L 13 SB 212/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 5 SB 345/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 212/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. August 2018 geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016 wird insoweit aufgehoben, als damit ein Gesamt-GdB von weniger als 50 fest-gestellt wurde. Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtli-che Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens zur Hälfte zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Herabsetzung der Höhe des Grades der Behinderung (GdB).

Mit Bescheid vom 23. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2010 stellte der Beklagte bei der 1962 geborenen Klägerin, bei der im Juli 2009 eine Quadrantenresektion der Brust vorgenommen worden war, einen GdB von 70 fest, wobei er folgende Behinderungen zu Grunde legte.

1. Teilverlust der linken Brust, Brustdrüsenerkrankung links in Heilungsbewäh-rung (Einzel-GdB von 60), 2. operierter Bandscheibenvorfall, ausstrahlende Beschwerden und Funktions-störung der Wirbelsäule (Einzel-GdB von 30), 3. Hirnschädigung (Einzel-GdB von 10), 4. Lymphödem des linken Armes (Einzel-GdB von 10), 5. Funktionsstörung beider Kniegelenke (Einzel-GdB von 10).

Im Juli 2014 leitete der Beklagte das Nachprüfungsverfahren ein. Im Hinblick darauf, dass kein Anhalt für ein Rezidiv bestand, setzte er nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 28. Juli 2015, der am 30. Juli 2015 abgesandt wurde, bei der Klägerin den GdB auf 30 ab Bekanntgabe herab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2016 zurück. Er ging zuletzt von fol-genden Behinderungen aus:

1. Teilverlust der linken Brust (Einzel-GdB von 10), 2. Funktionsstörung der Wirbelsäule (operierter Bandscheibenvorfall, ausstrah-lende Beschwerden) (Einzel-GdB von 30), 3. Hirnschädigung (Einzel-GdB von 10), 4. Lymphödem des linken Armes (Einzel-GdB von 10), 5. Funktionsstörung beider Kniegelenke (Einzel-GdB von 10), 6. Ohrgeräusche (Einzel-GdB von 10), 7. Stimmstörung (Einzel-GdB von 10).

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Potsdam hat die Klägerin begehrt, die Herabset-zungsentscheidung des Beklagten aufzuheben. Nach Einholung von Befundberichten hat das Sozialgericht mit Urteil vom 28. August 2018 die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein höherer Gesamt-GdB als 30 lasse sich nicht feststellen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren zunächst weiterverfolgt, in der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2020 indes beschränkt hat.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 28. August 2018 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2015 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 30. August 2016 aufzuheben, soweit der GdB auf ei-nen Wert von weniger als 50 abgesenkt worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist, soweit sie ihr Begehren noch weiterverfolgt, begründet.

Das Sozialgericht hat die Anfechtungsklage, soweit sie sich gegen die im Bescheid vom 28. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2016 verfügte Herabsetzung des GdB von 70 auf unter 50 richtet, zu Unrecht abgewiesen. Denn die Absenkung ist in diesem Umfang rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für einen Absenkungsbescheid ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetz-buch, Zehntes Buch (SGB X). Danach ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine we-sentliche Änderung eintritt. Im hier zu entscheidenden Fall handelt es sich bei dem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung um den Bescheid vom 23. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2010.

In den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsakts vorgele-gen haben, trat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten eine wesentliche Änderung nur insoweit ein, als die Herabsetzung auf einen Gesamt-GdB von 50 gerechtfertigt war.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der hier maß-geblichen Fassung (SGB IX) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) her-anzuziehen.

Die Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule waren nach B 18.9 VMG unverän-dert mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten.

Im Funktionssystem der weiblichen Geschlechtsorgane war im Zeitpunkt der Herab-setzungsentscheidung bei der Klägerin ein Einzel-GdB von 10, dem Mittelwert des für eine Quadrantenresektion der Brust in B 14.1 VMG vorgesehenen GdB-Rahmens von 0 bis 20, in Ansatz zu bringen.

Funktionseinschränkungen im Schultergürtel, des Armes oder der Wirbelsäule als Operations- oder Bestrahlungsfolgen (z. B. Lymphödem, Muskeldefekte, Nervenläsionen, Fehlhaltung) sind nach B 14.1 VMG zusätzlich zu berücksichtigen. Hiernach erscheint es nach Überzeugung des Senats nicht ausgeschlossen, dass das bei der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt bestehende ausgeprägte Lymphödem des Brustkorbes und des linken Armes nach den sich aus B 9.2.3 Abs. 2 VMG erge-benden Grundsätzen für sich einen Einzel-GdB von 40 bedingte. Denn – unabhängig von der nicht dokumentierten Umfangvermehrung – zeitigte es nach dem Befundbe-richt der Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe St vom 24. Oktober 2017 eine deutliche Bewegungseinschränkung. Dieser Befund ist nachvollziehbar, da be-reits die Fachärztin für Allgemeinmedizin W unter dem 17. Dezember 2015 von einer Bewegungseinschränkung des linken Armes berichtete. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit im Sinne des B 9.2.3 Abs. 3 VMG lag hingegen nicht vor. Verbleibende Zweifel gehen zu Lasten des Beklagten, der insoweit die materielle Beweislast für die eine Herabsetzung des GdB rechtfertigenden Voraussetzungen trägt.

Der Gesamt-GdB betrug im Zeitpunkt der Herabsetzung 50. Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Der im maßgeblichen Zeitpunkt bestehende Einzel-GdB von 40 für das Lymphödem ist im Hinblick auf die Wirbelsäulenschäden, die mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind, um einen Zehnergrad auf 50 zu erhöhen, da sich diese Behinderungen gegenseitig verstärken (A 3d bb VMG). Die weiteren Behinderungen der Klägerin wirkten sich hingegen im maßgeblichen Zeitpunkt nicht GdB-steigernd aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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