. Denn eine nach dem EBM zulässige dreimalige Berechnung an einem Tag sei nur möglich, wenn die Gespräche in drei zeitlich voneinander getrennten Sitzungen von mindestens 15 Minuten Dauer durchgeführt werden, denn die 35110 sei "je Sitzung” nur einmal berechnungsfähig. Das SG hat sich insoweit die Ausführungen des Senats im Urteil vom 18. März 2016 (L 24 KA 91/13) zu eigen gemacht. Auch die weitere Streichung (255 mal) wegen nicht feststellbarer vollständiger Leistungserbringung sei zutreffend. Denn die Klägerin verweigere zu Unrecht eine weitergehende Einsicht in die von der Beklagten im Rahmen der Prüfung nach §106a SGB angeforderten 20 Patientendokumentationen. § 12 der Psychotherapierichtlinie verpflichte zur schriftlichen Dokumentation der diagnostischen Erhebungen und der wesentlichen Inhalte der psychotherapeutischen Interventionen im Rahmen der Psychotherapie und psychosomatischen Grundversorgung. Im Fall einer Prüfung nach § 106a SGB V habe die Klägerin diese Dokumentation zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abrechnung der EBM Ziffern vorzulegen. Die in den Behandlungsscheinen angegebenen Diagnosen und den in der Folge abgerechneten EBM-Ziffern seien nicht ausreichend, um eine vollständige Leistungserbringung zu bejahen. Bereits im Widerspruchsbescheid habe die Beklagte dazu ausgeführt, dass wegen der fehlenden Vorlage der Patientendokumentationen eine weitere Prüfung nicht möglich sei. In den Verwaltungsakten lägen die Behandlungsscheine der Patienten vor, zu denen sich die Klägerin konkret habe äußern sollen. Die hier (auch nicht immer) angegebenen Diagnosen rechtfertigen nicht den auch hier immer wiederholt an einem Behandlungstag erfolgten Ansatz der GOP 35110 EBM.

Gegen diese ihr jedenfalls am 30. Dezember 2017 zugegangene Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin vom 29. Januar 2018. Zu deren Begründung führt sie aus, im Tatbestand sei unzutreffend ausgeführt, dass die Beklagte die GOP 257 mal mit der Begründung abgesetzt habe, sie sei entsprechend den Regelungen des EBM nur einmal je Arzt-Patienten-Kontakt abrechnungsfähig. Richtig sei vielmehr, dass von den von ihr erbrachten 50-minütigen Sitzungen, die sie pro Behandlungstag mit dreimal der GOP 35110 abgerechnet habe, nur zweimal eine Absetzung mit der Begründung erfolgt sei, die GOP sei nur einmal je Arzt-Patienten-Kontakt abrechnungsfähig. Die Abkürzung der Beklagten laute hierfür laut Liste P123: HB6389. Demzufolge habe die Beklagte nur eine einzige Sitzung des Quartals 2012/II mit EUR 15,07 EUR vergütet anstelle von abgerechneten 3.888,06 EUR (258 x 15,07EUR). Nachzuvergüten seien deshalb zumindest noch 87 x 15,07 EUR. Dass für alle erbrachten GOP 35110 des gesamten Quartals nur 15,07 EUR vergütet worden seien, könne der Anlage l zum Honorarbescheid entnommen werden. Richtig sei stattdessen, dass die GOP 35110 255 mal abgesetzt worden sei mit der Begründung, sie sei nicht vollständig erbracht worden (Abkürzung der KV laut Liste P 123: MF3000). Im Urteil des Senats vom 18. März 2016 (L 24 KA 91/13) sei es nur um die Begründung "HB6389" bei der GOP 35110 gegangen, nicht hingegen um die Dokumentationspflichten. Dass sie alle Patientendokumentationen, die gemäß Regelwerk und § 106a SGB V vorzulegen seien, bereits mit der Quartalsabrechnung 2012/II digital vorgelegt habe, bescheinige die Beklagte indirekt selbst auf Seite 8 des Honorarbescheides durch die Angabe, dass die im § 12 Psychotherapie-Richtlinie vorgeschriebene und demzufolge vorzulegende Dokumentation der GOP 35110 die aktuelle Symptomatik, die erstellte Diagnose und die Interventionsmethode beinhalten solle. Auch die von der Beklagten angegebenen Dokumentationspflichten aus § 57 BMV-Ä, § 13 Abs. 7 EKV seien mit Vorlage der digitalen Dokumentation erfüllt. Mit Nennung der erforderlichen Dokumentationsinhalte habe die Beklagte gleichzeitig selbst die Nichterforderlichkeit und die Nichtunerlässlichkeit der Offenbarung der psychotherapeutischen Sitzungsaufzeichnungen erklärt. Sie habe damit die ihr zustehende Einschätzungsprärogative als Abrechnungsprüferin wahrgenommen. Auch nach § 6 Abs. 4 ihrer Satzung dürfe die Beklagte die Vorlage von Unterlagen nur verlangen, sofern diese zur Nachprüfung der ärztlichen Tätigkeit unerlässlich seien. Ferner heiße es unter 2.1. Abs. 3 ihrer Abrechnungsbedingungen (Anlage der Abrechnungsordnung): "Die angegebenen Diagnosen sollen die abgerechneten Leistungen begründen." Das Urteil des Senats vom 22.November 2013 (L 24 KA 69/12) sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da es sich um keine psychotherapeutischen Behandlungen sondern um Nachweise für die Notwendigkeit von körperlichen Notfallbehandlungen gehandelt habe. Auch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. Februar 2007 (B 6 KA 11/06 R) behandele einen nicht vergleichbaren Fall, da die Vorlage von Therapieinhalten und Therapieergebnissen dort nicht im Rahmen einer vertragsärztliche Abrechnungs- und Plausibilitätsprüfung erfolgt sei sondern im Zusammenhang mit einem Antrag auf Zulassung als Vertragspsychotherapeut. Psychotherapeutische Sitzungsaufzeichnungen unterlägen der strafbewehrten psychotherapeutischen Schweigepflicht. Letztere stelle die unverzichtbare Basis der psychotherapeutischen Tätigkeit dar. Unabhängig von den von der Beklagten erwünschten und von ihr digital erfüllten Dokumentationsinhalten, schreibe § 12 Psychotherapie-Richtlinie außerdem zwar für die Psychotherapie und die psychosomatische Grundversorgung das Dokumentieren diagnostischer Erhebungen und der wesentlichen Inhalte vor, jedoch nur ganz allgemein. Die für eine vollständige Leistungserbringung gemäß EBM-Abschnitt 1.2.1 obligate GOP- spezifische Dokumentation sei jeder einzelnen EBM-GOP-Leistungslegende zu entnehmen. Jede GOP-Leistungslegende enthalte die eindeutige Definition oder die verbindliche Zuordnung der Leistungsbeschreibung, wie sie gemäß BMV-Ä Voraussetzung für die Abrechnung von Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung sei. Zu den psychotherapeutischen Interventionen der in § 12 Psychotherapie-Richtlinie genannten Psychosomatischen Grundversorgung zählten nach §§ 11, 21a Abs. 2, 21b Psychotherapie-Richtlinie: die verbale Intervention (GOP 35110), die übenden Interventionsverfahren (GOP 35111, 35112, 35113) und die suggestive Intervention/Hypnose (GOP 35120). Der obligate Leistungsinhalt in den Leistungslegenden fordere nur für die GOPs 35111, 35112, 35113, 35120, also nur für die übenden Interventionen und die suggestive Intervention der psychosomatischen Grundversorgung eine Dokumentation, nicht aber für die verbale Intervention (GOP 35110). Die EBM-GOP 35110-Leistungslegende stelle unter den GOPs der psychosomatischen Grundversorgung die Ausnahme dar. Aus alledem ergebe sich zumindest ein Nachzahlungsanspruch von 87 x 15,07 EUR = 1.311,09 EUR, wenn davon ausgegangen werde, -dass zum obligaten Leistungsinhalt der Legende der GOP 35110 keine Dokumentation gehöre, -die Begründung HB6389 berechtigt sei, -es bei der Prüfung der sachlichen und rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung der Vertragsärzte durch die kassenärztlichen Vereinigungen "nur" um die Frage gehe, ob eine ärztliche Leistung überhaupt bzw. entsprechend den Voraussetzungen der Leistungslegende ordnungsgemäß erbracht und in zutreffender Anwendung der Abrechnungsvorschriften abgerechnet worden sei und - diese Unterlagen gegebenenfalls noch im gerichtlichen Verfahren nachgereicht werden könnten. Das Erbringen 50-minütiger GOP 35110-Gesprächssitzungen und das handschriftliche Aufzeichnen dieser Sitzungen seien zwischen den Parteien nicht strittig. Des Weiteren treffe die Tatbestandsschilderung nicht zu, dass die Abrechnung von 258 mal der GOP 35110 eine Überschreitung von 6195,02% des Wertes der Vergleichsgruppe entsprochen habe. Dabei handele es sich um einen fiktiven Wert

Die Klägerin beantragt,

die geforderten psychotherapeutischen Aufzeichnungen von 20 Patienten geschwärzt vorlegen zu dürfen (Ausnahme Namen und Datum der Sitzung) und diese Sitzungen nachzuvergüten.

Sie beantragt ferner in der Sache,

unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 6. Dezember 2017 und unter Änderung des Honorarbescheides für das Quartal II/2012 vom 28. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11. Juni 2015 die Beklagte zu verurteilen, für das Abrechnungsquartal II/2012 die EBM-GOP 35110 (verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen), die mit Honorarbescheid laut Seite l und 3 der Liste P1233 255 mal mit der Begründung MF3000 (GOP nicht vollständig erfüllt) und zweimal mit der Begründung HB6389 (GOP nur einmal je Arzt-Patienten-Kontakt berechnungsfähig) nach § 45 BMV-A und § 34 Abs. 4 EKV sachlich-rechnerisch richtiggestellt wurde, mit insgesamt 257 x 15,07 EUR = 3.872,99 EUR zusätzlich zu vergüten, zumindest aber mit 87 x 15,07 EUR = 1.311,09 EUR,

weiter, ihr zusätzlich 167 x 15,07 Euro zu vergüten und die Revision zuzulassen. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Zur Begründung führt sie ergänzend aus, dass in 170 Fällen von insgesamt 257 der vorgenommenen sachlich-rechnerischen Richtigstellung die Klägerin die Vergütung einer zweiten und dritten Sitzung am Behandlungstag begehrt habe, ohne hierfür besondere Gründe vorgetragen zu haben. Hinsichtlich der weiteren 87 Richtigstellungen fehle es an der notwendigen angeforderten Patientendokumentation.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben.Die Klage ist zulässig. Die Klägerin wendet sich gegen eine quartalsgleiche sachlich-rechnerische Richtigstellung und begehrt damit der Sache nach eine Nachvergütung verbunden mit der Anfechtungsklage gegen die Honorarteilversagung (vgl. BSG, Urt. v. 12. Dezember 2012 –B 6 KA 5/12 R- Rdnr. 9). Die Klage ist jedoch unbegründet. Mit Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Honorarbescheid vom 28. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2015 ist nicht rechtwidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch darauf, für das Quartal 2012/II noch 257 mal –bzw. 157 oder jedenfalls 87 mal die GOP 35110 EBM vergütet zu bekommen. Die Beklagte war zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der von der Klägerin vorgelegten Abrechnung befugt. Rechtsgrundlage ist § 106a Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGB V (in der hier noch maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG - vom 14.11.2003, BGBl I 2190) - a.F.; nunmehr inhaltsgleich: § 106d Abs. 2 S. 1 Hs. 1 SGB V in der ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes vom 16.7.2015, BGBl I 1211). Nach dieser Vorschrift stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest. Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen und satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots - erbracht und abgerechnet worden sind. Dazu gehört insbesondere die Beachtung der Vorgaben des EBM sowie weiterer Abrechnungsbestimmungen (BSG, Urteil vom 13. Februar 2019 – B 6 KA 56/17 R – Rdnr. 17 mit weiteren Nachweisen). Ergänzende Regelungen enthalten bzw. enthielten § 45 BMV-Ä und § 34 EKV-Ä. Für die Überprüfung ist kein besonderer Antrag der Krankenkassen erforderlich, sie kann auch von Amts wegen vorgenommen werden (BSG v. 18. August 2010 – B 6 KA 23/09 R - juris Rdnr. 10). Die von der Beklagten vorgenommenen Korrekturen waren rechtmäßig.

Die Klägerin ist nicht berechtigt, weitere 257 mal die GOP 35110 EBM abzurechnen.

Diese Gebührenposition lautet:

Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen

Obligater Leistungsinhalt: - Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen - Systematische Nutzung der Arzt-Patienten-Interaktion - Dauer mindestens 15 Minuten

Fakultativer Leistungsinhalt: - Systematische Nutzung der Arzt-Patienten-Interaktion, bei Säuglingen und Kleinkindern auch unter Einschaltung der Bezugsperson(en) Die Gebührenordnungsposition ist nur von Vertragsärzten berechnungsfähig, die über die Qualifikation zur Erbringung psychosomatischer Leistungen gemäß § 5 Abs. 6 der Psychotherapie-Vereinbarungen verfügen.

Die Gebührenordnungsposition 35110 ist bis zu dreimal am Tag berechnungsfähig.

Die Beklagte hat die von der Klägerin vorgenommen Abrechnungen der GOP 35110 EBM-Ä zu Recht für eine Behandlung zweimal korrigiert, soweit die Klägerin diese Ziffern wegen der Behandlung eines Versicherten an einem Behandlungstag dreimal zur Abrechnung gebracht hat. Die Beklagte hat stattdessen die Gebührennummer richtig nur einmal angesetzt.

Die Rechtmäßigkeit dieser Korrektur ergibt sich daraus, dass die GOP 35110 regelmäßig nur einmal pro Behandlungstag abgerechnet werden kann und die Klägerin keine besonderen Gründe geltend gemacht hat, die es rechtfertigen würden, sie ausnahmsweise bis zu dreimal am Tag anzusetzen. Dies hat der Senat bereits in seinem auch vom SG angeführten Urteil vom 18. März 2016 (L 24 KA 91/13) näher dargestellt. Auf die dortigen Ausführungen kann verwiesen werden: "Für die Auslegung der Gebührentatbestände gilt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, dass in erster Linie ihr Wortlaut maßgeblich ist. Denn der EBM dient als vertragliches Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Vertragsärzten und Krankenkassen. Deswegen ist es vorrangig die Aufgabe des Bewertungsausschusses, bestehende Unklarheiten innerhalb des EBM zu beseitigen. Darüber hinaus verfolgt der EBM den Zweck, die Gebührentatbestände abschließend zu kodifizieren, so dass eine Ergänzung oder Lückenfüllung im Wege der Auslegung grundsätzlich nicht in Frage kommt. Nur wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes mehrdeutig ist, kann demnach Raum für eine an der Systematik des EBM orientierte Auslegung sein, die dann auch einen Vergleich mit ähnlich formulierten Leistungsbeschreibungen beinhalten kann. Für eine historische Auslegung des EBM gelten die gleichen Einschränkungen. Sie ist zudem beschränkt auf die Verwendung von Dokumenten, aus denen die Auffassung der Urheber der Bestimmungen zur Zeit der Formulierung der Gebührentatbestände hervorgeht (vgl. zum Ganzen v. 18. August 2010 – B 6 KA 23/09 R - juris Rn 11; Freudenberg in jurisPK SGB V, 3. Aufl., § 87 Rn 130 jeweils mit weit. Nachw.). Aus dem Wortlaut der Gebührennr. 35110 ergibt sich eindeutig, dass für die nach der Leistungsbeschreibung mögliche bis zu 3malige Abrechnung pro Behandlungstag jedenfalls nicht ausreicht, dass die verbale Intervention über einen Zeitraum von mehr als 45 Minuten erbracht wird. Denn die in der Leistungsbeschreibung formulierte Dauer von 15 Minuten ist ausdrücklich ein Mindestwert. Daraus ergibt sich, dass eine Behandlung von mehr als 15minütiger Dauer immer noch den Tatbestand einer Behandlung erfüllt. Im EBM ist eben gerade nicht bestimmt, dass für alle beendeten 15 Minuten einer verbalen Intervention erneut eine Gebührenziffer abrechenbar wird. Mehrdeutig ist der Gebührentatbestand lediglich insoweit, als dort nicht näher vorgegeben wird, unter welchen Voraussetzungen die mehrmalige Abrechnung zulässig ist. Dass es dafür nicht auf die reine Zeitdauer ankommen kann, ergibt sich aber unmittelbar aus dem Wortlaut. Deswegen liegt es nahe, die mehrmalige Abrechenbarkeit - wie von der Beklagten unter Hinweis auf die Kommentarliteratur vorgenommen - daran zu knüpfen, dass die Behandlung zunächst beendet und aus besonderen Gründen später am Behandlungstag erneut eine weitere Sitzung begonnen wird. Diese Fragen kann der Senat aber dahingestellt sein lassen, weil die Klägerin mit Ausnahme der reinen Zeitdauer der von ihr vorgenommenen Behandlung keinerlei Gesichtspunkte vorgetragen hat, welche geeignet wären, die mehrmalige Abrechnung der Gebührennr. wegen der Behandlung von Versicherten am selben Tage zu rechtfertigen. Die von der Klägerin vorgetragenen rechtlichen Gesichtspunkte zur Auslegung des Gebührentatbestandes sind nicht geeignet, den Senat von seiner Auffassung über den Inhalt der Leistungsbeschreibung abzubringen. Insbesondere ist es wegen des in Bezug auf die hier entscheidungserhebliche Frage eindeutigen Wortlauts der Vorschrift nicht zulässig, Maßgaben für die Auslegung des Gebührentatbestandes aus den Psychotherapierichtlinien oder der vorherigen Fassung des EBM abzuleiten. Auch die Frage, ob die Abrechnungsvoraussetzungen mit dem festgestellten Inhalt medizinisch sinnvoll formuliert sind, stellt sich nicht. Dem Bewertungsausschuss kommt nämlich ein weitgehender Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu. Gerichtliche Korrekturen sind nur bei rechtsmissbräuchlichem Fehlgebrauch der Gestaltungskompetenz denkbar. Auf die Auskömmlichkeit des sich ergebenden Honorars kann es schon deswegen nicht ankommen, weil dem Zuschnitt der vertragsärztlichen Vergütung regelmäßig eine Mischkalkulation zugrunde liegt."

Auch die weiteren Streichungen sind zu Recht erfolgt. Entgegen ihren Verpflichtungen hat die Klägerin nur eine einzige Patientendokumentation eingereicht und so die GOP 35110 EBM nur für eine Sitzung ausreichend dokumentiert.

Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 22. November 2013 (L 24 KA 69/12) zu den vertragsärztlichen Pflichten zu einer ordnungsgemäßen Patientendokumentation – auch im Rahmen der Prüfung nach § 106a SGB V – Stellung genommen (juris –Rdnr. 26ff): "Der Senat kann – mit dem BSG (Urt. v. 19.11.1985 – 6 RKa 14/83 - juris Rn. 20) - dahingestellt sein lassen, ob auf die Weitergabe von Patientendaten durch einen Vertragsarzt die Vorschriften des zweiten Kapitels des SGB X über den Schutz der Sozialdaten (§§ 67-85a SGB X) Anwendung finden. Sollte dies der Fall sein, wäre die Weitergabe nach §§ 67b Abs.1 Satz 1, 67d Abs.1 SGB X nur zulässig, soweit der Betroffene zugestimmt hatte oder eine Vorschrift des SGB die Weitergabe erlauben würde. Nichts wesentlich anderes ergäbe sich unter der Geltung des BDSG, das nach seinem § 15 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BDSG die Weitergabe von Daten an öffentliche Stellen erlaubt, wenn eine Rechtsvorschrift dies vorsieht oder zwingend voraussetzt oder der Betroffene eingewilligt hat und die Daten zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich sind. Das BSG hat noch unter der Geltung der RVO entschieden, dass auch ohne besondere Rechtsgrundlage bereits aus dem System der Errichtung von kassenärztlichen Vereinigungen folge, dass der Vertragsarzt innerhalb des Systems der vertragsärztlichen Versorgung die Daten seiner Patienten offenbaren dürfe (Urt. v. 19.11.1985 – 6 RKa 14/83, bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 7. Juli 1987 – 1 BvR 283/86). Mittlerweile findet sich in den §§ 295 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 1a SGB V eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Übermittlung von Patientendaten an die kassenärztliche Vereinigung. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass § 295 Abs. 1a SGB V nur die Vorlage von Befunden im Rahmen der Prüfung nach § 106a SGB V umfasst, die Beklagte mit der Anforderung von Patientendokumentationen aber noch andere Daten herausverlangt habe, übersieht er, dass die Vorlagepflicht für die sonstigen Daten, die eine Patientendokumentation neben den Befunden ausmachen, sich bereits aus § 295 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V ergibt. Damit scheidet auch ein Verstoß gegen § 203 StGB aus, der die Offenbarung eines Geheimnisses durch einen Arzt unter Strafandrohung stellt. Wegen der ausdrücklichen Regelung im SGB V handelt es sich bei der Weitergaben von Patientendaten an eine kassenärztliche Vereinigung nicht um eine unbefugte Offenbarung. Die Rechtsgrundlage für die Erhebung und Weiterverarbeitung der in der Patientendokumentation enthaltenen Daten durch die Beklagte findet sich in § 285 Abs. 2 SGB V."

Speziell bei psychotherapeutischen Maßnahmen gehört aufgrund I 2.1 EBM die nach § 12 Psychotherapeuten-Richtlinie erforderliche Dokumentation zum obligatorischen Leistungsinhalt. I 2.1 EBM (Vollständigkeit der Leistungserbringung) lautet:

Eine Gebührenordnungsposition ist nur berechnungsfähig, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden ist. ( ) Die Vollständigkeit der Leistungserbringung ist gegeben, wenn die obligaten Leistungsinhalte erbracht worden sind und die in den Präambeln, Leistungslegenden und Anmerkungen aufgeführten Dokumentationspflichten - auch die der Patienten- bzw. Prozedurenklassifikation (z. B. OPS, ICD 10 GM) - erfüllt, sowie die erbrachten Leistungen dokumentiert sind. Die in der Überschrift zu einer Gebührenordnungsposition aufgeführten Leistungsinhalte sind immer Bestandteil der obligaten Leistungsinhalte.

Die GOP 35110 EBM gehört zu Kapitel 35

Leistungen gemäß den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinien)

§ 12 Psychotherapie-Richtlinie (in der hier maßgeblichen Fassung vom 19. Februar 2009, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 58 [S. 1399] vom 17. April 2009, in Kraft getreten am 18. April 2009, zuletzt geändert am 14. April 2011, veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 100 [S. 2424] vom 07. Juli 2011 in Kraft getreten am 08. Juli 2011) bestimmte:

§ 12 Schriftliche Dokumentation Psychotherapie und psychosomatische Grundversorgung erfordern eine schriftliche Dokumentation der diagnostischen Erhebungen und der wesentlichen Inhalte der psychotherapeutischen Interventionen.

Diesen Pflichten ist die Klägerin nicht nachgekommen. Die "digitalen Übermittlungen" genügen nicht, auch die Einreichung von bis auf Namen und Datum der Sitzung geschwärzten Kopien der Dokumentationen.

Abgesehen von der Dokumentationspflicht als solcher hat das SG aus Sicht des Senats zutreffend zudem darauf hingewiesen, dass im konkreten Fall auffallend ist, dass der Ansatz der GOP 35110 EBM sehr häufig auf die Abrechnung der GOP 23220 EBM erfolgt ist.

Die Gebühren-Nr. 23220 EBM lautet:

Psychotherapeutisches Gespräch als Einzelbehandlung Obligater Leistungsinhalt - Dauer mindestens 10 Minuten - Einzelbehandlung Fakultativer Leistungsinhalt - Syndrombezogene therapeutische Intervention, - Krisenintervention - Anleitung der Bezugsperson(en). Je vollendete 10 Minuten, höchstens 15 mal im Behandlungsfall. Bei der Nebeneinanderberechnung der Gebührenordnungspositionen 23210 bis 23212, 23214 und 23220 ist eine Gesprächsdauer von mindestens 20 Minuten. Voraussetzung für die Berechnung der Gebührenordnungsposition 23220. Die Gebührenordnungsposition 23220 ist nicht neben den Gebührenordnungspositionen 01210, 01214, 01216, 01218 und 30930 bis 30933 und nicht neben den Gebührenordnungspositionen der Abschnitte 35.1 und 35.2 berechnungsfähig.

Nachdem die GOP 23220 EBM 15 mal, also mit der Maximalanzahl pro Behandlungsfall angesetzt wurde (vgl. die Behandlungsscheine VV Bl. II 1-39), folgten anschließend fast in allen Fällen Abrechnungen der GOP 35110 EBM.

Auch die die angegebenen Diagnosen (wie beispielsweise F33.1 oder F 43.0) lassen den Verdacht aufkommen, dass die Maximalzahl für die GOP 23220 umgangen werden sollte. Es war auch deshalb folgerichtig, die Dokumentation anzufordern.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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