S 12 AL 26/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AL 26/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld (Alg) ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuerhebesatzes hat.

Die keiner Kirche angehörende verheiratete Klägerin war vom 00.00.0000 bis 00.00.0000 als Sekretärin bei der I , Regionalbereich Nordwest in C beschäftigt. In der Zeit von März 2000 bis Februar 2001 erzielte sie ein versicherungspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt von 00.000,00 DM.

Nach ihrer Arbeitslosmeldung am 26.01.2001 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 30.08.2001 vorläufig Alg ab 01.03.2001 sowie ab 01.08.2001 i. H. v. 000,00 DM (entspricht 000,00 Euro) wöchentlich. In der Zeit vom 23.07.2001 bis 31.07.2001 und 18.09.2001 bis 12.12.2001 bezog die Klägerin Krankengeld nach einem ungekürzten kalendertäglichen Regelentgelt von 000,00 DM.

Am 30.12.2001 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld, dass ihr die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.12.2001 ab 13.12.2001 nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 0.000,00 DM i. H. v. 000,00 DM wöchentlich bewilligte.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes die Kirchensteuer berücksichtigt worden sei. Hiermit könne sie sich nicht einverstanden erklären, da sie keiner Kirche angehöre und daher keine Kirchensteuer zu entrichten habe.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2001 als unbegründet zurück und führt hierzu aus, bei der Festsetzung des Leistungsentgeltes seien die bei den Arbeitnehmern gewöhnlich anfallenden Entgeltabzüge zu berücksichtigen. Hierzu gehöre nach der gesetzlichen Regelung auch die Kirchensteuer, die nach wie vor bei den Arbeitnehmern gewöhnlich anfalle. Besondere Leistungssätze für Arbeitslose, die keiner Kirchensteuerpflicht unterlägen, seien im Gesetz nicht vorgesehen. Hierin liege nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch kein Verstoß gegen das Grundgesetz, insbesondere werde die Freiheit des religiösen Bekenntnisses nicht berührt, denn die Leistungssätze für das Arbeitslosengeld seien ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitslose in seinem früheren Beschäftigungsverhältnis Kirchensteuer entrichtet habe oder nicht, gleich hoch. Die Regelung gäbe also weder einen Anreiz aus einer Kirche auszutreten, noch einen Anreiz die Mitgliedschaft in einer Kirche anzustreben. Zudem sei auch der allgemeine Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt. Der Gesetzgeber habe an das der Sozialversicherung zugrundeliegende Beitrags- oder Versicherungsprinzip anknüpfen und demgemäss bestimmen dürfen, dass den Versicherten ohne Rücksicht auf ihre Kirchenzugehörigkeit bei gleicher Beitragsleistung auch gleiche Versicherungsleistungen gewährt würden.

Mit weiterem Bescheid vom 17.02.2003, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 04.03.2003 bewilligte die Beklagte ab 08.01.2003 Alg nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 000,00 Euro i. H. v. 000,00 Euro wöchentlich.

Die hiergegen und gegen den Bescheid vom 17.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2002 erhobenen Klagen vom 13.03.2003 und 04.02.2002 hat das Gericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Klägerin trägt hierzu vor, der Kirchensteuerabzug im Rahmen der angefochtenen Bescheide sei rechtswidrig, da sie keiner Religionsgemeinschaft angehöre. Nach Anschluss der neuen Bundesländer hätten sich die Verhältnisse in der Gesamtbevölkerung maßgeblich verändert, da in den neuen Bundesländern nur noch eine Minderheit der Kirche angehöre. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 23.03.1994 (BVerfGE 90,226 ff.) bereits anklingen lassen, das Zweifel beständen, ob nach der Wiedervereinigung der Abzug der Kirchensteuer noch verfassungsmäßig sei. Im Jahr 2001 könne man jedenfalls nicht mehr davon ausgehen, dass die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer noch Kirchensteuer zahle. Dies ergebe sich auch aus der prognostischen Einschätzung des Statistischen Bundesamtes vom 21.05.2003, nach der im Jahr 2001 die kirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmer schätzungsweise nur noch 54,3 Prozent der Gesamtarbeitnehmerschaft ausmachen würden. Demgemäss müsse das Leistungsentgelt um die abgezogenen Kirchensteuern erhöht werden, was wiederum zu einem höheren Arbeitslosengeld führen müsste.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2002 und unter Abänderung des Bescheides vom 17.02.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2003 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuerhebesatzes zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist nach wie vor der Auffassung, dass die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden seien.

Das Gericht hat zum Anteil der kirchenlohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer/innen eine Stellungnahme vom Statistischen Bundesamt angefordert. Mit Schreiben vom 21.05.2003 hat das Statistische Bundesamt die jüngsten Ergebnisse der Auswertung der Lohn-Einkommensteuerstatistik 1998 vorgelegt und in einer Prognose darauf hingewiesen, dass davon auszugehen sei, dass der Anteil der Kirchlohnsteuerpflichtigen im Jahr 2001 nur noch die Anteilsmarke von 54,3 Prozent erreichen würde.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide vom 17.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2002 und vom 17.02.2003 in der Gestalt Widerspruchsbescheides vom 04.03.2003 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung eines höheren Arbeitslosengeldes ohne Berücksichtigung eines Kirchensteuerhebesatzes.
Nach § 129 SGB III beträgt das Arbeitslosengeld für Arbeitslose, die kein Kind im Sinne des Einkommensteuerrechts haben 60 vom 100 des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), was sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, dass der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Die Beklagte hat dem Leistungsanspruch der Klägerin ab 13.12.2001 und ab 08.01.2003 ein zutreffendes Bemessungsentgelt entsprechend der Vorschrift des § 132 Abs. 1 Satz 2 SGB III zugrundegelegt. Dieses beträgt ab 13.12.2001 0000,00 DM und ab 08.01.2003 000,00 Euro.

Auch im Übrigen entspricht das der Klägerin gewährte Arbeitslosengeld den gesetzlichen Vorschriften. Die Klägerin kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, dass bei der Berechnung des ihr gewährten Alg der Kirchensteuerhebesatz als Berechnungsfaktor unberücksichtigt bleiben müsse. Dies schreibt § 136 SGB III ausdrücklich vor. Nach Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 dieser Vorschrift ist bei der Bestimmung der pauschalierten Entgeltabzüge "die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen" für die Kirchensteuer die Steuer nach dem im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuerhebesatz Zugrundezulegen.

Die Kammer vermag sich den von der Klägerin geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Rechtslage, die die Berücksichtigung des Kirchensteuerhebesatzes als gewöhnlichen Entgeltabzug weiter vorsieht, nicht anzuschließen. Das BSG hat in seiner aktuellen Entscheidung (BSG, Urteil vom 25.06.2002, Az.: B 11 AL 55/01 R) Zahlenmaterial des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ausgewertet. Auf dieser Grundlage konnte sich das BSG nicht davon überzeugen, dass § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III wegen eines Verstoßes gegen Artikel 14 Abs. 1 Satz 1, Artikel 3 Abs. 3 oder Artikel 4 Abs. 1 Grundgesetz verfassungswidrig sei. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung ausdrücklich an und verweist insoweit auch auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.03.1994 (BVerfGE 90, 226 ff.). Nach dem die Vorgängerregelung des § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB III, nämlich die Vorschrift des § 111 Abs. 2 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (Afg) für verfassungsgemäß erklärt wurde, da sich der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität und im Hinblick auf eine zügige Feststellung der Leistungshöhe für eine Pauschalierung entscheiden kann, ist es grundsätzlich nämlich nicht zu beanstanden, dass die Lohnabzüge für die Berechnung des Nettolohns nicht individuell ermittelt werden, sondern der Bruttolohn um einen bei Arbeitnehmern "gewöhnlich " anfallenden Abzug vermindert wird. Der Gesetzgeber ist auch nicht gehindert bei der Berechnung des Nettolohns individuelle Entscheidungen des Arbeitnehmers (Entschluss einer bestimmten Religionsgemeinschaft anzugehören) zu berücksichtigen und dabei in den Grenzen einer zulässigen Typisierung statistische Erkenntnis Zugrundezulegen (Bundesverfassungsgericht, aaO). Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber in dieser Entscheidung allerdings aufgetragen, hinsichtlich des Anteils der kirchenzugehörigen Arbeitnehmer die weitere Entwicklung zu beobachten, um wesentlichen Veränderungen rechtzeitig Rechnung tragen zu können. Die Beobachtungs- und Handlungspflicht des Gesetzgebers hat das Gericht daraus hergeleitet, dass es mit dem vom Gesetzgeber selbst gewählten Ansatz und dem Gebot der Normklarheit nicht mehr vereinbar wäre, die Kirchensteuer bei der Berechnung des Nettolohns auch dann noch als "gewöhnlich" anfallenden gesetzlichen Abzug in Ansatz zu bringen, wenn die Zugehörigkeit zu einer Kirche, die Kirchensteuer erhebt, nicht mehr als für den Arbeitnehmer typisch angesehen werden könnte, wenn als nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer solchen Kirche angehöre. Von einer deutlichen Mehrheit von Arbeitnehmern, die einer steuerhebenden Kirche angehören, kann dabei erst dann nicht mehr gesprochen werden, wenn ihr Anteil zu den Arbeitnehmern, die keiner kirchensteuererhebenden Kirche angehören unter 55 Prozent gesunken ist (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2002, B 11 AL 55/01 R - SGB 2002-559). Ausweislich der eingeholten Auskunft vom Statistischen Bundesamt liegt der Anteil der kirchenlohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer/innen im Jahr 1998 bei noch 57,1 Prozent, so dass nach diesem vorliegenden Zahlenmaterial weiterhin von einer deutlichen Mehrheit von Arbeitnehmern im Sinne der Rechtsprechung des BSG auszugehen ist.

Zudem führt auch die vom Statistischen Bundesamt mit Schreiben vom 21.05.2003 aufgestellte Prognose, dass der Anteil der kirchenlohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer/innen im Jahr 2001 auf 54,3 Prozent sinken dürfte, zu keinem anderen Ergebnis. Zum Einen handelt es sich hierbei lediglich um eine Schätzung, da konkretes Zahlenmaterial für das Jahr 2001 noch nicht vorliegt. Zum Anderen ist es für die Entscheidung des Rechtsstreites auch unerheblich, dass ab 1999 nicht aktuell auf konkrete Statistiken zurückgegriffen werden kann. Denn die dem Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht auferlegte Handlungspflicht kann erst ausgelöst werden, wenn der Gesetzgeber aufgrund statistischer Erkenntnisse davon ausgehen muss, dass nicht mehr eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigten Kirche angehört (vgl. Landessozialgericht Thüringen, Urteil vom 10.10.2002, Az.: L 3 AL 165/02). Zwar hat der Gesetzgeber auch die erwähnte Beobachtungspflicht, um den Eintritt eines verfassungswidrigen Zustandes zu vermeiden. Es ist nach den zutreffenden Ausführungen des Thüringer Landessozialgerichts (aaO) jedoch nicht zu erkennen, dass der Gesetzgeber diese Beobachtungspflicht verletzt hätte. Bei der Erhebung der statistischen Zahlen ist er auf die Mitwirkung Dritter angewiesen. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet aufgrund einer Vermutung präventiv tätig zu werden. Ihm ist durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht auferlegt worden, zusätzlich weitere Ermittlungen zum Anteil der Kirchenmitglieder anzustellen, vielmehr kann er sich auf die Beobachtung und Auswertung des vorhandenen Zahlenmaterials beschränken. Erst sobald Zahlen vorliegen, wonach der Anteil derjenigen Arbeitnehmer, die einer steuererhebenden Kirche angehören, unter 55 Prozent gesunken ist, kann also nicht mehr von einer deutlichen Mehrheit von Arbeitnehmern gesprochen werden, die einer kirchensteuererhebenden Kirche angehören. Selbst wenn man die Prognose des Statistischen Bundesamtes im Schreiben vom 22.05.2003 ausreichen lassen würde, um eine Handlungspflicht des Gesetzgebers zu begründen, führt dies nicht zu einem verfassungswidrigen Zustand. Der Gesetzgeber wäre auch dann nicht sofort, möglicherweise im Eilverfahren verpflichtet, eine Gesetzesänderung vorzunehmen. Zwar würde die Handlungspflicht ausgelöst, ein Meinungsbildungsprozess wäre gleichwohl erforderlich. Ferner wäre das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren einzuhalten. Dem Gesetzgeber ist mithin auch dann ein zeitlicher Spielraum eröffnet, so dass die der Entscheidung zugrundeliegenden streitigen Zeiträume durch die Prognose des Statistischen Bundesamtes von Mai 2003 nicht berührt würden.

Die Klage konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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