L 9 KR 504/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 211 KR 827/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 504/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 10/20 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 139 Abs. 5 SGB V bewirkt eine Beweiserleichterung zur Straffung des Verfahrens.
2. Die Überprüfung der formalen Rechtmäßigkeit der CE-Kennzeichnung durch den Spitzenverband Bund hat sich nicht nur darauf zu beschränken, ob die CE-Kennzeichnung vorliegt. Sie darf die Nachweise, die in einer technischen Dokumentation i.S. des Anhangs VII der Richtlinie 93/42 EWG zu führen sind, heranziehen, wenn die Konformitätserklärung(en) Zweifel erwecken.
3. Zur formalen Rechtmäßigkeitserklärung gehört, dass sich die Konformitätserklärung dem Medizinprodukt eindeutig zuordnen lässt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 2016 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Aufnahme eines speziellen Hausschuhs für Diabetiker/Diabetikerinnen in das Hilfsmittelverzeichnis.

Die Klägerin stellt u.a. konfektionierte spezielle Schuhe für Diabetiker und Diabetikerinnen unter dem Markennamen LucRo® her. Die Schuhe sollen aufgrund der besonderen Form und Ausstattung sowie Verwendung eines atmungsaktiven Innenfutters aus Alcantara (Microfaser) Fuß-, insbesondere Druckverletzungen (Ulcera) vorbeugen, die bei an Diabetes erkrankten Menschen im Rahmen des diabetischen Fußsyndroms auftreten.

Nachdem zunächst der Antrag auf Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis aus dem Jahr 2002 für die LucRo® Spezialschuhe für Diabetiker abgelehnt worden war, war die dagegen erhobene Klage zum Sozialgericht Düsseldorf für die Klägerin erfolgreich (S 8 KR 302/04, Urteil vom 07. Dezember 2006). Das Sozialgericht begründete seine Auffassung u.a. unter Berufung auf die Ergebnisse einer von der Klägerin vorgelegten Klinischen (Kohorten-)Studie der Nutzung von LucRo®-Schuhen von Klaus B und Prof. Dr. med. E. C, Diabetes-Fußambulanz MNR-Klinik, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, an welcher 92 diabetische Hochrisiko-Patienten der Fußambulanz teilgenommen hatten. Die dabei untersuchten diabetischen Spezialschuhe (DSS) LucRo® waren mit einer starren Laufsohle mit einer Ballenrolle ausgestattet und enthielten eine konfektionierte, stoßdämpfende Einlage; der Schaft bestand aus weichem Leder und enthielt keine Zehenkappen.

Im Rahmen der gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegten Berufung holte das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) am 02. Februar 2008 ein fachmedizinisches Gutachten ein. Aufgrund eines am 12. Juni 2008 vor dem LSG NRW geschlossenen Vergleichs ist der LucRo® Schuh Classic mit der Produktnummer 31.03.08.0001 unter der Gruppennummer 31 in der Untergruppe "Spezialschuhe bei diabetischem Fußsyndrom" im Hilfsmittelverzeichnis gelistet. Daneben ist das Modell LucRo® KINETIC eine schlanker geschnittene Alternative zum Modell Classic (Hilfsmittelverzeichnis-Nr.: 31.03.08.0008), sowie unter der Produktnummer 31.03.08.0024 das Modell LucRo® ergonic (Schutzschuhe für Diabetiker) gelistet. Letztere werden ohne Sohlenversteifung ausgeliefert. In dieser Auslieferung sind sie nicht für Diabetiker geeignet. Bei Verwendung als Diabetesschutzschuh, muss nach den Bestimmungen des Hilfsmittelverzeichnisses nachträglich ein Versteifungselement verklebt werden (Produktinformation des Hilfsmittelverzeichnisses zu LucRo® ergonic).

Unter Bezugnahme auf die bereits erfolgte Eintragung der Spezialschuhe LucRo® [in der Straßenvariante (Classic)] sowie unter Übersendung einer Konstruktionsbeschreibung, wonach Hausschuhe u.a. nahtfreies Innenfutter hätten (Fragebogen unter Ziff. 5.1.), beantragte die Klägerin bei dem Beklagten am 13. Juli 2011 die Eintragung der Spezial-Hausschuhe für Diabetiker unter den Artikelnummern Männer: 21389, 21399, Frauen: 22389, 22384, 22399 und 22394 in das Hilfsmittelverzeichnis, konkret die Produktgruppe 31. Die Konstruktion der Leisten sowie die technischen Eigenschaften seien (im Vergleich zu den Straßenschuhen) unverändert, lediglich die Laufsohle und die Obermaterialien seien marginalen Änderungen unterzogen worden. Auf die Einreichung einer klinischen Studie werde (daher) verzichtet. Die Klägerin übersandte bezüglich der Biokompatibilität des Mikrofasergewebes des Schuhs eine Konformitätserklärung vom 05. Juni 2009 für "Futterstoff für LucRo-Schuhe", wonach die Zytotoxität gemäß DIN EN ISO 10993-5 untersucht worden sei sowie auf der Basis der dargestellten Untersuchungsergebnisse und der Tatsache, dass in der Regel nur indirekter Hautkontakt bestehe der Futterstoff als biokompatibel im Sinne der obigen DIN EN ISO bewertet werde. Des Weiteren übersandte sie eine Konformitätserklärung zur Übereinstimmung der "Diabetiker-Schuhe aus der Produktgruppe LucRo by S." für die Produkthauptgruppenbezeichnung Therapie-Schuhe mit den Anforderungen des Anhang I der EG-Richtlinie 93/42 EWG vom 13. Juli 2011. Beigefügt war zudem ein Produktmuster jeweils des Damen- und Herrenmodells des Hausschuhs in unterschiedlichen Knöchelhöhen.

Gemäß der durch den Beklagten veranlassten Prüfung durch den Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes der Krankenkassen (MDS vom 11. November 2011) lasse die Konformitätserklärung der Klägerin keine Übereinstimmung mit den vorgelegten Schuhmodellen erkennen. Weder die Erklärung noch die Kennzeichnung (CE-Kennzeichnung) auf den Schuhmodellen sei eindeutig. Außerdem seien aufgrund der Produktmusterbeschreibung keine Merkmale zu erkennen, die die Schuhe von handelsüblichen Hausschuhen unterschieden. Trageversuche hätten zudem gezeigt, dass sie im Fersenbereich erheblich zum "Schlappen/Pumpen" neigten. Der Schuh sei nicht abrollerleichternd ausgestaltet, eine spezielle Polsterung (wie bei den Straßenschuhen) sei nicht erkennbar, der hohe Schaft scheuere oberhalb der Knöchel, eine Fersenführung sei im Vergleich zu Normalschuhen schlechter. Der medizinische Nutzen sei nicht belegt. Es fehle auch eine Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache. Es bestehe eine Diskrepanz zwischen den Erklärungen zur Konstruktion, Verarbeitung und den verwendeten Materialien sowie den Unterlagen und Produktmustern. Detaillierte Erklärungen zur Konstruktion, Verarbeitung und zu Bauteilen fehlten. Die Klägerin reichte trotz Aufforderung keine weiteren Unterlagen ein; nach ihrer Auffassung seien die für die Straßenschuhvariante seinerzeit eingereichten Unterlagen auf die Hausschuhe übertragbar.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 16. April 2012 den Antrag auf Eintragung in das Hilfsmittelverzeichnis ab. Die Klägerin erhob am 07. Mai 2012 Widerspruch unter Übersendung einer (undatierten) Stellungnahme des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. OS (Diabetes Schwerpunktpraxis – Fußambulanz – Chirurgie am St. M Krankenhaus D) wonach die beiden Schuharten (Classic und die Hausschuhe) optisch und technisch, hinsichtlich Ausstattungs- und Konstruktionsmerkmalen übereinstimmtenDie Klägerin reichte weitere Unterlagen zu LucRo Classic® und LucRo KINETIC® ein und führte aus, dass die Abrollerleichterung der Spezialhausschuhe weniger stark ausgeprägt sei als in der Straßenschuhvariante. Der Beklagte veranlasste eine weitere Begutachtung durch den MDS (17. Oktober 2012) und wies anschließend mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2012 den Widerspruch zurück.

Die Klägerin hat am 30. November 2012 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Dr. S habe nach Inaugenscheinnahme und Untersuchung der Hausschuhe festgestellt, dass die in der klinischen Kohortenstudie (B/Prof. Dr. C) zu den Spezialschuhen für Menschen mit Diabetes aus dem Jahre 2002 erzielten Resultate auf die streitgegenständlichen Hausschuhe übertragen werden könnten. Außerdem habe er Trageproben bei sechs Patienten vorgenommen und festgestellt, dass die bestehenden marginalen Unterschiede (leichtere Sole und leichteres Obermaterial) an der Wirkung der Schuhe nichts änderten. So falle die Abrollerleichterung - bedingt durch die Wohnungsnutzung – geringer aus, sämtliche der Schuhe verfügten aber über eine unterschiedlich ausgestaltete Polsterung zwischen dem Schaft und den Innenfutter. Bei den streitgegenständlichen Hausschuhen handele es sich um Hilfsmittel, dagegen nicht um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Die Schuhe würden speziell für die Bedürfnisse von am Podopathie erkrankten Diabetikern hergestellt und auch überwiegend von diesen benutzt. Sie seien aufgrund ihrer Konstruktion und des gewählten Materials und seiner Verarbeitung besonders geeignet, das Ulcusrisiko und Druckschäden zu reduzieren und diese in Zukunft zu verhindern. Sie seien den orthopädischen Schuhen vergleichbar. Zudem handele es sich um ein Medizinprodukt im Sinne des § 3 Medizinproduktegesetz (MPG). Die Klägerin habe Konformitätserklärungen bezüglich der Biokompatibilität des Mikrofasergewebes sowie der Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen des Anhangs I der EG-Richtlinie 93/42 EWG vorgelegt. Die Hausschuhe seien mit den Straßenschuhen nahezu identisch und beruhten auf der gleichen Wirkweise. Damit seien sie einer anerkannten Behandlungsmethode der Produktuntergruppe 31.03.08 des Hilfsmittelverzeichnisses zuzuordnen. Die Behandlungsmethode der Spezialschuhe sei seit vielen Jahren anerkannt und nachweislich bewährt. Die Beweisanforderungen des § 135 SGB V könnten keine Anwendung finden. Nicht gefordert werden könne daher die Vorlage gesonderter Studien, besonderer klinischer Prüfungen oder gesonderter Nachweise eines Vorteils oder eines Zusatznutzens speziell für die Hausschuhe. Klinische Bewertungen, die über diejenigen i.S. des § 19 MPG hinausgingen, könnten nicht gefordert werden. Zu prüfen sei für die Medizinprodukte der Risikoklasse I i.S. des § 3 Nr. 1 MPG, denen die Hausschuhe zuzuordnen seien, ihre Funktionstauglichkeit: gemessen daran seien die Hausschuhe bei bestimmungsgemäßen Gebrauch geeignet, ihren Verwendungszweck zu erfüllen und ihre Qualität sei nachgewiesen. Das gelte auch für die Sicherheit. Beide Aspekte würden bei Medizinprodukten ohne weitere Beweisführung allein durch das ordnungsgemäße Verfahren zur Feststellung der Konformität mit dem MPG und die CE-Kennzeichnung gewährleistet (§§ 1 sowie 6, 7 MPG). Die Hausschuhe seien nach den "Grundlegenden Anforderungen" des Anhang I der Richtlinie 93/42 EWG mit der CE-Kennzeichnung versehen. Das EG-Konformitätsverfahren sei gemäß Anhang VII der obigen Richtlinie durchgeführt worden (Anlage 16). Der CE-Kennzeichnung komme Tatbestandswirkung zu (so BSG in: B 3 KR 28/05 R). Diese Maßstäbe könnten nicht über die Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses ausgehebelt werden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Magnetodyn-Entscheidung des BSG (B 3 KR 21/99 R. Die Klägerin habe mit ihrem Antrag eine Konformitätserklärung bezüglich der Biokompatibilität des Microfasergewebes, d.h. den Innenfutterstoff für die LucRo® Schuhe, beigefügt. Die Straßenvariante bestehe aus denselben Materialien. Erst für Produkte ab der Risikogruppe IIb verlange die Medizinprodukterichtlinie einen dezidierten Biokompatibilitätstest auf der Grundlage der DIN EN ISO 10993-1:1998-06 und DIN EN ISO 10993-1 Berichtigung 1:1999-06. Der medizinische Nutzen sei bereits durch die CE-Kennzeichnung sowie mittels der Studie B et al. für die Straßenschuhvariante geführt worden sei. Davon seien das Sozialgericht Düsseldorf wie auch das nachfolgende LSG NRW bei Abschluss des Vergleichs (L 16 KR 243/06) ausgegangen. Einer weiteren Erklärung der Gutachter, welche die Straßenvariante bewertet hätten, bedürfe es nicht. Es handele sich nur um eine Alternative zu den bereits gelisteten Spezialschuhen (B 3 KR 28/05 R). Beide Schuhe basierten auf der gleichen Behandlungsmethode. Die Schuhe seien auch mängelfrei. Die von dem Beklagten berichteten Trageversuche seien nicht repräsentativ. Gegen Mängel bei der Fersenführung spreche, dass die Schuhe bereits seit einiger Zeit beanstandungsfrei im Verkehr seien. Die weniger stark ausgeprägte abrollerleichternde Sohle beruhe auf der unterschiedlichen Benutzung und Zwecksetzung. Hausschuhe dienten weniger dem Gehen längerer Strecken als dem Stehen, welches mit weniger Abtrollerleichterung komfortabler sei. Die versorgten Patienten hätten auch nicht berichtet, dass der Schuhschaft scheuere. Die erforderlichen Produktinformationen und die Gebrauchsanweisung lägen mit dem aktuellen Prospekt und dem "Schuhpass" vor. Kontraindikationen bestünden bei einer aktiven Wunde oder einer diabetisch-neuropathischen Osteoarthropathie. Die von dem Beklagten bestrittene objektive Erforderlichkeit der streitigen Hausschuhe ergebe sich daraus, dass diverse Krankenkassen in den Hilfsmittelverträgen gemäß § 127 SGB V die Erstattung der Diabetiker-Schuhe geregelt hätten. Das Sozialgericht Düsseldorf hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 29. April 2013 an das Sozialgericht Berlin verwiesen.

Die Klägerin hat auf Veranlassung des Sozialgerichts u.a. die technische Dokumentation sowie die CE-Konformitätserklärung vom 20. August 2014 inklusive Unterlagen sowie Schuhmuster eingereicht (Schriftsatz vom 24. September 2014).

Mit Urteil vom 28. September 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob der therapeutische Nutzen der Hausschuhe anhand der für die Straßenschuhvariante erfolgten Unterlagen nachgewiesen sei. Eine Funktionstauglichkeit sei für die Spezialhausschuhe jedenfalls nicht nachgewiesen. Die Funktionstauglichkeit und die Qualität von Produkten könnten durch Anwendungsstudien, Sachverständigengutachten oder anhand einer CE-Kennzeichnung nachgewiesen werden, welcher insoweit Tatbestandswirkung zukomme. Voraussetzung der CE-Kennzeichnung sei, dass die "Grundlegenden Anforderungen" nach § 7 MPG erfüllt seien und ein für das jeweilige Hilfsmittel vorgeschriebenes Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden sei. Diese Voraussetzungen seien bei den streitigen Hilfsmittel nicht gegeben. Zwar habe die Klägerin im Klageverfahren eine (aktuelle) CE-Erklärung vorgelegt. Jedoch sei, da die verschiedenen DIN-Normen ineinandergriffen, eine Konformitätserklärung zu fordern, die im Zeitpunkt der Abgabe die jeweils geltenden DIN-Normen zugrunde lege. Die zuletzt vorgelegte Konformitätserklärung vom August 2014 erfülle dieses Merkmal nicht und sei in sich inkonsistent und deshalb nicht geeignet die Tatbestandswirkung hinsichtlich der Funktionstauglichkeit auszulösen. Der Erklärung seien Anlagen beigelegt, aus denen sich ergebe, dass die Prüfung der Konformitätserklärungen nicht anhand der Rechtslage des Zeitpunkts erfolgt sei, in der die Konformitätserklärung abgegeben worden sei. Bei Abgabe im August 2014 habe nicht mehr die DIN-Norm DIN EN ISO 9000/2000 gegolten. Diese sei bereits im Dezember 2005 durch die DIN EN ISO 9000/2005 ersetzt worden. Die abgegebene Erklärung beziehe sich, wie vom Beklagten zu Recht dargelegt, auf eine für die streitgegenständlichen Hausschuhe nicht hinreichende Konformitätserklärung der Biokompatibilität. Ausweislich der Prüfung seien die Konformitätserklärungen unter Zugrundelegung der Annahme erfolgt, dass in der Regel nur indirekter Hautkontakt vorliege. Nach Ansicht der Kammer reiche eine Biokompatibilitätsprüfung unter einer solchen Annahme zwar für Straßenschuhe, nicht jedoch für Hausschuhe aus. Es könne bei Hausschuhen nicht davon ausgegangen werden, dass diese stets nur mit Strümpfen benutzt würden und insoweit nur indirekter Hautkontakt entstehe. Für eine hinreichende CE-Erklärung bedürfe es einer Biokompatibilitätsprüfung, welche diese auch für eine Nutzung mit direktem Hautkontakt feststelle.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 6. Oktober 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. November 2016 Berufung eingelegt. Sie habe im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens die technische Dokumentation zum Nachweis der Erfüllung der "Grundlegenden Anforderungen" des Anhangs VII der EG-Richtlinie 93/42 EWG eingereicht. Diese belege, dass die streitgegenständlichen Schuhe die "Grundlegenden Anforderungen" erfüllten. Es sei daher unschädlich, dass die Konformitätserklärung vom 20. August 2014 nicht ausdrücklich den Hinweis auf Anhang VII enthalte. Sie habe auch die erforderliche Risikoanalyse vorgenommen. Das einzuhaltende Verfahren setze zudem keine Biokompatibilitätsprüfung voraus. Diese werde auch nicht vom Hilfsmittelverzeichnis für die maßgebliche Produkt-Untergruppe 31.03.08.0XXX "konfektionierte Schutzschuhe für Diabetiker" vorgesehen. Vielmehr werde auf die Einhaltung der Medizinprodukterichtlinie (Richtlinie 93/42/EWG) verwiesen. Diese sehe jedoch den Nachweis der Biokompatibilität nicht vor. Unter Ziff. 7.1 des Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG sei dies nicht vorgeschrieben, dem Hersteller stehe insoweit ein Spielraum zu, wie er die Prüfung und Konformität seiner Produkte nachweise. Insofern enthalte auch das Antragsformular des Beklagten den Hinweis, dass hinsichtlich Toxikologie und Karzinogenität z.B. eine Schadstoffprüfung (SG-Prüfung) ausreiche. Diese sei jedoch dokumentiert. Die bei der Prüfung der Biokompatibilität von Medizinprodukten und Werkstoffen am häufigsten zum Einsatz kommende Norm sei die EN ISO 10.993-1 "biologische Beurteilung von Medizinprodukten – Teil 1: Beurteilungen und Prüfungen im Rahmen eines Risikomanagementprozesses". Die Anwendung dieser Norm sei jedoch freiwillig und werde insbesondere im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens für aktive implantierbare medizinische Geräte angewendet. Die Klägerin habe im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens und der Risikoanalyse freiwillig die Biokompatibilitätserklärung vom 05. Juni 2009 zugrunde gelegt. Selbst wenn aber eine Biokompatibilitätsprüfung dem Grunde nach erforderlich sein sollte, so genüge der bereits erbrachte Nachweis. Beim bestimmungsgemäßen Gebrauch der streitgegenständlichen Hausschuhe liege in der Regel nur ein indirekter Hautkontakt vor. Die Klägerin habe in der Gebrauchsanweisung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Schuhe nur mit LucRo®-Spezialsocken zu tragen seien. Eines ausdrücklichen Warnhinweises bedürfe es nicht. Auch sei unzutreffend, dass die Konformitätserklärungen auf der DIN EN ISO 9000/2000 für das maßgebliche Qualitätsmanagement beruhten. Ausweislich der eingereichten technischen Dokumentation und des Zertifikats der TÜV R C GmbH vom 27. Mai 2013 sei das QM-System der Klägerin gemäß ISO 9001:2008 zertifiziert. Die CE-Kennzeichnung beruhte daher auf der aktuell gültigen DIN-Norm für das Qualitätsmanagementsystem. Eines weiteren Nachweises des medizinischen Nutzens bedürfe es nicht, da es sich nur um ein weiteres Modell der im Hilfsmittelverzeichnis bereits geleisteten Spezialschuhe handele. Außerdem habe das Sozialgericht verfahrensfehlerhaft eine Überraschungsentscheidung getroffen. Die Biokompatibilitätsprüfung sei im Vorfeld der Entscheidung des Sozialgerichts nicht thematisiert worden. Die Klägerin hat die Konformitätserklärung vom 05. September 2018 eingereicht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sie einen Bericht des Prüfinstituts vom 27. September 2017 zur Prüfung auf Irritation und Sensibilisierung gemäß EN ISO 10993-10:2013 und zur Zytotoxizitätsprüfung nach EN ISO 10993-5:2009 vom 02. Oktober 2017 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die von der Klägerin produzierten Spezialhausschuhe für Diabetiker mit den Produktnamen 21389, 21399, 22384, 22389, 22394 und 22399 in das Hilfsmittelverzeichnis für die Indikation "diabetische Polyneuropathie mit ausgeprägter Neuropathie (Sensibilitätsverlust) und ausgeprägter Angiopathie (Durchblutungsstörungen), verbunden mit bereits vorhandenen oder abgeheilten Ulcera und/oder mechanischen Irritationen, die zu regionalen Druckspitzen führen", aufzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Nachweis der Funktionstauglichkeit und Sicherheit sei nicht erbracht. Die formale Rechtmäßigkeit der Konformitätserklärungen liege nicht vor. Die technische Dokumentation könne die Erklärung nicht ersetzen. Es fehle nach wie vor an einer ordnungsgemäßen Gebrauchsanweisung. Bei Verwendung mit Hausschuhen sei es für einen Patienten nicht erkennbar, dass er diese nur mit Socken tragen dürfe. In der "Gebrauchsanweisung der Klägerin, dem "Schuhpass", gebe es keinen diesbezüglichen Warnhinweis. Der enthaltene Hinweis auf die LucRo®-Spezialsocken habe eher Werbecharakter. Auch fehle die nach § 139 Abs. 4 SGB V erforderliche Gebrauchsinformation für die sichere Handhabung, weil der "Schuhpass" keine Kontraindikationen enthalte.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs des Beklagten und die Produktmuster, welche die Klägerin eingereicht hat, Bezug genommen, die, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Eintragung der streitgegenständlichen Diabetiker-Hausschuhe in das Hilfsmittelverzeichnis.

I. Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Klägerin erstrebt mit ihr die Eintragung des streitigen Produkts in das Hilfemittelverzeichnis (Engelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 139 SGB V, Rn. 71 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BSG).

II. Die Klage ist unbegründet, denn die Voraussetzungen für den Anspruch sind nicht nachgewiesen.

1. Rechtsgrundlage für den in die Zukunft gerichteten Anspruch der Klägerin ist § 139 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4 und 5 sowie Abs. 7 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch – SGB V (in der Fassung vom 11. April 2017; BSG; Urteil vom 22. April 2009 - B 3 KR 11/07 R Rn. 20, juris).

Nach § 139 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGB V ist ein Hilfsmittel vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen in das Hilfsmittelverzeichnis auf Antrag des Herstellers aufzunehmen, wenn dieser die Funktionstauglichkeit und Sicherheit, die Erfüllung der Qualitätsanforderungen nach Absatz 2 und, soweit erforderlich, den medizinischen Nutzen nachgewiesen hat und es mit den für eine ordnungsgemäße und sichere Handhabung erforderlichen Informationen in deutscher Sprache versehen ist.

Die Regelung nimmt Bezug auf die Vorschriften des § 33 SGB V, des § 23 Abs. 1 SGB V und des § 42 Abs. 2 Nr. 6 und § 47 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch – SGB IX, die den Leistungsanspruch Versicherter gegen die Krankenkassen auf die Versorgung mit Hilfsmitteln in der GKV sowie bei der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen regeln. Zentrale Anspruchsvoraussetzungen für die Aufnahme eines Produkts in das Hilfsmittelverzeichnis sind neben der Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität der medizinische Nutzen des Hilfsmittels sowie eine für die sichere Handhabung ausreichende Information (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Mai 2016 – L 9 KR 373/13 –, Rn. 20 - 21, juris).

2. Zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin den Nachweis für die Funktionstauglichkeit und Sicherheit für die Spezialhausschuhe sowie ihren medizinischen Nutzen nicht erbracht. Außerdem fehlt es an einer ausreichenden Information zur (sicheren) Handhabung der Spezialhausschuhe.

a) Die Klägerin ist als Unternehmen, welches die streitigen Spezialhausschuhe herstellt und nicht nur vertreibt, Herstellerin i.S. des § 139 Abs. 3 Satz 1 SGB V und als solche antragsberechtigt.

b) Die Spezialschuhe sind als Hilfsmittel grundsätzlich eintragungsfähig. Sie sind kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Nach der maßgeblichen Zweckbestimmung von Hilfsmitteln bezwecken sie die Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung, denn sie sollen bei einer vorhandenen und ärztlich behandelten Diabetes-Erkrankung, welche bereits zu Schäden an den Füßen geführt hat, verhindern, dass sich diese verschlimmert (1. Alternative des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Das gilt auch dann, wenn die Hausschuhe im Einzelfall dazu dienen, wegen des krankheitsbedingt erhöhten Risikos Ulzerationen an den Füßen als eine Krankheitsfolge zu verhindern. Hausschuhe werden zwar auch von gesundheitlich nicht beeinträchtigten Menschen getragen. Allerdings wurden die Spezialhausschuhe nach Konstruktion, Verarbeitung und Materialien speziell für die Bedürfnisse von Diabetikern/Diabetikerinnen konzipiert. Dies ergibt sich hinreichend bereits aus den Angaben im Antrag der Klägerin auf Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis. c) Die Klägerin hat bereits den Nachweis der Funktionstauglichkeit und Sicherheit der streitigen Spezialschuhe nicht erbracht (§ 139 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Dieser Nachweis obliegt allein ihr. Im Unterschied zur Altfassung des § 139 SGB V formuliert § 139 Abs. 4 SGB V in der seit dem GKV-WSG (vom 26. März 2007 - BGBl I., S. 378) geltenden Fassung nicht nur eine Beweislastregel zu Lasten des Herstellers, sondern schränkt den Amtsermittlungsgrundsatz des Beklagten (und des Gerichts) ein. Der GKV-Spitzenverband entscheidet auf der Grundlage der vom Hersteller einzureichenden Unterlagen (Engelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 139 SGB V 1. Überarbeitung, Rn. 64; BT-Drs. 15/1525 S. 127 zu Nr. 111 a). Der Hersteller hat einen Anspruch auf Aufnahme, wenn er die Voraussetzungen des Abs. 4 SGB V nachgewiesen hat. Der Antrag ist nach § 139 Abs. 6 SGB V bereits dann abzulehnen, wenn die Antragsunterlagen unvollständig sind, dem Hersteller zur Einreichung eine angemessene Frist von bis zu sechs Monaten gesetzt wurde und er die Unterlagen nicht vollständig innerhalb der Frist eingereicht hat (BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 3 KR 20/15 RBSGE 121, 230-243 Rn. 32 f.). Ansonsten entscheidet der Spitzenverband Bund der Krankenkassen innerhalb von drei Monaten nach Vorlage der vollständigen Unterlagen.

aa) Es kann im Fall der Klägerin offen bleiben, ob sie bis zur Verwaltungsentscheidung des Beklagten nur unvollständige Unterlagen zu ihrem Antrag eingereicht hat, worauf der Beklagte mehrfach hingewiesen hat. Jedenfalls hat ihr der Beklagte keine unmissverständliche Ausschlussfrist i.S. des § 139 Abs. 6 SGB V zur Einreichung der Unterlagen gesetzt und nachvollziehbar seine ablehnende Entscheidung auch nicht darauf gestützt.

bb) Die Klägerin kann sich zum Nachweis der Sicherheit und Funktionstauglichkeit nicht auf die CE-Kennzeichnung berufen. § 139 Abs. 5 SGB V bewirkt eine Beweiserleichterung, aber auch eine Straffung des Verfahrens, denn er bestimmt in Satz 1 zur Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen, dass für Medizinprodukte i.S. des § 3 Nr. MPG der Nachweis für die genannten beiden Voraussetzungen durch die CE-Kennzeichnung grundsätzlich als erbracht gilt. Dies gilt auch für die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis. In diesem Fall ist ein Hilfsmittel im Sinne der Produktsicherheit und Zwecktauglichkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne funktionstauglich, ohne dass dies von den Krankenkassen oder Gerichten noch eigenständig zu prüfen wäre (§ 139 Abs. 5 Satz 1 SGB V, BT-Drs. 16/3100 S. 150 – Zu Nummer 116 (§ 139); BSG, Urteil vom 03. Juli 2012 – B 1 KR 23/11 R –, BSGE 111, 155-168, Rn. 21 – 23; Urteil vom 28. September 2006 - B 3 KR 28/05 RBSGE 97, 133 ff., Rn. 37 f – Vacoped)

Diese Erleichterung des Nachweises der Funktionstauglichkeit und Sicherheit beruht darauf, dass nach § 6 Abs. 1 MPG regelmäßig Medizinprodukte in Deutschland nur in den Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden dürfen, wenn sie mit einer CE-Kennzeichnung nach näherer Maßgabe des MPG versehen sind. Mit der CE-Kennzeichnung bestätigt der Hersteller, dass das Produkt den geltenden europäischen Bestimmungen (zur Produktsicherheit), ausgehend von der Zweckbestimmung entspricht (Engelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 139 SGB V 1. Überarbeitung, Rn. 73).

Liegt eine CE-Kennzeichnung vor, vergewissert sich der Spitzenverband Bund (lediglich) von der formalen Rechtmäßigkeit der CE-Kennzeichnung anhand der Konformitätserklärung und ggf. der Zertifikate der an der Konformitätsbewertung beteiligten "Benannten Stelle" (i.S. des § 3 Nr. 20 MPG). Aus begründetem Anlass können zusätzliche Prüfungen vorgenommen und hierfür erforderliche Nachweise verlangt werden (§ 139 Abs. 5 Sätze 2 und 3 SGB V).

Ausgehend davon handelt es sich bei den streitigen Spezialhausschuhen zwar um Medizinprodukte, denn sie sind Gegenstände, die nach ihrer Zweckbestimmung und Gebrauchsanweisung (dazu § 3 Nr. 10 MPG) dazu dienen, Krankheiten zu lindern oder Behinderungen zu kompensieren und dies kraft ihrer bestimmungsgemäßen Hauptwirkung am menschlichen Körper, nämlich den Füßen. Sie wirken weder pharmakologisch noch immunologisch, sondern physikalisch-anatomisch. Allerdings kann von einer formalen Rechtmäßigkeit der CE-Kennzeichnung nicht ausgegangen werden. Diese bestimmt sich nach dem MPG, überformt durch das europäische Recht. Die CE-Kennzeichnung darf gemäß § 6 Abs. 2 MPG auf Medizinprodukten nur angebracht werden, wenn diese die "Grundlegenden Anforderungen" des § 7 MPG erfüllen und das für sie vorgesehene Konformitätsverfahren, konkret das Konformitätsbewertungsverfahren, durchlaufen haben. Die Überprüfung der formalen Rechtmäßigkeit hat sich somit nicht darauf zu beschränken, ob eine CE-Kennzeichnung vorliegt und diese sich eindeutig auf das entsprechende Medizinprodukt bezieht. Sie darf auch die Nachweise, die in einer technischen Dokumentation i.S. des Anhangs VII (Nr. 3) der Richtlinie 93/42 EWG zu führen sind, heranziehen. Dies gilt zumindest dann, wenn – wie hier – mehrere Konformitätserklärungen unterschiedlicher Gestalt vorliegen, die ihrerseits Zweifel erwecken. Insoweit besteht "begründeter Anlass" i.S. des § 139 Abs. 5 Satz 3 SGB V die eingereichten Nachweise zur Prüfung des Konformitätsverfahrens mit der Konformitätsbewertung des Herstellers abzugleichen.

(1) Ausgehend davon ist für den Senat bereits nicht erkennbar, ob und wo die Klägerin das CE-Kennzeichen auf dem Produkt angebracht hat. Gemäß § 9 Abs. 3 MPG muss es auf dem Medizinprodukt und der Handelsverpackung sowie auf der Gebrauchsanweisung angebracht werden. Auf den übersandten Produktmustern ist es nicht zu finden. Gründe, warum es nicht auf dem Diabetesspezialschuh selbst angebracht werden könnte, weil er zu klein ist, liegen nicht vor (§ 9 Abs. 3 Satz 2 MPG). Auf dem Schuhpass ist es ebenfalls nicht zu finden. Allein im Prospekt aller LucRo® Schuhe findet sich neben dem Hinweis auf die Studie B/Prof. Dr. C ein CE-Kennzeichen.

(2) Ungeachtet dessen ist nicht nachgewiesen, dass das Medizinprodukt der Klägerin das Konformitätsverfahren für die CE-Kennzeichnung (formal) rechtmäßig durchlaufen hat.

(a) Zur formalen Rechtmäßigkeit gehört an erster Stelle, dass sich die vorgelegte Konformitätserklärung dem betreffenden Medizinprodukt überhaupt (eindeutig) zuordnen lässt und damit zweifelsfrei erklärt, dass die medizinproduktrechtlichen Normen bei der CE-Kennzeichnung speziell für das entsprechende Produkt eingehalten sind (Edelhäuser in: Anhalt/Dieners, Medizinprodukterecht, 2. Aufl. § 5 Konformitätsbewertungsverfahren und Normung Rn. 48, beckonline). Das gilt einerseits für den Spezialschuh selbst, aber auch das Verfahren betreffend einzelner Bestandteile, wie z.B. den verwendeten Futterstoff. Die Klägerin hat für die Diabetes-Spezialhausschuhe insgesamt drei Konformitätserklärungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingereicht sowie für den verwendeten Futterstoff für LucRo® eine eigene Konformitätsbewertung. Dabei hat sie (erst) im Klageverfahren zwei Konformitätserklärungen eingereicht, die sich eindeutig den speziellen Hausschuhen für Diabetiker/Diabetikerinnen zuordnen lassen. Die Konformitätserklärung vom 20. August 2014 sowie diejenige vom 05. September 2018 lassen sich – im Unterschied zu derjenigen vom 13. Juli 2011 – jeweils den Hausschuhen zuordnen, weil sie diese benennen. Die letzte eingereichte Erklärung (2018) beinhaltet auch den Hinweis auf Anhang VII der Richtlinie 93/42/EWG und ist damit vollständig und eindeutig (dazu unter (b)).

(b) Die Klägerin hat aber keinen Nachweis einer klinischen Bewertung für das Medizinprodukt vorgelegt. Diese war nicht entbehrlich (aa). Außerdem tragen die der Konformitätserklärung beigefügten Nachweise die Erklärung nicht. Sie sind zumindest widersprüchlich (bb). Beides führt dazu, dass eine formal rechtmäßige CE-Kennzeichnung nicht vorliegt.

Mit der CE-Kennzeichnung dürfen Medizinprodukte nur versehen werden, wenn sie die "Grundlegenden Anforderungen" nach § 7 MPG erfüllen und das für sie vorgeschriebene Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt worden ist (§ 6 Abs. 2 MPG).

(aa) Die in Bezug genommenen "Grundlegenden Anforderungen" (§ 7 Abs. 1 MPG) sind für aktive implantierbare Medizinprodukte die Anforderungen des Anhangs 1 der Richtlinie 90/385/EWG des Rates vom 20. Juni 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte (ABl L 189 vom 20. Juli 1990, S 17, gültig bis 25. Mai 2020), die zuletzt durch Art 1 der Richtlinie 2007/47/EG (ABl L 247 vom 21. September 2007, S 21) geändert worden ist, für In-vitro-Diagnostika die Anforderungen des Anhangs I der Richtlinie 98/79/EG und für die sonstigen Medizinprodukte die Anforderungen des Anhangs I der Richtlinie 93/42/EWG (ABl L 169 vom 12. Juli 1993, S 1), die zuletzt durch Art 2 der Richtlinie 2007/47/EG (ABl L 247 vom 21. September 2007, S 21) geändert worden ist, in den jeweils geltenden Fassungen. Die "Grundlegenden Anforderungen" werden damit im Wege der dynamischen Verweisung ohne Umweg über eine Rechtsverordnung dem Unionsrecht entnommen (Wagner in Rehmann/Wagner, MPG, 3. Aufl 2018, § 7 Rn. 1 f). Sie umfassen nicht nur Anforderungen an die Produktsicherheit, sondern ebenso an die Eignung entsprechend der Zweckbestimmung und an die Vertretbarkeit unerwünschter Nebenwirkungen. Der Nachweis der Übereinstimmung mit den "Grundlegenden Anforderungen" muss überdies eine klinische Bewertung umfassen (vgl z.B. Anhang I und X Richtlinie 93/42/EWG, §§ 19, 20 MPG, hierzu Rehmann in Rehmann/Wagner, MPG, 3. Aufl 2018, § 19 Rn. 1). Eine solche klinische Bewertung aufgrund von durchgeführten klinischen Prüfungen oder Leistungsbewertungsprüfungen (Rehmann/Wagner/Rehmann, 3. Aufl. 2018, MPG § 19 Rn. 2) hat die Klägerin für die streitigen Schuhe nicht vorgelegt. So kann die klinische Studie von B/Prof. Dr. C (Klinische Studie der LucRo®-Schuhe vom 18. April 2002), welche die Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom 24. September 2014 zur Konformitätserklärung 2014 vorgelegt hat, als "klinische Bewertung" im Rahmen der technischen Dokumentation der Hausschuhe deshalb nicht herangezogen werden, weil sie nach dem Studiendesign allein zu den Modellen der Straßenschuhe erfolgt ist. Allein diese wurden untersucht und von Probanden getragen. Die Straßenschuhe unterscheiden sich aber nach Konstruktion, Bauart, verwendetem Oberstoff und ausweislich der vorgelegten Produktmuster von den Hausschuhen. Sie sind nicht bloß eine Alternative des bereits im Hilfemittelverzeichnis eingetragenen Medizinprodukts, sondern weisen funktionsrelevante Unterschiede auf. Das hat der MDS in seinen Gutachten zuletzt vom 28. Oktober 2014 und vom 10. November 2014 umfassend dargelegt. Es bestehen Unterschiede in der Schaftform, der Schaftgestaltung, dem Sohlenaufbau, jedenfalls aber ihrer Form und Gestaltung. Diese Unterschiede konzediert auch die Klägerin selbst bereits im Widerspruchsverfahren und auch im Klageverfahren, wonach die Hausschuh-Variante eine geringer ausgeprägte Abrollerleichterung aufweist. Funktionsrelevante Unterschiede werden zudem bestätigt durch einen (laienhaften) Augenschein der dem Senat übersandten Produktmuster, jeweils bestehend aus zwei Haus- und Straßenschuhmodellen. Die Hausschuhe weisen eine flachere Sohle auf, sie haben zumindest in der Halbschuhvariante im Gegensatz zu den Straßenschuhen im Innenbereich weitere Nähte. Es erscheint nicht ausgeschlossen und damit prüfungsbedürftig, dass diese Unterschiede – gemessen am Zweck den nerval oder durchblutungsgestörten Fuß vor Druckstellen/Ulzera zu bewahren – nicht irrelevant sind.

Die Stellungnahme von Dr. S (ohne Datum, adressiert an den Beklagten) erfüllt die Kriterien einer (repräsentativen) Studie oder aussagekräftigen Leistungsbewertung nicht. Seine Einschätzung, die Ergebnisse der Studie B/Prof. Dr. C (2002) seien auf die Hausschuhe übertragbar, ist nicht überzeugend. Ihm waren von der Klägerin Produktmuster übersandt worden, die er äußerlich begutachtet hat und die von nur sechs Patienten einer Trageprobe unterzogen wurden. Er räumt selbst ein, dass die Hausschuhe eine leichtere Sohle hätten und anderes Obermaterial. Schließlich wird der Aussagegehalt der Einschätzung dadurch geschmälert, dass der begutachtende Arzt Dr. S – worauf der MDS in seinem Gutachten vom 28. Oktober 2014 hingewiesen hat – selbst in einer Werbebroschüre der Klägerin für das Schuhmodell Lucro KINETIC als Werbender auftritt.

Die Studie W u.a. aus dem Jahr 2013 ist – worauf der MDS hingewiesen hat – schon deshalb nicht geeignet, die Gleichwertigkeit der Schuhmodelle zu belegen, weil sie die Versorgung von Diabetikern mit orthopädischen Maßschuhen untersuchte ("custom-made footwear in patients with diabetes at high risk for plantar foot ulceration").

(bb) Die Konformitätserklärung der Klägerin stimmt teilweise nicht mit der technischen Dokumentation überein, die im Konformitätsverfahren zu erstellen ist. Auch diese (technische) Dokumentation gehört zum Verfahren. Sie ist zumindest widersprüchlich. Begründete Zweifel konnte die Klägerin nicht ausräumen.

Welches Konformitätsverfahren für welches Medizinprodukt vorgeschrieben ist, ergibt sich aus § 37 MPG i.V.m. der Medizinprodukte-Verordnung – MPV (BSG, Urteil vom 03. Juli 2012 – B 1 KR 23/11 RBSGE 111, 155-168, Rn. 21 – 23; VGH München, Beschluss vom 07. Juni 2011 – 9 ZB 09.1657).

Das Konformitätsverfahren selbst richtet sich gemäß § 7 MPV danach, welcher Risikoklasse das Medizinprodukt zugeordnet wird. Nach der gemäß Anhang IX der Richtlinie 93/42/EWG vorgegebenen Einteilung der Medizinprodukte nach Risikoklassen, unterteilt entsprechend einem unterschiedlich hohen Risikopotential, handelt es sich bei den streitigen Spezialschuhen um ein Medizinprodukt der Risikoklasse I, da es nicht invasiv ist (= nicht durch die Körperoberfläche oder über eine Körperöffnung ganz oder teilweise in den Körper eindringt, vgl. Anhang IX, I.1.2, III.1.1 der Richtlinie). Für die Klasse I hat der Hersteller das Verfahren nach Anhang VII der Richtlinie 93/42/EWG durchzuführen. Danach erstellt der Hersteller die technische Dokumentation (mit Produktbeschreibung, Konstruktions- und Fertigungsunterlagen, Zeichnungen, Risikoanalyse, Liste angewandter Normen, Verfahrensbeschreibungen, Prüfberichten, einer klinischen Bewertung nach Anhang X, Kennzeichnung und Gebrauchsanweisungen etc.). und erstellt die Konformitätserklärung, die er zusammen mit der technischen Dokumentation für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nach Herstellung des letzten Produkts zur Einsichtnahme durch die zuständigen Behörden bereithält (Edelhäuser in: Anhalt/Dieners, Medizinprodukterecht, § 5 Konformitätsbewertungsverfahren und Normung Rn. 27, beck-online). Die technische Dokumentation muss nach Anhang VII Ziff. 3 "die Bewertung der Konformität des Produkts mit den Anforderungen der Richtlinie ermöglichen."

Die Unterlagen der technischen Dokumentation der Klägerin belegen zumindest zum Teil nicht eindeutig, dass die Klägerin die aktuellen technischen Referenznormen berücksichtigt hat und stehen somit im Widerspruch zur Konformitätserklärung. Die Angaben nehmen teilweise auf nicht aktuelle technische Normen Bezug und stehen zudem zum Teil im Widerspruch zu den zum Beleg übersandten Dokumenten. So wird auf Seite 2 und 3 des Anhangs I zum Beleg der "Grundlegenden Anforderungen" gemäß Richtlinie 93/42/EWG, übersandt mit Schriftsatz vom 24. September 2014, in der Spalte "Gültige Normen und Prüfgrundlagen" auf ein zertifiziertes QM-System nach DIN EN ISO 9000/2000 verwiesen. Diese technischen Normen waren zu diesem Zeitpunkt aber bereits ersetzt durch die DIN EN ISO 9000/2005. Darüber hinaus steht die Angabe zum QM-System im Widerspruch zum QM-Zertifikat des TÜV Rheinland vom 27. Mai 2013. Dieser Widerspruch wird durch die Klägerin auch im Berufungsverfahren nicht aufgeklärt. Weder der Senat noch der Beklagte muss im Rahmen der Prüfung der formalen Rechtmäßigkeit ermitteln, ob und nach welchen technischen Normen tatsächlich eine Prüfung und Bewertung erfolgt ist. Zudem wird in der Spalte I.4. auf den "klinischen Test" verwiesen, der jedoch nicht für die Hausschuhe erfolgt ist (dazu oben (aa.))

Auch die in Konstruktionszeichnungen/-abbildungen und Produktbeschreibungen erfolgte Gegenüberstellung der Hausschuhe mit den Straßenschuhen ist widersprüchlich. Während z.B. für das Modell Lucro Classic die "Zeichnungen I" für die verschiedenen Modelle erkennen lassen, dass in Obermaterial und Sohlenform Unterschiede bestehen, ergibt sich aus den "Zeichnungen II", dass die Sohlenkonstruktion der Straßenschuhe verwendet worden sein soll. Die tabellenartige Übersicht über die Merkmale der Schuhe ergebe, dass allein der Oberstoff nicht identisch sei.

(3) Sind Normen des Konformitätsverfahrens für die Konformitätserklärung für die Diabetes-Hausschuhe verletzt, ist bereits deshalb eine Fiktion im Rahmen des § 139 Abs. 5 SGB V nicht gerechtfertigt (so noch unter der Annahme einer Tatbestandswirkung der CE-Kennzeichnung, , Medizinprodukte als Hilfsmittel der Krankenversicherung, 3. Kapitel. S. 94/95zitiert nach www.books.google.de, recherchiert am 23.12.2019. Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die (eigenständige) Konformitätserklärung zur Bioqualität des Microfasergewebes vom 5. Juni 2009 auf einer für die Hausschuhe unzutreffenden Annahme beruht, weil sie von einem überwiegend indirekten Hautkontakt (Tragen von Strümpfen) ausgeht. Gleiches gilt für den erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung dem Senat vorgelegten, neueren Prüfbericht der "Prüfung auf Irritation und Sensibilisierung gemäß EN ISO 10993-10:2013" vom 27. September 2017 und 02. Oktober 2017. Für ihn ist bereits nicht nachgewiesen, ob es sich bei dem geprüften Produkt "Pigreco Sprint" um das in den Spezialhausschuhen verarbeitete Material handelt. Dieses wird in der Biokompatibilitätsprüfung aus dem Jahr 2009 mit "PiGreco" oder nur mit "Innenfutter für LucRo Schuhe" ("Lining fabric for LucRo shoes") angegeben. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht von Belang, ob die Biokompatibilitätsprüfung nach der Medizinprodukterichtlinie im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens für die streitigen Hausschuhe zwingend erforderlich ist.

d) Selbst wenn man aber zugunsten der Klägerin vom Nachweis der Sicherheit und Funktionstauglichkeit i.S. des § 139 Abs. 5 Satz 1 SGB V aufgrund der CE-Erklärung nebst Unterlagen ausgehen würde, so hat die Klägerin den medizinischen Nutzen der Diabetiker-Spezialhausschuhe nicht belegt. Dieser ergibt sich wegen der Konstruktionsunterschiede nicht bereits aus Studien, welche zu den Straßenschuhen erfolgt sind (dazu bereits oben). Im Übrigen hat der MDS in seinen Gutachten zuletzt vom 28. Oktober 2014 die Frage aufgeworfen, ob der Einsatz von Diabetes-Hausschuhen zu einer Vermeidung oder Reduktion von Ulcus-Rezidiven führt. Die vom MDS u.a. in Bezug genommene Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes Präventions- und Behandlungsstrategien für Fußkomplikationen befindet sich (nach wie vor) in Überarbeitung. Weitere (produktbezogene) Unterlagen hat die Klägerin im gerichtlichen Verfahren dazu nicht eingereicht. Allein sie wäre dazu verpflichtet gewesen (BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 3 KR 20/15 RBSGE 121, 230-243, Rn. 33).

e) Die Klägerin hat schließlich eine für eine ordnungsgemäße und sichere Handhabung erforderliche Informationen in deutscher Sprache i.S. des § 139 Abs. 4 Satz 1 SGB V nicht vorgelegt. Der "Schuhpass", der sich auf alle Modelle der Klägerin bezieht, genügt den Anforderungen nicht. Mit den Gebrauchsinformationen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass "die Hilfsmittel bestimmungsgemäß vom Versicherten selbst, ggf. mit Unterstützung durch die ihn betreuenden Personen, bei denen es sich häufig ebenfalls nicht um Fachpersonal handelt, genutzt werden" (so BT-Drs. 16/3100 S. 150 – Zu Nummer 116 (§ 139)). Dies bedingt aber, dass Versicherte unmissverständlich informiert werden, dass auch die Hausschuhe nur oder überwiegend mit Strümpfen getragen werden sollen. Das ist dem Schuhpass, der unterschiedslos für alle Schuhmodelle eine Gebrauchsanweisung darstellt, nicht zu entnehmen. In dem Prospekt über das Gesamtsortiment werden die Socken zudem lediglich mit "LucRo-Socken helfen" überschrieben und ihre Vorteile herausgestellt, aber nicht, dass die (Haus- ) Schuhe mit den Socken zu tragen sind (S. 19 des Prospektes). Außerdem ist die von der Klägerin selbst in der Klagebegründung beschriebene Kontraindikation, wonach die Hausschuhe bei offenen Wunden nicht getragen werden dürfen, an keiner Stelle des Schuhpasses als deutlicher Warnhinweis enthalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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