S 14 U 59/01

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 59/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 72/04
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2001 verurteilt, dem Kläger wegen des Unfalles am 10.07.1999 Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung; maßgebend ist dabei, ob der Kläger zum Zeitpunkt eines Verkehrsunfalls unter Unfallversicherungsschutz stand oder ob ein solcher wegen Fehlens eines rechtlich wesentlichen Ursachenzusammenhanges zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit aufgrund grob verkehrswidrigen, rücksichtslosen Verhaltens oder medikamenteninduzierter Fahruntüchtigkeit des Klägers auszuschließen ist.

Der am 23.04.1958 geborene Kläger betreibt seit Mai 1987 als Unternehmer einen Fahrradhandel.

Er befand sich mit seinem Pkw am 10.07.1999 auf der Rückfahrt von einem Kunden, welchem er ein Fahrrad ausgeliefert hatte und befuhr insoweit gegen Abend die Umgehungsstraße B2 in Richtung M. In Höhe einer Kuppe - die Straße beschreibt hier eine leichte Linkskurve -, wobei die Fahrbahn mit einer unterbrochenen Mittellinie versehen war, geriet er bei einer Geschwindigkeit von mindestens 95 km/h bei einer dort zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h mit etwa halber Fahrzeugbreite nach links auf die Spur des Gegenverkehrs, wobei er mit drei ihm entgegenkommenden Fahrzeugen, mit dem letzten frontal kollidierte. Der Fahrzeugführer dieses Pkw erlitt dabei schwere Schädel-Hirnverletzungen, an deren Folgen er verstarb, die weiteren Unfallbeteiligten zum Teil leichtere Verletzungen. Der Kläger selbst zog sich beim Unfall eine Thoraxkontusion sowie eine offene Risswunde des linken Kniegelenkes zu, welche nachfolgend eine operative Entfernung des präpatelaren Schleimbeutels zur Folge hatte. Nachfolgend traten depressive Verstimmungen auf, welche als posttraumatische Anpassungsstörung gedeutet wurden (z.B. Bericht der Georg-August-Universität H vom 30.07.1999). Vom Amtsgericht Göttingen wurde der Kläger rechtskräftig durch Urteil vom 31.10.2000 zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 7 Monaten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung verurteilt, wobei in den Entscheidungsgründen ausgeführt war, aus nicht klärbaren Gründen sei er auf die linke Fahrbahn geraten. Bei fehlenden technischen Mängeln an seinem Fahrzeug hatte insoweit ein Unfallsachverständigengutachten von Diplom-Ingenieur I, B GmbH in H, vom 21.06.2000 auf einen Fahrfehler als Ursache des Unfalles hingewiesen.

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zur Klärung, ob ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall anzunehmen sei, zog die Beklagte zunächst Behandlungsberichte der Georg-August-Universität H über dortige Behandlung des Klägers bis 21.07.1999, zunächst in der Unfallchirurgischen, dann der Psychiatrischen Klinik bei (vom 30.07.1999); einen zunächst geäußerten Suizidverdacht als Ursache des Unfalles schlossen diese aus, wiesen aber auf einen insbesondere in den letzten Wochen zunehmenden häuslichen und beruflichen Problemen bestehenden vermehrten Medikamentenmissbrauch mit Benzodiazepinen und Opioiden bei bis 2 Jahre vor dem Unfall erfolgtem Heroinabusus hin. Ein im Übrigen hier nach dem Unfall erhobener Blutalkoholbefund war negativ. Die Beklagte zog ferner die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Göttingen (Az.: 32 Js 18693/99) bei; im Rahmen der Ermittlungen waren dabei die am Unfall Beteiligten sowie weitere Zeugen befragt worden; ein hinter dem Kläger auf den Unfallstrecke herfahrender Fahrzeugführer hatte dabei im Rahmen seiner Vernehmung bekundet, nachdem der Kläger ihn schnell überholt habe, sei ihm dessen unsichere Fahrweise aufgefallen, insoweit er in starken Schlangenlinien gefahren und mehrfach auf die Gegenfahrbahn geraten sei, ohne dabei jedoch andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden; er habe im Rahmen seiner Fahrt auch mehrfach vorausfahrende Fahrzeuge überholt, wobei er dabei einmal fast in den linken Straßengraben geraten wäre, zum Anderen einen entgegenkommenden Pkw zu einer Vollbremsung veranlasste; dieser Fahrzeugführer hatte den Kläger zum Unfallzeitpunkt, weil dieser die Straßenkuppe überschritten hatte, aus den Augen verloren.

Mit Bescheid vom 19.01.2000 lehnte es die Beklagte ab, dem Kläger wegen des Unfallereignisses Entschädigungsleistungen zu gewähren; ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfall könne nämlich nicht begründet werden, da er sich ausweislich des Ergebnisses der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen rücksichtslos und verkehrswidrig verhalten und über elementare Regeln und Vorschriften des Straßenverkehrsrechts hinweggesetzt habe; die hierdurch selbstgeschaffene Gefahr beruhe allein wesentlich auf persönlichen Umständen und Motiven und beseitigten einen rechtlich wesentlichen haftungsbegründenden Ursachenzusammenhang.

Hiergegen erhob der Kläger am 26.01.2000 Widerspruch, mit welchem er geltend machte, die Beklagte gehe von einem unzutreffenden Sachverhalt aus; für ein vorsätzliches oder rücksichtsloses Abkommen von der Fahrspur an unübersichtlicher Stelle gäbe es keinen Anhalt, vielmehr handele es sich um ein einmaliges Augenblicksversagen, für welches es keine plausible Erklärung gäbe; dies bestätigte auch das gerichtlich eingeholte Unfallsachverständigengutachten; soweit riskante Überholmanöver stattgefunden hätten, sei dies deutlich vor dem Unfall, nicht aber für die Unfallstelle festzustellen. Dementsprechend sei auch keine Verurteilung wegen grob fahrlässiger oder rücksichtsloser Straßenverkehrsgefährdung erfolgt. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2001 wies die Beklagte den Widerspruch mit im wesentlichen gleicher Begründung wie im angefochtenen Bescheid zurück; das Fahren zum Unfallzeitpunkt auf die linke Fahrspur trotz durchgezogener Linie und ohne Sicht belege ein verkehrswidriges, rücksichtsloses Fahrverhalten offenkundig, so dass durch diese Verhaltensweise der innere Zusammenhang der Fahrt zu betrieblichen Belangen gelöst werde.

Hiergegen richtet sich die am 28.02.2001 erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Begehren weiter verfolgt und zu deren Begründung zunächst seinen bisherigen Vortrag, es handele sich insgesamt um einen einfachen Fahrfehler, wiederholt. Es sei insoweit nicht zulässig, etwaiges Fehlverhalten und vorige Überholmanöver auf den Unfallzeitpunkt zu übertragen, so dass ein rücksichtsloses Fahrverhalten nicht angenommen werden könne. Es beständen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte im Hinblick auf eine alkoholinduzierte Fahruntüchtigkeit bzw. keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine medikamenteninduzierte Fahruntüchtigkeit, so dass Unfallversicherungsschutz gegeben sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2001 zu verurteilen, ihm wegen des Unfalles vom 10.07.1999 Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht zunächst die Ausführungen ihrer Verwaltungsentscheidungen zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung, gibt dann allerdings ihre Rechtsauffassung, wonach bei verkehrswidrigem, rücksichtslosem Fahrverhalten des Versicherten ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang entfiele, im Hinblick auf aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- auf. Zuletzt vertritt sie die Auffassung, unter Berücksichtigung der in den ärztlichen Berichten der Georg-August-Universität H dokumentierten Polytoxikomanie bestehe kein begründeter Zweifel daran, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt unter dieser Medikation gestanden habe, so dass eine medikamentös bedingte Fahruntüchtigkeit, welche nunmehr den vom Strafgericht angenommenen nicht klärbaren Grund erkläre, als die allein wesentliche Ursache des Unfalles Entschädigungsansprüche ausschließe.

Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung zunächst die bei der Staatsanwaltschaft Göttingen geführten Ermittlungsakten, ferner ein Vorerkrankungsverzeichnis der Barmer Ersatzkrankenkasse beigezogen und nachfolgend von Dr. T2, Arzt für Allgemeinmedizin in X, einen Befund- und Behandlungsbericht eingeholt (vom 26.03.2002) in welchem dieser Angaben zur Medikamentenverordnung und Medikamentengebrauch durch den Kläger machte. Nachdem gesichert werden konnte, dass die am Unfalltage entnommene Blutprobe geeignet zur Durchführung einer chemisch-toxikologischen Analyse sei, erhob das Gericht nach Maßgabe der Beweisanordnung vom 18.12.2002 Beweis und holte von Prof. Dr. T, Institut für Rechtsmedizin in H ein fachärztliches Gutachten zu der Frage ein, ob für den Unfallzeitpunkt von einer medikamenteninduzierten Verkehrsuntüchtigkeit des Klägers auszugehen sei. Auf den näheren Inhalt des Gutachtens vom 11.06.2003 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte vorliegend ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat wegen der Folgen seines Unfalles vom 10.07.1999 Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, denn dieser ist ein Arbeitsunfall. Der entgegenstehende Bescheid der Beklagten vom 19.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2001 war insoweit aufzuheben, da er den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach Maßgabe der §§ 26 ff des 7. Buches des Sozialgesetzbuches -SGB VII- werden gewährt, wenn ein Versicherungsfall vorliegt. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles ist dabei in der Regel erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muss also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der innere bzw. sachliche Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (BSGE 63, 273, 274). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu denen der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77). Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis zu erbringen, während für die kausale Verknüpfung zwischen ihr und dem Unfall die hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt (BSGE 58, 80, 83).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann Versicherungsschutz im vorliegenden Fall nicht verneint werden. Dabei besteht mittlerweile zunächst Einigkeit dahingehend, dass weder verbotswidriges Handeln noch strafbares Handeln bei der Zurücklegung von Wegen, sei es wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit (Wegeunfall -§ 8 Abs. 2 Nr. 1) noch betriebswegen wie vorliegend, welche der eigentlichen Betriebstätigkeit gleichgestellt sind und von den Wegen nach und von dem Ort der Tätigkeit dadurch unterscheiden, dass sie in Ausübung der versicherten Tätigkeit bzw. im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt werden und nicht lediglich der versicherten Tätigkeit vorausgehen und sich ihr anschließen, Versicherungsschutz ausschließen, auch wenn ein Verkehrsunfall auf dieser Verhaltensweise beruht; erforderlich ist für das Entfallen des inneren Zusammenhanges in diesen Fällen, dass die Handlungstendenz des Versicherten bei einem solchen Verhalten auf einen betriebsfremden Zweck gerichtet ist. Insoweit konnte Versicherungsschutz vorliegend nicht mit der Begründung abgelehnt werden, abgesehen davon, dass eine strafgerichtliche Verurteilung deswegen nicht erfolgt ist, dass der Versicherte grob verkehrswidrig und rücksichtslos gehandelt hat, da der Bezug zum Zurücklegen des Weges dadurch nicht aufgehoben wird, es sich vielmehr weiterhin um ein Verkehrsverhalten handelt, welches die Fortbewegung aus betrieblichen Gründen zum Ziel hat (BSG, Urteil vom 19.12.2000 in Breithaupt 2001, 208). Wie das BSG in dieser Entscheidung ausgeführt hat, ist insoweit eine durch etwaig grob verkehrswidrige oder rücksichtslose Fahrweise fahrlässig begangene Gefährdung des Straßenverkehrs hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens des inneren Zusammenhanges nicht mit einer durch Fahren unter Alkoholeinwirkung verursachten Verkehrsgefährdung infolge herabgesetzter Fahrtüchtigkeit gleichzusetzen, da Alkoholgenuss wegen der damit untrennbar verbundenen Herabsetzung oder Aufhebung der Fahruntüchtigkeit generell nicht zum Erreichen der Arbeitsstätte im Straßenverkehr geeignet und damit nicht betriebsdienlich ist, hingegen das Fahren in Richtung Ziel auch bei rücksichtsloser Fahrweise dazu im Allgemeinen geeignet ist.

In Fortführung dieser Rechtsprechung hat die Kammer die Überzeugung, dass auch, ebenso wenig wie eine rücksichtslose Fahrweise eine etwaig medikamenteninduzierte Fahruntüchtigkeit nicht einer alkoholinduzierten Fahruntüchtigkeit mit hierdurch verursachter Verkehrsgefährdung den Unfallversicherungsschutz auszuschließen vermag, da Beschäftigte, die nicht betriebsbedingt auf Grund eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes Psychopharmaka einnehmen, sich in einer nicht vergleichbaren Situation befinden. Der Medikamentengebrauch ist nämlich in der Regel ärztlicherseits angezeigt bzw. Teil einer Therapie und wird der Versicherte erst durch sie in die Lage versetzt, seine betriebliche Tätigkeit zu erfüllen. Im Gegensatz zum Alkoholgenuss, welcher generell, wie dargelegt, nicht betriebsdienlich ist, dienen Psychopharmaka daher betrieblichen Interessen, selbst wenn unter dem Einfluss eines solchen Medikamentes eine zeitlich begrenzte Leistungsminderung oder Leistungsunfähigkeit gegeben ist (so auch Wollberg, Unfallversicherungsschutz bei Einnahme von Psychopharmaka in WzS 1986, 301 ff). Die Anwendung dargestellter Überlegungen erscheint auch auf den vorliegenden Sachverhalt gerechtfertigt, da nach dem schlüssigen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T beim Kläger der früher geäußerte Verdacht auf eine Polytoxikomanie im Sinne eines multiplen, unkoordinierten Medikamentengebrauches nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Schlüssig legt dieser dar, dass zum Einen die noch im Behandlungsbericht der Georg-August-Universität H angenommene Vormedikation vor dem Unfall nach dem Ergebnis der toxikologischen Untersuchung nicht verifizierbar ist, zum Anderen die Rekonstruktion der Medikation dafür spricht, dass eine Wirkstoffaufnahme Teil eines therapeutischen Konzeptes zum Zwecke der Behandlung einer noch nicht überwundenen Heroinabhängigkeit darstellte.

Abgesehen davon kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, dass der Kläger medikamentenbedingt fahruntüchtig gewesen ist. Ebenso wie im Falle alkoholinduzierter (absoluter oder relativer) Fahruntüchtigkeit ist zunächst bei der Frage, ob die Einnahme von Pychopharmaka oder dergleichen zu einer Leistungsunfähigkeit bzw. Fahruntüchtigkeit geführt hat, zweifelsfrei die Feststellung des Vorliegens medikamentös bedingter Fahruntüchtigkeit zu treffen. Diese muss unter Außerachtlassung von denkbaren anderen Möglichkeiten nachgewiesen sein, so dass Annahmen und Vermutungen nicht ausreichen, ebenso wenig die bloße Wahrscheinlichkeit. Da insoweit, anders als bei Alkoholbeeinflussung, Grenzwerte nicht vorhanden sind, ist grundsätzlich in diesen Fällen etwaiger medikamentöser Beeinflussung ein solcher Beweis grundsätzlich nur schwer zu führen. Dabei fehlen von Medikamenten Wirkstoffgrenzen Feststellungen im Hinblick auf eine absolute Fahruntüchtigkeit nicht möglich sind, war vorliegend lediglich eine relative Fahruntüchtigkeit diskutabel. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bleibt aber offen, ob der Kläger zum Unfallzeitpunkt einer Medikation unterlag, welche geeignet gewesen war, seine Verkehrstüchtigkeit zu beeinträchtigen. Die vom Sachverständigen dargestellten Ergebnisse der toxikologischen Untersuchungen lieferten zwar für vier Wirkstoffklassen positive Ergebnisse, nachweisbare Rückschlüsse auf deren Wirkung auf die Reaktions- und Fahrfähigkeit des Klägers erlauben diese jedoch nicht.

Im Einzelnen dazu:

a)

Für die Wirkstoffklasse der Dreiring-Psychopharmaka oder trizzyklischen Antidepressiva ergab die Untersuchung eine lediglich grenzwertig positive, geringfügig oberhalb des Nullwertes liegende Reaktion, so dass dieses Ergebnis zu vernachlässigen ist. Im Übrigen ist nach den Darlegungen des Sachverständigen festzustellen, dass zum Einen der erhobene Wert einer langfristigen, im therapeutischen Bereich liegenden Gabe des die Wirksubstanz Imipramim enthaltenden Tofranil entspricht, zum Anderen einer langfristigen Einnahme von Impipramim in therapeutsicher Dosierung mit starken Gewöhnungseffekten zu rechnen ist, so dass eine Beeinträchtigung des Reaktionsvermögens allenfalls möglich nicht aber nachgewiesen ist.

b)

Ebenso schlüssig legt der Sachverständige dar, dass die positiven Ergebnisse der Screeninguntersuchung auf Barbiturate (Thiopental und Pentobarbital) einer im Rahmen diagnostischer bzw. therapeutischer Maßnahmen nach dem Unfall und vor der Blutprobenentnahme erfolgten Verabreichung entspricht, da derartige Medikamente für eine häusliche Verordnung nicht vorgesehen sind, vielmehr zur Einleitung von Kurznarkosen oder Einleitungen von Allgemeinnarkosen eingesetzt werden.

c)

Gleiches gilt für das ferner positive Ergebnis der Untersuchungen auf Diazepam. Die Benzodiazepin-Derivate können mit Behandlungen des Klägers nach dem Unfall zwar nicht erklärt werden, erscheinen jedoch nach schlüssiger Darlegung des Sachverständigen als durch einen längere bis lange Zeit zurückliegenden Konsum von Diazepam im niedriger Dosis erklärt, so dass hieraus eine Diazepin-Derivaten zukommende beruhigende und schlaffördernde Wirkung unmittelbar zum Unfallzeitpunkt nicht zugemessen werden kann. Das weiter nachgewiesene Diazepin-Derivat Bromazepam mag zwar durch eine ungleichmäßige Einnahme des Medikamentes Lexotanil in hoher Dosierung vereinbar sein, auch kann diesem eine das Koordinationsvermögen beeinträchtigende Wirkung zugemessen werden. Hervorzuheben ist jedoch, dass insbesondere bei Diazepin-Derivaten ausgeprägte Toleranzentwicklungen bestehen, so dass bei einer chronischen Einnahme es infolge von physiologischen und neurologischen Anpassungsvorgängen zu einer ausgeprägten Gewöhnung kommen kann, so dass im vorliegenden Falle nicht festgestellt werden kann, dass das Vorhandensein des Wirkstoffes Auswirkungen im konkreten Falle auf den Kläger gehabt hat. Mit anderen Worten ist es zwar möglich, jedoch nicht bewiesen.

d)

Der letztlich positive Nachweis von freiem Morphin ist, wie die Gabe von Barbituraten und Diazepam, da es Bestandteil stark wirksamer Schmerzmittel ist und ein verschreibungsfähiges Betäubungsmittel darstellt, welches nicht frei verfügbar ist, Behandlungen nach dem Unfall zuzuordnen. Die gemessenen Werte im Hinblick auf die Hydrocodein (DHC) erklären sich im Rahmen einer Substitution zur Behandlung des Klägers, wobei der erhobene Wert unter Berücksichtigung der detaillierten Darlegungen des Sachverständigen als äußerst gering anzusehen und damit im Hinblick auf eine Beeinträchtigung des Reaktionsvermögens zu vernachlässigen ist; konkrete Feststellungen können hier jedenfalls nicht getroffen werden.

Überdies ist insgesamt zu vergegenwärtigen, dass, da die mehrjährig unter nicht für die Durchführung toxikologischer Untersuchungen geeigneten Bedingungen gelagerte, vom Sachverständigen analysierte Blutprobe in ihrer Aussagefähigkeit eingeschränkt ist, da im Hinblick auf die lange und ungünstige Lagerungszeit Veränderungen und Umlagerungsprozesse jedenfalls nicht auszuschließen sind.

Insgesamt ist daher ein Nachweis einer im konkreten Falle gegebenen Wirkung psychoaktiver Medikamente im Hinblick auf die Reaktionsfähigkeit des Klägers nicht erbracht. Der fehlende Nachweis eines solchen, als rechtsvernichtende bzw. rechtshemmende Tatsache zu qualifizierenden Umstandes geht nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Ungunsten des Unfallversicherungsträgers, so dass die Beklagte entschädigungspflichtig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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