L 5 AS 1483/19 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 627/19 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1483/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. Juli 2019 insoweit aufgehoben, als mit diesem dem Beschwerdeführer Verschuldenskosten nach § 192 Sozialgerichtsgesetz auferlegt worden sind. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers hat die Staatskasse zu erstatten. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 150,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I. Der Beschwerdeführer, gesetzlicher Vertreter der Antragstellerin, wendet sich gegen die Auferlegung von Verschuldenskosten.

Der Beschwerdeführer hat am 30. April 2019 als gesetzlicher Vertreter der Antragstellerin für diese beim Sozialgericht beantragt, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Leistungen für die Teilnahme an einer Klassenfahrt in Höhe von 223,00 Euro zu zahlen. Mit Bescheid vom 14. Mai 2019 hat der Antragsgegner (nach bereits geleisteter Anzahlung in Höhe von 100,00 Euro durch die Antragstellerin) noch einen "Restbetrag" von 50,00 Euro bewilligt und zur Auszahlung angewiesen und weiter verfügt, dass die bereits gezahlte Anzahlung in Höhe von 100,00 Euro nach Vorlage einer einzuholenden Stellungnahme angewiesen werde. Auf Anregung des Gerichts hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 28. Mai 2019 weiteren 28,00 Euro für Fahrtkosten gewährt. Die Antragstellerin hat in der Folge über ihren gesetzlichen Vertreter einen weiterhin ungedeckten Bedarf in Höhe von 45,00 Euro für Verpflegung und in Höhe weiterer 100,00 Euro geltend gemacht.

Der Beschwerdeführer ist mit Schreiben des Kammervorsitzenden vom 20. Juni 2019 darauf hingewiesen worden, dass ein Festhalten an dem Rechtsschutzantrag mutwillig im Sinne des § 192 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – sei und bei einem Festhalten an dem Antrag die Verhängung von Verschuldenskosten in Höhe von mindestens 184,00 Euro in Betracht komme.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2019, der Antragstellerin über den Beschwerdeführer am 13. Juli 2019 zugestellt, hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und dem Beschwerdeführer als gesetzlichem Vertreter der Antragstellerin Verschuldenskosten in Höhe von 150,00 Euro auferlegt.

Am 14. Juli 2019 hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen die Auferlegung von "Mutwillenskosten" eingelegt und auf eine Erklärung vom 5. Juli 2019 verwiesen, aus der hervorgehe, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht habe weiterverfolgt werden sollen. Das Faxschreiben sei am 5. Juli 2019 nicht erfolgreich, jedoch am 9. Juli 2019 dem Sozialgericht erfolgreich zugestellt worden. Die technisch bedingte Zustellungsverzögerung sei ihm nicht bekannt gewesen.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. Juli 2019 insoweit aufzuheben, als ihm mit diesem Kosten nach § 192 Sozialgerichtsgesetz auferlegt worden sind.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen, der bei der Entscheidung des Senats vorgelegen hat.

II. Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist zulässig.

Zwar ist grundsätzlich eine vom Sozialgericht auferlegte Missbrauchsgebühr Bestandteil der Kostenentscheidung, die nicht isoliert mit der Berufung oder mit der Beschwerde anfechtbar ist (vgl. BSG v. 19.10.2017 – B 3 KR 4/17 B – juris, m.w.N.). Ob in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 SGG auch eine isolierte Beschwerde gegen die Auferlegung von Kosten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren generell ausgeschlossen ist, kann vorliegend dahinstehen (vgl. zum Meinungsstand: LSG Niedersachsen-Bremen v. 05.01.2016 – L 11 AS 1724/15 B ER – juris; LSG Sachsen v. 21.01.2013 – L 7 AS 413/12 B – juris; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 192, Rn. 21; Krauß in Roos/Wahrendorf, SGG, § 192, Rn. 63; Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 192, Rn. 13; Lowe in Hintz/Lowe, SGG, § 192, Rn. 29). Jedenfalls dann, wenn das Gericht durch einen gesonderten Beschluss Kosten nach § 192 SGG auferlegt hat, wird eine Beschwerde gegen diesen "eigenen" Beschluss für zulässig erachtet (Breitkreuz, a.a.O.; B. Schmidt, a.a.O.; Lowe, a.a.O.). Vorliegend hat das Sozialgericht nicht der Antragstellerin Kosten nach § 192 SGG auferlegt, sondern dem Beschwerdeführer als gesetzlichem Vertreter der Antragstellerin, und damit gleichsam einen "gesonderten" Beschluss über Kosten nach § 192 SGG gefasst. Für eine solche gesonderte, gegenüber einem "Dritten", mit der Hauptsache lediglich im Beschluss zusammen ergangene Entscheidung ist die Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG eröffnet, da ein gesetzlich geregelter Ausschluss nicht ersichtlich ist (vgl. für eine Beschwerde gegen die Auferlegung von Kosten nach § 192 SGG auf einen Prozessbevollmächtigten in einem Urteil LSG Baden-Württemberg v. 30.11.2017 – L 4 P 4479/17 B – juris; LSG Berlin-Brandenburg v. 10.05.2017 – L 32 AS 345/17 B – juris, Rn. 15 ff.).

Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht dem Beschwerdeführer Kosten nach § 192 SGG auferlegt.

Nach § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten Kosten auferlegen. Der Wortlaut der Regelung des Satzes 1 sieht eine Auferlegung von Kosten nur gegenüber einem Beteiligten vor. Wer Beteiligter eines sozialgerichtlichen Verfahrens ist, regelt § 69 SGG abschließend (vgl. B. Schmidt, a.a.O., § 69, Rn. 6); zu den dort genannten Personen gehört der gesetzliche Vertreter der Antragstellerin nicht. Nach dem Wortlaut des § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Auferlegung von Verschuldens- und Missbräuchlichkeitskosten daher an die Beteiligtenfunktion im sozialgerichtlichen Prozess geknüpft, eine Regelung, dass auch andere Personen wie gesetzliche Vertreter, besondere Vertreter nach § 72 SGG oder Vertreter nach § 73 SGG Adressaten der Auferlegung von Kosten nach § 192 SGG sein können, findet sich nicht. Dem Wortlaut des § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG, wonach dem Beteiligten sein Vertreter oder Bevollmächtigter gleich steht, ist nicht durch eine klare Bezugnahme zu entnehmen, dass damit der Kreis der im Gesetz in § 192 Abs. 1 Satz 1 SGG geregelten möglichen Adressaten einer Kostenauferlegung ("Beteiligte") erweitert worden ist. Eine etwaige Regelung zur Erweiterung des Adressatenkreises wäre bei der Bezeichnung des Adressatenkreises in Abs. 1 Satz 1 zu erwarten. Die systematische Anführung der Gleichstellung des Vertreters eines Beteiligten oder des "Bevollmächtigten" nach der Beschreibung der Kostentatbestände ("Verschulden des Beteiligten" an einer Vertagung, an der Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung [Verschuldenskosten, § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG], Fortführung des Rechtsstreits durch den Beteiligten trotz Darlegung der Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung [Missbräuchlichkeitskosten, § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG) spricht dafür, dass es sich bei der Regelung in § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG um eine Zurechnungsvorschrift für das tatbestandlich geforderte Verhalten eines Beteiligten handelt (so LSG Baden-Württemberg v. 30.11.2017 – L 4 P 4479/17 B – juris; LSG Berlin-Brandenburg v. 10.05.2017 – L 32 AS 345/17 B – juris; B. Schmidt, a.a.O., § 192, Rn. 2, m.w.N.; von Kageneck in Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, Kostenrecht, SGG § 192, Rn. 3; Lowe, a.a.O.; Rn. 5), obgleich der Gesetzgeber in Satz 2 nicht wie in § 51 Abs. 2 ZPO oder § 85 Abs. 2 ZPO ausdrücklich (nur) das "Verschulden oder Verhalten" gleichgestellt hat.

Soweit vertreten wird, der Wortlaut des § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG schränke die darin geregelte Gleichstellung von Beteiligten und ihren Vertretern/Bevollmächtigten im Hinblick auf Satz 1 nicht ein (Loytved, jurisPR-SozR 9/2018, Anm. 3 zu LSG Baden-Württemberg v. 30.11.2017 – L 4 P 4479/17 B -, m.w.N.), so führt diese Interpretation nicht weiter, da dem Wortlaut jedenfalls eine Erweiterung des Adressatenkreises "Beteiligte" nicht ausdrücklich entnommen werden kann. Eine solche Erweiterung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zu der hier anzuwendenden Fassung des § 192 SGG durch Art. 1 Nr. 65 Sechstes Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 17. August 2001 ([6. SGGÄndG], BGBl. I S. 2144). Mit der Begründung wird zwar ausgeführt, dass sich die Neufassung des § 192 SGG an § 34 Gerichtskostengesetz anlehne. Er werde "dem Gericht ermöglicht, in Fällen, in denen Beteiligte oder ihre Vertreter bzw. Bevollmächtigte schuldhaft das Verfahren verzögert haben ( ) Kosten aufzuerlegen" (BT-Drs. 14/5943, S 28 zu Nr. 65 (§ 192). Allerdings wird gerade sprachlich nicht etwa ausgeführt, dass allen "Verursachern" Kosten auferlegt werden können. Vielmehr werden in der weiteren Begründung nur noch "Beteiligte" angesprochen. Ausdrücklich wird auch die Regelung des § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht erläutert (vgl. Loytved, a.a.O.). Soweit mit der Gesetzesbegründung auf § 34 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – Bezug genommen und ausgeführt wird, dass "entsprechend § 34 Bundesverfassungsgerichtsgesetz die Möglichkeit eröffnet (wird einem Beteiligten Kosten aufzuerlegen ( )", kann der Senat diesen Ausführungen nicht eine Auslegung des § 192 Abs. 1 SGG dahin entnehmen, dass der Kreis der Beteiligten nach § 69 SGG erweitert worden ist, da die in Bezug genommene Vorschrift des § 34 BVerfGG in der Fassung ab 11. August 1993, anders als noch die Fassung vom 12. Dezember 1985, gerade keine Einschränkung des Adressatenkreises einer Kostenauferlegung vornimmt. Gerade diesen Wortlaut des § 34 BVerfGG hat der Gesetzgeber im Rahmen des § 192 Abs. 1 SGG bei der Bestimmung des Adressatenkreise nicht übernommen, sondern diesen ausdrücklich bestimmt (wie hier LSG Baden-Württemberg v. 30.11.2017 – L 4 P 4479/17 B -, a.a.O., Rn. 17; LSG Berlin-Brandenburg v. 10.05.2017 – L 32 AS 345/17 B -, a.a.O., Rn. 49; a.A. LSG Berlin-Brandenburg v. 29.02.2012 – L 29 AS 1144/11 – juris, m.w.N.; Loytved, a.a.O., m.w.N.).

Unter Beachtung der Entstehungsgeschichte des § 192 SGG kann § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG nur als Zurechnungsnorm verstanden werden.

§ 192 SGG in der bis zum 31. Dezember 2001 gültigen Fassung war zweifellos zu entnehmen, dass Schuldner der Gebühren nur ein Beteiligter ist. Ein Wille des Gesetzgebers zu einer diesbezüglichen Neuregelung durch das 6. SGGÄndG ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Die Aussage, die Neufassung der Vorschrift lehne sich an § 34 Gerichtskostengesetz an, verdeutlich vielmehr, dass an dem Kreis der "Schuldner" in § 192 SGG nichts geändert werden sollte.

§ 34 Abs. 1 GKG in der damaligen Fassung (d. Art. 1 Abs. 1 Nr. 18 nach Maßgabe d. Art. 11 G v. 24.6.1994 I 1325 (KostRÄndG 1994, nunmehr § 38 GKG) lautete: "1Wird außer im Fall des § 335 der Zivilprozeßordnung durch Verschulden des Klägers, des Beklagten oder eines Vertreters die Vertagung einer mündlichen Verhandlung oder die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung nötig oder ist die Erledigung des Rechtsstreits durch nachträgliches Vorbringen von Angriffs- oder Verteidigungsmitteln, Beweismitteln oder Beweiseinreden, die früher vorgebracht werden konnten, verzögert worden, so kann das Gericht dem Kläger oder dem Beklagten von Amts wegen eine besondere Gebühr in Höhe einer Gebühr auferlegen. Die Gebühr kann bis auf ein Viertel ermäßigt werden. Dem Kläger, dem Beklagten oder dem Vertreter stehen gleich der Nebenintervenient, der Beigeladene, der Oberbundesanwalt und der Vertreter des öffentlichen Interesses sowie ihre Vertreter".

Nach einhelliger Meinung sind danach Gebührenschuldner nur Kläger und Beklagter (vgl. nunmehr zu § 38 GKG: Zimmermann in Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, 4. Aufl. 2019, § 38, Rn. 16 auch z. S.3; Dörndorfer in Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, BeckOK Kostenrecht, Stand 09/2019, § 38 GKG, Rn. 12; Thiel in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, § 38, Rn. 16)

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 197a SGG, da der Beschwerdeführer nicht zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört. Allerdings war nur über die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu entscheiden, da Gerichtskosten bei Erfolg der Beschwerde nicht anfallen (Gerichtsgebühren nach § 3 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 7504 Kostenverzeichnis nur bei erfolgloser Beschwerde in Höhe von pauschal 60,00 Euro). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers waren der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg v. 10.05.2017 – L 32 AS 345/17 B -, a.a.O., Rn. 55 ff.). Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 GKG und entspricht der Höhe der vom Sozialgericht auferlegten Kosten.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved