L 10 AL 754/97

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 5 AR 31/95
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 754/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 30. April 1997 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

III Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld für die Zeit ab 30. Mai 1994 streitig.

Der zuletzt als Elektromonteur beschäftigte Kläger bezog aufgrund eines Bewilligungsbescheides vom 18. März 1994 Arbeitslosengeld ab dem 16. April 1994. Nach einer Mitteilung der Innungskrankenkasse für Nord- und Mittelhessen (IKK), daß der Kläger am 7. April 1994 zur stationären Behandlung im Krankenhaus aufgenommen worden sei, gab die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 21. April 1994 bekannt, daß aufgrund der stationären Behandlung die gewährte Leistung nach § 105b des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) bis zur Dauer von sechs Wochen weitergezahlt werde. Als im Mai 1994 eine Anzeige über die Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 2. Mai 1994 einging, teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 10. Mai 1994 erneut mit, aufgrund der seit dem 2. Mai 1994 stattfindenden stationären Behandlung werde die Leistung bis zur Dauer von sechs Wochen weitergezahlt. Beide Schreiben des Arbeitsamtes enthielten den Hinweis, der Kläger möge unverzüglich mitteilen, falls er vor Ablauf des Sechs-Wochen-Zeitraumes wieder arbeitsfähig sein sollte. Die Leistungszahlung werde gemäß § 66 Erstes Buch - Sozialgesetzbuch (SGB I) zunächst eingestellt, wenn der Kläger seiner Mitwirkungspflicht (Anzeige über das Ende der Arbeitsunfähigkeit) nicht oder nicht rechtzeitig nachkomme; über eine Weiterzahlung könne in einem solchen Fall erst entschieden werden, wenn die genannte Anzeige nachgeholt worden sei.

Mit Schreiben vom 27. Mai 1994 teilte die IKK der Beklagten mit, der Kläger sei in der Zeit vom 7. April 1994 bis zum 18. April 1994 sowie vom 2. Mai 1994 bis zum 22. Mai 1994 arbeitsunfähig gewesen. Für die Zeit vom 16. April bis zum 18. April 1994 erhalte er Krankengeld; ab dem 19. April 1994 müsse ihm ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zustehen. Demnach wären durch das Arbeitsamt Leistungen für die Zeit vom 2. Mai bis zum 22. Mai 1994 zu zahlen. Ab dem 23. Mai 1994 sei der Kläger wieder arbeitsfähig. Hierzu vermerkte der zuständige Sachbearbeiter der Beklagten, der Zeuge C., der Kläger gebe an, aufgrund der Mitteilung vom 1. April 1994 und des Bewilligungsbescheides vom 18. März 1994 davon ausgegangen zu sein, daß ihm "Lohnfortzahlung" für sechs Wochen gewährt werde, Aufgrund dieses Sachverhaltes habe er nicht wissen können, daß eine erneute Arbeitslosmeldung am 19. April 1994 hätte erfolgen müssen. Leistungen seien somit ab dem 19. April 1994 zu gewähren. Des weiteren vermerkte der Zeuge C. unter dem 27. Mai 1994: "Lt. LE erfolgt A aufnahme am 30.5.94. (telef. Mitt.)".

Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 19. April 1994 bis zum 18. Mai 1994 sowie - durch Bescheid vom 27. Juli 1994 - für den Zeitraum vom 19. Mai 1994 bis zum 28. Mai 1994. Als Grund für die befristete Leistungsbewilligung gab die Beklagte im Bewilligungsbescheid an: Arbeitsaufnahme ab 30. Mai 1994.

In einem am 29. August 1994 eingegangenen Widerspruchsschreiben führte der Kläger aus, es müsse ein Versehen vorliegen, da er zu der angegebenen Zeit keiner meldepflichtigen Arbeit nachgegangen sei. Dabei bezeichnete der Kläger als angefochten einen Bescheid vom 1. August 1994. Durch Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 1994 verwarf die Beklagte den Widerspruch als unzulässig, weil ein Bescheid mit dem Datum vom 1. August 1994 nicht erlassen worden sei.

Am 19. Januar 1995 hat der Kläger Klage erhoben.

Während des Klageverfahrens erließ die Beklagte den Widerspruchsbescheid vom 22. März 1996, durch den sie nunmehr den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 27. Juli 1994 wegen Nichtgewährung von Arbeitslosengeld ab 30. Mai 1994 als unbegründet zurückwies. Seit dem genannten Zeitpunkt habe Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung nicht mehr vorgelegen. Aufgrund des Inhalts der telefonischen Mitteilung vom 27. Mai 1994 sei davon auszugehen gewesen, daß der Kläger sich der Vermittlungstätigkeit des Arbeitsamtes nicht mehr zur Verfügung halte. Auch in der Stellungnahme des Zeugen C. vom 15. März 1996 sei ausgeführt, daß der Kläger am 27. Mai 1994 eindeutig angegeben habe, am nächsten Montag (30. Mai 1994) eine Arbeit aufzunehmen. Obwohl eine Arbeitsaufnahme nicht erfolgt sei, habe sich der Kläger zu einer erneuten Arbeitslosmeldung und Antragstellung erst am 10. November 1994 veranlaßt gesehen. Erst ab diesem Zeitpunkt hätten die Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld wieder vorgelegen.

Nach persönlicher Anhörung des Klägers sowie Vernehmung des Zeugen C. hat das Sozialgericht Marburg durch Urteil vom 30. April 1997 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 30. Mai 1994 bis zum 29. November 1994 zu gewähren. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, es könne nicht davon ausgegangen werden, daß sich der Kläger am 27. Mai 1994 aus dem Leistungsbezug wirksam abgemeldet habe. Der Kläger habe angegeben, in dem Telefonat mit dem Zeugen C. sei es im wesentlichen um die Leistungen der Krankenkasse gegangen. Er habe dem Zeugen mitgeteilt, eine Arbeit in Aussicht zu haben. Einen Termin habe er nicht genannt. Der Zeuge C. habe hiermit übereinstimmend bekundet, es sei in dem Telefonat um die weitere Leistungsgewährung nach einer Krankheitszeit gegangen. Der Kläger habe ihm mitgeteilt, daß er am Montag, den 30. Mai 1994 eine Tätigkeit aufnehmen werde. Dies sei ihm - dem Zeugen C. - merkwürdig vorgekommen. Nähere Nachfrage habe er jedoch unterlassen. Aufgrund der Zweifel des Zeuge C. an der vom Kläger angegebenen Arbeitsaufnahme zum 30. Mai 1995 könne nicht von einer wirksamen Abmeldung aus dem Leistungsbezug ausgegangen werden. Vielmehr gebiete es die Schadensabwendungspflicht der Beklagten, die "schadensgeneigte Lage" von vornherein etwa durch die Aufforderung, die Veränderungsmitteilung zu übersenden, zu vermeiden.

Gegen dieses ihr am 27. Mai 1997 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 13. Juni 1997 eingegangenen Berufung. Zur Begründung führt sie aus, der Kläger habe am 27. Mai 1994 mitgeteilt, am 30. Mai 1994 eine Arbeit aufnehmen zu wollen. Damit habe er zu erkennen gegeben, daß das Arbeitsamt für ihn nicht weiter vermittlerisch tätig zu sein brauche. Der Kläger habe auch davon ausgehen müssen, daß das Arbeitsamt seine Arbeitslosmeldung als erledigt ansehen werde. Da der Kläger tatsächlich keine Arbeit aufgenommen habe und die Arbeitslosigkeit nicht beseitigt gewesen sei, hätte es zur Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes keiner erneuten Arbeitslosmeldung bedurft. Der Widerspruch des Klägers vom 29. August 1994 hätte insoweit als erneute Antragstellung genügt, so daß das Arbeitsamt die Möglichkeit gehabt hätte, die Verfügbarkeit zu überprüfen. Arbeitslosengeld hätte daher - bei Vorliegen der Verfügbarkeit - ab dem 29. August 1994 dem Grunde nach weitergezahlt werden können. Der Kläger habe sich jedoch ab dem 26. August 1994 in stationärer ärztlicher Behandlung befunden, so daß Verfügbarkeit erst nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit vorliege. Nach seiner erneuten Meldung sei ihm Arbeitslosengeld ab dem 10. November 1994 für die verbliebenen 205 Tage Restanspruchsdauer bewilligt worden. Mit Ablauf des 9. Juli 1996 sei der Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft. Für den streitigen Zeitraum könne allenfalls Arbeitslosenhilfe nachgezahlt werden.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 30. April 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.

Er weist nochmals darauf hin, daß das Telefongespräch vom 27. Mai 1994 nichts mit einer Abmeldung vom Arbeitsamt zu tun gehabt habe. Im Laufe des Gesprächs habe er dem Sachbearbeiter lediglich mitgeteilt, eine Arbeit in Aussicht zu haben. Einen konkreten Termin hinsichtlich einer Arbeitsaufnahme habe er indessen nicht genannt. Mit dieser Information habe er eigentlich nur zeigen wollen, daß er sich auch selbst um Arbeit bemühe.

Im übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Akte der Beklagten und der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 30. Mai 1994 bis zum 29. November 1994 zu zahlen. Ein solcher Anspruch steht dem Kläger nicht zu, weil er in dem genannten Zeitraum nicht im Sinne des § 103 Abs. 1 Satz 1 AFG der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand. Dazu gehört u.a., daß der Arbeitslose bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann und darf (Nr. 2). An dieser Bereitschaft hat es aus der Sicht des Arbeitsamtes, auf die als Empfänger der Erklärung des Klägers vom 27. Mai 1994 maßgeblich abzustellen ist (vgl. §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB), seit dem 30. Mai 1994 gefehlt. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sie aufgrund der Arbeitslosmeldung des Klägers vom 8. Februar 1994 davon ausgehen, daß der Kläger für Vermittlungen des Arbeitsamtes zur Verfügung stehen würde. Auf diese Weise konnte die Beklagte ihrer Verpflichtung gemäß § 5 AFG Genüge tun und versuchen, den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit und die damit einhergehende Leistungsgewährung durch Vermittlung in Arbeit zu beenden. Aufgrund des Gesprächs des Klägers mit dem Bediensteten des Arbeitsamtes, dem Zeugen C., vom 27. Mai 1994 bestand für die Beklagte jedoch kein Raum mehr, für den Kläger vermittlerisch tätig zu werden. Er hatte sich nämlich mit Wirkung für den darauffolgenden Montag (30. Mai 1994) in Arbeit abgemeldet.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegt eine wirksame Abmeldung des Klägers vor. Der Zeuge C. hat anläßlich seiner Vernehmung vor dem Sozialgericht bekundet, daß ihm der Kläger am 27. Mai 1994 telefonisch mitgeteilt habe, er werde am Montag, den 30. Mai 1994, eine Tätigkeit aufnehmen. Er - der Zeuge - habe noch einmal nachgefragt, ob es tatsächlich stimme, daß der Kläger am Montag eine Arbeit aufnehme. An der Glaubhaftigkeit dieser Aussage hat der Senat auch deshalb keine Zweifel, weil sie übereinstimmt mit dem schriftlich festgehaltenen Vermerk des Zeugen vom 15. März 1996. Danach hat der Kläger in dem Telefongespräch geäußert, daß er am nächsten Montag Arbeit aufnehmen werde. Er sei daraufhin nochmals befragt worden, ob die Arbeitsaufnahme tatsächlich am 30. Mai 1994 erfolgen solle, was der Kläger bejaht habe. Auch das Sozialgericht hat Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen nicht geäußert.

Eine andere Beurteilung kann nicht daraus abgeleitet werden, daß dem Zeugen C. die Angaben des Klägers "merkwürdig" vorgekommen sind. Der Schadensabwendungspflicht der Beklagten ist jedenfalls dadurch Genüge getan worden, daß der Zeuge ausdrücklich noch einmal nachgefragt hat, ob die Angabe des Klägers von der bevorstehenden Arbeitsaufnahme zutreffend sei. Weiterer Maßnahmen hat es nicht bedurft, insbesondere bestand kein Anlaß, den Kläger nochmals aufzufordern, eine schriftliche Veränderungsmitteilung zu übersenden. Dies wäre allenfalls dann anders, wenn sich dem Zeugen Zweifel hinsichtlich des Inhalts der Erklärung des Klägers hätten aufdrängen müssen. So war es vorliegend aber nicht.

Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, den Kläger zu einer Arbeitsberatung einzuladen, um so die Wirkung der vom Kläger ausgesprochenen Abmeldung in Arbeit früher auszuräumen. Zwar soll nach den §§ 15 Abs. 3, 132 Abs. 1 Satz 3 AFG die Bundesanstalt für Arbeit Arbeitnehmer, die arbeitslos gemeldet sind, in Abstand von nicht länger als drei Monaten zu einer Arbeitsberatung einladen. Danach hätte der Kläger, der sich im Februar arbeitslos gemeldet hat, spätestens im Mai 1994 zu einer Arbeitsberatung eingeladen werden können. Bis zum 30. Mai 1994, dem Eingang des Schreibens der IKK vom 27. Mai 1994, mußte jedoch die Beklagte davon ausgehen, daß sich der Kläger - seit dem 7. April 1994 - in stationärer Krankenhausbehandlung befand. Eine Meldeaufforderung kam schon aus diesem Grunde nicht in Betracht. Erst recht kam sie für die anschließende Zeit nicht in Betracht, weil die Beklagte davon ausgehen durfte, daß der Kläger nicht mehr arbeitslos war.

Den geltend gemachten Anspruch auf Arbeitslosengeld kann der Kläger schließlich auch nicht auf den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 18. März 1994 stützen, durch den ihm Arbeitslosengeld für die Dauer von 240 Tagen zuerkannt worden ist. Zwar ist dieser Bescheid, soweit ersichtlich, von der Beklagten nicht aufgehoben worden, so daß ein Leistungsanspruch grundsätzlich auf ihn gestützt werden könnte. Dies ist vorliegend jedoch deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger mittlerweile den ihm zuerkannten Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgeschöpft hat. Seit dem 10. Juli 1996 kam deshalb für ihn nur noch die Zahlung von Arbeitslosenhilfe in Betracht.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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