L 9 KR 82/19 KL

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 82/19 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 3/20 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es ist der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V nicht verwehrt, die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie abwei-chend von der Angabe im Nutzenbewertungsbeschluss des Gemein-samen Bundesausschusses anzusetzen, wenn diese Jahrestherapie-kosten sich in der Zeit nach dem Nutzenbewertungsbeschluss durch Hinzutreten weiterer Arzneimittel mit demselben Wirkstoff geändert ha-ben und die Jahrestherapiekosten des neu hinzugetretenen Arzneimittels zwischen den Beteiligten unstreitig sind; es widerspräche der Grundidee des AMNOG, später hinzutretende generische oder diesem vergleichbare kostengünstigere Arzneimittel mit demselben Wirkstoff nicht in die Preisbildung einzubeziehen.
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außer¬¬¬gerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1.; der Beigeladene zu 2. trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch der Beklagten, der gemeinsa-men Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V).

Die Klägerin brachte als pharmazeutische Unternehmerin am 1. März 2014 das Arz-neimittel Tecfidera® (Wirkstoff: Dimethylfumarat, Hartkapseln mit einer Wirkstärke von 120 mg und 240 mg) durch Veröffentlichung in der Lauer-Taxe erstmalig in Deutschland in den Verkehr. Tecfidera® verfügt seit 30. Januar 2014 über eine euro-paweite arzneimittelrechtliche Zulassung. Zulassungsinhaberin ist die B I Ltd. mit Sitz in England. Inhaberin der alleinigen Vertriebsrechte für Deutschland und nationaler Ansprechpartner ist die Klägerin.

Die arzneimittelrechtliche Zulassung definiert als Anwendungsgebiet von Tecfidera® (vgl. Fachinformation mit Stand November 2017):

"Tecfidera® wird zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose angewendet (siehe Abschnitt 5.1 für wichtige Informationen über die Populationen, für die eine Wirksamkeit bestätigt wur-de)."

Abschnitt 5.1 der Fachinformation führt über Populationen, für die eine Wirksamkeit bestätigt wurde, aus:

"Wirksamkeit bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität: In einer Patientensubgruppe mit hoher Krankheitsaktivität wurde ein konstan-ter Behandlungseinfluss auf Schübe beobachtet, während die Auswirkung auf die Zeit bei 3-monatiger anhaltender Behinderungsprogression nicht eindeutig nachgewiesen wurde. Aufgrund des Studiendesigns wurde eine hohe Krank-heitsaktivität definiert als: – Patienten mit 2 oder mehr Schüben in einem Jahr und mit einer oder mehre-ren Gd-aufnehmenden Läsionen im MRT des Gehirns (n = 42 bei DEFINE, n = 51 bei CONFIRM), oder – Patienten, die nicht auf eine vollständige und angemessene Beta-Interferon-Verabreichung ansprachen (mindestens ein Behandlungsjahr) mit mindestens 1 Schub im Vorjahr unter Therapie und mindestens 9 T2-hyperintensen Läsio-nen im MRT des Gehirns oder mindestens 1 Gd-aufnehmende Läsion, oder Patienten mit einer unveränderten bzw. erhöhten Schubrate im Vorjahr im Vergleich zu den vorhergehenden 2 Jahren (n = 177 bei DEFINE; n = 141 bei CONFIRM)."

Schon vor der Zulassung von Tecfidera® erbat die Klägerin beim Beigeladenen zu 1. (Gemeinsamer Bundesausschuss, GBA) eine Beratung nach § 8 AM-NutzenV u.a. zur Frage der zweckmäßigen Vergleichstherapie. In seiner Sitzung vom 6. November 2012 legte der Unterausschuss Arzneimittel die zweckmäßige Vergleichstherapie fest (Beta-Interfe¬ron [1a oder 1b] oder Glatirameracetat). Das Beratungsgespräch fand am 8. November 2012 statt. Die Klägerin wählte für den Nachweis des Zusatznut-zens von Dimethylfumarat aus den festgelegten Alternativen den Wirkstoff Beta-Interferon 1a.

Im Rahmen der nach § 35a Abs. 1 SGB V durchzuführenden frühen Nutzenbewer-tung reichte die Klägerin bei dem Beigeladenen zu 1. am 28. April 2014 ein abschlie-ßendes Dossier für den Wirkstoff Dimethylfumarat ein. Unmittelbar danach beauftragte der Beigeladene zu 1. das IQWiG mit der Bewertung dieses Dossiers. Seine Dossierbewertung übermittelte das IQWiG dem Beigeladenen zu 1. am 30. Juli 2014, ergänzt um ein Addendum vom 25. September 2014. Das IQWiG führte u.a. aus, es lägen keine geeigneten Daten zur Bewertung des Zusatznutzens von Dimethylfumarat gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Beta-Interfe¬ron [1a oder 1b] oder Glatirameracetat, der Einschränkung des pharmazeutische Unternehmers auf Beta-Interferon 1a werde nicht gefolgt) vor, weder für einen direkten noch für einen indirekten Vergleich. Der pharmazeutische Unternehmer beziehe sich in seinem Dossier nur auf eine wenig tragfähige Netzwerk-Metaanalyse; der damit angestellte indirekte Vergleich sei inhaltlich unvollständig. Das verwendete statistische Modell der Netzwerk Meta-Analyse sei nicht geeignet. Die drei grundlegenden Annahmen von Netzwerk Meta-Analysen (Ähnlichkeit, Homogenität und Konsistenz) seien vom pharmazeutischen Unternehmer nicht adäquat überprüft worden. Außerdem sei die Ähnlichkeit der eingeschlossenen Studien zweifelhaft. Nach Durchführung eines Stellungnahme- und Anhörungsverfahrens und auf der Grundlage der Dossierbewertung durch das IQWiG bewertete der Beigeladene zu 1. den Nutzen des Wirkstoffs Dimethylfumarat durch Beschluss vom 16. Oktober 2014 gemäß § 35a SGB V. Die Nutzenbewertung wurde durchgeführt, indem Dimethyl-fumarat in Beziehung zu der zweckmäßigen Vergleichstherapie mit Beta-Interferon 1a gesetzt wurde. Einen Zusatznutzen von Dimethylfumarat sah der Beigeladene zu 1. als nicht belegt an. In der Gesamtsicht der Evidenzlage seien die Beta-Interferone und Glatirameracetat "als nahezu gleichwertig anzusehen" (Tragende Gründe Bl. 6).

Die Therapiekosten hat der Beigeladene zu 1. wie folgt aufgelistet:

Arzneimittel Kosten (Apotheken-abgabepreis) Kosten nach Abzug gesetzlich vorgeschriebener Rabatte Jahrestherapiekosten Dimethylfumarat (Tecfidera®) 2.171,65 Euro 2.049,10 Euro 26.711,48 Euro Glatirameracetat (Copaxone®) 4.573,85 Euro 4.296,68 Euro 17.425,42 Euro Beta-Interferon 1 a (z.B. Avonex®) 5.112,60 Euro 4.639,44 Euro 20.104,24 Euro Beta-Interferon 1 b (z.B. Extavia®) 4.140,11 Euro 3.938,45 Euro 15.972,60 Euro

Mit Beschlüssen vom 8. Januar 2015, 23. Juni 2015 und 7. Januar 2016 nahm der Beigeladene zu 1. redaktionelle Änderungen vor, die keine Auswirkungen auf die Therapiekosten nach sich zogen.

Die Klägerin ließ den Nutzenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014 unbeanstandet.

Auf der Grundlage des Nutzenbewertungsbeschlusses vereinbarten die Klägerin und der Beigeladene zu 2., der GKV Spitzenverband, am 27. April 2015 einvernehmlich einen Erstattungsbetrag für Tecfidera®, der Jahrestherapiekosten von 11.500,00 Euro entsprach.

Diese Vereinbarung kündigte der Beigeladene zu 2. zum Ablauf der Mindestvertragslaufzeit zum 15. Februar 2018, nachdem zwischenzeitlich ein weiterer Anbieter das Arzneimittel mit dem Wirkstoff Glatirameracetat zu Jahrestherapiekosten von 8.979,18 Euro in Verkehr gebracht hatte (Clift®, 20 mg und 40 mg Injektionslösung in einer Fertigspritze, Zulassungsinhaber: M d GmbH) und so das Preisniveau gesunken war.

Klägerin und Beigeladener zu 2. traten daraufhin in neue Verhandlungen nach § 130b Abs. 1 SGB V über den von den Krankenkassen für das Arzneimittel zu über-nehmenden Erstattungsbetrag ein. In der ersten Verhandlung vom 15. März 2018 erklärte die Klägerin, den Nutzenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014 als "maßgebliche Grundlage der Verhandlung" anzuerkennen. Die Klägerin vertrat aber die Auffassung, dass bei der Ermittlung des Erstattungsbetrages für Tecfidera® an-ders als bislang eine der tatsächlichen Versorgung entsprechende Versorgungsge-wichtung angewendet werden müsse; aufgrund des jeweils individuellen Krankheitsverlaufs der Multiplen Sklerose seien alle drei als zweckmäßige Vergleichstherapie benannten Wirkstoffe als patientenindividuelle Therapie zu berücksichtigen. Eine Einigung über die die Höhe des Erstattungsbetrages kam nicht zustande.

Am 29. März 2018 rief die Klägerin die Beklagte als Schiedsstelle an und beantragte, die Höhe des Erstattungsbetrages durch Schiedsspruch festzusetzen. Es sei zwi-schen den Vertragsparteien umstritten, wie die zweckmäßige Vergleichstherapie zu interpretieren und im Rahmen des § 130b Abs. 3 SGB V anzuwenden sei.

In dem Schiedsverfahren beantragte die Klägerin die Festsetzung eines Erstattungs-betrages von 0,083671 Euro je Bezugsgröße (Schreiben vom 26. April 2018). Maßstab für die Preisbildung müsse der Versorgungsmix aller drei als zweckmäßige Vergleichstherapie anerkannten Wirkstoffe entsprechend ihres tatsächlichen Versor-gungsanteils sein. Der gesamte Inhalt des Nutzenbewertungsbeschlusses sei maß-geblich, das gelte auch für die im Beschluss ausgewiesenen Kosten der zweckmäßi-gen Vergleichstherapie. Auf Clift® dürfe bei Bildung der Kostengrenze nicht abge-stellt werden, weil es sich nicht um ein Generikum zu dem Glatirameracetat-Original Capoxane® handele; zudem habe der Beigeladene zu 1. ausdrücklich Capoxane® für die Kostenbestimmung benannt.

Auf der anderen Seite beantragte der Beigeladene zu 2. die Festsetzung eines Er-stattungsbetrages von 0,05125 Euro je Bezugsgröße (Schreiben vom 6. September 2018). Er ging davon aus, dass alle drei als zweckmäßige Vergleichstherapie be-nannten Wirkstoffe gleichermaßen zweckmäßige Wirkstoffe darstellten, weshalb für den Preisanker auf die wirtschaftlichste Alternative abzustellen sei. Dabei handele es sich um das glatirameracetathaltige Arzneimittel Clift® mit Jahrestherapiekosten von 8.979,18 Euro (Herstellerabgabepreis unter Ablösefiktion).

Im Laufe des Schiedsverfahrens äußerte sich der Beigeladene zu 1. auf Veranlas-sung der Klägerin mit Schreiben vom 5. Juli 2018 dazu, wie die Festlegung der zweckmäßige Vergleichstherapie zu verstehen sei. Die drei Wirkstoffe seien auf-grund der verfügbaren Evidenz "als gleichermaßen zweckmäßige Therapieoptionen" zu bewerten. Es gebe keine eindeutig abzugrenzenden Kriterien, nach denen einer der drei Wirkstoffe einem anderen vorzuziehen wäre. Alle drei Wirkstoffe kämen für den Großteil der vom Anwendungsgebiet umfassten Patienten gleichermaßen in Frage.

Durch Schiedsspruch vom 8. Februar 2019 (schriftliche Fassung vom 14. Februar 2019) setzte die Beklagte den Erstattungsbetrag für Tecfidera® je Bezugsgröße ab 15. August 2018 auf 0,05445 Euro fest und traf weitere Regelungen zum Vertragsin-halt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Zur Begründung heißt es in dem Schiedsspruch im Wesentlichen: Nach § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V solle der Erstattungsbetrag, wenn – wie hier – mehrere Alternativen für die zweckmäßige Vergleichstherapie bestimmt seien, nicht zu höheren Jahresthe-rapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative. Nach sorgsamer Prüfung des Einzelfalles und unter Inanspruchnahme des weiten Gestaltungsspielraumes der Schiedsstelle bestehe kein Anlass, zugunsten der Klägerin von dieser Soll-Regelung abzuweichen. Grundsätzlich komme ein Abweichen von der Soll-Regelung in Be-tracht, wenn das fragliche Arzneimittel eine "wichtige zusätzliche Therapieoption" darstelle, was die Klägerin für Tecfidera® infolge bestimmter Formulierungen in der Arzneimittelzulassung behaupte. Eine wichtige zusätzliche Therapieoption stelle Tecfidera® indessen nicht dar. Ausschlaggebend dafür sei u.a., dass dem Arzneimittel in der aktuellen europäischen Leitlinie zur Behandlung der Multiplen Sklerose keine besondere Rolle zuerkannt werde. An dem Preis von Clift® dürfe sich der Erstat-tungsbetrag trotz des niedrigen Marktanteils dieses Arzneimittels orientieren, denn der Beigeladene zu 1. habe Glatirameracetat als zweckmäßige Vergleichstherapie festgelegt; rund 40 Prozent der Patienten würden mit Glatirameracetaten behandelt, innerhalb derer Clift® das wirtschaftlichste Präparat sei. In anderen Fällen habe der Beigeladene zu 1. auch die Therapiekosten von Clift® als relevante Therapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie "Glatirameracetat" angesehen und damit zum Ausdruck gebracht, dass Clift® der wirtschaftlichste Vertreter der Glatirameracetate sei. Bei der Bestimmung der rechtlich bindenden "Obergrenze" im Sinne von § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V sei die Schiedsstelle von der Auffassung des Beigeladenen zu 1. ausgegangen, wonach die drei Wirkstoffe der zweckmäßigen Vergleichstherapie als gleichermaßen zweckmäßige Therapieoptionen zu bewerten seien und alternativ eingesetzt werden könnten. So habe die Schiedsstelle das auch schon im Verfahren zum Arzneimittel Teriflunomid praktiziert, bezogen auf dieselben drei Wirkstoffe der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Weiter sei die Schiedsstelle nicht an die konkret im Nutzenbewertungsbeschluss aufgeführten Preise gebunden gewesen, sondern habe die aktuelle Preisliste in Form der Lauer-Taxe heranziehen dürfen; das ent-spreche ständiger Praxis. Wie sonst auch werde vorliegend der Erstattungsbetrag auf dem Niveau der "Obergrenze" aus § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V festgesetzt; die Obergrenze zu unterschreiten bestehe kein Anlass. Nach alledem seien der Bildung des Erstattungsbetrages die Jahrestherapiekosten von Clift® zugrunde zu legen, wie der Beigeladene zu 2. dies beantragt habe (0,05125 Euro je Bezugsgröße). Dieser Betrag sei aber um 6,25 Prozent zu erhöhen, weil Konsens darüber bestehe, dass die Herstellerrabatte nicht abgelöst werden sollen. Daraus ergebe sich rechnerisch der Erstattungsbetrag von 0,05445 Euro je Bezugsgröße.

Am 12. März 2019 hat die Klägerin gegen den Schiedsspruch vom 8. Februar 2019 Klage erhoben. Am 26. März 2019 hat sie um einstweiligen Rechtsschutz nachge-sucht (L 9 KR 101/19 KL ER); den Eilantrag hat sie am 27. Januar 2020 zurückge-nommen. Zur Begründung der Klage gegen den Schiedsspruch bringt sie vor:

• Der Nutzenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014 sei rechtswidrig, weil er die zweckmäßige Vergleichstherapie fehlerhaft bzw. nicht hinreichend be-stimmt festlege. Man dürfe nicht davon ausgehen, dass die drei Wirkstoffe "alternativ" im Sinne einer freien Auswahl eingesetzt werden können, mit der Folge, dass die Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichsten Alternative maß-geblich seien; vielmehr müsse ein Versorgungmix zugrunde gelegt werden. Das ergebe sich aus dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Denn die zweckmäßige Therapie sei aus den drei Wirkstoffen je-weils patientenindividuell auszuwählen. Die drei Wirkstoffe seien nicht bei allen Patienten gleichermaßen anzuwenden; es sei nicht stets der kostengünstigste Wirkstoff verordnungsfähig. Dies entspreche auch der ständigen Ent-scheidungspraxis des Beigeladenen zu 1. etwa zu den MS-Therapeutika Fin-golimod, Cladribin oder Ocrelizumab. Alle drei als zweckmäßige Vergleichstherapie benannten Wirkstoffe prägten auch die deutsche Versorgungsrealität, so entfielen 47 % der Verordnungen auf Beta-Interferon 1a, 16,9 % auf Beta-Interferon 1b und 36,1 % auf Glatirameracetat. Alle drei Therapieansätze sei-en also patientenindividuell notwendig. Die vom Beigeladenen zu 1. vorge-nommene Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie verstoße somit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und verletze den aus der Beratung im Jahre 2012 entstandenen Vertrauensschutz. • Sowohl der Nutzenbewertungsbeschluss als auch der Schiedsspruch verstie-ßen gegen § 7 Abs. 2 Satz 6 AM-NutzenV und die danach verbindlichen Fest-stellungen der Zulassungsbehörde. Denn die Zulassungsbehörde habe die Wirksamkeit von Tecfidera® bei mit einem vollständigen Zyklus vorbehandelten Patienten mit hoher Krankheitsaktivität ausdrücklich festgestellt. Diesen einzigartigen Umstand habe der Beigeladene zu 1. rechtswidrig negiert. Der Wirksamkeitsnachweis hätte bei Bewertung des Zusatznutzens, bei Bestim-mung der Patientengruppen und der jeweiligen zweckmäßigen Vergleichsthe-rapie berücksichtigt werden müssen. • Die Beklagte hätte bei der Ermittlung der Kostenobergrenze nach § 130b Abs. 3 SGB V nicht von den Normqualität aufweisenden Festlegungen des Beigeladenen zu 1. zu den Jahrestherapiekosten abweichen dürfen. Die kos-tengünstigste Therapie biete Beta-Interferon 1b mit Jahrestherapiekosten von 15.972,60 Euro. Daher dürfe nicht auf den Wirkstoff Glatirameracetat mit Jah-restherapiekosten von 17.425,42 Euro abgestellt werden. Zudem hätte die Beklagte nicht das Präparat Clift® an die Stelle von Capoxane® setzen dür-fen. Daher hätten auch nicht die Jahrestherapiekosten für Clift® herangezogen werden dürfen. Diese Neubewertung der Kosten der zweckmäßigen Ver-gleichstherapie durch die Beklagte verstoße gegen die Bindungswirkung des Nutzenbewertungsbeschlusses. Kapitel 5 § 20 der VerfO des Beigeladenen zu 1. weise den Weg zu einer Änderung von Therapiekosten: Danach dürfe der Unterausschuss Arzneimittel den Nutzenbewertungsbeschluss ändern, sofern Bedarf dafür bestehe. Danach sei die Beklagte erst recht nicht berechtigt, von den Festlegungen im Nutzenbewertungsbeschluss abzuweichen. Obwohl der Beigeladene zu 1. den Nutzenbewertungsbeschluss im Nachgang mehrfach geändert habe, seien die Festlegungen zu den Therapiekosten unverändert geblieben. • Schließlich habe die Beklagte von der Soll-Regelung in § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V unrichtigen Gebrauch gemacht. Tecfidera® begründe nach Aussage der Zulassungsbehörde bei mit einem vollständigen Zyklus vorbehandelten Patienten mit hoher Krankheitsaktivität einen Sonderfall als notwendige The-rapieoption, genieße also einen hervorgehobenen Stellenwert in der Versor-gung, was sich auch darin zeige, dass Tecfidera® in Deutschland den höchs-ten Marktanteil besitze. Die Preisbildung ausschließlich an Clift® zu orientieren, gehe fehl, weil dieses Arzneimittel trotz mehrjähriger Verfügbarkeit nur ei-nen Marktanteil von etwa einem Prozent aufweise. Eine Umstellung der mit Tecfidera® behandelten Patienten auf Clift® sei völlig unrealistisch. Daher hätte für Tecfidera® unter Abweichung von der Soll-Regelung zwingend ein oberhalb der Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie lie-gender Erstattungsbetrag festgesetzt werden müssen. • Mit der – wie hier – einmaligen Einigung auf einen Erstattungsbetrag verwirke ein pharmazeutischer Unternehmer nicht das Recht, die Rechtswidrigkeit des Nutzenbewertungsbeschlusses zu einem späteren Zeitpunkt geltend zu machen. Relevante Belastungen entstünden gegebenenfalls erst zu einem späte-ren Zeitpunkt. Die Klägerin beantragt,

1. den Schiedsspruch der Beklagten vom 8. Februar 2019 (schriftliche Fassung vom 14. Februar 2019) zur Festsetzung des Vertragsinhalts für Tecfi-dera® aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Schiedsan-trag der Klägerin vom 29. März 2018 unter Beachtung der Rechtsauffas-sung des Senats neu zu entscheiden.

2. festzustellen, dass der Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 1. vom 16. Oktober 2014 in der Fassung der Beschlüsse vom 8. Januar 2015, 23. Juni 2015 und 7. Januar 2016 zu Tecfidera® rechtswidrig und nichtig ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass der Beigeladene zu 1. von einer voll-ständigen Austauschbarkeit aller drei Wirkstoffgruppen ausgehe, so dass im Regelfall die Jahrestherapiekosten der kostengünstigsten Vergleichstherapie als Ober-grenze fungierten. Es entspreche dem Grundgedanken des AMNOG, dass bei Ver-änderungen in den Preisen die nunmehr aktuellen Preise zugrunde zu legen seien. Dementsprechend weise der Nutzenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014 die Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie mit "Stand Lauer-Taxe: 1. Oktober 2014" aus. Das sei als dynamische Verweisung zu verstehen. Offensichtlich rechtswidrig sei die Vorgehensweise der Schiedsstelle jedenfalls nicht. Von einer Ermes-sensreduzierung auf Null bei Bildung des Erstattungsbetrages könne nicht die Rede sein. Die Schiedsstelle habe annehmen dürfen, dass Tecfidera® keine Sonderstel-lung einnehme. Das begründe der Beschluss ausführlich. Vor dem Hintergrund, dass der Beigeladene zu 1. in aktuellen Verfahren laufend Clift® als Repräsentanten des Wirkstoffs Glatirameracetat ausweise und rund 40 Prozent der Patienten in der Ba-sistherapie mit Glatirameracetat behandelt würden, habe die Schiedsstelle davon ausgehen dürfen, dass die Patienten bei Versorgung mit Glatirameracetat auch mit Clift® versorgbar seien.

Der Beigeladene zu 1. beantragt,

die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 2. abzuweisen.

Er trägt vor: Der Nutzenbewertungsbeschluss vom 14. Oktober 2014 sei rechtmäßig.

• Das Vorbringen der Klägerin im gerichtlichen Verfahren stehe in diametralem Widerspruch zu ihren Angaben im Dossier. Diese seien aber im Sinne einer Darlegungslast maßgeblich für die Entscheidung über die Nutzenbewertung (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 28. März 2019, B 3 KR 2/18 R). In Bezug auf die Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie habe die Klägerin im Dossier keine vom Beigeladenen zu 1. abweichende Auffassungen vertreten. Daher sei sie mit ihrem Vorbringen zum Stand der medizinischen Erkenntnisse im vorliegenden Verfahren ausgeschlossen. • Unabhängig davon sei die zweckmäßige Vergleichstherapie rechtsfehlerfrei und in Einklang mit § 6 Abs. 2a AM-NutzenV festgelegt worden. Der Wortlaut ("oder") mache deutlich, dass die drei Wirkstoffe der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht kumulativ, sondern jeweils alternativ zu berücksichtigen seien. Ihr Wahlrecht habe die Klägerin in Bezug auf Beta-Interferon 1a ausge-übt. Alle drei Wirkstoffe kämen als Therapiealternativen "gleichermaßen" in Betracht; dies schließe Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen nicht aus. Daran ändere die Tatsache nichts, dass Krankheitsverläufe einer Multiplen Sklerose patientenindividuell sehr unterschiedlich sein könnten. Die Studienlage habe ergeben, dass keiner der drei Wirkstoffe einen Vorteil auf-weise, so dass alle Wirkstoffe gleichwertig seien und kein "Versorgungsmix" gebildet werden müsse. • Das Ergebnis der Nutzenbewertung stehe auch nicht in Widerspruch zu dem vorab und vor Inkrafttreten des § 6 Abs. 2a AM-NutzenV durchgeführten Beratungsverfahren. Denn es sei schon 2012 kein Zweifel daran gelassen worden, dass die drei in Rede stehenden Wirkstoffe als nahezu gleichwertig bzw. gleichermaßen zweckmäßig angesehen würden. Die Feststellungen des Beigeladenen zu 1. zur zweckmäßigen Vergleichstherapie habe die Klägerin sich vollständig zu eigen und von ihrem Wahlrecht nach § 6 Abs. 2a AM-NutzenV Gebrauch gemacht. Bei der Nutzenbewertung habe nicht näher auf einzelne Patientengruppen eingegangen werden müssen, weil die Klägerin im Dossier insoweit keine geeigneten Angaben gemacht habe. • Die Nutzenbewertung widerspreche auch nicht den Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arznei-mittels (§ 7 Abs. 2 Satz 4 AM-NutzenV), denn die tragenden Gründe des Nut-zenbewertungsbeschlusses äußerten sich insoweit nicht, insbesondere nicht zur Gruppe der "hochaktiven Patienten, die nicht auf eine vollständige und an-gemessene Beta-Interferon-Verabreichung ansprachen". Aus dieser zulassungsbehördlichen Formulierung lasse sich für die Nutzenbewertung nichts ableiten.

Der Beigeladene zu 2. stellt keinen Antrag.

Er bringt vor: Sowohl der Nutzenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014 als auch der Schiedsspruch vom 8. Februar 2019 seien rechtlich nicht zu beanstanden.

• Der Klägerin sei es verwehrt, sich fünf Jahre nach dem Nutzenbewertungsbe-schluss erstmals auf dessen Rechtswidrigkeit zu berufen, denn sie habe im Jahre 2015 beanstandungslos auf der Grundlage dieser Nutzenbewertung einen Erstattungsbetrag vereinbart. Das Abfallen des Preisniveaus für Glatirameracetat könne sie nun nicht zum Anlass nehmen, den Nutzenbewertungs-beschluss in Frage zu stellen. Insoweit genössen die anderen Beteiligten Vertrauensschutz. • Davon abgesehen sei der Nutzenbewertungsbeschluss rechtmäßig. Die zweckmäßige Vergleichstherapie sei beanstandungsfrei festgelegt worden. Bei den drei Wirkstoffen handele es sich um gleichwertige Behandlungsalter-nativen; das ergebe sich aus dem Bindewort "oder". Dies habe die Klägerin auch akzeptiert, indem sie versucht habe, einen Zusatznutzen nur in Bezug auf Beta-Interferon 1a nachzuweisen. "Patientenindividuell" müsse bei jeder Erkrankung behandelt werden, nicht nur bei der Multiplen Sklerose. • Die Beschlussfassung des Beigeladenen zu 1. beruhe auf § 6 Abs. 2a AM-NutzenV i.d.F. des 3. AMG-ÄndG vom 7. August 2013; danach habe es der Klägerin offen gestanden, einen Zusatznutzen von Tecfidera® auch nur ge-genüber einer Therapiealternative nachzuweisen. Das damit einhergehende Risiko trage sie. • Die Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie entspreche auch der ständigen Verwaltungspraxis des Beigeladenen zu 1. Aus den Nutzenbewertungsbeschlüssen für Fingolmod, Ocrelizumab und Cladribin könne die Kläge-rin nichts zu ihren Gunsten ableiten, schon weil die Anwendungsgebiete dieser Wirkstoffe nicht mit Dimethylfumarat vergleichbar seien. Gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße der Nutzenbewertungsbeschluss daher nicht. Gleich behandelt habe der Beigeladene zu 1. Dimethylfumarat dagegen zu Recht mit dem Wirkstoff Teriflunomid, der über denselben Anwendungsbereich verfüge und für den die zweckmäßige Vergleichstherapie identisch festgelegt worden sei. • Auch der Schiedsspruch selbst sei nicht zu beanstanden. Der festgesetzte Er-stattungsbetrag habe sich grundsätzlich an der wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie orientieren müssen. Im Schiedsverfahren sei keine neue Nutzenbewertung vorzunehmen. Darauf ziele die Klägerin aber ab. Grundsätzlich stehe es der Klägerin offen, jederzeit bei dem Beigeladenen zu 1. eine neue Nutzenbewertung zu beantragen, um etwaige neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf einen Zusatznutzen von Tecfidera® fruchtbar zu machen. Die Beklagte habe den Erstattungsbetrag auch an den Therapiekosten von Clift® und damit an den aktuellen Preisinformationen orientieren dürfen, denn Clift® enthalte den Wirkstoff Glatirameracetat und sei unstreitig die wirtschaftlichste Alternative der zweckmäßigen Vergleichsthera-pie. Auf den Versorgungsanteil von Clift® komme es, anders als etwa bei der Festlegung von Festbeträgen, bei der Entscheidung über den Erstattungsbe-trag von Gesetzes wegen nicht an. Damit werde auch nicht gegen den Nutzenbewertungsbeschluss verstoßen, der konkludent dynamisch auf den jewei-ligen Stand der Lauer-Taxe verweise. Bei den Alternativen der zweckmäßigen Vergleichstherapie benenne der Beigeladene zu 1. andere Arzneimittel auch nur beispielhaft. Die Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie seien nicht auf den Tag der Nutzenbewertung zu zementieren, zumal es sich bei dem AMNOG um ein Kostendämpfungsgesetz handele. Dementsprechend könne auch keine neue Nutzenbewertung beantragt werden, nur weil sich die Kosten für die zweckmäßige Vergleichstherapie geändert hätten. Kündigungsrechte würden in Erstattungsbetragsvereinbarungen gerade auch vereinbart, um Veränderungen im Preisniveau von Arzneimitteln Rechnung tragen zu können. Das zeige der vorliegende Fall. Weil schließlich die Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie nur eine Obergrenze darstellten, sei die Beklagte stets be-rechtigt, einen Erstattungsbetrag auch deutlich unterhalb dieser Obergrenze festzulegen. Die Beklagte habe auch nicht etwa von der Soll-Regelung in § 130b Abs. 3 SGB V abweichen müssen. Ein Zusatznutzen von Tecfidera® sei nicht belegt, so dass von einem Alleinstellungsmerkmal für dieses Arznei-mittel nicht die Rede sein könne. Die nun behauptete Sonderstellung von Tec-fidera® habe die Klägerin in ihrem Dossier nicht einmal thematisiert. Das kön-ne im Schieds- oder Gerichtsverfahren nicht nachgeholt werden. Zudem be-sage eine arzneimittelrechtliche Zulassungsentscheidung nie etwas über den etwaigen Zusatznutzen eines Wirkstoffs. Auch angesichts des weiten Gestal-tungs- und Beurteilungsspielraums der Beklagten könne nicht davon die Rede sein, dass sie von der Soll-Regelung in § 130b Abs. 3 SGB V hätte abweichen müssen. Grundsätzlich sei in der vorliegenden Konstellation derjenige Erstat-tungsbetrag vom Gesetz gedeckt, der sich unterhalb der Kosten der wirt-schaftlichsten zweckmäßige Vergleichstherapie bewege. • Mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Hinweis auf Urteil vom 4. Juli 2018, B 3 KR 20/17 R, Rdnr. 51) sei der beklagten Schiedsstelle ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der es ihr gestatte, bei Festsetzung des Erstattungsbetrages auch die Versorgungs- und damit die Preisrealität in den Blick zu nehmen. Die grundsätzlich enge Bindung an die Festlegungen im Nutzenbewertungsbeschluss sei damit aufgeweicht. • Die Versorgungssicherheit sei bei Orientierung des Erstattungsbetrages am Preis für Clift® nicht gefährdet, weil es für den Fall, dass die Klägerin ihr Arz-neimittel vom Markt nehmen wolle, mittlerweile 14 alternative Wirkstoffe zur Behandlung der schubförmig-remittierenden Multiplen Sklerose gebe.

Mit Urteil vom 14. Juni 2019 (Landgericht Düsseldorf, 4c O 22/19) bzw. 26. Septem-ber 2019 (OLG Düsseldorf, 2 U 28/19) ist es der Herstellerin von Clift® aus patent-rechtlichen Gründen untersagt worden, Clift® 40 mg anzubieten und zu vertreiben. Clift® 40 mg ist seitdem – anders als Clift® 20 mg – nicht mehr verkehrsfähig.

Die Klägerin hat hierzu vorgetragen: Damit könnten die Jahrestherapiekosten für Clift® nicht mehr bei der Preisbildung berücksichtigt werden. In der Wirkstärke 20 mg verfüge Clift® über einen Marktanteil von unter 0,5 Prozent. Für die gerichtliche Ent-scheidung komme es auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung an, so dass diese Entwicklung fallentscheidend sei. Mit der Marktrücknahme von Clift® sei der Schiedsspruch rechtswidrig geworden und müsse als Dauerverwaltungsakt nach § 48 SGB X aufgehoben werden.

Der Beigeladene zu 2. hält dem entgegen, dass maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt derjenige des Erlasses des Schiedsspruchs im Februar 2019 sei. Clift® 40 mg sei vom 15. Dezember 2017 bis 14. Juli 2019 regulär am deutschen Markt verfügbar gewesen. Zivilrechtliche Patentstreitigkeiten hätten zudem keine unmittelbaren Auswirkungen auf das sozialrechtliche Erstattungsrecht.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte, des Verwaltungsvorgangs der Beklagten und der vom Beigeladenen zu 1. vorgelegten Normsetzungsdokumentation einschließlich des Dossiers der Klägerin zu Dimethylfumarat Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungs-findung war.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg.

A. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ist nach § 29 Abs. 4 Nr. 3 Sozialge-richtsgesetz (SGG) für Klagen gegen Entscheidungen der Schiedsstelle nach § 130b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) im ersten Rechtszug sachlich zuständig.

B. Die Klage ist mit beiden Anträgen zulässig, denn die gesetzlichen Sachurteilsvo-raussetzungen liegen vor.

I. Der Antrag zu 1. (Anfechtung des Schiedsspruchs und Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung) ist als kombinierte Anfechtungs- und Bescheidungsklage nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 131 Abs. 3 SGG statthaft, denn der angefochtene Schieds-spruch ist gegenüber den Partnern der Erstattungsvereinbarung, die durch den Schiedsspruch ersetzt wird, ein Verwaltungsakt i.S.v. § 31 Abs. 1 Zehntes Buch So-zialgesetzbuch (SGB X; vgl. BSG, Urteil vom 4. Juli 2018, B 3 KR 20/17 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 17 [Albiglutid]); zugleich macht die gerichtliche Aufhebung ei-nes Schiedsspruchs nach § 130b Abs. 4 Satz 1 SGB V zwingend eine erneute Ent-scheidung der beklagten Schiedsstelle über den Schiedsantrag erforderlich, wenn das Arzneimittel – wie hier – weiter zu Lasten der GKV abgegeben werden soll, wes-halb im Falle der Aufhebung des Schiedsspruchs auch die Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung angezeigt ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. März 2019, B 3 KR 2/18 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24 [Constella®]).

Der pharmazeutische Unternehmer ist als Partner der Erstattungsvereinbarung kla-gebefugt (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Ein vorheriges Widerspruchsverfahren war nach § 130b Abs. 4 Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht durchzuführen. Die Klagefrist von einem Monat (§ 87 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist mit Klageerhebung am 12. März 2019 gewahrt.

II. 1. Der Antrag zu 2. (Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit des Nutzenbewertungsbe-schlusses des notwendig Beigeladenen zu 1. vom 16. Oktober 2014) ist als Feststel-lungsklage statthaft (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Damit ist auch der Nutzenbewertungs-beschluss zu Tecfidera® Klagegegenstand (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 34). Dass nach § 35a Abs. 8 Satz 1 SGB V eine "gesonderte" Klage gegen den der Festsetzung des Erstattungsbetrags vorgelagerten Nutzenbewertungsbeschluss des GBA unzulässig ist, schließt das Erfordernis eines gesonderten Feststellungsantrags in der vorliegenden prozessualen Konstellationen nicht schlechthin aus. Dem Wort-laut des Gesetzes ist nicht zu entnehmen, dass sich eine Klage "ausschließlich" ge-gen den Schiedsspruch richten müsse und nicht gegen den GBA-Beschluss. Aus den Gesetzesmaterialien ist vielmehr nur abzuleiten, dass aus Beschleunigungsgründen (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum AMNOG, BT-Drucks. 17/2413, S. 23 zu Nr. 5 zu Absatz 8)nicht zwei isolierte, aufeinanderfolgende gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden sollten, sondern in einem einheitlich geführten Rechtsstreit gegen die Entscheidung der Schiedsstelle zugleich die gerichtliche Kontrolle über den Nutzenbewertungsbeschluss des GBA eröffnet ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - das Klagebegehren mit verfahrens- oder materiell-rechtlich gestützten Beanstandungen gegen die Nutzenbewertung des GBA begründet wird. Die Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener werden insoweit nur zeit-lich auf das Stadium der "abschließenden Entscheidung" (so der Gesetzentwurf, ebenda)der Überprüfung des Schiedsspruchs hinausgeschoben (so ausdrücklich Bundessozialgericht, a.a.O., Rdnr. 36f.).

2. In Bezug auf den Nutzenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014 ist die Fest-stellungsklage auch im Übrigen zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin ergibt sich daraus, dass die Nutzenbewertung des streitgegenständlichen Arzneimittels bestimmte Prämissen für die nachfolgende Festsetzung eines Erstattungsbetrages setzt, die für sich genommen Rechte der Klägerin als pharma-zeutische Unternehmerin verletzen können.

3. Ob die Klägerin ihr Klagerecht in Bezug auf den Nutzenbewertungsbeschluss ver-wirkt hat oder aus anderen Gründen nicht mehr geltend machen kann, lässt der Se-nat ausdrücklich offen, selbst wenn hierfür einiges spricht. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass bei Klageerhebung bereits ein gewisser Zeitraum verstrichen ist (Zeitmoment) und der Klageberechtigte unter den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls untätig bleibt, unter denen vernünf-tigerweise eine Rechtsschutzaktivität entfaltet wird (Umstandsmoment); erst durch die Kombination beider Elemente wird eine Situation geschaffen, auf die der Klage-gegner (hier: der Beigeladene zu 2.) vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Juli 2019, B 12 KR 6/18 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 27).

Hieran gemessen spricht für eine Verwirkung des Klagerechts in Bezug auf den Nut-zenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014, dass dieser von Seiten der Klägerin zunächst und über Jahre hinweg völlig unbeanstandet geblieben ist und sie auf sei-ner Grundlage mit dem Beigeladenen zu 2. rügelos und einvernehmlich die Verein-barung über den Erstattungsbetrag vom 27. April 2015 abgeschlossen hat. Erst im Rahmen des im März 2018 (und damit dreieinhalb Jahre nach dem Nutzenbewer-tungsbeschluss) in Gang gesetzten Schiedsverfahrens hat die Klägerin einzelne As-pekte der Nutzenbewertung beanstandet, was in die Klageerhebung vom 12. März 2019 mündete. Hierbei handelt es sich um Aspekte, die auch schon bei der Verein-barung über den Erstattungsbetrag im Jahre 2015 hätten angeführt werden können, ja – vom heutigen Standpunkt der Klägerin aus – hätten angeführt werden müssen; im Raum steht hier insbesondere die Frage, ob die zweckmäßige Vergleichstherapie fehlerhaft bzw. zu unbestimmt festgelegt worden ist, ob nämlich die drei Wirkstoffe der zweckmäßigen Vergleichstherapie gleichermaßen zweckmäßige Therapiealter-nativen darstellen oder ob eine – wie nunmehr von der Klägerin angeführt – patien-tenindividuelle Betrachtung angelegt werden müsse, so dass eine Orientierung am Preis allein des kostengünstigsten Beta-Interferon 1b unrichtig, vielmehr ein "Versor-gungsmix" anzunehmen sei. Hiervon ausgehend hätte von Seiten der Klägerin schon 2015 angeführt werden können, dass die Verhandlungen über den Erstattungsbetrag von einem höheren Betrag als 15.972,60 Euro auszugehen hätten, nämlich von ei-nem gewichteten Mischpreis, der zu bilden ist aus den Preisen und der Größe der Patientenpopulationen aller drei Präparate der zweckmäßigen Vergleichstherapie. So hat die Klägerin aber bei der ersten Verhandlungsrunde im Jahre 2015 nicht agiert, sondern sich zufrieden gegeben mit der Herangehensweise des GBA und des Beige-ladenen zu 2.

Zeit- und Umstandsmoment könnten daher durchaus zu bejahen sein. Der Fall zeigt anschaulich, dass die Klägerin erst auf die Suche nach Fehlern der Nutzenbewertung gegangen ist, nachdem zwischenzeitlich ein Wirkstoff der zweckmäßigen Ver-gleichstherapie, nämlich Glatirameracetat, zu deutlich niedrigeren Jahrestherapiekos-ten verfügbar geworden war, so dass der Erstattungsbetrag für Tecfide-ra®/Dimethylfumarat abzusinken drohte. Es erscheint widersprüchlich und berührt das bei den Beigeladenen entstandene Vertrauen im Sinne stabiler Verwaltung, die Nutzenbewertung nun nachträglich anzugreifen; den durch den Nutzenbewertungs-beschluss schon mehrere Jahre währenden Rechtsfrieden durfte die Klägerin anläss-lich der neuen "Verhandlungsrunde" gegebenenfalls nicht ohne Weiteres aufkündi-gen.

Auf der anderen Seite ist die Feststellungsklage, die sich gegen den Nutzenbewer-tungsbeschluss richtet, von Gesetzes wegen ebenso wenig fristgebunden wie andere Normenkontrollklagen; durchaus plausibel erscheint auch das Vorbringen der Kläge-rin, dass so lange kein Anlass dafür bestanden habe, den Nutzenbewertungsbe-schluss anzugreifen, wie man sich zur Zufriedenheit aller Beteiligten auf einen Erstat-tungsbetrag habe einigen können.

Angesichts der offensichtlichen Unbegründetheit der Klage kommt es auf all dies aber nicht fallenscheidend an.

C. Die Klage ist mit beiden Anträgen unbegründet.

Weder die vom Beigeladenen zu 1. vorgenommene Nutzenbewertung des Wirkstoffs Dimetylfumarat im Beschluss vom 16. Oktober 2014 (dazu unten I.) noch der nach-folgende Schiedsspruch der Beklagten vom 8. Februar 2019 (dazu unten II.) begeg-nen rechtlichen Bedenken.

I. Zur Überzeugung des Senats ist der Nutzenbewertungsbeschluss des Beigelade-nen zu 1. vom 16. Oktober 2014 rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1. Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V in der durch das AMNOG eingeführten Fassung bewertet der GBA den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, wozu insbesondere die Bewertung des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie sowie des Ausmaßes des Zusatznutzens und seiner therapeutischen Bedeutung gehört (vgl. hierzu und zum Folgenden: Bundes-sozialgericht, Urteil vom 28. März 2019, B 3 KR 2/18 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 47 bis 49 [Constella®]). Die Nutzenbewertung erfolgt "auf Grund von Nachweisen des pharmazeutischen Unternehmers", in denen insbesondere die zugelassenen Anwendungsgebiete, der medizinische Nutzen und der medizinische Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie anzugeben sind (§ 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V).

Das Bundesministerium für Gesundheit regelt durch Rechtsverordnung insbesondere Grundsätze für die Bestimmung der zweckmäßigen Vergleichstherapie und des Zu-satznutzens und legt dabei auch die Fälle fest, in denen zusätzliche Nachweise er-forderlich sind und die Voraussetzungen, unter denen Studien bestimmter Evidenz-stufen zu verlangen sind; Grundlage sind die internationalen Standards der evidenz-basierten Medizin und der Gesundheitsökonomie (§ 35a Abs. 1 Satz 7 und 8 Nr. 2 SGB V); dies ist mit der AM-NutzenV vom 28. Dezember 2010 geschehen. Weitere Einzelheiten regelt der GBA in seiner Verfahrensordnung (§ 35a Abs. 1 Satz 9 SGB V).

Nach § 2 Abs. 4 AM-NutzenV ist der Zusatznutzen ein Nutzen, der quantitativ oder qualitativ höher ist als derjenige, den die zweckmäßige Vergleichstherapie aufweist. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AM-NutzenV ist dieser Zusatznutzen vom pharmazeutischen Unternehmer in einem näher in § 4 AM-NutzenV geregelten Dossier nachzuweisen. Zu den Darlegungspflichten bestimmt sodann § 4 Abs. 8 AM-NutzenV im Einzelnen Folgendes:

"Der pharmazeutische Unternehmer hat die Kosten für die gesetzliche Kran-kenversicherung gemessen am Apothekenabgabepreis und die den Kranken-kassen tatsächlich entstehenden Kosten anzugeben. Die Kosten sind sowohl für das zu bewertende Arzneimittel als auch für die zweckmäßige Vergleichs-therapie anzugeben. Maßgeblich sind die direkten Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung über einen bestimmten Zeitraum. Bestehen bei Anwen-dung der Arzneimittel entsprechend der Fach- oder Gebrauchsinformation re-gelhaft Unterschiede bei der notwendigen Inanspruchnahme ärztlicher Be-handlung oder bei der Verordnung sonstiger Leistungen zwischen dem zu be-wertenden Arzneimittel und der zweckmäßigen Vergleichstherapie, sind die damit verbundenen Kostenunterschiede für die Feststellung der den Kranken-kassen tatsächlich entstehenden Kosten zu berücksichtigen."

Zweckmäßige Vergleichstherapie ist bei alledem diejenige Therapie, deren Nutzen mit dem Nutzen eines Arzneimittels mit neuen Wirkstoffen für die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V verglichen wird (§ 2 Abs. 5 AM-NutzenV). Sie ist nach § 6 Abs. 1, 2 und 2a AM-NutzenV regelhaft nach Maßstäben zu bestimmen, die sich aus den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin ergeben und muss eine nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zweckmäßige Therapie im Anwendungsgebiet sein (§ 12 SGB V), vorzugsweise eine Therapie, für die Endpunktstudien vorliegen und die sich in der praktischen Anwendung bewährt hat, soweit nicht Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V oder das Wirtschaft-lichkeitsgebot dagegen sprechen. Sind mehrere Alternativen für die Vergleichsthera-pie gleichermaßen zweckmäßig, kann der Zusatznutzen gegenüber jeder dieser The-rapien nachgewiesen werden.

2. Über die Konkretisierung dieser rechtlichen Vorgaben entscheidet der Beigeladene zu 1. im Zuge der Nutzenbewertung als Normgeber; sein Beschluss ist rechtlich verbindlich, denn er ist nach § 35a Abs. 3 Satz 6 SGB V ausdrücklich Teil der Richtli-nie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V.

Daher darf die sozialgerichtliche Kontrolle ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der durch den Beigeladenen zu 1. zu treffenden Wertungen setzen. Vielmehr be-schränkt sich die gerichtliche Prüfung darauf, ob die Zuständigkeits- und Verfahrens-bestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben nachvollziehbar und widerspruchs-frei Beachtung gefunden haben, um den normgeberischen Gestaltungsspielraum auszufüllen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Mai 2014, B 6 KA 21/13 R, zi-tiert nach juris, dort Rdnr. 32 [Buscopan]; Urteil vom 6. März 2012, B 1 KR 24/10 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 25 [Linola u.a.]; Urteil vom 1. März 2011, B 1 KR 10/10 Rzitiert nach juris, dort Rdnr. 38 [Atorvastatin]). In besonderem Maße zu beachten bleibt im Lichte der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung (Bundessozialge-richt, Urteil vom 28. März 2019, B 3 KR 2/18 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 51 bis 53 [Constella®]) Folgendes:

Der Ausgangspunkt der zur gerichtlichen Überprüfung gestellten Zusatznutzenprü-fung des GBA einschließlich der damit in Zusammenhang stehenden Beurteilung der zweckmäßigen Vergleichstherapie besteht nach dem oben dargestellten Normkon-zept jeweils allein in dem Dossier des pharmazeutischen Unternehmers nach § 4 AM-NutzenV. Insoweit obliegt dem GBA keine Amtsermittlungspflicht.

Die Darlegungsobliegenheiten, Ermittlungspflichten und die Festlegung der Prü-fungstiefe der Nutzenbewertung auch im Zusammenhang mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie folgen bereits aus den Gesetzesmaterialien zu § 35a SGB V selbst. So heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf des AMNOG u.a., dass Grundlage der Nutzenbewertung ein Dossier des pharmazeutischen Unternehmers ist, mit dem er den therapierelevanten Nutzen seines Arzneimittels nachweist und dass dieser Nachweis für jedes Arzneimittel mit neuem Wirkstoff sowie für jedes neu zugelassene Anwendungsgebiet durch ganz bestimmte - im Einzelnen aufgeführte - Angaben erbracht wird, u.a. zu den Jahrestherapiekosten für die GKV (vgl. Gesetz-entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum AMNOG, BT-Drucks 17/2413, zu Nr. 5 [§ 35a] zu Abs. 1, S. 20 rechte Spalte Abs. 4 und 5). In der Begründung heißt es:

"Die Ermittlung des Zusatznutzens erfolgt ausschließlich auf der Grundlage der vom pharmazeutischen Unternehmer vorgelegten Nachweise. Der Ge-meinsame Bundesausschuss hat keine Amtsermittlungspflicht. Belege, die nicht fristgerecht eingereicht sind, sind nicht Gegenstand der Bewertung. Reicht der pharmazeutische Unternehmer innerhalb der Frist kein Dossier oder ein unvollständiges Dossier ein, gilt der Zusatznutzen als nicht gegeben" (ebenda S. 21 linke Spalte Abs. 3).

Das Bundessozialgericht (a.a.O. Rdnr. 53) hat ausdrücklich entschieden, dass in derartigen Fällen einer gesetzlich geregelten Verteilung von Darlegungs- und Nach-weispflichten gleichermaßen keine über die Pflichten des GBA selbst hinausgehen-den weitergehenden Amtsermittlungspflichten des Gerichts nach § 103 SGG beste-hen. Deswegen ist es auch dem Senat verwehrt, eigenständige, über den Inhalt des Dossiers der Klägerin hinausgehende Erwägungen anzustellen und jenseits des Dossiers liegende Bewertungen zum Zusatznutzen oder zu den Kosten der Ver-gleichstherapie vorzunehmen. Der Senat ist vielmehr wie der GBA gehalten, die Be-wertung des Zusatznutzens, die Kosten des zu bewertenden Arzneimittels sowie die Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie allein auf der Grundlage des von der Klägerin eingereichten Dossiers vorzunehmen; das Gericht hat den Inhalt des Dos-siers unter Berücksichtigung der Ausführungen des GBA hinsichtlich der entschei-dungserheblichen Punkte zu bewerten. Bei der rechtlichen Prüfung der Ausführun-gen des GBA in seinem Nutzenbewertungsbeschluss bleibt zu berücksichtigen, dass er als besonders sachkundige Institution und Normgeber nur eingeschränkten Be-gründungspflichten unterliegt.

3. Hieran gemessen hält der Nutzenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014 einer rechtlichen Überprüfung stand. Die Feststellungen des Beigeladenen zu 1. im angegriffenen Nutzenbewertungsbeschluss zu Tecfidera®/Wirkstoff Dimethylfumarat (Bezeichnung der zweckmäßigen Vergleichstherapie, fehlender Zusatznutzen) sind rechtlich beanstandungsfrei.

a) Als zweckmäßige Vergleichstherapie hat der Beigeladene zu 1. "Beta-Interfe¬ron 1a oder Beta-Interfe¬ron 1b oder Glatirameracetat" festgelegt.

aa) Die Klägerin beanstandet insoweit nicht die Auswahl der drei Wirkstoffe der zweckmäßigen Vergleichstherapie an sich; es geht ihr nur um das Verhältnis der drei Wirkstoffe zu einander. Sie führt an, man dürfe nicht davon ausgehen, dass die drei Wirkstoffe "alternativ" im Sinne einer freien Auswahl eingesetzt werden können, mit der Folge, dass die Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichsten Alternative maßgeb-lich seien; vielmehr müsse ein "Versorgungmix" zugrunde gelegt werden, denn die zweckmäßige Therapie sei aus den drei Wirkstoffen jeweils patientenindividuell aus-zuwählen. Es sei nicht stets der kostengünstigste Wirkstoff verordnungsfähig. Damit zielt die Klägerin der Sache nach auf die Bildung eines Mischpreises bei Ermittlung der Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie, was im Rahmen der Preisbildung zu einer höheren Obergrenze als Orientierungswert für den Erstat-tungsbetrag führen würde (vgl. § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V).

bb) Gegen die vom Beigeladenen zu 1. gewählten Formulierungen und die medizini-sche Einordnung der zweckmäßigen Vergleichstherapie ist allerdings rechtlich nichts zu erinnern. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die von dem Beigeladenen zu 1. gewählte Formulierung hinreichend bestimmt und nicht beurteilungsfehlerhaft. Die Einschätzung des Beigeladenen zu 1., wonach diese drei Wirkstoffe "alternativ" und nicht im Sinne eines "Versorgungsmix" zur Anwendung kämen, bewegt sich in gerichtlich nicht beanstandungsfähiger Weise im Rahmen des dem GBA eingeräum-ten Beurteilungsspielraums. In dem Nutzenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014 (Seite 6) hat der Beigeladene zu 1. insoweit ausgeführt, "in der Gesamtsicht der Evidenzlage (seien) die Beta-Interferone und Glatirameracetat als nahezu gleichwertig anzusehen". In seiner schriftlichen Äußerung vom 5. Juli 2018 hat der Beigeladene zu 1. diese Passage des Nutzenbewertungsbeschlusses auf Nachfrage der Klägerin nochmals authentisch interpretiert und ausgeführt, die drei Wirkstoffe seien aufgrund der verfügbaren Evidenz "als gleichermaßen zweckmäßige Therapieoptionen" zu bewerten. Es gebe keine eindeutig abzugrenzenden Kriterien, nach denen einer der drei Wirkstoffe einem anderen vorzuziehen wäre. Alle drei Wirkstoffe kämen für den Großteil der vom Anwendungsgebiet umfassten Patienten gleichermaßen in Frage.

Der Senat sieht keinen Ansatzpunkt, um diese Feststellungen des Beigeladenen zu 1. im Rahmen der gebotenen und erlaubten Kontrolldichte ernsthaft in Frage stel-len zu können. Im Gegenteil spricht schon eine oberflächliche Internetrecherche für die Richtigkeit der Festlegung des Beigeladenen zu 1. So führt etwa die Europäische Leitlinie zur MS-Therapie (ECTRIMS/EAN Guideline on the pharmacological treat-ment of people with multiple sclerosis, Multiple Sclerosis Journal 2018, 86-120) in Therapieempfehlung vier aus, bei Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose (RRMS) könne aus einer breiten Palette an moderat bis hoch wirksamen Medikamenten gewählt werden, darunter Beta-Interferone, Glatirameracetat und Di-methylfumarat. Diese Formulierung deutet auf gleichrangige Alternativität. In einer weiteren Veröffentlichung (Aktuelle MS-Therapie – eine Übersicht, ARS MEDICI 2016, Seite 922) werden u.a. Beta-Interferone, Glatirameracetat und Dimethylfumarat als First-Line-Medikamente beschrieben, mit denen bei den meisten Patienten zu beginnen sei; sie verringerten die Schubrate, verlangsamten die Behinderungsprogression und reduzierten die im MRT sichtbaren Läsionen im Gehirn. Auch hier entsteht der Eindruck echter Alternativität. Im "MS-Info", Fachinformation der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft, Stand Mai 2019, werden schließlich u.a. Beta-Interferone, Glatirameracetat und Dimethylfumarat als Basistherapie der RRMS (niedrige bis moderate Aktivität) aufgelistet wie alternativ in Betracht kommende Arzneimittel. All dies lässt nach Art einer Plausibilitätskontrolle auf die Richtigkeit der Herangehensweise des Beigeladenen zu 1. schließen; jedenfalls sind Beurteilungsfehler nicht ersichtlich.

Sofern die Klägerin maßgeblich darauf abstellt, dass die Therapie der Multiplen Skle-rose "patientenindividuell" stattfinden müsse, geht dies ohnehin ins Leere. Denn jede Therapie einer beliebigen Erkrankung hat "patientenindividuell" zu erfolgen. So betont etwa das schon erwähnte "MS-Info" der Schweizerischen Multiple Sklerose Ge-sellschaft, dass die Therapiewahl bzw. -empfehlung des behandelnden Neurologen den Krankheitsverlauf, die Krankheitsaktivität, das Krankheitsstadium, die vorherr-schenden Symptome, Alter, Geschlecht, etwaigen Kinderwunsch, andere Erkrankun-gen und Individualität (!) des MS-Betroffenen zu berücksichtigen hätten. An diesen Aspekten muss sich die Auswahl unter den verschiedenen gleichrangig zur Verfü-gung stehenden Wirkstoffen orientieren, was ohne weiteres plausibel erscheint: Eine jede Arzneimittelwahl beruht auf einer individuellen und patientenbezogenen Ent-scheidung des Behandlers. Daher ist der Argument der "Patientenindividualität", so wie es von der Klägerin im Verfahren genutzt wurde, unergiebig.

Unabhängig davon hat die Klägerin sich mit ihrem Dossier auf die Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie durch den Beigeladenen zu 1. eingelassen und aus den drei Alternativen einen Wirkstoff zum Nachweis eines Zusatznutzens aus-gewählt. In Modul 2, Seite 8, des Dossiers führte die Klägerin die Beta-Interferone und Glatirameracetat als "weitere krankheitsmodifizierende Basistherapien für RRMS-Patienten" an und beschrieb je gesondert den Wirkmechanismus dieser Wirk-stoffe. Es fehlt jedes kritische Wort zur fehlenden "Alternativität" dieser Wirkstoffe im Sinne eines "Versorgungsmix". Dieses Vorbringen hat die Klägerin erst im Laufe des Jahres 2018 und damit vier Jahre nach Vorlage des Dossiers an den Tag gelegt; es muss daher außer Betracht bleiben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. März 2019, B 3 KR 2/18 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 51 bis 53 [Constella®]).

Insgesamt bleibt es dabei, dass als zweckmäßige Vergleichstherapie zu Dimethyl-fumarat gleichrangig und alternativ "Beta-Interfe¬ron 1a oder Beta-Interfe¬ron 1b oder Glatirameracetat" zur Verfügung stehen, so dass die Preisbildung sich im Anschluss an die Nutzenbewertung an der "wirtschaftlichsten Alternative" der zweckmäßigen Vergleichstherapie orientieren darf (§ 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V).

cc) Dem Beigeladenen zu 1. kann auch nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, er hätte bei der Festlegung der zweckmäßigen Vergleichstherapie bzw. im Rahmen der Nutzenbewertung eine gesonderte Subgruppe bilden müssen, die der in Ab-schnitt 5.1 der Fachinformation beschriebenen Wirksamkeit von Dimethylfumarat "bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität" entsprach; dort wurde – wie weiter oben im Tatbestand im Wortlaut wiedergegeben – die Wirksamkeit von Dimethylfumarat be-schrieben in Bezug auf Patienten, "die nicht auf eine vollständige und angemessene Beta-Interferon-Verabreichung ansprachen" und bei denen noch weitere Vorausset-zungen vorliegen. Ihr Vorbringen hat die Klägerin insoweit überhaupt erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hinreichend verständlich gemacht. Sie meint, sie hätte vom Beigeladenen zu 1. dahingehend beraten werden müssen, dass das einzureichende Dossier sich gesondert zu dieser gedachten Subgruppe verhal-ten möge; sie meint weiter, der Beigeladene zu 1. hätte im Verlaufe der Nutzenbe-wertung von Amts wegen eine solche Subgruppe bilden müssen. All dem ist entge-gen zu halten, dass der Beigeladene zu 1. im Rahmen der Nutzenbewertung keiner Amtsermittlungspflicht unterliegt und zudem die engen zeitlichen Vorgaben des Ge-setzes befolgen muss (§ 35a Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1 SGB V), die es ausschlie-ßen, ihn zu Ermittlungen anzuhalten, die über den Inhalt und die Grundlinien des vom pharmazeutischen Unternehmer vorgelegten Dossiers hinausgehen oder es op-timieren. Im Übrigen hat der Prozessvertreter des Beigeladenen zu 1. in der mündli-chen Verhandlung vor dem Senat unwidersprochen vorgetragen, der Klägerin sei im Laufe des Beratungsgesprächs sogar anheimgestellt worden, im Dossier eine Sub-gruppenbildung vorzunehmen. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin Dimethylfumarat in ihrem Dossier indessen durchweg als Basistherapeutikum dargestellt und sich nicht zu den etwaigen Vorzügen von Dimethylfumarat im Rahmen einer Art Eskalati-onstherapie geäußert. Der Beigeladene zu 1. durfte insoweit den Prämissen folgen, die die Klägerin gesetzt hat. Es obliegt gerade nicht dem GBA, Subgruppenbildung von sich aus so zuzuschneiden, dass der fragliche Wirkstoff eine besonders positive Nutzenbewertung erfährt. Umgekehrt obliegt es dem pharmazeutischen Unternehmer von Gesetzes wegen (§ 35a Abs. 1 Satz 3 SGB V), erschöpfende Angaben zu machen zum medizinischen Nutzen, zum medizinischen Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie sowie (§ 35a Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 SGB V) gerade auch zur "Anzahl der Patienten und Patientengruppen, für die ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen besteht". b) Vor diesem Hintergrund hat der Beigeladene zu 1. beurteilungsfehlerfrei entschie-den, dass dem Wirkstoff Dimethylfumarat im Zulassungsbereich "Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose" kein Zu-satznutzen zukomme. Die Ausführungen des IQWiG in seinem Gutachten vom 30. Juli 2014 und darauf aufsetzend des Beigeladenen zu 1. im Nutzenbewertungs-beschluss vom 16. Oktober 2014 sind schlüssig und basieren auf den adäquaten Methoden der evidenzbasierten Medizin.

aa) Das IQWiG hat insoweit konstatiert, dass keine direkt vergleichenden Studien von Dimethylfumarat gegenüber der zweckmäßigen (und von der Klägerin als Be-zugspunkt ausgewählten) Vergleichstherapie Beta-Interferon 1a vorlägen. In ihrem Dossier habe die Klägerin lediglich eine Netzwerk-Meta-Analyse zum indirekten Ver-gleich von Dimethylfumarat gegenüber Beta-Interferon 1a vorgelegt. Der vorgelegte indirekte Vergleich sei für Aussagen zum Zusatznutzen ungeeignet, weil er inhaltlich unvollständig sei, weil das verwendete statistische Modell der Netzwerk-Meta-Analyse nicht geeignet sei und weil die drei grundlegenden Annahmen von Netzwerk-Meta-Analysen (Ähnlichkeit, Homogenität und Konsistenz) von der Klägerin nicht adäquat überprüft worden seien; außerdem sei die Ähnlichkeit der eingeschlossenen Studien zweifelhaft. All dies wird im IQWiG-Gutachten eingehend begründet. Die Zusammenfassung, wonach keine geeigneten Daten zur Bewertung des Zusatz-nutzens von Dimethylfumarat gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vor-lägen, erscheint danach ohne Weiteres plausibel.

Diese Einschätzung des IQWiG findet ihre methodische Absicherung im Papier des IQWiG über "Allgemeine Methoden", Version 5.0 vom 10. Juli 2017, wo auf S. 192f. ausführlich die Problematik indirekter Vergleiche beleuchtet wird. Weil es zahlreiche ungelöste methodische Probleme gebe, sei von einer routinemäßigen Anwendung eines nur indirekten Vergleichs im Rahmen der Nutzenbewertung abzuraten; daher würden auch zur Nutzenbewertung primär direkt vergleichende Studien (placebo-kont¬rollierte Studien sowie Head-to-head-Vergleiche) verwendet. Um auf Methoden für indirekte Vergleiche zurückzugreifen, sei vor allem eine adäquate Begründung erforderlich.

Hinzu tritt: Die Gutachten des IQWiG besitzen in ganz besonderem Maße eine Rich-tigkeitsgewähr. Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat insoweit ausgeführt (Urteil vom 1. März 2011, B 1 KR 7/10 R [Atorvastatin], zitiert nach juris, dort Rdnr. 77ff.): "Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Absicherung von Neutralität und Quali-tät der in Auftrag gegebenen Untersuchung des IQWiG streitet bei Beachtung aller gesetzlicher Vorgaben eine Rechtsvermutung für die Richtigkeit seiner Beurteilung, die in derartigen Fällen wie dem vorliegenden eine weitere Be-weiserhebung erübrigt. Das folgt aus Ausstattung (dazu (1.)), Aufgabe (dazu (2.)) und Gesetzeszweck der Einrichtung des IQWiG (dazu (3.)). Mit Blick darauf kommt gesetzeskonformen Bewertungen des IQWiG eine Richtigkeits-gewähr zu. (1.) Das IQWiG stellt ein Expertengremium dar, das in seiner persönlichen und fachlichen Integrität und Qualität durch Transparenz und Unabhängigkeit gesetzlich und institutionell besonders abgesichert ist (vgl Hauck, NZS 2010, 600, 609; Rixen, MedR 2008, 24, 26). Der Beigeladene zu 1. hat gesetzeskonform das IQWiG als fachlich unabhängiges, rechtsfähiges, wissenschaftliches Institut errichtet (§ 139a Abs 1 Satz 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 112 GMG). Der Gesetzgeber hat bereits die zulässige Rechtsform des IQWiG eingegrenzt, um dessen Kompetenz und Unabhängigkeit sicherzustellen. Zur Sicherung der fachlichen Unabhängigkeit des IQWiG haben die Beschäftigten vor ihrer Einstellung alle Beziehungen zu Interessenverbänden, Auftragsinstituten, insbesondere der pharmazeutischen Industrie und der Medizinprodukteindustrie, einschließlich Art und Höhe von Zuwendungen offen zu legen (vgl § 139a Abs 6 SGB V). Entsprechendes gilt, soweit das IQWiG wissenschaftliche Forschungsaufträge an externe Sachverständige vergibt (s § 139b Abs 3 SGB V). Die Vergabe von Forschungsaufträgen gewährleistet, dass die Arbeiten des IQWiG höchsten wissenschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Hierzu hat es ausgewiesene Experten mit wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungen in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen einzubeziehen (vgl BT-Drucks 15/1525 S 128 Zu § 139a Abs 4). Das IQWiG arbeitet in einer transparenten Form unter Unterrichtung Betroffe-ner und Interessierter über alle Arbeitsschritte und Arbeitsergebnisse (vgl § 139a Abs 4 SGB V und hierzu BT-Drucks 15/1525 S 128 Zu § 139a Abs 4), insbesondere auch über die Grundlagen für die Entscheidungsfindung. Indem das IQWiG zu gewährleisten hat, dass die Bewertung des medizinischen Nut-zens nach den international anerkannten Standards der evidenzbasierten Me-dizin erfolgt (§ 139a Abs 4 Satz 1 Halbs 1 SGB V idF durch Art 1 Nr 117 Buchst b GKV-WSG), hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es seine Ar-beitsmethode nach den international üblichen und akzeptierten Standards der evidenzbasierten Medizin auszurichten hat. Das IQWiG geht nach der Geset-zeskonzeption bei seinen Bewertungen in vergleichbarer hoch qualitativer Weise vor wie andere mit entsprechenden Aufgaben betraute Stellen im inter-nationalen Bereich, zB das National Institute for Health and Clinical Excellence (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eines GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 151 Zu Nummer 117 (§ 139a) Zu Buchst b; Engelmann in: jurisPK-SGB V, § 139a RdNr 30). Zusätzlich bestehen Rechte Sachverständiger, Interessierter und Betroffener, Stellung zu nehmen (vgl § 139a Abs 5 SGB V). (2.) Das IQWiG wird zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der GKV erbrachten Leistungen in ge-setzlich vorgegebenem Umfang tätig (vgl § 139a Abs 3 SGB V). Die Arbeit des IQWiG hat zum Ziel, die grundsätzlichen Anforderungen des SGB V bei der Leistungserbringung zu sichern. Hierzu soll es Erkenntnisse über den Wert der Leistungen auch im Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten sowie zu den Auswirkungen auf die Verbesserung der medizinischen Behandlung erarbeiten. Dies soll gewährleisten, dass diagnostische und therapeutische Maßnahmen dem besten verfügbaren wissenschaftlichen Stand entsprechen und auch weiterhin finanzierbar bleiben (vgl BT-Drucks 15/1525 S 127 Zu Nummer 112 Zu § 139a Zu Abs 3). Zu den gesetzlich vorgegebenen Aufgaben gehört auch die Bewertung des Nutzens und der Kosten von Arzneimitteln (vgl § 139a Abs 3 Nr 5 SGB V). Der Beigeladene zu 1. beauftragt das IQWiG mit den gesetzlich umrissenen Arbeiten (vgl § 139b Abs 1 Satz 1 SGB V). Hierzu hat er dem IQWiG ua am 21.12.2004 den Generalauftrag erteilt, durch die Erfassung und Auswertung des relevanten Schrifttums eine kontinuierliche Beobachtung und Bewertung medizinischer Entwicklungen von grundlegender Bedeutung und ihrer Auswir-kungen auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung in Deutschland vorzunehmen und den GBA hierüber regelmäßig zu informie-ren. Das IQWiG soll aus der eigenverantwortlichen wissenschaftlichen Arbeit heraus dem GBA für dessen gesetzliche Aufgaben notwendige Informationen zur Verfügung stellen und konkrete Vorschläge für Einzelaufträge erarbeiten. (3.) Ziel des Gesetzgebers ist es, durch Einbindung des IQWiG in die Zuarbeit für den GBA den dynamischen Prozess der Fortentwicklung der medizini-schen und pflegerischen Leistungen zu sichern und die kontinuierliche Einbe-ziehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine qualitativ gesicherte Leistungserbringung zu gewährleisten (BT-Drucks 15/1525, S 127). Das IQWiG leitet deshalb seine Arbeitsergebnisse dem GBA als Empfehlungen zu (vgl § 139b Abs 4 Satz 1 SGB V). Dieser hat die Empfehlungen im Rahmen seiner Aufgabenstellung "zu berücksichtigen", wird also nur mit besonderer Begründung davon abweichen (vgl Hauck, NZS 2007, 461, 464). Insbesonde-re hat er zu prüfen, ob das IQWiG seine Bewertungen ausgehend von einem zutreffenden Rechtsverständnis der zugrunde gelegten Begriffe auf der Basis einer umfassenden Einbeziehung der relevanten Studien nachvollziehbar und widerspruchsfrei getroffen hat. Für die Umsetzung von Handlungsempfehlun-gen des IQWiG verbleibt ihm indes sein gesetzgeberisches Ermessen."

Dem schließt der Senat sich nach eigener Sachprüfung einschränkungslos an.

Dass vom IQWiG nicht berücksichtigte Studien hinreichender Qualität im gesetzlich gebotenen Sinne vorliegen, hat die Klägerin nicht behauptet; es ist auch ansonsten nicht ersichtlich. Damit unterliegt das IQWiG-Gutachten vom 30. Juli 2014, das durch das Addendum vom 25. September 2014 ergänzt wurde, einer von der Klägerin nicht widerlegten Richtigkeitsvermutung.

bb) Auf dieser Grundlage und mit bemerkenswert ausführlicher eigenständiger Be-gründung (Bl. 6 bis 11 der Tragenden Gründe) hat der Beigeladene zu 1. Dimethyl-fumarat in rechtlich beanstandungsfreier Weise einen Zusatznutzen abgesprochen. Auch der Beigeladene zu 1. hat den im Dossier dargelegten indirekten Vergleich als unvollständig angesehen. In der Netzwerk-Meta-Analyse seien grundlegende An-nahmen nicht adäquat überprüft worden. Vor allem könne nicht von einer hinreichen-den Ähnlichkeit der in den indirekten Vergleich eingeschlossenen Studienpopulatio-nen ausgegangen werden. Valide Aussagen zu einem Zusatznutzen von Dimethyl-fumarat gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie seien daher nicht möglich.

Die vom Beigeladenen zu 1. vorgenommene Würdigung der mit dem Dossier von der Klägerin gelieferte Evidenz ist nach alledem rechtlich nicht zu beanstanden.

c) Schließlich verletzt der Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 1. vom 16. Oktober 2014 auch nicht § 7 Abs. 2 Satz 6 AM-NutzenV. Danach darf die Nut-zenbewertung "den Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksam-keit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels nicht widersprechen".

Die Klägerin meint insoweit, der im Arzneimittelzulassungsverfahren für Dimethyl-fumarat erbrachte Wirksamkeitsnachweis hätte in besonderem Maße bei der Bewer-tung des Zusatznutzens berücksichtigt werden müssen. Dabei zielt die Klägerin ins-besondere auf die in der Arzneimittelzulassung bzw. der Fachinformation enthaltenen und im Urteilstatbestand zitierten Formulierungen zur "Wirksamkeit bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität".

Damit geht die Klägerin schon im Ansatz fehl und vermengt den arzneimittelzulas-sungsrechtlichen Begriff der Wirksamkeit mit dem sozialrechtlichen Begriff des Zu-satznutzens.

aa) Grundsätzlich gilt insoweit: Das Arzneimittelrecht einerseits und die Vorschriften des SGB V andererseits dienen nicht denselben Zwecken und machen die Zulassung von Arzneimitteln zum Verkehr und die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung von verschiedenen Voraussetzungen abhängig (vgl. hierzu und zum Folgenden: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Juni 2016, L 7 KA 16/14 KL, zitiert nach juris, dort Rdnr. 58ff.). Die Vorschriften des SGB V sind auf die Gewährleistung einer therapeutisch und wirtschaftlich möglichst effizienten Verordnung von Arzneimitteln gerichtet; das AMNOG im Besonderen zielt auf Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Das Arzneimittelgesetz verfolgt dagegen den Zweck, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen. Dies schließt neben der Unbedenklichkeit auch die Prüfung der Qualität und der Wirksam-keit des jeweiligen Arzneimittels ein (§ 1 AMG). Arzneimittelrecht ist Ordnungsrecht. Es ist daher unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht bedenklich, die Ver-ordnungsfähigkeit eines Arzneimittels zu verneinen, wenn und solange dieses nicht arzneimittelrechtlich zugelassen ist. Mit der arzneimittelrechtlichen Zulassung verfü-gen die Krankenkassen über ein eindeutiges und zugängliches Kriterium bei der Ent-scheidung über die Verordnungsfähigkeit von pharmazeutischen Produkten. Dieses Kriterium ist auch zuverlässig, denn die Zulassungsentscheidung nach §§ 21ff. AMG ergeht auf der Grundlage aufwendiger Zulassungsunterlagen des Antragstellers mit sachangemessener behördlicher Kompetenz (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. März 1997, 1 BvR 1071/95).

Zugleich ergibt sich ein Zusammenspiel zwischen Arzneimittel- und Sozialrecht inso-fern, als das SGB V bei Arzneimitteln in Bezug auf die Qualitätssicherung weitge-hend auf eigene Vorschriften verzichtet und insoweit an das Arzneimittelrecht an-knüpft (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 3. Juli 2012, B 1 KR 22/11 R und vom 11. Mai 2011, B 6 KA 13/10 R). Eine rechtsgebietsübergreifende Bindung in dem Sinne, dass all dasjenige, was arzneimittelrechtlich zulässig ist, zwingend auch zur krankenversicherungsrechtlichen Leistungspflicht der Krankenkassen führen müsste, ist allerdings gesetzlich nicht angeordnet worden.

Zentrales Anliegen des AMG ist u.a., die Wirksamkeit von Arzneimitteln zu gewähr-leisten (§ 1 AMG). Fehlt einem Arzneimittel die vom pharmazeutischen Unternehmer (§ 4 Abs. 18 AMG) als Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit oder ist sie nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet, stellt dies einen Grund dar, die Zulassung zu versagen (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AMG). Wirksamkeit i.S.d. AMG bezeichnet den vom pharmazeutischen Hersteller gewünschten Erfolg bei den von ihm definierten Anwendungsgebieten; maßgeblich ist daher der vom pharmazeutischen Hersteller seinem Arzneimittel beigemessene Wirksamkeitsanspruch. Es sind keine Hinweise dafür ersichtlich, dass das SGB V, welches die Wirksamkeit einer Leistung zur Be-dingung für die Aufnahme in den Leistungskatalog der GKV erklärt, zumindest für den Bereich der Arzneimittelversorgung, von einem abweichenden Wirksamkeitsbe-griff ausgeht. Nach alldem ist der (arzneimittel- und krankenversicherungsrechtliche) Begriff der Wirksamkeit nicht identisch mit dem Nutzenbegriff des SGB V. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, mit dem "Nutzen" einen therapeutischen Vorteil eines Wirkstoffs im Vergleich zu anderen Therapiealternativen zum Ausdruck zu bringen. So geht der Gesetzgeber davon aus, ein höherer Nutzen könne "sich insbesondere daraus ergeben, dass das Arzneimittel eine überlegene Wirksamkeit gegenüber Arz-neimitteln der Wirkstoffgruppe zeigt" (Begründung zum Entwurf des GKV-WSG, BT-Drs. 16/194, S.8).

Daher ist die Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 6 AM-NutzenV, wonach die Nutzenbewer-tung den Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Un-bedenklichkeit des Arzneimittels nicht widersprechen darf, dahin zu verstehen, dass der GBA im Rahmen der Nutzenbewertung für ein zugelassenes Arzneimittel zwar zu einem negativen Ergebnis im Sinne fehlenden Zusatznutzens gelangen darf, dies aber nicht auf eine von der Zulassung abweichende Einschätzung zur (arzneimittel-rechtlichen) Qualität, Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit stützen darf. Verwehrt wäre ihm daher z.B. auch eine abweichende Beurteilung der Wirksamkeit eines Arzneimit-tels auf der Grundlage einer nach der Zulassung veröffentlichten Studie. Ermöglicht sind dem GBA jedoch Therapievergleiche, die entweder auf andere Endpunkte oder andere Dosierungen als die Zulassungsbehörde abstellen oder die medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungsalternativen gegenüberstellen. Verneint der GBA auf dieser Grundlage den Zusatznutzen eines Arzneimittels, berührt dies den Aufgabenbereich der Zulassungsbehörden nicht.

In diesem Rahmen ordnet § 7 Abs. 2 Satz 6 AM-NutzenV (wie etwa auch § 92 Abs. 2 Satz 12 SGB V) eine Feststellungswirkung an. Denn der GBA muss nicht nur die Existenz einer arzneimittelrechtlichen Entscheidung (z.B. die Zulassung eines Arz-neimittels) beachten, sondern wird darüber hinaus auch an die in der arzneimittel-rechtlichen Entscheidung enthaltenen Feststellungen zu Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels gebunden.

bb) Nach diesen Maßstäben steht die Nutzenbewertung von Dimethylfumarat nicht in Widerspruch zu den Feststellungen der Zulassungsbehörde zu Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit dieses Wirkstoffs. Denn die Passagen zur Wirksamkeit von Dimethylfumarat "bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität" umschreiben nichts anderes als die Wirksamkeit von Dimethylfumarat in spezifischen Konstellationen. Ein Zusatznutzen dieses Wirkstoffs im Sinne von § 35a SGB V ist damit noch nicht beschrieben und sollte auch nicht bezeichnet werden.

Der Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 1. auf der anderen Seite wi-derspricht diesen Feststellungen nicht. Zu dem in der Fachinformation umschriebe-nen Wirkbereich äußern sich die Tragenden Gründe des Nutzenbewertungsbe-schlusses nicht und können insoweit auch nicht in Widerspruch zur Arzneimittelzu-lassung stehen. Dass der in der Fachinformation umschriebene Wirkbereich nicht automatisch zu einem Zusatznutzen führt, ergibt sich aus den weiter ober erklärten systematischen Gründen. Insgesamt bewertet der angegriffene Nutzenbewertungs-beschluss den Wirkstoff Dimethylfumarat – wie bereits gezeigt – methodengerecht nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin und kommt rechtlich beanstan-dungsfrei zu dem Ergebnis, dass ein Zusatznutzen (ein Nutzen, der quantitativ oder qualitativ höher ist als derjenige, den die zweckmäßige Vergleichstherapie aufweist) nicht bestehe, weil keine geeigneten Daten zur Bewertung des Zusatznutzens von Dimethylfumarat gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vorlägen. Der Beigeladene zu 1. spricht dem Wirkstoff Dimethylfumarat nicht die Wirksamkeit ab, also "den vom pharmazeutischen Hersteller gewünschten Erfolg bei den von ihm de-finierten Anwendungsgebieten"; wohl aber verneint der Beigeladene zu 1. (zu Recht) einen medizinischen Zusatznutzen gegenüber den Wirkstoffen der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Das verstößt nicht gegen § 7 Abs. 2 Satz 6 AM-NutzenV, son-dern macht ernst mit den unterschiedlichen Anforderungen an arzneimittelrechtliche Wirksamkeit einerseits und krankenversicherungsrechtlichen Zusatznutzen anderer-seits.

Letztlich sind die Ausführungen unter Abschnitt 5.1 der Fachinformation nur Aus-druck des Umstandes, dass Dimethylfumarat eines von mehreren Basistherapeutika darstellt, von denen unter bestimmten patientenindividuellen Umständen (Krank-heitsverlauf, Krankheitsaktivität, Krankheitsstadium, vorherrschende Symptome, Alter und Geschlecht, eventueller Kinderwunsch, andere Erkrankungen sowie sonstige Individualität des MS-Betroffenen, vgl. "MS-Info", Fachinformation der Schweizerischen Multiple Sklerose Gesellschaft, Stand Mai 2019) nach ärztlicher Entscheidung mal das Eine, mal das Andere in Betracht zu ziehen ist.

II. Der angefochtene Schiedsspruch vom 8. Februar 2019 basiert damit auf einer Nutzenbewertung für Tecfidera®, die rechtlich nicht zu beanstanden ist. Er durfte sich daher einschränkungslos am Ergebnis der frühen Nutzenbewertung orientieren und die Nutzenbewertung zur "Grundlage" der Festsetzung des Erstattungsbetrages machen (vgl. § 130b Abs. 1 Satz 1 SGB V).

Unabhängig davon ist dieser Schiedsspruch auch für sich genommen weder formell noch materiellrechtlich zu beanstanden.

1. Die gemeinsam vom GKV-Spitzenverband und den für die Wahrnehmung der wirt-schaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharma-zeutischen Unternehmer auf Bundesebene gebildete Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 Satz 1 SGB V setzt dann, wenn eine Vereinbarung nach Abs. 1 oder 3 der Rege-lung nicht innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Beschlusses des GBA nach § 35a Abs. 3 oder nach § 35b Abs. 3 SGB V zustande kommt, nach § 130b Abs. 4 SGB V den Vertragsinhalt innerhalb von drei Monaten fest. Die Schiedsstelle entscheidet dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes (§ 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V). Nichts anderes gilt im Falle der Neuverhandlung eines Erstat-tungsbetrages; für das Zustandekommen einer neuen Vereinbarung nach Kündigung gilt erneut § 130b Abs. 4 SGB V (vgl. Armbruster in Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB V, 3. Aufl. 2018, Rdnr. 95 zu § 130b unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung).

Der auf dieser gesetzlichen Basis ergehende Schiedsspruch stellt seiner Natur nach einen Interessenausgleich durch ein sachnahes und unabhängiges Gremium dar. Insbesondere mit der fachkundigen und teils paritätischen, teils unparteiischen Zu-sammensetzung der Schiedsstelle will der Gesetzgeber die Fähigkeit dieses Spruch-körpers zur vermittelnden Zusammenführung unterschiedlicher Interessen nutzen (vgl. Gesetzesbegründung zum AMNOG, BT-Drucks. 17/2413 S. 32 zu Nr. 17 zu den Abs. 5 und 6). Der durch die Mehrheit der Mitglieder zustande gekommene Schiedsspruch ist durch seinen Kompromisscharakter geprägt und nicht immer die einzige sachlich vertretbare Entscheidung. Deshalb ist der Schiedsstelle ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist. Dies hat das Bundessozialgericht zuletzt in den Urteilen vom 4. Juli 2018 (B 3 KR 20/17 R [Albiglutid, dort Rdnr. 22] und B 3 KR 21/17 R [Idelalisib, dort Rdnr. 32]) ausdrücklich hervorgehoben und zugleich betont: Die Vertragsgestaltungsfreiheit der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V ist nicht geringer als diejenige der Vertragspartner einer im Wege freier Verhandlung erzielten Vereinbarung. Deshalb unterliegen auch Entscheidungen der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle darauf, ob die Schiedsstelle zwingendes Gesetzesrecht beachtet, den bestehenden Beurteilungsspielraum eingehalten und den zugrunde gelegten Sachverhalt in einem fairen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen Gehörs hinreichend ermittelt hat 2. Zur Überzeugung des Senats hat die Beklagte den Erstattungsbetrag für Tecfide-ra®/Wirkstoff Dimetylfumarat unter Einhaltung der zwingenden materiellrechtlichen Vorgaben und ihres sich daraus ergebenden Beurteilungsspielraums rechtmäßig festgesetzt.

a) Nach § 130b Abs. 1 Satz 1 SGB V vereinbart der Beigeladene zu 2. mit pharma-zeutischen Unternehmern im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenver-sicherung auf Grundlage des Beschlusses des Beigeladenen zu 1. über die Nutzen-bewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V mit Wirkung für alle Krankenkassen Erstat-tungsbeträge für Arzneimittel, die mit diesem Beschluss keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wurden. § 130b Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V in der hier maßgeblichen, ab 13. Mai 2017 geltenden Fassung des GKV-Arzneimittelversorgungs¬stärkungs-gesetzes (AMVSG) vom 4. Mai 2017 (BGBl. I S. 1050) bestimmt insoweit:

1Für ein Arzneimittel, das nach dem Beschluss des Gemeinsamen Bundes-ausschusses nach § 35a Absatz 3 keinen Zusatznutzen hat und keiner Fest-betragsgruppe zugeordnet werden kann, soll ein Erstattungsbetrag nach Ab-satz 1 vereinbart werden, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die nach § 35a Absatz 1 Satz 7 bestimmte zweckmäßige Vergleichstherapie. 2Sind nach § 35a Absatz 1 Satz 7 mehrere Alternativen für die zweckmäßige Vergleichstherapie bestimmt, soll der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jah-restherapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative.

Kommt eine Vereinbarung nach § 130b Abs. 1 oder 3 SGB V nicht innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Beschlusses nach § 35a Abs. 3 SGB V zustande, setzt die Schiedsstelle den Vertragsinhalt innerhalb von drei Monaten un-ter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls fest und berücksichtigt dabei die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes § 130b Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V.

Diese Bestimmungen belassen der Schiedsstelle einen weiten Beurteilungsspielraum; sie entscheidet nach § 130b Abs. 4 Satz 2 SGB V unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt dabei die Besonderheiten des jeweiligen Therapiegebietes. Der Gesetzgeber misst der Struktur des Einigungs- und Aushand-lungsprozesses besondere Bedeutung bei. Dieser Prozess soll in erster Linie zu ei-ner Einigung zwischen den Beteiligten führen. Kommt eine Einigung nicht zustande, führt die paritätisch und sachkundig besetzte Schiedsstelle zunächst als Vermittlerin den Verhandlungsprozess fort, um noch auf diesem Weg eine einvernehmliche Lö-sung zu erwirken. Erst wenn auch dieses Vorgehen gescheitert ist, ersetzt die Schiedsstelle durch eine Mehrheitsentscheidung der Mitglieder die offen gebliebenen Regelungen. Dieses austarierte Verhandlungssystem bietet vor allem durch seine an vertraglichen Vereinbarungen orientierten strukturellen Vorgaben sowie die sachkun-dig und teils paritätisch, teils unparteiisch besetzte Schiedsstelle eine hinreichende Gewähr dafür, zu akzeptablen Inhalten der Schiedssprüche zu gelangen. Unter Be-rücksichtigung der materiell-rechtlichen gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben bildet diese Verfahrensweise ein gegen willkürliche Entscheidungen der Schiedsstelle hinreichend abgesichertes Gesamtsystem; gewisse Unwägbarkeiten bei der Festsetzung des Erstattungsbetrages sind in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen hinzunehmen.

b) Der angefochtene Schiedsspruch der Beklagten vom 15. Mai 2014 bewegt sich innerhalb des durch diese rechtlichen Vorgaben gesteckten Rahmens für den Gestal-tungsspielraum der Schiedsstelle.

aa) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Schiedsspruchs der Tag seines Erlasses. Sach- und Rechtslage am 8. Februar 2019 sind damit entscheidend. Die weiteren Entwicklungen zum Arzneimittel Clift®/Wirkstoff Glatirameracetat müssen außer Be-tracht bleiben. Das ergibt sich schon aus den allgemeinen Grundsätzen des inter-temporalen Prozessrechts. Insoweit besteht nämlich die "Faustregel", dass der maß-gebende Zeitpunkt für eine Anfechtungsklage beim Erlass des Verwaltungsakts an-knüpft (vgl. nur Keller, in: Meyer-Ladewig/Kel¬ler/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, Rdnr. 33 zu § 54; Bundessozialgericht, Urteil vom 28. November 2018, B 4 AS 43/17 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16; s.a. Urteil des Senats vom 28. Juni 2017, L 9 KR 213/16 KL, zitiert nach juris, dort Rdnr. 44 [Albiglutid]). Eine Abweichung von dieser ausdrücklich so genannten Faustregel ist nicht geboten. Im Gegenteil: Bei der Überprüfung eines Schiedsspruchs, der mit einem weiten Gestaltungsspielraum der Schiedsstelle verbunden ist, darf das Gericht seine eigenen Erwägungen zu neueren Erkenntnissen nicht an die Stelle derjenigen der Verwaltung setzen (vgl. zu Ermes-sensentscheidungen Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Juni 2016, B 14 AS 4/15 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 13). Der Senat darf den Schiedsspruch daher nicht im Lichte von tatsächlichen (oder rechtlichen) Entwicklungen würdigen, zu denen die Schiedsstelle nach § 130b SGB V im Augenblick ihrer Beschlussfassung keinen Zu-gang hatte. Die Würdigung der Sach- und Rechtslage ist originäre Aufgabe der Schiedsstelle im Moment ihrer Sachentscheidung. Nur an diesen Zeitpunkt darf der Senat anknüpfen, wenn er die Rechtskontrolle vollzieht. Insoweit steht das materielle Recht einer Verlagerung des Beurteilungszeitpunktes auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat entgegen (ebenso und speziell für Schiedssprüche nach § 130b Abs. 4 SGB V: Bundessozialgericht, Urteil vom 4. Juli 2018, B 3 KR 21/17 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 28 [Zydelig], mit Hinweis auf das Urteil vom 25. März 2016, B 6 KA 9/14 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24 [Schiedsspruch zum Inhalt eines Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung]).

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf § 48 SGB X abgestellt hat und den Beurteilungszeitpunkt auf den Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat verlagern will, geht dies fehl; die verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen zur Aufhebung von Verwaltungsakten werden durch die Kündigungsmöglichkeiten ver-drängt, die die Partner der Vereinbarung über den Erstattungsbetrag besitzen.

Weil die Anfechtungsklage gegen den Schiedsspruch ohne Erfolg bleibt, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, an welchen Beurteilungszeitpunkt der Senat seine Rechtsauffassung im Rahmen der mit der Anfechtungsklage kombinierten Be-scheidungsklage knüpfen müsste. Denn kommt es nicht zur Aufhebung des Schieds-spruchs, erübrigen sich Ausführungen zur Neubescheidung in Gestalt der "Rechts-auffassung des Senats".

bb) Die Beklagte ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht rechtswidrig vom Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 1. abgewichen.

Einem Beschluss des GBA über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V kommt als Teil der Arzneimittel-Richtlinie (§ 35a Abs. 3 Satz 6 SGB V) normative Wirkung zu, die die an der Preisbildung Beteiligten gemäß § 91 Abs. 6 SGB V eben-so bindet wie – sofern sie angerufen wird – die Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V. Das zeigt sich auch in der Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 5 AM-NutzenV, wo-nach der Nutzenbewertungsbeschluss für alle Arzneimittel mit diesem Wirkstoff Grundlage der Vereinbarung nach § 130b SGB V über Erstattungsbeträge ist. Die an der Preisbildung Beteiligten haben im Rahmen der Preisvereinbarung oder –festset-zung keine Kompetenz, den Nutzenbewertungsbeschluss des GBA inhaltlich zu überprüfen, ihn zu verwerfen oder von ihm abzuweichen. Dies liefe dem Normcha-rakter der Arzneimittel-Richtlinie zuwider, führte zu nicht hinnehmbaren Unsicherhei-ten in der praktischen Handhabung der normativen Vorgaben und missachtete die Regel, dass zur Normverwerfung im gewaltengeteilten Rechtsstaat ausschließlich die Gerichte zuständig sind.

Hiervon ausgehend war die Beklagte gehalten, sich bei ihrer Schiedsentscheidung verbindlich an dem Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 1. vom 16. Oktober 2014 zu orientieren.

So ist es auch geschehen: Die Beklagte hat die vom Beigeladenen zu 1. festgelegte zweckmäßige Vergleichstherapie als vorgegebenen Rahmen für ihre Entscheidung genommen und sich, wie es § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V fordert, für die Preisbildung an der wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie orientiert. Die wirtschaftlichste Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie bestand am 8. Februar 2019 im Wirkstoff Glatirameracetat mit Jahrestherapiekosten von 8.979,18 Euro. Der Wirkstoff Glatirameracetat war unzweifelhaft im Nutzenbewertungsbeschluss vom 16. Oktober 2014 als eine der drei zweckmäßigen Vergleichstherapien festgelegt. Hiervon ist die Beklagte nicht abgewichen. Der im Nutzenbewertungsbeschluss enthaltene Handelsname Copaxone® kann nur als unverbindliche Nennung des Handelsnamens begriffen werden, denn es steht außer Frage, dass die Nutzenbewertung wirkstoffbezogen erfolgt (vgl. nur § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB V); zugleich würde es der in einer Kostendämpfung bestehenden Grundidee des AMNOG widersprechen, später hinzutretende generische Arzneimittel mit demselben Wirkstoff nicht in die Preisbildung einzubeziehen. Damit ändern sich zwar auch die von den Vertragspartnern und der Schiedsstelle nach § 130 b SGB V zu berücksichtigenden Jahrestherapiekosten, die der GBA in seinem Nutzenbewertungsbeschluss für Glatirameracetat mit 17.425,42 Euro angegeben hatte. Doch insoweit sieht der Senat keine starre Bindung an den Nutzenbewertungsbeschluss, denn die Angabe der Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie in einem Nutzenbewertungsbeschluss kann naturgemäß nur eine Momentaufnahme sein, die sich an dem in der Lauer-Taxe im Augenblick des Nutzenbewertungsbeschlusses gelisteten Preis orientiert. Hier hat der Beigeladene zu 1. die Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie ausdrücklich auf die "Angaben der Lauer-Taxe (Stand 1. Oktober 2014)" bezogen. Hierin sieht der Senat zwar keine "dynamische Verweisung", wie die Gesetzgebungstechnik sie kennt, denn dafür fehlt es an der typischen Kompetenz-verschiebung; wohl aber kommt damit zum Ausdruck, dass die Angabe der Thera-piekosten eine auf den Moment bezogene Festlegung bei Fassung des Nutzenbe-wertungsbeschlusses darstellt. Dass sich in der Folgezeit Preisänderungen ergeben können, liegt in der Natur der Sache und ist allen Beteiligten bewusst. Es widersprä-che der Grundidee des AMNOG, wenn die Vertragspartner und die angerufene Schiedsstelle im Nachgang zum Nutzenbewertungsbeschluss – u.U. auch noch Jah-re später – starr an die konkrete Höhe der Therapiekosten gebunden wären. Die maßgebliche Versorgungsrealität bestand am 8. Februar 2019 in Jahrestherapiekos-ten für Glatirameracetat in Höhe von 8.979,18 Euro. Diesen im Übrigen unstreitigen Betrag durfte die Beklagte daher zum Ausgangspunkt ihrer Preisfestsetzung neh-men. Ein Verstoß gegen Struktur und Kerngehalt des Nutzenbewertungsbeschlusses liegt darin nicht, zumal § 130b Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 ausdrücklich eine Orientie-rung der Preisbildung an der wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Ver-gleichstherapie fordert; damit kann nur gemeint sein, dass auf den Preis der zweck-mäßigen Vergleichstherapie im Augenblick der Schiedsstellenentscheidung abzustel-len ist.

Dass der Beigeladene zu 1. berechtigt ist, seinen Nutzenbewertungsbeschluss in Bezug auf die Jahrestherapiekosten zu ändern, steht alldem nicht entgegen. Die Ver-fahrensordnung des GBA sieht in Kapitel 5, § 20 Abs. 4 Satz 1 insoweit vor:

"Besteht im Nachgang zu einem gefassten Beschluss nach § 35a Absatz 3 SGB V über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln (Anlage XII der Arzneimit-tel-Richtlinie) Änderungsbedarf im Sinne einer sachlich-rechnerischen Richtig-stellung hinsichtlich ( ) der Angaben nach § 20 Absatz 3 Nummer 4 zu den Therapiekosten, kann der Unterausschuss durch einvernehmlichen Beschluss die entsprechenden Änderungen dieses Beschlusses in der Anlage XII zur Arzneimittel-Richtlinie vornehmen, soweit dadurch der Kerngehalt der Richtli-nie nicht berührt wird."

Nach Art einer Ermessensvorschrift und zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung ist insoweit nur eine Sonderkompetenz des Unterausschusses Arzneimittel des GBA geregelt. Die Vorschrift entfaltet zur Überzeugung des Senats keine Sperrwirkung dergestalt, dass es den Vertragspartnern oder der angerufenen Schiedsstelle ver-wehrt wäre, neuere Entwicklungen bei den Therapiekosten bei der Bildung des Er-stattungsbetrages außer Betracht zu lassen. Das kann im Einzelfall im Übrigen auch zugunsten des pharmazeutischen Unternehmers wirken. Bei Uneinigkeit der Beteilig-ten über die tatsächliche Höhe der Jahrestherapiekosten einer bestimmten Therapie-option steht es den Vertragspartnern stets frei, bei dem Beigeladenen zu 1. ein An-passungsverfahren nach § 20 Abs. 4 Satz 1 der Verfahrensordnung zu beantragen. Hierfür bestand vorliegend im Rahmen der im Jahre 2018 angelaufenen Verhandlun-gen allerdings kein Anlass, weil die Jahrestherapiekosten von Clift® und damit letzt-lich auch die Kosten der wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Vergleichs-therapie unstreitig waren.

cc) Die Beklagte war nicht verpflichtet, von der "Soll-Regelung" in § 130b Abs. 3 Satz 2 SGB V abzuweichen.

Nach dem Nutzenbewertungsbeschluss des Beigeladenen zu 1. vom 16. Oktober 2014 ist ein Zusatznutzen des Wirkstoffs Dimetylfumarat nicht belegt und das Arz-neimittel Tecfidera® wurde keiner Festbetragsgruppe zugeordnet. Mit Einführung der "Soll-Regelungen" in § 130b Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB V wurde der Verhandlungs-spielraum der Vertragsparteien moderat erweitert. Danach gilt die Obergrenze der wirtschaftlichsten Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie zwar im Regelfall weiterhin; aus besonderen Gründen kann aber davon abgewichen werden. Im Ent-wurf der Bundesregierung für das Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (AMVSG) heißt es insoweit (BT-Drucks 18/10208, zu Art. 1, Nr. 10 Buchst. d, S. 36):

"Mit der Änderung wird der Verhandlungsspielraum von GKV-Spitzenverband und pharmazeutischem Unternehmer bei der Vereinbarung des Erstattungsbetrags in Einzelfällen erweitert. Die derzeitige Regelung schreibt vor, dass für Arzneimittel, für die ein Zusatznutzen nach § 35a nicht belegt ist und die keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden können, ein Erstattungsbetrag zu vereinbaren ist, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die zweckmäßige Vergleichstherapie. Sind mehrere zweckmäßige Vergleichstherapien bestimmt, darf der Erstattungsbetrag nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen als die wirtschaftlichste Alternative. Daran soll im Grundsatz festgehalten werden. Für ein Arzneimittel, für das keine therapierelevanten Vorteile in der Versorgung belegt sind, kann gegenüber der Standardtherapie auch weiterhin kein höherer Preis beansprucht werden. Durch die Regelung wird der Verhandlungsspielraum jedoch für den Einzelfall erweitert. Wie sich in der Praxis gezeigt hat, kann die derzeitige enge und unflexible Vorgabe es in bestimmten Einzelfällen erschweren, einen angemessenen Preis zu vereinba-ren. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn für unterschiedliche Patien-tengruppen unterschiedliche, im Preis stark divergierende Vergleichstherapien bestimmt sind. Durch die `Soll`-Formulierung ist klargestellt, dass diese Flexi-bilisierung nur im begründeten Einzelfall zum Tragen kommt und im Regelfall die Bindung an den Preis der zweckmäßigen Vergleichstherapie weiterbe-steht."

Die Beklagte hat es zur Überzeugung des Senats beurteilungsfehlerfrei abgelehnt, in Tecfidera® einen "begründeten Einzelfall" zu sehen, der es erfordert, die wirtschaft-lichste Alternative der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht als Obergrenze für den Erstattungsbetrag heranzuziehen, sondern darüber hinauszugehen. Es liegt auf der Hand, dass der gerichtsfreie Gestaltungsspielraum der Beklagten hier in beson-derem Maße zum Tragen kommt und bereits fehlerfrei gehandhabt wird, wenn sich nur eine einigermaßen plausible Begründung dafür findet, in dem betreffenden Wirk-stoff keinen "Sonderfall" zu sehen.

Die Begründung des angefochtenen Schiedsspruchs erweist sich insoweit als außer-ordentlich konsistent und gibt zu erkennen, dass die Schiedsstelle den Aspekt des "Sonderfalles" tatsächlich "sehr umfassend" (Abs. 4 der Begründung) geprüft hat. Der Senat muss an dieser Stelle nicht weiter auf die umfangreichen Ausführungen der Beklagten in der schriftlichen Fassung ihres Beschlusses eingehen. Zu Recht hat die Beklagte aber darauf abgestellt, dass Dimethylfumarat in der aktuellen europäischen Leitlinie zur Behandlung der Multiplen Sklerose keine besondere Rolle zuerkannt werde (Abs. 9 der Begründung); von der Richtigkeit dieser Analyse hat der Senat sich durch Einsichtnahme in diese Leitlinie überzeugt. In den Therapieempfehlungen heißt es insoweit, dass bei Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose (RRMS) aus einer breiten Palette an moderat bis hoch wirksamen Medikamenten gewählt werden könne, darunter Beta-Interferone, Glatirameracetat und Dimethylfumarat. Für eine Sonderstellung von Dimethylfumarat, das als eines von mehreren in Betracht kommenden Wirkstoffen der Firstline-Therapie in Betracht kommt, kann danach nicht die Rede sein. Danach erscheint die Entscheidung der Beklagten sogar in besonderem Maße beurteilungsfehlerfrei. Für eine Reduzierung des Schiedsstellenermessens auf Null im Sinne des klägerischen Begehrens ist jedenfalls nicht im Ansatz etwas erkennbar.

3. Der angefochtene Schiedsspruch ist schließlich auch in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. In Betracht kommen hier ohnehin nur Begründungsmängel. Solche sind bei der gebotenen zurückhaltenden Überprüfung durch den Senat nicht ansatz-weise zu erkennen und werden auch von der Klägerin nicht geltend gemacht. Allge-mein gilt, dass der Schiedsspruch die Gründe für das Entscheidungsergebnis nur wenigstens andeutungsweise erkennen lassen muss. Bei Entscheidungen mit Kom-promisscharakter, die durch die Mehrheit von Mitgliedern eines hierzu berufenen plu-ralistischen Gremiums getroffen werden, dürfen die Begründungsanforderungen in-nerhalb des eröffneten Beurteilungsspielraums nicht überspannt werden. Einer be-sonders intensiven Begründung bedarf es mit Rücksicht auf das Zustandekommen einer Mehrheitsentscheidung in einem Aushandlungsprozess nicht (Bundessozialge-richt, Urteil vom 4. Juli 29018, B 3 KR 20/17 R [Albiglutid], zitiert nach juris, dort Rdnrn. 49, 55).

Hieran gemessen ist der angefochtene Schiedsspruch ohne Zweifel formell rechtmä-ßig; die schriftliche Begründung kann sogar, gemessen an sonstigen dem Senat be-kannt gewordenen Schiedssprüchen, als besonders ausführlich und sorgsam gelten, denn sie ist klar strukturiert, geht auf sämtliche aufgeworfenen Problemfelder ein, setzt angemessene Schwerpunkte, die sich am Vorbringen der Beteiligten orientie-ren, und lässt sogar den Rechenweg zum festgesetzten Erstattungsbetrag erkennen.

4. Erweist sich der angefochtene Schiedsspruch danach in jeder Hinsicht rechtmä-ßig, kommt auch die begehrte Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung nicht in Betracht. D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung. Die Revision hat der Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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