Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 7 SB 296/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 SB 107/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 11/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 7. September 2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 100 sowie auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) hat.
Der Beklagte hatte bei der am 10. Dezember 1968 geborenen Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 15. Oktober 2008 einen GdB von 90 festgestellt und war weiterhin vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (Berechtigung für eine ständige Begleitung) ausgegangen. Dabei hatte er die Auswirkungen folgender Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt: • Wirbelsäulensyndrom bei Skoliose, ausstrahlende Beschwerden (Einzel-GdB 30) • Bronchialasthma (Einzel-GdB 20) • Diabetes mellitus (Einzel-GdB 10) • Beinlähmung links nach Poliomyelitis (Einzel-GdB 70).
Am 26. Februar 2015 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag nach dem Schwerbehindertenrecht und begehrte neben der Feststellung eines höheren GdB die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Sie legte ärztliche Berichte des Schmerz- und Palliativzentrums Rhein Main, Dr. C., vom 21. Februar 2012 und 26. März 2012 vor, in denen ein bei Polioerkrankung hinkendes Gangbild an Unterarmgehstützen beschrieben wurde sowie eine durch Polio stark beeinträchtigte Kraft und Motorik am linken Bein mit deutlicher Muskelatrophie. Des Weiteren reichte die Klägerin einen Befundbericht des Dr. D., Gemeinschaftspraxis für Neurologie und Psychiatrie vom 24. Februar 2012 ein. Die neurologische Untersuchung zeigte eine Beinverkürzung, muskuläre Atrophie und Areflexie des linken Beines nach Poliomyelitis, im Übrigen war der neurologische Befund normal. Außerdem wurde ein Befundbericht des Prof. Dr. E. u. a., Dr. Horst Schmidt Klinik Wiesbaden, vom 12. Juni 2012 mit der Diagnose einer Fraktur des MT3-Köpfchens (nach Abrutschen an einer Bordsteinkante mit dem rechtem Fuß) vorgelegt sowie eine Ambulanzkarte, wonach die Klägerin mit dem verordneten Vorfußentlastungsschuh nicht zu Recht komme.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des Dr. F. vom März 2015 ein, dem div. medizinische Unterlagen beigefügt waren. Dr. F. führte aus, die Klägerin sei auf Hilfsmittel (Gehstock) angewiesen. Dr. G. beschrieb im Befundbericht des Schmerz- und Palliativzentrums Rhein Main vom 9. März 2015, dass die Klägerin bei deutlicher Adipositas zwei Unterarmgehstützen benütze. Entsprechend bestätigte der Facharzt für Orthopädie Dr. H. unter dem 12. Juni 2015, dass die Klägerin nur kurze Strecken mit zwei Unterarmgehstrecken bewältigen könne.
Mit Bescheid vom 19. Juni 2015 lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger auf Feststellung eines höheren GdB und Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab, da keine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten sei. Den gegen diesen Bescheid am 13. Juli 2015 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2015 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 17. September 2015 Klage bei dem Sozialgericht Wiesbaden (Sozialgericht) erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, aufgrund einer poliomyelitischen Totallähmung des linken Beines könne sie ohne die Hilfe ihres Ehemannes keine längeren Strecken zurücklegen und benötige einen Rollstuhl. Selbst kleinere Stecken unter 200 m seien für sie nur mit großer Anstrengung und Hilfe von Pausen und Krücken zu bewältigen. Daher benötige sie zwingend einen entsprechenden Sonderparkausweis. Die Funktion des rechten Beins sei zusätzlich beeinträchtigt.
Das Sozialgericht hat Befundberichte bei Dr. G. vom 4. Mai 2016 und Dr. H. vom 11. Mai 2016 eingeholt. Der Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme seines versorgungsärztlichen Dienstes vom 13. Juli 2016 vorgelegt.
Sodann hat das Sozialgericht auf Antrag der Klägerin ein Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie Prof. Dr. J. vom 3. Mai 2017 eingeholt. Dieser hat im Wesentlichen ausgeführt, die relevanten Einzel-GdB-Werte von 80 (Beinparese links) und 20 (Wirbelsäulensyndrom) ergäben einen Gesamt-GdB von 90. Die vorliegenden lungenfachärztlichen Untersuchungsergebnisse schlössen eine signifikante gutachterlich zu bewertende Reduzierung des Herzkreislaufvolumens aus. Daher sei die Frage einer etwaigen Gleichstellung der Klägerin allein orthopädischen Beeinträchtigungen zuzuordnen. Für das Merkzeichen "aG" sei es erforderlich, dass sich die Schwerbehinderte wegen der Schwere ihres Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb ihres Kraftfahrzeugs an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen könne, was in dem hier zu beurteilenden Fall nicht gegeben sei. Es liege eine gut ausgebildete Muskulatur im Bereich des rechten Beines und des Oberkörpers vor, sodass das Aussteigen und dass Einsteigen aus dem Kraftfahrzeug selbstständig und sicher praktiziert werden könne. Gleiches habe auch für den Positionswechsel Sitzen, Stehen und auf die Liege legen während der gutachterlichen Untersuchung gegolten. Auch nach dem Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug könne sich die Klägerin stabil und keineswegs sehr langsam im Dreipunktgang unter Zuhilfenahme von zwei Unterarmgehstöcken und unter Mitschwingen des linken Beines bewegen. Das Gangbild habe sich im unbeobachteten Zustand nicht grundsätzlich verändert, gleichwohl etwas verflüssigt und beschleunigt.
Mit Gerichtsbescheid vom 7. September 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass die Klägerin weder Anspruch auf Feststellung eines GdB von 100 noch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" habe. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. J. vom 3. Mai 2017 gestützt. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich nicht wesentlich verändert. Die Parese des linken Beins sei mit einem vollständigen Ausfall des Plexus IumbosakraIis (Versorgungsmedizinische Grundsätze - VG - Teil B Ziff. 13.14) gleichzusetzen und mit einem Einzel-GdB von 80 zu bewerten; die Skoliose BWS/LWS und das degenerative Lendenwirbelsäulensyndrom mit Spondylarthrosen, Osteochondrosen, Bandscheibenschäden und Foramenstenosen seien zusätzlich mit einem Einzel-GdB von 20 (VG Teil B Ziff. 18.9) zu beziffern. Insgesamt sei der Umfang der Funktionsbeeinträchtigungen in dem angefochtenen Bescheid (Gesamt-GdB 90) zutreffend festgestellt. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" lägen nicht vor. Die Verneinung der entsprechenden Beweisfrage ergebe sich nach Prof. Dr. J. zusammenfassend aus der stabilen Gehfähigkeit im Dreipunktgang, der Fähigkeit zum selbständigen Lagewechsel und der gut ausgebildeten Oberkörpermuskulatur und Beinmuskulatur auf der rechten Seite.
Gegen den ihr am 8. September 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 9. Oktober 2017 (Montag) Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.
Der Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 7. September 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr einen GdB von 100 festzustellen und ihr das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig.
Wegen weiterer Einzelheiten sowie des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten hatte die Berichterstatterin als Einzelrichterin über die Berufung der Klägerin zu entscheiden (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 7. September 2017 und der Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Feststellung eines GdB von 100 noch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Zunächst ist bei der Klägerin in dem Gesundheitszustand, der bei Erlass des maßgeblichen Ausgangsbescheids vom 15. Oktober 2008 vorgelegen hat, keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X - dahingehend eingetreten, dass der Gesamt-GdB nunmehr um 10 v. H. höher zu bewerten wäre.
Rechtsgrundlage für die beantragte Feststellung eines höheren GdB ist seit 1. Januar 2018 § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung - SGB IX - (bis 31. Dezember 2017 § 69 Abs. 1 SGB IX zuletzt in der Fassung des Artikel 2 Nr. 2 des Bundesteilhabegesetzes - BTHG - vom 23. Dezember 2016). Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur zu treffen ist, wenn ein (Gesamt-)Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX). Gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Dabei sind nur diejenigen Menschen als schwerbehindert anzuerkennen, bei denen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt (§ 2 Abs. 2 1. Halbsatz SGB IX). Für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin ergibt sich aus den seit 1. Januar 2018 geltenden Vorschriften keine relevante Änderung.
Die Bestimmung des GdB erfolgt unter Heranziehung der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" gemäß der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV -) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, Seite 2412) und vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2122), zuletzt in ihrer Fassung vom 23. Dezember 2016 (Art. 18 Abs. 4 BTHG).
Die bei der Klägerin vorliegenden Behinderungen rechtfertigen keine höheren Gesamt-GdB als 90. Hinsichtlich der Auswertung der erstinstanzlich vorliegenden Befundberichte, der Bewertung der Gesundheitsstörungen mit Einzel-GdB-Werten sowie des Gesamt-GdB wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden erstinstanzlichen Entscheidungsgründe, die sich der Senat nach eigener Überprüfung zu Eigen macht, gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Bei der Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ergibt sich auch nach Inkrafttreten der Neuregelung der Voraussetzungen der Feststellung des Merkzeichens "aG" in § 146 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in der Fassung vom 23. Dezember 2016, in Kraft getreten am 30. Dezember 2016, bzw. nach der gleichlautenden Vorschrift des § 229 Abs. 3 SGB IX in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung kein abweichender Beurteilungsmaßstab. Danach sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Hierzu heißt es in den Sätzen 2 bis 5 weiter: Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt. Damit hat der Gesetzgeber sich nunmehr für die Beurteilung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung an der Frage der Teilhabebeeinträchtigung orientiert und alle relevanten Funktionsstörungen auf allen medizinischen Fachgebieten sowie auch Kombinationen von Beeinträchtigungen erfasst. Er hat sich damit aber nicht von den in der Rechtsprechung entwickelten strengen Bewertungsmaßstäben entfernt (vgl. HLSG, Beschluss vom 23. Juni 2017 - L 3 SB 138/16).
Auch wenn entsprechend den Feststellungen des Sachverständigen die Parese des linken Beins der Klägerin in Anlehnung an einen vollständigen Ausfall des Plexus IumbosakraIis (Anlage zu § 2 VersMedV Teil B Ziff. 13.14) mit einem Einzel-GdB von 80 veranschlagt wird, liegt insoweit noch keine erhebliche mobilitätsbedingte Teilhabebeeinträchtigung im Sinne des § 229 Abs. 3 SGB IX vor. Diese erfordert, dass sich die Klägerin wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen kann. Nach dem strengen Bewertungsmaßstab des BSG ist hierfür notwendig, dass sich der schwerbehinderte Mensch wegen der Schwere seines Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann (vgl. BSG Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 5/05 R - juris Rdnr. 14 ff; zuletzt BSG, Urteil vom 16. März 2016 - B 9 SB 1/15 R - juris Rdnr. 19 ff). Diese Voraussetzung ist nach den eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen Prof Dr. J. nicht erfüllt. Nach Prof. Dr. J. liegt bei der Klägerin noch eine gut ausgebildete Muskulatur im Bereich des rechten Beines und des Oberkörpers vor, sodass das Aussteigen und das Einsteigen aus dem Kraftfahrzeug selbstständig und sicher praktiziert werden kann. Gleiches hat nach dem Sachverständigen auch für den Positionswechsel Sitzen, Stehen und auf die Liege legen während der gutachterlichen Untersuchung gegolten. Auch nach dem Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug kann sich die Klägerin nach Prof. Dr. J. stabil und keineswegs sehr langsam im Dreipunktgang unter Zuhilfenahme von zwei Unterarmgehstöcken und unter Mitschwingen des linken Beines bewegen. Das Gangbild hat sich nach dem Sachverständigen im unbeobachteten Zustand nicht grundsätzlich verändert, gleichwohl etwas verflüssigt und beschleunigt. Die Klägerin ist auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung auch noch nicht dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen, ebenso wenig liegen bei dieser Sachlage die Voraussetzungen einer Gleichstellung im Sinne des § 229 Abs. 3 Satz 4 und 5 SGB IX vor.
Damit in Übereinstimmung hat Dr. G. für die zurückliegende Zeit in den Befundberichten des Schmerz- und Palliativzentrums Rhein Main vom 9. März 2015 und 4. Mai 2016 beschrieben, dass die Klägerin bei deutlicher Adipositas zwei Unterarmgehstützen benutze, von einem Erfordernis einen Rollstuhl zu benutzen wird nicht berichtet. Entsprechend bestätigte der Facharzt für Orthopädie Dr. H. unter dem 12. Juni 2015, dass die Klägerin - wenn auch nur kurze Strecken - mit zwei Unterarmgehstrecken bewältigen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 100 sowie auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" (außergewöhnliche Gehbehinderung) hat.
Der Beklagte hatte bei der am 10. Dezember 1968 geborenen Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 15. Oktober 2008 einen GdB von 90 festgestellt und war weiterhin vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (Berechtigung für eine ständige Begleitung) ausgegangen. Dabei hatte er die Auswirkungen folgender Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigt: • Wirbelsäulensyndrom bei Skoliose, ausstrahlende Beschwerden (Einzel-GdB 30) • Bronchialasthma (Einzel-GdB 20) • Diabetes mellitus (Einzel-GdB 10) • Beinlähmung links nach Poliomyelitis (Einzel-GdB 70).
Am 26. Februar 2015 stellte die Klägerin einen Änderungsantrag nach dem Schwerbehindertenrecht und begehrte neben der Feststellung eines höheren GdB die Zuerkennung des Merkzeichens "aG". Sie legte ärztliche Berichte des Schmerz- und Palliativzentrums Rhein Main, Dr. C., vom 21. Februar 2012 und 26. März 2012 vor, in denen ein bei Polioerkrankung hinkendes Gangbild an Unterarmgehstützen beschrieben wurde sowie eine durch Polio stark beeinträchtigte Kraft und Motorik am linken Bein mit deutlicher Muskelatrophie. Des Weiteren reichte die Klägerin einen Befundbericht des Dr. D., Gemeinschaftspraxis für Neurologie und Psychiatrie vom 24. Februar 2012 ein. Die neurologische Untersuchung zeigte eine Beinverkürzung, muskuläre Atrophie und Areflexie des linken Beines nach Poliomyelitis, im Übrigen war der neurologische Befund normal. Außerdem wurde ein Befundbericht des Prof. Dr. E. u. a., Dr. Horst Schmidt Klinik Wiesbaden, vom 12. Juni 2012 mit der Diagnose einer Fraktur des MT3-Köpfchens (nach Abrutschen an einer Bordsteinkante mit dem rechtem Fuß) vorgelegt sowie eine Ambulanzkarte, wonach die Klägerin mit dem verordneten Vorfußentlastungsschuh nicht zu Recht komme.
Der Beklagte holte einen Befundbericht des Dr. F. vom März 2015 ein, dem div. medizinische Unterlagen beigefügt waren. Dr. F. führte aus, die Klägerin sei auf Hilfsmittel (Gehstock) angewiesen. Dr. G. beschrieb im Befundbericht des Schmerz- und Palliativzentrums Rhein Main vom 9. März 2015, dass die Klägerin bei deutlicher Adipositas zwei Unterarmgehstützen benütze. Entsprechend bestätigte der Facharzt für Orthopädie Dr. H. unter dem 12. Juni 2015, dass die Klägerin nur kurze Strecken mit zwei Unterarmgehstrecken bewältigen könne.
Mit Bescheid vom 19. Juni 2015 lehnte der Beklagte den Antrag der Kläger auf Feststellung eines höheren GdB und Zuerkennung des Merkzeichens "aG" ab, da keine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen eingetreten sei. Den gegen diesen Bescheid am 13. Juli 2015 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2015 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 17. September 2015 Klage bei dem Sozialgericht Wiesbaden (Sozialgericht) erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen geltend gemacht, aufgrund einer poliomyelitischen Totallähmung des linken Beines könne sie ohne die Hilfe ihres Ehemannes keine längeren Strecken zurücklegen und benötige einen Rollstuhl. Selbst kleinere Stecken unter 200 m seien für sie nur mit großer Anstrengung und Hilfe von Pausen und Krücken zu bewältigen. Daher benötige sie zwingend einen entsprechenden Sonderparkausweis. Die Funktion des rechten Beins sei zusätzlich beeinträchtigt.
Das Sozialgericht hat Befundberichte bei Dr. G. vom 4. Mai 2016 und Dr. H. vom 11. Mai 2016 eingeholt. Der Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme seines versorgungsärztlichen Dienstes vom 13. Juli 2016 vorgelegt.
Sodann hat das Sozialgericht auf Antrag der Klägerin ein Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie Prof. Dr. J. vom 3. Mai 2017 eingeholt. Dieser hat im Wesentlichen ausgeführt, die relevanten Einzel-GdB-Werte von 80 (Beinparese links) und 20 (Wirbelsäulensyndrom) ergäben einen Gesamt-GdB von 90. Die vorliegenden lungenfachärztlichen Untersuchungsergebnisse schlössen eine signifikante gutachterlich zu bewertende Reduzierung des Herzkreislaufvolumens aus. Daher sei die Frage einer etwaigen Gleichstellung der Klägerin allein orthopädischen Beeinträchtigungen zuzuordnen. Für das Merkzeichen "aG" sei es erforderlich, dass sich die Schwerbehinderte wegen der Schwere ihres Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb ihres Kraftfahrzeugs an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen könne, was in dem hier zu beurteilenden Fall nicht gegeben sei. Es liege eine gut ausgebildete Muskulatur im Bereich des rechten Beines und des Oberkörpers vor, sodass das Aussteigen und dass Einsteigen aus dem Kraftfahrzeug selbstständig und sicher praktiziert werden könne. Gleiches habe auch für den Positionswechsel Sitzen, Stehen und auf die Liege legen während der gutachterlichen Untersuchung gegolten. Auch nach dem Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug könne sich die Klägerin stabil und keineswegs sehr langsam im Dreipunktgang unter Zuhilfenahme von zwei Unterarmgehstöcken und unter Mitschwingen des linken Beines bewegen. Das Gangbild habe sich im unbeobachteten Zustand nicht grundsätzlich verändert, gleichwohl etwas verflüssigt und beschleunigt.
Mit Gerichtsbescheid vom 7. September 2017 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass die Klägerin weder Anspruch auf Feststellung eines GdB von 100 noch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG" habe. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. J. vom 3. Mai 2017 gestützt. Der Gesundheitszustand der Klägerin habe sich nicht wesentlich verändert. Die Parese des linken Beins sei mit einem vollständigen Ausfall des Plexus IumbosakraIis (Versorgungsmedizinische Grundsätze - VG - Teil B Ziff. 13.14) gleichzusetzen und mit einem Einzel-GdB von 80 zu bewerten; die Skoliose BWS/LWS und das degenerative Lendenwirbelsäulensyndrom mit Spondylarthrosen, Osteochondrosen, Bandscheibenschäden und Foramenstenosen seien zusätzlich mit einem Einzel-GdB von 20 (VG Teil B Ziff. 18.9) zu beziffern. Insgesamt sei der Umfang der Funktionsbeeinträchtigungen in dem angefochtenen Bescheid (Gesamt-GdB 90) zutreffend festgestellt. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" lägen nicht vor. Die Verneinung der entsprechenden Beweisfrage ergebe sich nach Prof. Dr. J. zusammenfassend aus der stabilen Gehfähigkeit im Dreipunktgang, der Fähigkeit zum selbständigen Lagewechsel und der gut ausgebildeten Oberkörpermuskulatur und Beinmuskulatur auf der rechten Seite.
Gegen den ihr am 8. September 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 9. Oktober 2017 (Montag) Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.
Der Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 7. September 2017 sowie den Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr einen GdB von 100 festzustellen und ihr das Merkzeichen "aG" zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig.
Wegen weiterer Einzelheiten sowie des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten hatte die Berichterstatterin als Einzelrichterin über die Berufung der Klägerin zu entscheiden (§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 7. September 2017 und der Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Feststellung eines GdB von 100 noch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG".
Zunächst ist bei der Klägerin in dem Gesundheitszustand, der bei Erlass des maßgeblichen Ausgangsbescheids vom 15. Oktober 2008 vorgelegen hat, keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X - dahingehend eingetreten, dass der Gesamt-GdB nunmehr um 10 v. H. höher zu bewerten wäre.
Rechtsgrundlage für die beantragte Feststellung eines höheren GdB ist seit 1. Januar 2018 § 152 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung - SGB IX - (bis 31. Dezember 2017 § 69 Abs. 1 SGB IX zuletzt in der Fassung des Artikel 2 Nr. 2 des Bundesteilhabegesetzes - BTHG - vom 23. Dezember 2016). Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung nur zu treffen ist, wenn ein (Gesamt-)Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX). Gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Dabei sind nur diejenigen Menschen als schwerbehindert anzuerkennen, bei denen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt (§ 2 Abs. 2 1. Halbsatz SGB IX). Für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin ergibt sich aus den seit 1. Januar 2018 geltenden Vorschriften keine relevante Änderung.
Die Bestimmung des GdB erfolgt unter Heranziehung der "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" gemäß der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV -) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I, Seite 2412) und vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2122), zuletzt in ihrer Fassung vom 23. Dezember 2016 (Art. 18 Abs. 4 BTHG).
Die bei der Klägerin vorliegenden Behinderungen rechtfertigen keine höheren Gesamt-GdB als 90. Hinsichtlich der Auswertung der erstinstanzlich vorliegenden Befundberichte, der Bewertung der Gesundheitsstörungen mit Einzel-GdB-Werten sowie des Gesamt-GdB wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden erstinstanzlichen Entscheidungsgründe, die sich der Senat nach eigener Überprüfung zu Eigen macht, gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Bei der Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG" ergibt sich auch nach Inkrafttreten der Neuregelung der Voraussetzungen der Feststellung des Merkzeichens "aG" in § 146 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in der Fassung vom 23. Dezember 2016, in Kraft getreten am 30. Dezember 2016, bzw. nach der gleichlautenden Vorschrift des § 229 Abs. 3 SGB IX in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung kein abweichender Beurteilungsmaßstab. Danach sind schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Hierzu heißt es in den Sätzen 2 bis 5 weiter: Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung - dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen - aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind. Verschiedenste Gesundheitsstörungen (insbesondere Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen, Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems) können die Gehfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Diese sind als außergewöhnliche Gehbehinderung anzusehen, wenn nach versorgungsärztlicher Feststellung die Auswirkung der Gesundheitsstörungen sowie deren Kombination auf die Gehfähigkeit dauerhaft so schwer ist, dass sie der unter Satz 1 genannten Beeinträchtigung gleich kommt. Damit hat der Gesetzgeber sich nunmehr für die Beurteilung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung an der Frage der Teilhabebeeinträchtigung orientiert und alle relevanten Funktionsstörungen auf allen medizinischen Fachgebieten sowie auch Kombinationen von Beeinträchtigungen erfasst. Er hat sich damit aber nicht von den in der Rechtsprechung entwickelten strengen Bewertungsmaßstäben entfernt (vgl. HLSG, Beschluss vom 23. Juni 2017 - L 3 SB 138/16).
Auch wenn entsprechend den Feststellungen des Sachverständigen die Parese des linken Beins der Klägerin in Anlehnung an einen vollständigen Ausfall des Plexus IumbosakraIis (Anlage zu § 2 VersMedV Teil B Ziff. 13.14) mit einem Einzel-GdB von 80 veranschlagt wird, liegt insoweit noch keine erhebliche mobilitätsbedingte Teilhabebeeinträchtigung im Sinne des § 229 Abs. 3 SGB IX vor. Diese erfordert, dass sich die Klägerin wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen kann. Nach dem strengen Bewertungsmaßstab des BSG ist hierfür notwendig, dass sich der schwerbehinderte Mensch wegen der Schwere seines Leidens praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeugs an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung bewegen kann (vgl. BSG Urteil vom 29. März 2007 - B 9a SB 5/05 R - juris Rdnr. 14 ff; zuletzt BSG, Urteil vom 16. März 2016 - B 9 SB 1/15 R - juris Rdnr. 19 ff). Diese Voraussetzung ist nach den eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen Prof Dr. J. nicht erfüllt. Nach Prof. Dr. J. liegt bei der Klägerin noch eine gut ausgebildete Muskulatur im Bereich des rechten Beines und des Oberkörpers vor, sodass das Aussteigen und das Einsteigen aus dem Kraftfahrzeug selbstständig und sicher praktiziert werden kann. Gleiches hat nach dem Sachverständigen auch für den Positionswechsel Sitzen, Stehen und auf die Liege legen während der gutachterlichen Untersuchung gegolten. Auch nach dem Aussteigen aus dem Kraftfahrzeug kann sich die Klägerin nach Prof. Dr. J. stabil und keineswegs sehr langsam im Dreipunktgang unter Zuhilfenahme von zwei Unterarmgehstöcken und unter Mitschwingen des linken Beines bewegen. Das Gangbild hat sich nach dem Sachverständigen im unbeobachteten Zustand nicht grundsätzlich verändert, gleichwohl etwas verflüssigt und beschleunigt. Die Klägerin ist auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung auch noch nicht dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen, ebenso wenig liegen bei dieser Sachlage die Voraussetzungen einer Gleichstellung im Sinne des § 229 Abs. 3 Satz 4 und 5 SGB IX vor.
Damit in Übereinstimmung hat Dr. G. für die zurückliegende Zeit in den Befundberichten des Schmerz- und Palliativzentrums Rhein Main vom 9. März 2015 und 4. Mai 2016 beschrieben, dass die Klägerin bei deutlicher Adipositas zwei Unterarmgehstützen benutze, von einem Erfordernis einen Rollstuhl zu benutzen wird nicht berichtet. Entsprechend bestätigte der Facharzt für Orthopädie Dr. H. unter dem 12. Juni 2015, dass die Klägerin - wenn auch nur kurze Strecken - mit zwei Unterarmgehstrecken bewältigen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
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