L 7 AL 59/15

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 21 AL 91/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 59/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung bei gleichzeitiger Vollzeitbeschäftigung beruht i. d. R. auch dann auf grober Fahrlässigkeit nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X, wenn der Arbeitslose den Empfang des "Merkblattes für Arbeitslose" durch Unterschrift bestätigt, ohne den Erhalt desselben zu überprüfen und sich dieses ggf. nachreichen zu lassen oder im Internet abzurufen.
Die Vertrauensschutzwirkung eines Bewilligungsbescheides kann sich nur auf Leistungen erstrecken, denen derselbe Versicherungsfall zugrunde liegt, auch wenn sich der Bewilligungszeitraum aufgrund eines neuen Versicherungsfalls mit dem Bewilligungszeitraum aufgrund des vorausgegangenen Versicherungsfalls überschneidet.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. Mai 2015 aufgehoben, soweit es den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 aufgehoben hat. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung und Erstattung von Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB Ill), für die Zeit vom 17. Juli bis 20. September 2012 wegen der Aufnahme einer nicht-geringfügigen Beschäftigung und einer sich anschließenden Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe.

Der im Jahr 1991 geborene Kläger ist ausgebildeter Koch. Mit Bescheid vom 26. Juni 2012 hatte ihm die Beklagte vom 8. Juni 2012 bis 30. Mai 2013 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 26,89 EUR bewilligt (Bl. 34 Gerichtsakte – GA). In dem zugrundeliegenden Antragsformular vom 30. Mai 2012 hatte er durch seine Unterschrift bestätigt, das sog. "Merkblatt 1 für Arbeitslose" der Beklagten erhalten zu haben, wie er selbst einräumt (Bl. 55 GA). Anfang Juni 2012 stellte er sich bei der Fa. "C. GmbH" vor, die damals Köche als neue Mitarbeiter suchte. Es wurde zunächst ein Probearbeiten vereinbart. Am 15. Juni 2012 begann der Kläger dort in der Küche zu arbeiten. Eine schriftliche Vereinbarung war zwischen den Beteiligten nicht getroffen worden. Die Tätigkeit dauerte jedoch nur bis zum 28. Juni 2012 an. Der Kläger teilte dem Küchenchef zu diesem Zeitpunkt mit, dass er sich in dem Unternehmen nicht wohlfühle und daher nicht weiter dort arbeiten wolle. Daraufhin war die Tätigkeit beendet. Laut Lohn-/Gehaltsabrechnung vom 11. Juli 2012 zahlte die Fa. "C. GmbH" dem Kläger für seine beendete Tätigkeit einen Betrag i.H.v. 755,00 EUR brutto aus. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 17. Juli 2012 teilte der Kläger dem zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten mit, dass seine Tätigkeit bei der Fa. C. beendet sei. Daraufhin forderte dieser das Unternehmen zur Übersendung einer Arbeitsbescheinigung auf, die schließlich erst im November 2012 vorgelegt wurde (Bl. 13 bis 16 Leistungsakte – LA). Darin heißt es, der Kläger sei dort im Zeitraum 15. bis 28. Juni als Koch tätig gewesen. Vereinbarte Arbeitszeit seien 40 Std/Woche gewesen. Er habe für die Tage seiner Tätigkeit ein Bruttoentgelt von 755 EUR erhalten. Der Kläger habe selbst gekündigt. Ab 27. September 2012 nahm der Kläger erneut eine Beschäftigung auf, weshalb die Beklagte mit unangefochten gebliebenem Bescheid vom 17. Oktober 2012 die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 27. September 2012 aufhob. Mit Bescheid vom 3. Januar 2013 stellte die Beklagte außerdem eine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe für den Zeitraum 29. Juni bis 20. September 2012 fest (Bl. 26 LA). Der Bescheid ist - nach Durchführung von Vor-, Klage- und Berufungsverfahren - mittlerweile bestandskräftig (Az. S 21 AL 82/13 bzw. L 7 AL 71/14). Mit weiterem Bescheid vom 3. Januar 2013 bewilligte sie erneut Arbeitslosengeld mit Anspruchsbeginn am 17. Juli 2012, das sie unter Berücksichtigung der zwölfwöchigen Sperrzeit erst vom 21. bis 26. September 2012 mit einem täglichen Leistungsbetrag von 26,89 EUR und davor 0,00 EUR festsetzte (Bl. 35 LA). Daneben erließ die Beklagte am 3. Januar 2013 einen "Rücknahme- und Erstattungsbescheid", mit dem sie die Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 15. Juni bis 20. September 2012 zurücknahm und für die erbrachten Leistungen einschließlich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 166,72 EUR eine Erstattungsforderung i.H.v. insgesamt 2.748,16 EUR festsetzte (Bl. 29 LA). Der Kläger habe die Aufnahme der nicht-geringfügigen Beschäftigung grob fahrlässig nicht angezeigt. Auch habe er erkennen müssen, dass der Anspruch mit der Aufgabe der Tätigkeit durch Eintritt der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe weggefallen sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2013 (Bl. 58 LA) zurück.

Zur Begründung seiner am 20. März 2013 beim Sozialgericht Darmstadt erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er habe der Beklagten mit Fax vom 6. Juni 2012 mitgeteilt, dass er sich auf einen ihm übersandten Vermittlungsvorschlag nicht bewerben werde, weil er ab Beginn des Monats Juli 2012 eine Stelle bei der Fa. "C." in Aussicht habe, wo er ab sofort mehrmals pro Woche von 17:00 bis 23:00 Uhr probeweise arbeiten werde. Auch sei er von der Beklagten nicht auf das Drohen einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe hingewiesen worden. Insbesondere habe er trotz seiner Unterschrift im Antragsformular auf Arbeitslosengeld das dort genannte "Merkblatt 1" nicht erhalten und sei bei seiner persönlichen Vorsprache am 17. Juli 2012 auch nicht auf eine mögliche Sperrzeit aufmerksam gemacht worden. Die Beklagte hat den Eingang des Faxes vom 6. Juni 2012 bestritten, weil ein solches bei ihr nicht auffindbar sei. Der Kläger habe zudem auch das "Merkblatt 1" erhalten und sei damit hinreichend über die Möglichkeit einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe belehrt worden. Mit Urteil vom 20. Mai 2015 hat das Sozialgericht Darmstadt den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides, "soweit er den Zeitraum 17.07.2012 bis 20.09.2012 betrifft", aufgehoben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: "Der angegriffene Bescheid vom 03.01.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2013 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als darin die Leistungsgewährung auch für die Zeit 17.07. - 20.09.2012 aufgehoben und die Erstattung der entsprechenden Leistungen verlangt wird. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll nach Satz 2 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Vorliegend ist zunächst eine wesentliche Änderung dergestalt eingetreten, dass der Kläger am 15.06.2012 eine nicht-geringfügige Beschäftigung bei der Fa. C. GmbH aufgenommen hat und erst am 28.06.2012 wieder ausgeschieden ist. Arbeitslos ist nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III jedoch nicht, wer in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Grundsätzlich erfordert der leistungsrechtliche Beschäftigungsbegriff eine faktische Beziehung, welche die Arbeitsleistung unter persönlicher Abhängigkeit von einem anderen zum Inhalt hat, wobei sich diese Abhängigkeit auf der einen Seite in der tatsächlichen Verfügungsgewalt (Direktionsrecht) und auf der anderen Seite in der faktischen Dienstbereitschaft auswirkt; insbesondere auch unentgeltliche Beschäftigungsverhältnisse sind erfasst. Entscheidend ist allein, dass Gegenstand des Verhältnisses gerade die Leistung fremdnütziger Arbeit von wirtschaftlichem Wert im Rahmen eines wirtschaftlichen Austauschverhältnisses ist (BSG, 13.7.2006 - B 7a AL 16/05 R). Eine Beschränkung erfolgt nach § 118 Abs. 3 SGB Ill F. 1998 nur insoweit, als eine kurzzeitige Beschäftigung mit bis zu 15 Wochenstunden die Arbeitslosigkeit nicht ausschließt. Abzustellen ist hierfür auf eine vorausschauende Betrachtung (Prognose) im Zeitpunkt der Aufnahme der Beschäftigung (BSG, 15.12.1999 - B 11 AL 53/99). Unschädlich ist es insbesondere, dass es sich vorliegend um ein sogenanntes Probearbeitsverhältnis gehandelt haben soll, weil auch dieses dem vorbenannten Beschäftigungsbegriff unterliegt und nur unter erleichterten Voraussetzungen eine Auflösung der Beschäftigung ermöglicht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, 30.8.2005 L 12 AL 70/04). Gehen die Arbeitsvertragsparteien jedoch davon aus, dass eine gute Möglichkeit dafür besteht, dass die Probephase nicht zu einer vorzeitigen Beendigung der, Beschäftigung führen wird - was regelmäßig schon deshalb anzunehmen ist, weil ansonsten das Probearbeitsverhältnis nicht begründet würde - ist bei vorausschauender Betrachtung davon auszugehen, dass die Beschäftigung die Kurzzeitigkeitsgrenze überschreiten sollte (Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. August 2011 - L 7 AL 72/09 Rn. 40 f., Juris). Der Kläger hat auch letztlich (nicht) nachweisen können, dass er die Aufnahme dieser Probearbeit der Beklagten durch das Faxschreiben vom 06.06.2012 mitgeteilt hat. Zwar hat er dem Gericht ein entsprechendes Schreiben vorgelegt, jedoch kann er den Zugang des Faxes nicht unter Beweis stellen. In den Vorgängen der Beklagten findet sich dieses Schreiben nicht. Der Kammer sind daher im Ergebnis Zweifel verblieben, ob der Kläger das Faxschreiben wie behauptet tatsächlich zu dem genannten Datum übersandt hat. Möglich erscheint beispielsweise, dass er dies seinerzeit schlicht vergessen hat. Die fehlende Mitteilung durch den Kläger war auch grob fahrlässig. Das Gericht hat zum einen bereits Zweifel, ob der Vortrag, wonach er das sog. "Merkblatt 1", in dem umfassend auf sämtliche Mitteilungspflichten hingewiesen wird, nicht erhalten habe, tatsächlich zutrifft. Der Kläger hat jedoch jedenfalls im Antragsformular mit seiner Unterschrift bestätigt, das Merkblatt ausgehändigt bekommen zu haben. Die entsprechende Formulierung findet sich unmittelbar oberhalb des Feldes zur Unterschrift und ist zudem durch Fettdruck hervorgehoben. Wenn der Kläger das Merkblatt also nicht erhalten haben sollte, so muss er sich jedenfalls vorwerfen lassen, das Gegenteil im Formular bestätigt zu haben, ohne um Aushändigung des Merkblattes zu bitten. Dies hätte nach Auffassung der Kammer vom Kläger auch unter Berücksichtigung seines individuellen Einsichtsvermögens erwartet werden können. Er hat auf das Gericht den Eindruck erweckt, als wäre er problemlos dazu im Stande gewesen, bei sorgfältiger Durchsicht des Formulares den Widerspruch zu entdecken und die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Wenn er dies jedoch unterlassen hat, so stellt dieses Verhalten einen schweren Sorgfaltsverstoß dar. Die Aufhebungsentscheidung betreffend des Zeitraumes 15.06.2012 - 28.06.2012 begegnet auch im Übrigen keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere wurden die maßgeblichen gesetzlichen Fristen eingehalten. Ein Ermessen war nach § 330 Abs. 3 S. 1 SGB Ill nicht auszuüben. Für den Anschlusszeitraum 29.06. - 16.07.2012 lag ebenfalls eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse vor, da es an einer wirksamen persönlichen Arbeitslosmeldung des Klägers fehlte, die nach § 137 Abs. 1 Nr. 2 SGB Ill Anspruchsvoraussetzung für Arbeitslosengeld ist. Die oder der Arbeitslose hat sich gem. § 141 Abs. 1 S. 1 SGB III persönlich bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos zu melden. Dies hatte der Kläger zwar vor Beginn des Leistungsbezuges unstreitig getan. Jedoch erlischt nach § 141 Abs. 2 Nr. 2 SGB Ill die Wirkung der Meldung mit der Aufnahme der Beschäftigung, wenn die oder der Arbeitslose diese der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Da der Kläger die unverzügliche Mitteilung der Beschäftigungsaufnahme hier nicht nachweisen kann (siehe oben), fehlte es an der Arbeitslosmeldung bis zur erstmaligen Wiedervorsprache am 17.07.2012. Der Kläger hätte auch erkennen müssen, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht nach Aufgabe der Tätigkeit von selbst wieder entstanden ist. Im "Merkblatt 1" wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine persönliche Arbeitslosmeldung Anspruchsvoraussetzung ist. Was den letzten Aufhebungszeitraum 17.07.2012 - 20.09.2012 anbetrifft, so ist die Aufhebungsentscheidung allerdings rechtswidrig. Nach Einschätzung der Kammer liegen die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X nicht vor. Dem Kläger kann nicht vorgeworfen, dass er grobfahrlässig den Wegfall des Arbeitslosengeldanspruches infolge der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe nicht erkannt hat. Es fehlt an einem besonders schweren Verstoß gegen seine Sorgfaltspflichten. Das "Merkblatt 1" enthält zwar in seinem Kapitel 6 Ausführungen zu den verschiedenen Sperrzeittatbeständen, u.a. auch zur Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe. Insofern konnte der Kläger erkennen, dass wegen der unbegründeten Aufgabe der Beschäftigung bei der Fa. C. GmbH eine Sperrzeit eintreten wird. Jedoch finden sich im Merkblatt keinerlei Ausführungen dazu, zu welchem Zeitpunkt die Sperrzeit eintritt. Es bestände daher aus Sicht des Arbeitslosen die Möglichkeit, dass es etwa für das Ruhen des Leistungsanspruches einer Feststellung der Sperrzeit durch die Beklagte bedarf. Auch individuell liegen im Falle des Klägers keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er zwingend über den sofortigen Wegfall des Leistungsanspruches mit dem Tag nach der Arbeitsaufgabe im Bilde sein musste. Auch hat die Beklagte nicht nachgewiesen, dass sie ihn noch innerhalb des Sperrzeitzeitraumes auf den Eintritt der Sperrzeit aufmerksam gemacht hat. Die Erstattungsforderung ergibt sich aus § 50 Abs. 1 SGB X, ist jedoch betreffend den Zeitraum 17.07.2012 - 20.09.2012 ebenfalls rechtswidrig und dementsprechend zu reduzieren".

Gegen das ihr am 1. Juni 2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. Juni 2015 Berufung eingelegt, die sie im Wesentlichen damit begründet, der Kläger habe entgegen der Auffassung des Sozialgerichts grob fahrlässig den Wegfall des Anspruchs auf Arbeitslosengeld vom 17. Juli bis 20. September 2012 infolge des Eintritts einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe nicht erkannt, denn hierüber sei er in dem "Merkblatt 1 für Arbeitslose (Stand 2012)" ausführlich belehrt worden. Außerdem enthalte der Bewilligungsbescheid vom 26. Juni 2012 einen deutlichen Hinweis auf das "Merkblatt 1 für Arbeitslose" und die Pflicht, jede leistungsrechtliche Änderung der Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen. Seinen Antrag auf Arbeitslosengeld habe er am 18. Juni 2012 bei der Beklagten abgegeben, ohne auf das inzwischen schon am 15. Juni 2012 angetretene Arbeitsverhältnis hinzuweisen. Auch bei Erhalt des Bewilligungsbescheides vom 26. Juni 2012 habe dem Kläger - unabhängig vom Eintritt einer Sperrzeit wegen seiner späteren Arbeitsaufgabe – klar sein müssen, dass die Leistungsbewilligung wegen der gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit rechtswidrig gewesen sei.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. Mai 2015 aufzuheben, soweit es den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 aufgehoben hat, und die Klage auch insoweit abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil, dessen Begründung er für zutreffend hält, und weist darauf hin, dass für ihn zumindest ohne grobe Fahrlässigkeit der genaue Zeitraum des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe nicht erkennbar gewesen sei.

Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Leistungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch sachlich begründet.

Das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. Mai 2015 war wie beantragt aufzuheben, soweit das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 bezüglich des Zeitraums vom 17. Juli bis 20. September 2012 aufgehoben hat. Auch insoweit war die Klage als unbegründet abzuweisen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 erweist sich insgesamt als rechtmäßig.

Mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die vom Kläger vom 15. bis 28. Juni 2012 mit einer Vergütung von 755 EUR in Vollzeit (40 Stunden/Woche) ausgeübte Beschäftigung als Koch für die Fa. "C. GmbH" (siehe Arbeitsbescheinigung vom 9. November 2012 – Bl. 13 bis 16 LA) gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III seine Arbeitslosigkeit beendet hat und damit die Voraussetzungen für die Bewilligung von Arbeitslosengeld nach § 137 SGB III nicht mehr vorlagen. Demgemäß hat die Beklagte zutreffend mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. Januar 2013 die Bewilligung von Arbeitslosengeld vom 15. Juni bis 20. September 2012 gemäß § 45 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 2 SGB III mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, denn der Bewilligungsbescheid vom 26. Juni 2012 war von Anfang an rechtswidrig, weil der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits seit 15. Juni 2012 eine Vollzeitbeschäftigung ausübte. § 48 SGB X ist hingegen insoweit nicht einschlägig, denn eine nachträgliche Änderung der für die Bewilligung maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ist insoweit nicht eingetreten. Nach § 45 Abs. 4 S. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X war der Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, denn zumindest beruhte es auf grober Fahrlässigkeit, wenn dem Kläger die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung bei gleichzeitiger Vollzeitbeschäftigung unbekannt geblieben sein sollte, denn hierüber wurde der Kläger im "Merkblatt 1 für Arbeitslose" umfassend belehrt, dessen Empfang er mit seiner Unterschrift auf seinem Leistungsantrag vom 30. Mai 2012 unterschriftlich bestätigt hat. Soweit sich der Kläger dahin eingelassen hat, er habe gleichwohl das Merkblatt nicht tatsächlich erhalten, muss er sich auch insoweit eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße zurechnen lassen, denn den Erhalt eines leistungsrechtlich wichtigen Merkblattes unterschriftlich zu bestätigen, ohne dessen tatsächliche Übergabe zu überprüfen und dieses sich nötigenfalls nachreichen zu lassen oder sich über dessen Inhalt etwa im Internet zu überzeugen, obwohl auch im Bewilligungsbescheid an hervorgehobener Stelle nochmals auf die Bedeutung dieses Merkblattes und die Möglichkeit des Abrufs desselben im Internet hingewiesen wurde, zeugt zumindest von einer grob leichtfertigen Gleichgültigkeit gegenüber den Pflichten eines arbeitslosen Leistungsempfängers, die nach dem Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von der intellektuellen Einsichtsfähigkeit des Klägers gewonnen hat, nicht als eine nur lässliche Fehlleistung zu bewerten ist. Die Rücknahmefristen gemäß § 45 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 2 SGB X hat die Beklagte eingehalten, Ermessen war gemäß § 330 Abs. 2 SGB III nicht auszuüben. Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X sind die aufgrund des zurückgenommenen Bewilligungsbescheides vom 26. Juni 2012 bereits erbrachten Leistungen zu erstatten. Dies ist zum einen das vom 15. Juni bis 20. September 2012 gezahlte Arbeitslosengeld i. H. v. 2.581,44 EUR zuzüglich der vom 29. Juni bis 16. Juli 2012 gezahlten Beiträge zur Krankenversicherung i. H. v. 148,09 EUR sowie zur Pflegeversicherung i. H. v. 18,63 EUR, insgesamt also 2.748,16 EUR. Dem Erstattungsanspruch steht auch kein neuer Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld für denselben Zeitraum entgegen, denn die Voraussetzungen für die erneute Bewilligung von Arbeitslosengeld lagen vor dem 17. Juli 2012 schon deshalb nicht vor, weil die Wirkung der Arbeitslosmeldung mit Aufnahme der Beschäftigung am 15. Juni 2012 gemäß § 141 Abs. 2 Nr. 2 SGB III erloschen war, denn der Kläger hat der Beklagten die Aufnahme der Beschäftigung nicht unverzüglich angezeigt. Seine Behauptung, er habe der Beklagten die Beschäftigungsaufnahme mit Fax am 6. Juni 2012 angezeigt, blieb zur Überzeugung des Senats unbewiesen, denn die Beklagte konnte eine solche Mitteilung in ihren Akten nicht auffinden und der Kläger konnte seinerseits noch nicht einmal einen Nachweis für die rechtzeitige Absendung eines entsprechenden Fax, geschweige denn für den Eingang desselben bei der Beklagten, erbringen. Das von ihm vorgelegte Dokument (Bl. 24 GA) ist lediglich ein Meldeformular der Beklagten im Original mit handschriftlichen Eintragungen und einem aufgeklebten bedruckten Zettel, in dem Bewerbungsbemühungen des Klägers u. a. auch bei der "C." beschrieben werden. Ob und in welcher Form dieses Dokument zur Beklagten gelangt sein soll, bleibt dabei ebenso offen, wie der Zeitpunkt seiner Erstellung. Für die Zeit ab seiner erneuten persönlichen Vorsprache bei der Beklagten ab 17. Juli 2012 stand einem zahlbaren Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zum 20. September 2012 der Sperrzeitbescheid vom 3. Januar 2013 entgegen, dessen Rechtmäßigkeit der erkennende Senat bereits mit seinem rechtskräftigen Urteil vom 24. Februar 2015 (L 7 AL 71/14) bestätigt hat.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts waren Vertrauensschutzgesichtspunkte gemäß §§ 45, 48 SGB X nach erneutem Eintritt der Arbeitslosigkeit ab 29. Juni 2012 und sodann nach erneuter persönlicher Arbeitslosmeldung am 17. Juli 2012 nicht nochmals zu prüfen, weshalb es unerheblich ist, ob der Kläger wusste oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass aufgrund der von ihm veranlassten Beendigung seiner Beschäftigung bei der "C. GmbH" eine Sperrzeit verhängt würde, wobei sich die subjektive Kenntnis des Klägers auch nicht auf die genaue zeitliche Lage einer Sperrzeit erstrecken muss. Denn schon aufgrund der, mit Wirkung "ex tunc" erfolgten, Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 26. Juni 2012 alleine wegen der Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung lag in den späteren Zeiträumen nach erneutem Eintritt der Arbeitslosigkeit keine Bewilligungsentscheidung der Beklagten mehr vor, die nur unter den besonderen Voraussetzungen der §§ 45 ff. SGB X hätte zurückgenommen werden können. Der erneute Eintritt der Arbeitslosigkeit am 29. Juni 2012 mit neuer Arbeitslosmeldung am 17. Juli 2012 bilden einen neuen Versicherungsfall (zum Begriff des Versicherungsfalles in der Arbeitslosenversicherung: Gutzler in Mutschler, Schmidt-De Caluwe, Coseriu, SGB III, Arbeitsförderung, Großkomm., 6. Aufl. 2017, § 16 Rn. 12 ff.), der von dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 26. Juni 2012, dem ein früherer Versicherungsfall zugrunde lag, nicht erfasst wird. Die Vertrauensschutzwirkung eines Bewilligungsbescheides kann sich nur auf Leistungen erstrecken, denen derselbe Versicherungsfall zugrunde liegt, auch wenn sich der Bewilligungszeitraum aufgrund eines neuen Versicherungsfalls mit dem Bewilligungszeitraum aufgrund des vorausgegangenen Versicherungsfalls überschneidet. Demgemäß hat die Beklagte zutreffend geprüft, ob und ab wann nach erneutem Eintritt der Arbeitslosigkeit ab 29. Juni 2012 und der persönlichen Vorsprache des Klägers am 17. Juli 2012 Arbeitslosengeld aufgrund eines neuen Versicherungsfalles erneut zu bewilligen war, was mit bestandskräftigem Bewilligungsbescheid vom 3. Januar 2013 auch geschehen ist.

Nach allem war die nur gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 3. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 gerichtete Anfechtungsklage in vollem Umfang als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Revisionszulassung nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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