S 14 KR 18/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KR 18/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 357/03
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für eine Therapie des Klägers mit Immunglobulinen zu übernehmen.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Er leidet an einer 1988 nachgewiesenen multiplen Sklerose-Erkrankung (Enzephalomyelitis disseminata) mit schubförmigem Krankheitsverlauf; unterschieden werden insoweit Multiple Sklerose-Erkrankungen mit chronischprogredientem bzw. schubförmig-remirierendem Verlauf.

Die neurologische Klinik T in C beantragte im Juli 1999 für den Kläger die Übernahme der Kosten für eine Dauerbehandlung des Klägers mit Immunglobulinen unter dem Hinweis, der Kläger leide unter sich häufenden Verschlechterungsschüben, hinsichtlich deren Behandlung eine solche mit Interferonen aufgrund einer wiederkehrenden depressiven Störung nicht in Frage käme; in der Bundesrepublik Deutschland würden insoweit bereits unzählige an Multiple Sklerose erkrankte Patienten mit Immunglobulinen behandelt; diesbezüglich bestehe auch nach einem Konsensuspapier der Deutschen Multiple-Sklerose-Gesellschaft eine ausdrückliche Empfehlung zur Behandlung mit Immunglobulinen bei schubförmigem Verlauf. Nachdem hierzu Dr. M, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK) Westfalen-Lippe, in einer Stellungnahme vom 16.07.1999 darauf hingewiesen hatte, Immunglobuline seien für die Behandlung der Erkrankung nicht zugelassen -hinsichtlich des verordneten Octagam handelt es sich insoweit um ein verschreibungspflichtiges, in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenes Medikament zur intravenösen Infusion zur Behandlung primärer Antikörperzustände, idiopathischer thromoztopenischer Purpura, sekundärer Immunmangelkrankheiten, HIV-Infektion bei Kindern, Kawasaikisyndrom sowie allogenen Knochenmarkstransplantationen- lehnte es sich Beklagte mit Bescheid vom 19.07.1999 ab, die Behandlungskosten zu übernehmen.

Mit dem hiergegen am 29.07.1999 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, aufgrund seiner psychischen depressiven Erkrankung bestehe hinsichtlich anderer in Frage kommender Medikamente eine Kontraindikation, so dass die Beklagte, zumal auch durch österreichische Studien die Wirksamkeit intravenöser Immunglobulingabe zur Behandlung schubförmiger Multipler Sklerose belegt sei, verpflichtet sei, die Behandlungskosten zu übernehmen. Die Beklagte holte hierauf ein Gutachten sowie weitere gutachterliche Stellungnahmen von Dr. M (vom 28.09.1999, 06.12.1999 und 01.09.2000) ein, in welchem diese darauf hinwies, derzeit stünden verlässliche wissenschaftliche Daten zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des verordneten Arzneimittels nicht zur Verfügung, so dass die Dauertherapie nicht zu empfehlen sei. Vorrangig komme eine Behandlung mit Copaxone, einem in den USA zur Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassenen und in der Bundesrepublik Deutschland im Einzelfall bei Patienten im Fall einer Kontraindikation empfohlenen Präparat, sowie Azathioprin (Imurek), hinsichtlich dessen derzeit ein Zulassungsverfahren laufe, in Betracht, so dass mehrere alternative Medikamente zur Verfügung ständen und auch ein Notfall, welcher einen indikationsfremden Einsatz von Arzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertige, nicht vorliege. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2000 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch des Klägers zurück.

Hiergegen richtet sich die am 27.12.2000 erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er vertritt die Auffassung, in Anbetracht des therapeutischen Nutzens des verordneten Medikaments könne dessen fehlende Zulassung bei fehlenden Behandlungsalternativen seinem Versorgungsanspruch nicht entgegenstehen. Ebensowenig schließe einen solchen die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.03.2002 (Az.: B 1 KR 37/00 R) aus, da er an einer schubweise verlaufenden Form der Erkrankung leide, hinsichtlich derer in Österreich veröffentliche Studien die Wirksamkeit der Behandlung mit Immunglobulinen belegten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2000 zu verurteilen, die Kosten für die Behandlung mit Immunglobulinen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht zunächst die Ausführungen ihrer Verwaltungsentscheidungen mit den zugrundeliegenden Stellungnahmen des MDK zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung und verweist im Weiteren darauf, dass nicht ersichtlich sei, dass eine Kontraindikation hinsichtlich der Anwendung des mittlerweile in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Medikaments Azathioprin für den Kläger vorliege. Abgesehen davon erfüllten die derzeitig vorliegenden Studien nicht die Anforderungen an Studien zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit der Immunglobulinanwendung bei Multipler Sklerose. Diesbezüglich verweist sie auf eine Äußerung der Paul-Ehrlich-Institus, Bundesamt für Sera und Impfstoffe, Langen, vom 29.10.2002, in welchem dieses ausgeführt hatte, dass die derzeit vorliegenden Daten eine allgemeine Empfehlung zur Anwendung von Immunglobulinen nicht erlaubten, vielmehr noch eine Vielzahl von Fragen offen sei, zu deren Klärung kontrollierte Studien durchgeführt werden würden.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme für die Behandlung seiner Multiple Sklerose-Erkrankung mit Immunglobulinen und ist von daher durch den angefochtenen Bescheid vom 19.07.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2000 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert.

Da die Behandlung beim Kläger ausweislich des Behandlungsberichts der Neurologischen Klinik T vom 04.08.1999 zumindest seit Juli 1999 durchgeführt wird, beurteilt sich der geltend gemachte Anspruch nach § 13 Abs. 3 des 5. Buches des Sozialgesetzbuches -SGB V-. Hiernach besteht ein Kostenerstattungsanspruch, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind, dass er sich die Leistung selbst beschafft hat. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da die Behandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose mit dem für dieses Anwendungsgebiet derzeit nicht zugelassenen Arzneimittel Octagam keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ist, die Beklagte deshalb die Kostenübernahme zu Recht abgelehnt hat.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte im Rahmen ihres Krankenbehandlungsanspruchs gegenüber der Krankenkasse einen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln. Angesichts der Einschränkungen des § 2 Abs. 1 Satz 3 und § 12 Abs. 1 SGB V besteht dieser jedoch nur für solche Pharmakotherapien, die sich bei dem vorhandenen Krankheitsbild als zweckmäßig und wirtschaftlich erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Diese Anforderungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht erfüllt, wenn das verabreichte Medikament nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist (BSGE 72, 252; SozR 3-2500 § 31 Nr. 3 und Nr. 5). Der Ausschluss eines derartigen sog. off-label-Gebrauchs von Arzneimitteln gilt allerdings unter Berücksichtigung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht ausnahmslos, da weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn dem Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll. Hierzu hat das BSG jüngst in seiner Entscheidung vom 19.03.2002 (B 1 KR 37/00 R) ausgeführt, dass ein derartiger Gebrauch zu Lasten der Krankenversicherung auf Fälle beschränkt bleiben muss, in denen einerseits ein unabweisbarer und anders nicht zu befriedigender Bedarf an der Arzneitherapie besteht und andererseits die therapeutische Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlung hinreichend belegt ist. Die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt insoweit nur in Betracht, wenn es

1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht

2. keine andere Therapie verfügbar ist und

3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Hinsichtlich letzterer Voraussetzung müssen dabei Forschungssergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung veröffentlicht sind und dabei eine Wirksamkeit bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.

Im Falle des Klägers sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Zwar gehört die Multiple Sklerose zu den schweren Krankheiten, bei welchen die Behandlung mit einem für die Indikation nicht zugelassenen Arzneimittel ausnahmsweise in Betracht käme. Für den Kläger ist jedoch angesichts der mittlerweile erfolgten Zulassung des Medikaments Imurek (Azathioprin) zur Behandlung der Multiplen Sklerose mit schubförmigem Verlauf eine andere Therapie verfügbar. Dem von der Beklagten vorgelegten Auszug über das Präparat aus der Roten Liste ist insoweit nicht zu entnehmen, dass die beim Kläger bestehende wiederkehrend depressive Erkrankung eine Kontraindikation hinsichtlich des Einsatzes des Medikaments darstellte oder von diesem entsprechende Nebenwirkungen mit der Gefahr einer Verschlimmerung der psychischen Erkrankung drohten.

Abgesehen davon besteht aufgrund der derzeitigen Datenlage keine begründete Aussicht in dem vom BSG dargelegten Sinne darauf, dass mit Immunglobulinen ein Behandlungserfolg beim Kläger erzielt werden könne. Insoweit ist auch bei der schubförmigen Verlaufsform der Erkrankung die Daten- und Erkenntnislage derzeit nicht unterschiedlich zu der bei der chronisch-progredienten Verlaufsform, die der Entscheidung des BSG vom 19.03.2002 zugrunde lag. Dabei ist vorab festzuhalten, dass, selbst eine Kontraindikation zugelassener Mittel unterstellt, ein solcher nicht schon den ansich ausgeschlossenen off-label-Gebrauch rechtfertigte, vielmehr eine derartige Kontraindikation weitere Voraussetzung neben der unter Oben Nr. 3 geforderten Datenlage zur Frage der Wirksamkeit und Unschädlichkeit des zulassungsfremden Einsatzes des Mittels ist. Hinsichtlich dieses Einsatzes mag zwar, worauf das Landessozialgericht Schleswig-Holstein in seiner Entscheidung vom 08.10.2002 (NZS 2003, 431 ff) abstellt, durch die österreichische Studie von Fazekas u.a. eine Wirkungsweise von Immunglobulinen auf die schubförmig verlaufende Multiple Sklerose sowie unter statistischen Gesichtspunkten eine Schubprophylase in der Therapie belegt sein. Die ansonsten vorliegenden Erkenntnisquellen erlauben jedoch derzeit nicht, von einem in einschlägigen Fachkreisen bestehenden Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen auszugehen. Insoweit hat das Paul-Ehrlich-Institut als zuständige Bundesoberbehörde für die Erteilung von Zulassungen noch im Oktober 2002 festgestellt, dass die derzeit vorliegenden Studien und Fallberichte noch nicht den Anforderungen genügten, die an Studien zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit der Immunglobulin-Anwendung bei Multipler Sklerose zu stellen wären, so dass noch eine Vielzahl von Fragen offen sei, zu deren Klärung kontrollierte Studien durchgeführt würden. Hierbei stimmt es überein mit der aktuellen Auffassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) welches ebenfalls derzeit keinen Konsens in einschlägigen Fachkreisen im Sinne des BSG-Urteils zu bestätigen vermag (vgl. hierzu Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10.07.2003 -Az.: L 16 B 35/03 KR ER). Angesichts der eindeutig ablehnenden Sicht dieser beiden Institute, welche am ehesten dazu aufgerufen sind, sich einen Überblick über den Datenstand im Sinne der Anforderungen des BSG zu verschaffen, erscheint es nicht angängig, sich hierüber und deren Auffassung, die in Österreich veröffentliche Studie sei derzeit hinsichtlich eines Wirksamkeitsnachweises nicht ausreichend, hinwegzusetzen.

Die Klage war von daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved