Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 18 SO 131/05 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 SO 38/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 9. November 2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm eine einmalige Beihilfe für die Rückführung seiner Ehefrau aus Wladiwostok zu gewähren.
Der Antragsteller stand seit Juli 2004 im Bezug laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und bezieht von der Antragsgegnerin seit dem 1. Januar 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Während einer Untersuchungshaft des Antragstellers von März bis Juli 2004 zog es die russische Ehefrau des Antragstellers vor, zu ihrer in Wladiwostok (Russland) lebenden Familie zurückzukehren.
Am 8. Januar 2005 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin u. a. die Gewährung einer einmaligen Beihilfe für die Rückführung seiner Ehefrau. Die Kosten für die Rückreise nach Deutschland bezifferte er auf etwa 800 EUR. Durch Bescheid vom 11. Januar 2005 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen für die Rückführung seiner Frau ab. Über den dagegen erhobenen Widerspruch ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Mit am 31. September 2005 beim Sozialgericht Wiesbaden (SG) eingegangenem Antrag vom 20. September 2005 hat der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine einmalige Beihilfe, hilfsweise ein Darlehen, für die Rückführung seiner Ehefrau aus Wladiwostok zu gewähren. Diesen Antrag hat das SG, soweit Ansprüche nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) geltend gemacht worden sind, zurückgewiesen. Soweit hilfsweise Ansprüche nach dem SGB II geltend gemacht worden sind, hat es das Verfahren abgetrennt und an die dafür zuständige Kammer des SG abgegeben. Zugleich hat es den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich sei. Alle denkbaren Ansprüche nach den §§ 67 ff. SGB XII oder § 21 BSHG a. F. seien keine Ansprüche des Antragstellers, sondern - im Falle des Vorliegens der weiteren Anspruchsvoraussetzungen - gegebenenfalls solche der Ehefrau, da allein bei ihr ein Bedarf bestehen könnte. Nach § 9 Abs. 1 SGB XII richteten sich die Leistungen nach den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushalts bei der Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Vorschrift konkretisiere das Individualisierungs- und das Bedarfsdeckungsprinzip. Die Bedarfsdeckung ziele dabei nicht auf jedes beliebige Bedürfnis, sondern auf den sozialhilferechtlich-normativ anerkannten Bedarf eines konkret-individuellen Leistungsempfängers. Soweit in § 9 Abs. 1 SGB XII auf den Haushalt abgestellt werde, komme nur die bestehende Haushaltsgemeinschaft bei der Bedarfsermittlung in Betracht. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass der Einzelanspruch auf Sozialhilfe als höchstpersönlicher Anspruch jedem einzelnen Leistungsberechtigten eines Haushalts zustehe. Anspruchsinhaber bleibe auch nach dem SGB XII jeder einzelne Leistungsberechtigte. Für jede Person sei daher ihr persönlicher Bedarf zu ermitteln. Nichts anderes habe nach § 11 Abs. 1 BSHG gegolten. Auch bei einem Bedarf, der notwendigerweise im Zusammenhang mit einer anderen gegebenenfalls hilfebedürftigen Person entstehe, insbesondere bei von Art. 6 Grundgesetz (GG) geschützten, zur Sicherung der familiären oder ehelichen Gemeinschaft entstehenden Fahrtkosten, sei danach zu differenzieren, bei welcher Person der Bedarf entstehe, nämlich bei wem die Kosten anfallen würden. Hiernach seien die Kosten für einen Rückflug der Ehefrau aus Wladiwostok nach Deutschland Kosten der Ehefrau, die allenfalls einen Bedarf der Ehefrau auslösen könnten. Da der Anspruch auf der Grundlage des SGB XII dem Grunde nach schon nicht bestehe, sei auch der Hilfsantrag nicht begründet.
Gegen diesen ihm am 11. November 2005 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 12. Dezember 2005 (Montag) eingegangenen Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Verfügung vom 14. Dezember 2005). Er trägt im Wesentlichen vor, das SG gehe zu Unrecht davon aus, dass der Bedarf nur bei seiner Ehefrau anfalle, weil bei dieser auch die Kosten entstünden. Der Bedarf an der Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft bestehe bei beiden Eheleuten gleichermaßen und lasse sich nicht daran festmachen, bei wem Kosten entstünden und welcher Ehegatte nun zu wem reise. An der Entstehung der Kosten lasse sich dies schon deshalb nicht festmachen, da genauso gut der Antragsteller einen Beförderungsvertrag über die Reise seiner Frau nach Deutschland abschließen könnte und die Kosten dann auch bei ihm anfallen würden. Ebenso wenig helfe die vom SG zitierte Rechtsprechung zum Umgangsrecht mit Kindern weiter. Schließlich sei es auch so, dass aus dem Individualisierungsprinzip nicht folge, dass vorliegend nur ein Bedarf der Ehefrau bestehe. Im Gegenteil gebe es neben dem Grundsatz der Individualisierung der Hilfegestaltung keinen Grundsatz der "Individualität der Sozialhilfeleistung". Daher seien überall dort, wo individuellen Notlagen nur mit Mitteln begegnet werden könne, die nicht unmittelbar beim Betroffenen allein ansetzen, entsprechende Hilfen zu gewähren, die auch Dritten zugute kämen. Dies gelte umso mehr im Falle des Antragstellers und seiner Ehefrau. Diesbezüglich schreibe § 16 SGB XII als Ausfluss von Art. 6 Abs. 1 GG ausdrücklich vor, dass bei Leistungen der Sozialhilfe die besonderen Verhältnisse in der Familie der Leistungsberechtigten zu berücksichtigen seien, ja sogar, dass die Sozialhilfe den Zusammenhalt der Familie festigen solle. Diese Vorschrift konkretisiere den Individualisierungsgrundsatz und projiziere ihn auf die gesamte Familie. Der Antragsteller und seine Frau seien daher ohnehin nach der Vorschrift des § 16 SGB XII im Hinblick auf ihren gemeinsamen Bedarf als Einheit anzusehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei es sogar ausdrücklich Aufgabe der Antragsgegnerin, diese Einheit wieder zu festigen. Im Übrigen läge, wenn man den bestehenden Bedarf des Antragstellers und seiner Ehefrau nicht gleichermaßen bei beiden anerkenne, darin ein nicht gerechtfertigter Verstoß gegen das Fördergebot und das Beeinträchtigungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG.
Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Wiesbaden vom 9. November 2005 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm für die Rückführung seiner Ehefrau aus Wladiwostok eine einmalige Beihilfe zu gewähren, sowie ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass es vor dem Hintergrund der selbst und eigenverantwortlich herbeigeführten Umstände (Rückreise nach Wladiwostok) höchst widersprüchlich erscheine, nunmehr unter Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 GG den besonderen Schutz des Staates für die Ehe einzufordern. Bei einer nur relativ kurzen Haftstrafe des Ehemannes als Ehefrau derart "das Weite" zu suchen, statt dem Ehemann in dieser für ihn sicherlich schwierigen Situationen beizustehen, spreche nicht gerade für das dringende Bedürfnis nach persönlichem Kontakt. Schließlich seien Sozialleistungsträger nicht dazu da, Leistungen zur Rückführung im Ausland lebender Ehegatten zu erbringen. Der Antragsteller könne auch nicht besser gestellt werden als andere, die mit ihrem Nettoarbeitsentgelt einer unteren Lohngruppe auskommen müssten.
Im Übrigen wird wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, eine Beihilfe oder ein Darlehen zur Rückführung der Ehefrau des Antragstellers zu bewilligen.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach S. 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.
Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 90 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit § 86b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen. Diese Glaubhaftmachung ist bereits hinsichtlich eines Anordnungsanspruchs nicht erfolgt.
Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob nicht – wie die Antragsgegnerin meint – eine generelle Unzuständigkeit des Sozialhilfeträgers und damit ein Verbot für die Antragsgegnerin besteht, Leistungen zur Rückführung von Personen aus dem Ausland zu erbringen (so für das BSHG das Oberverwaltungsgericht - OVG - für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Januar 1992 - 8 B 7/92 - FEVS 42, 292 ff.). Die Gewährung von Leistungen seitens der Antragsgegnerin käme - entsprechend dem für die Sozialhilfe geltenden Nachrangigkeitsprinzip (§ 2 Abs. 1 BSHG und SGB XII) - nämlich allenfalls dann in Betracht, wenn das Ziel des Antragstellers, die Rückkehr der Ehefrau in die Bundesrepublik zu ermöglichen, nicht (auch) auf andere Weise als durch Leistungen der Sozialhilfe erreicht werden könnte. Dass dies von vornherein ausgeschlossen erscheint, hat der Kläger nicht vorgetragen und daher auch nicht glaubhaft gemacht.
Für Personen, die - wie die Ehefrau des Antragstellers - eine Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland beabsichtigen, sieht das Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (KonsG) vom 11. September 1974 (BGBl. I 1974, 2317) in der vorliegend anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I, 3022) Hilfsmöglichkeiten vor. Nach § 5 Abs. 1 KonsG sollen die Konsularbeamten Deutschen, die in ihrem Konsularbezirk hilfsbedürftig sind, die erforderliche Hilfe leisten, wenn die Notlage auf andere Weise nicht behoben werden kann. Die Hilfe kann nach § 5 Abs. 4 KonsG auch dadurch geleistet werden, dass dem Hilfesuchenden die Reise an den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts oder ein einen anderen Ort ermöglicht wird. Dass die Ehefrau des Antragstellers keine Deutsche ist, steht einem möglichen Anspruch auf Reisekosten nicht entgegen. Nach § 5 Abs. 2 KonsG können die Konsularbeamten nämlich, soweit es im Einzelfall der Billigkeit entspricht, Hilfe auch nichtdeutschen Familienangehörigen von Deutschen gewähren, wenn sie mit diesen in Haushaltsgemeinschaft leben oder längere Zeit gelebt haben.
Ein gegen die deutsche Auslandsvertretung gerichteter Leistungsanspruch wäre auch nicht aufgrund von § 5 Abs. 6 KonsG ausgeschlossen. Diese Vorschrift bestimmt zwar in S. 1, dass Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. dem SGB XII oder in entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes zu gewähren ist, wenn die Notlage bei einem Hilfeempfänger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat oder im Ausland in Untersuchungshaft ist oder eine Freiheitsstrafe verbüßt, länger als zwei Monate andauert. Nach § 5 Abs. 6 S. 2 KonsG bleibt jedoch von der Regelung des § 5 Abs. 6 S. 1 KonsG die Vorschrift des § 5 Abs. 4 KonsG unberührt. Das bedeutet, dass für die Gewährung von "Heimreisekosten" die Zuständigkeit der deutschen Auslandsvertretung bestehen bleibt, nicht aber der Träger der Sozialhilfe zu gewähren hat (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, a.a.O.).
Da nach alledem bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist, bedarf es nicht mehr der Prüfung eines Anordnungsgrundes.
Mangels hinreichender Aussichten auf Erfolg (§ 73a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO) kam schließlich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht in Betracht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm eine einmalige Beihilfe für die Rückführung seiner Ehefrau aus Wladiwostok zu gewähren.
Der Antragsteller stand seit Juli 2004 im Bezug laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und bezieht von der Antragsgegnerin seit dem 1. Januar 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Während einer Untersuchungshaft des Antragstellers von März bis Juli 2004 zog es die russische Ehefrau des Antragstellers vor, zu ihrer in Wladiwostok (Russland) lebenden Familie zurückzukehren.
Am 8. Januar 2005 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin u. a. die Gewährung einer einmaligen Beihilfe für die Rückführung seiner Ehefrau. Die Kosten für die Rückreise nach Deutschland bezifferte er auf etwa 800 EUR. Durch Bescheid vom 11. Januar 2005 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen für die Rückführung seiner Frau ab. Über den dagegen erhobenen Widerspruch ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Mit am 31. September 2005 beim Sozialgericht Wiesbaden (SG) eingegangenem Antrag vom 20. September 2005 hat der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine einmalige Beihilfe, hilfsweise ein Darlehen, für die Rückführung seiner Ehefrau aus Wladiwostok zu gewähren. Diesen Antrag hat das SG, soweit Ansprüche nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) geltend gemacht worden sind, zurückgewiesen. Soweit hilfsweise Ansprüche nach dem SGB II geltend gemacht worden sind, hat es das Verfahren abgetrennt und an die dafür zuständige Kammer des SG abgegeben. Zugleich hat es den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch weder glaubhaft gemacht noch sonst ersichtlich sei. Alle denkbaren Ansprüche nach den §§ 67 ff. SGB XII oder § 21 BSHG a. F. seien keine Ansprüche des Antragstellers, sondern - im Falle des Vorliegens der weiteren Anspruchsvoraussetzungen - gegebenenfalls solche der Ehefrau, da allein bei ihr ein Bedarf bestehen könnte. Nach § 9 Abs. 1 SGB XII richteten sich die Leistungen nach den Besonderheiten des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Bedarfs, den örtlichen Verhältnissen, den eigenen Kräften und Mitteln der Person oder des Haushalts bei der Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Vorschrift konkretisiere das Individualisierungs- und das Bedarfsdeckungsprinzip. Die Bedarfsdeckung ziele dabei nicht auf jedes beliebige Bedürfnis, sondern auf den sozialhilferechtlich-normativ anerkannten Bedarf eines konkret-individuellen Leistungsempfängers. Soweit in § 9 Abs. 1 SGB XII auf den Haushalt abgestellt werde, komme nur die bestehende Haushaltsgemeinschaft bei der Bedarfsermittlung in Betracht. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass der Einzelanspruch auf Sozialhilfe als höchstpersönlicher Anspruch jedem einzelnen Leistungsberechtigten eines Haushalts zustehe. Anspruchsinhaber bleibe auch nach dem SGB XII jeder einzelne Leistungsberechtigte. Für jede Person sei daher ihr persönlicher Bedarf zu ermitteln. Nichts anderes habe nach § 11 Abs. 1 BSHG gegolten. Auch bei einem Bedarf, der notwendigerweise im Zusammenhang mit einer anderen gegebenenfalls hilfebedürftigen Person entstehe, insbesondere bei von Art. 6 Grundgesetz (GG) geschützten, zur Sicherung der familiären oder ehelichen Gemeinschaft entstehenden Fahrtkosten, sei danach zu differenzieren, bei welcher Person der Bedarf entstehe, nämlich bei wem die Kosten anfallen würden. Hiernach seien die Kosten für einen Rückflug der Ehefrau aus Wladiwostok nach Deutschland Kosten der Ehefrau, die allenfalls einen Bedarf der Ehefrau auslösen könnten. Da der Anspruch auf der Grundlage des SGB XII dem Grunde nach schon nicht bestehe, sei auch der Hilfsantrag nicht begründet.
Gegen diesen ihm am 11. November 2005 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 12. Dezember 2005 (Montag) eingegangenen Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Verfügung vom 14. Dezember 2005). Er trägt im Wesentlichen vor, das SG gehe zu Unrecht davon aus, dass der Bedarf nur bei seiner Ehefrau anfalle, weil bei dieser auch die Kosten entstünden. Der Bedarf an der Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft bestehe bei beiden Eheleuten gleichermaßen und lasse sich nicht daran festmachen, bei wem Kosten entstünden und welcher Ehegatte nun zu wem reise. An der Entstehung der Kosten lasse sich dies schon deshalb nicht festmachen, da genauso gut der Antragsteller einen Beförderungsvertrag über die Reise seiner Frau nach Deutschland abschließen könnte und die Kosten dann auch bei ihm anfallen würden. Ebenso wenig helfe die vom SG zitierte Rechtsprechung zum Umgangsrecht mit Kindern weiter. Schließlich sei es auch so, dass aus dem Individualisierungsprinzip nicht folge, dass vorliegend nur ein Bedarf der Ehefrau bestehe. Im Gegenteil gebe es neben dem Grundsatz der Individualisierung der Hilfegestaltung keinen Grundsatz der "Individualität der Sozialhilfeleistung". Daher seien überall dort, wo individuellen Notlagen nur mit Mitteln begegnet werden könne, die nicht unmittelbar beim Betroffenen allein ansetzen, entsprechende Hilfen zu gewähren, die auch Dritten zugute kämen. Dies gelte umso mehr im Falle des Antragstellers und seiner Ehefrau. Diesbezüglich schreibe § 16 SGB XII als Ausfluss von Art. 6 Abs. 1 GG ausdrücklich vor, dass bei Leistungen der Sozialhilfe die besonderen Verhältnisse in der Familie der Leistungsberechtigten zu berücksichtigen seien, ja sogar, dass die Sozialhilfe den Zusammenhalt der Familie festigen solle. Diese Vorschrift konkretisiere den Individualisierungsgrundsatz und projiziere ihn auf die gesamte Familie. Der Antragsteller und seine Frau seien daher ohnehin nach der Vorschrift des § 16 SGB XII im Hinblick auf ihren gemeinsamen Bedarf als Einheit anzusehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sei es sogar ausdrücklich Aufgabe der Antragsgegnerin, diese Einheit wieder zu festigen. Im Übrigen läge, wenn man den bestehenden Bedarf des Antragstellers und seiner Ehefrau nicht gleichermaßen bei beiden anerkenne, darin ein nicht gerechtfertigter Verstoß gegen das Fördergebot und das Beeinträchtigungsverbot des Art. 6 Abs. 1 GG.
Der Antragsteller beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Wiesbaden vom 9. November 2005 die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm für die Rückführung seiner Ehefrau aus Wladiwostok eine einmalige Beihilfe zu gewähren, sowie ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, dass es vor dem Hintergrund der selbst und eigenverantwortlich herbeigeführten Umstände (Rückreise nach Wladiwostok) höchst widersprüchlich erscheine, nunmehr unter Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 GG den besonderen Schutz des Staates für die Ehe einzufordern. Bei einer nur relativ kurzen Haftstrafe des Ehemannes als Ehefrau derart "das Weite" zu suchen, statt dem Ehemann in dieser für ihn sicherlich schwierigen Situationen beizustehen, spreche nicht gerade für das dringende Bedürfnis nach persönlichem Kontakt. Schließlich seien Sozialleistungsträger nicht dazu da, Leistungen zur Rückführung im Ausland lebender Ehegatten zu erbringen. Der Antragsteller könne auch nicht besser gestellt werden als andere, die mit ihrem Nettoarbeitsentgelt einer unteren Lohngruppe auskommen müssten.
Im Übrigen wird wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Akten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, eine Beihilfe oder ein Darlehen zur Rückführung der Ehefrau des Antragstellers zu bewilligen.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach S. 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.
Sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 90 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) in Verbindung mit § 86b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen. Diese Glaubhaftmachung ist bereits hinsichtlich eines Anordnungsanspruchs nicht erfolgt.
Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob nicht – wie die Antragsgegnerin meint – eine generelle Unzuständigkeit des Sozialhilfeträgers und damit ein Verbot für die Antragsgegnerin besteht, Leistungen zur Rückführung von Personen aus dem Ausland zu erbringen (so für das BSHG das Oberverwaltungsgericht - OVG - für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Januar 1992 - 8 B 7/92 - FEVS 42, 292 ff.). Die Gewährung von Leistungen seitens der Antragsgegnerin käme - entsprechend dem für die Sozialhilfe geltenden Nachrangigkeitsprinzip (§ 2 Abs. 1 BSHG und SGB XII) - nämlich allenfalls dann in Betracht, wenn das Ziel des Antragstellers, die Rückkehr der Ehefrau in die Bundesrepublik zu ermöglichen, nicht (auch) auf andere Weise als durch Leistungen der Sozialhilfe erreicht werden könnte. Dass dies von vornherein ausgeschlossen erscheint, hat der Kläger nicht vorgetragen und daher auch nicht glaubhaft gemacht.
Für Personen, die - wie die Ehefrau des Antragstellers - eine Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland beabsichtigen, sieht das Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (KonsG) vom 11. September 1974 (BGBl. I 1974, 2317) in der vorliegend anwendbaren Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I, 3022) Hilfsmöglichkeiten vor. Nach § 5 Abs. 1 KonsG sollen die Konsularbeamten Deutschen, die in ihrem Konsularbezirk hilfsbedürftig sind, die erforderliche Hilfe leisten, wenn die Notlage auf andere Weise nicht behoben werden kann. Die Hilfe kann nach § 5 Abs. 4 KonsG auch dadurch geleistet werden, dass dem Hilfesuchenden die Reise an den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts oder ein einen anderen Ort ermöglicht wird. Dass die Ehefrau des Antragstellers keine Deutsche ist, steht einem möglichen Anspruch auf Reisekosten nicht entgegen. Nach § 5 Abs. 2 KonsG können die Konsularbeamten nämlich, soweit es im Einzelfall der Billigkeit entspricht, Hilfe auch nichtdeutschen Familienangehörigen von Deutschen gewähren, wenn sie mit diesen in Haushaltsgemeinschaft leben oder längere Zeit gelebt haben.
Ein gegen die deutsche Auslandsvertretung gerichteter Leistungsanspruch wäre auch nicht aufgrund von § 5 Abs. 6 KonsG ausgeschlossen. Diese Vorschrift bestimmt zwar in S. 1, dass Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. dem SGB XII oder in entsprechender Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes zu gewähren ist, wenn die Notlage bei einem Hilfeempfänger, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat oder im Ausland in Untersuchungshaft ist oder eine Freiheitsstrafe verbüßt, länger als zwei Monate andauert. Nach § 5 Abs. 6 S. 2 KonsG bleibt jedoch von der Regelung des § 5 Abs. 6 S. 1 KonsG die Vorschrift des § 5 Abs. 4 KonsG unberührt. Das bedeutet, dass für die Gewährung von "Heimreisekosten" die Zuständigkeit der deutschen Auslandsvertretung bestehen bleibt, nicht aber der Träger der Sozialhilfe zu gewähren hat (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, a.a.O.).
Da nach alledem bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist, bedarf es nicht mehr der Prüfung eines Anordnungsgrundes.
Mangels hinreichender Aussichten auf Erfolg (§ 73a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO) kam schließlich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht in Betracht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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