L 4 AY 7/19 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 9 AY 4/18 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 AY 7/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei einer Leistungsabsenkung ist eine hinreichende Bestimmtheit nur gegeben, wenn grundsätzlich der genaue Betrag festgesetzt wird, um den die konkret zuerkannte Leistung abgesenkt wird, wobei eine prozentuale Angabe oder eine Formulierung, die kleinere Berechnungen notwendig macht, unschädlich ist . Die Wiedergabe des Wortlauts von § 1a Abs. 1 AsylbLG ist nicht hinreichend.
2. Wurde bei der Leistungsgewährung nicht von Anfang an § 1a Abs. 1 AsylbLG beachtet, so ist der Änderungsbescheid an § 45 SGB X zu messen.
3. Bei der Bestimmung der Höhe der Leistungsabsenkung nach § 1a AsylbLG ist gegebenenfalls den Anforderungen aus Art. 14 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (ABl. 2009 L 348/98) zugunsten besonders schutzbedürftiger Personen Rechnung zu tragen (hier: hinsichtlich des Umfangs offen lassend).
4. Zum Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch.
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 21. Februar 2019 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2018 angeordnet.

Zur Aufhebung der Vollziehung hat der Antragsgegner der Antragstellerin vorläufig Leistungen für den notwendigen persönlichen Bedarf in Höhe von 405 EUR nachzuzahlen.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., B-Stadt, ohne Pflicht zur Ratenzahlung gewährt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Leistungsabsenkung nach § 1a Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), im Beschwerdeverfahren zudem um die Vollzugsfolgenbeseitigung.

Die 1974 geborene Antragstellerin ist somalische Staatsangehörige und reiste im Jahr 2013 nach Schweden ein. Ihr dort gestellter Asylantrag wurde abgelehnt. Im Jahr 2018 reiste sie nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der als unzulässig abgelehnt wurde. Sie wurde nach Schweden überstellt und mit einem Wiedereinreiseverbot belegt. Mit einem ihrer Kinder, ihrem Sohn C., der u.a. nach unwidersprochenen Angaben der Antragstellerin unter einer schweren spastischen Lähmung mit Bewegungsstörung (Zerebralparese ICD G80.3), einer statomotorischen und psychomentalen Entwicklungsstörung (IDC F89), Epilepsie (ICD G40.1), Mikrozephalie bei Makrosomie sowie Inkontinenz ( ICD R15, R32) leidet, kehrte sie Anfang September 2018 erneut in die Bundesrepublik zurück und stellte einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 wurde der Antrag abgelehnt, das Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint und die Abschiebung nach Schweden angeordnet. Ein hiergegen gerichteter Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Gießen wurde mit Beschluss vom 28. Februar 2019 abgelehnt. Dagegen haben die Antragstellerin und ihr Sohn Verfassungsbeschwerde erhoben, über die noch nicht entschieden wurde.

Mit Zuweisungsbescheid vom 21. März 2019 wurde die Antragstellerin der Stadt A-Stadt zugewiesen. An diesem Tag verließ die Antragstellerin auch die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen.

Bereits mit Bescheid vom 4. September 2018 wurden der Antragstellerin und ihrem Sohn Leistungen nach § 3 AsylbLG unbefristet gewährt.

Mit Bescheid vom 1. November 2018 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 4. September 2018 auf und gewährte "ab sofort nur noch die in Ihrem konkreten Einzelfall nach den Umständen unabweisbar gebotenen Leistungen gemäß §§ 3, 4 und 6 AsylbLG. ( ...) Dies gilt zunächst für die Dauer von 6 Monaten."

Die Antragstellerin erhielt daraufhin den Barbetrag in Höhe von 135 EUR nicht mehr ausgezahlt und kein ÖPNV-Ticket ausgehändigt. Seit März 2019 erhält die Antragstellerin Leistungen nach dem AsylbLG durch die Stadt A-Stadt in Höhe von 176 EUR.

Gegen den Bescheid vom 1. November 2018 legte die Antragstellerin über ihre Prozessbevollmächtigte Widerspruch ein. Aufgrund der Asylantragstellung sei schon der Anwendungsbereich des § 1a Abs. 1 AsylbLG nicht eröffnet. Zudem sei die Wiedereinreise zur Durchführung eines Asylverfahrens erfolgt, weiterhin sei die Antragstellerin in Schweden mehrfach aufgefordert worden, eine freiwillige Ausreiseerklärung nach Somalia zu unterschreiben. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2018 wies der Antragsgegner den Widerspruch als unbegründet zurück. Hiergegen erhob die Antragstellerin am 21. Dezember 2018 Klage.

Am selben Tag hat die Antragstellerin den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.

Die Antragstellerin hat vorgetragen, sie sei nicht mit Leistungserlangungsabsicht nach Deutschland eingereist, sondern zur Durchführung des Asylverfahrens. Der Asylantrag in Schweden sei negativ beschieden worden, bei ihrem Aufenthalt in Schweden im August 2018 habe sie keinen erneuten Asylantrag stellen können. Vielmehr sei sie mehrfach aufgefordert worden, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie freiwillig nach Somalia zurückkehren werde. Ihr gehe es ausschließlich darum, einen sicheren Aufenthaltsstatus zu erreichen und nicht nach Somalia zurückkehren zu müssen. Zudem dürfte aufgrund des neuen Asylgesuchs ihr Aufenthalt im Sinne von § 55 AsylG gestattet sein und damit § 1a Abs. 1 AsylbLG auf sie nicht anwendbar sein.

Der Antragsgegner hat vorgetragen, im Falle der Antragstellerin lägen umfangreiche Gründe vor, die eine sozialleistungsmotivierte Einreise belegen würden. So habe die Antragstellerin bereits am Tag ihrer Wiedereinreise nach Deutschland ein Antrag auf Gewährung von Leistungen gestellt, was auf Leistungsmissbrauchsabsicht hindeuten könne. Weiterhin habe sie bereits in ihrem ersten Antrag auf Leistungen angegeben, mittellos zu sein, so dass sie damit rechnen musste, auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Zudem sei die Antragstellerin auf dem Landweg über sichere Drittstaaten eingereist, so dass kein Anhaltspunkt für das Aufbrauchen des gesamten Vermögens für die Einreise vorliege. Zudem würden auch die fehlenden Sprachkenntnisse sowie die nicht vorhandene Schul- oder Ausbildung den Schluss zulassen, da ihr von vornherein die Aussicht auf eine soziale und berufliche Integration erschwert sei. Zudem stehe sie dem Arbeitsmarkt vorerst nicht zur Verfügung, da sie ihren zehnjährigen im Rollstuhl sitzenden, geistig und körperlich behinderten Sohn zu betreuen habe. Weiterhin erfordere die gesundheitliche Verfassung des Sohnes eine kostenintensive Behandlung und Medikation.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 21. Februar 2019 den Antrag zurückgewiesen. Der Antrag sei am Maßstab von § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unbegründet. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege nicht das Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides. Die Leistungskürzung sei nach bisherigem Sach- und Streitstand rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 AsylbLG lägen vor. Die Antragstellerin gehöre dem genannten Personenkreis an, weil sie ausweislich der Gesamtauskunft des Bundesverwaltungsamtes, Auszug aus dem Ausländerzentralregister vom 10. Januar 2019, über eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) verfüge, befristet bis 18. Januar 2019. Die Aufenthaltsgestattung aufgrund des ersten Asylantrages gemäß § 55 Asylgesetz (AsylG) sei am 4. Mai 2018 erloschen. Nach überwiegender Auffassung entstehe die Aufenthaltsgestattung demnach auch erst mit der Entscheidung über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Dies sei noch nicht geschehen.

Weiterhin sei die Antragstellerin zur ausreichenden Überzeugung des Gerichts erneut in die Bundesrepublik eingereist, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen. Dies sei der Fall, wenn im Zeitpunkt der Einreise oder Wiedereinreise das prägende Motiv des Hilfesuchenden gewesen sei, Leistungen nach dem AsylbLG in Anspruch zu nehmen. Diese Notwendigkeit folge aus der Zweck-Mittel-Relation der Vorschrift ("um zu"). Prägende Bedeutung komme dem Umstand, Leistungen zu beziehen, dann zu, wenn er für den Ausländer neben anderen Gründen so wesentlich war, dass er ansonsten nicht eingereist wäre. Der Bezug von Sozialleistungen aus anderen Motiven von untergeordneter Bedeutung, als beiläufiger Effekt wie auch als billigende Inkaufnahme des Zweckes reiche hingegen nicht aus. Nach Aktenlage ergebe sich eindeutig ein wirtschaftlich geprägtes Interesse der Antragstellerin, erneut in Deutschland einzureisen. In der Anhörung zum zweiten Asylantrag am 13. Dezember 2018 habe die Antragstellerin ausgeführt, sie habe einen kranken Sohn und viele Probleme, daher habe sie nicht auf das geachtet, was der Dolmetscher übersetzt habe. Als sie im August 2018 nach Schweden überstellt wurde, habe sie gedacht, die schwedischen Behörden würden etwas für sie tun. Dem war nicht so, man habe ihr mitgeteilt, sie wären nicht mehr zuständig, sie hätte kein Anrecht auf ein Schlafplatz oder Leistungen, sie sei auf sich allein gestellt. Sowohl das Sozialamt als auch die Polizei hätte nur geholfen, wenn sie die Einwilligung zur Rückreise nach Somalia unterschreibe. Sie habe nur ein paar Nächte im Hotel verbringen können, hiernach ohne etwas zu essen bzw. Windeln für ihren Sohn auf der Polizeistation bzw. der Straße gestanden. Fremde Leute hätten sie dann kurze Zeit bei sich zu Hause wohnen lassen. Sie habe niemand gehabt und wusste nicht wohin, nach Somalia zurück konnte sie nicht. Sie habe den Fremden gesagt, dass sie wieder zurück nach Deutschland und dort wieder einen Asylantrag stellen wolle. Diese hätten dann Geld für sie gesammelt, damit sie nach Deutschland reisen könne. Sie wolle nicht zurück nach Schweden, da sie befürchte dass sie dann entweder wieder auf der Straße leben müsse oder unterschreibe und zurück nach Somalia gehen müsse, wo sie sterben werde. Auch mit eidesstattlicher Versicherung vom 1. Oktober 2018, abgegeben bei der Anhörung zur Leistungsgewährung für ihren Sohn nach § 3 AsylbLG, habe die Antragstellerin die Ereignisse in Schweden wie oben geschildert dargestellt. Die Schilderung dieser Vorgänge halte die Kammer für glaubhaft. Die Schilderungen seien widerspruchsfrei; über die Situation der Antragstellerin in Schweden habe die Antragstellerin einen im Internet abrufbaren Artikel vorgelegt, welcher die Angaben bestätige. Zum anderen lasse sich der ebenfalls von der Antragstellerin vorgelegten Begründung des Eilantrages vor dem Verwaltungsgericht Gießen entnehmen, dass im Juni 2016 das schwedische Asylbewerberaufnahmegesetz geändert wurde. Die Änderung bewirke, dass erwachsene Asylbewerber ohne Kinder, deren Asylantrag abgelehnt wurde, keinen Anspruch mehr auf Unterkunft, Unterhaltsgeld und Sonderhilfe hätten. Mit der Änderung solle unter anderem der Anreiz für eine freiwillige Rückreise erhöht werden. Zwar hätten Kinder und Erwachsene, die mit Kindern leben, grundsätzlich weiterhin Anspruch auf Unterstützung. Allerdings sei die Ausschlussnorm, kein Recht auf Unterstützung habe, wer sich der Abschiebung oder Ausweisung entziehe, auch auf sie anwendbar, so dass auch Familien mit Kindern vom Ausschluss jeglicher staatlicher Unterstützung betroffen sein könnten. Weiterhin verliere ein abgelehnter Asylbewerber seinen Anspruch auf Unterstützung auch dann, wenn er aus Schweden ausgereist und später zurückkehrt sei (Hinweis auf: https://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik /5031777/Asylpolitik Schweden-schafft-es-nicht-mehr). Hieraus ergebe sich in ausreichendem Maß, dass die Antragstellerin wieder nach Deutschland einreisen habe wollen, da sie in Schweden keine staatliche Unterstützung mehr erfahren habe. Es sei der Antragstellerin daher gerade darauf angekommen, hier wieder versorgt zu sein und Medikamente für ihren kranken Sohn zu bekommen.

Als Rechtsfolge des § 1a Abs. 1 AsylbLG erhalte die Antragstellerin Leistungen nach AsylbLG nur, soweit diese im Einzelfall unabweisbar geboten seien. Einwendungen gegen die (Rest-) Leistungshöhe seien nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich. Der Antragsgegner habe den Barbetrag der Antragstellerin gekürzt, die Leistungen für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege sowie Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushaltes würden weiterhin gewährt. Er gewähre damit das physische Existenzminimum. Die befristete vollständige Kürzung des Barbetrags sei zulässig (Hinweis auf BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 - B 7 AY 1/16 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2017 - L 7 AY 4898/15).

Der Beschluss ist der Antragstellerin am 11. März 2019 zugestellt worden. Hiergegen hat die Antragstellerin am 8. April 2019 bei dem Sozialgericht Marburg Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht erhoben.

Die Antragstellerin ist der Rechtsauffassung, der Antragsgegner habe seine Aufhebung zu Unrecht auf § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) gestützt, obwohl nach seinem Vortrag die Voraussetzungen für eine Leistungskürzung bereits bei Erlass des Bescheides vom 4. September 2018 vorgelegen hätten, so dass eine Aufhebung allein nach § 45 SGB X möglich wäre, der eine Ermessensbetätigung erfordere. Für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche von § 45 SGB X und § 48 SGB X komme es allein auf die objektive Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides an, nicht auf die Kenntnis der Behörde von diesen Umständen. Die Leistungskürzung verstoße gegen Art. 14 RL 2008/115/EG; die Antragstellerin gehöre als Alleinerziehende eines minderjährigen Kindes zum besonders schutzbedürftigen Personenkreis. Die Kürzung auf Sachleistung liege eklatant unterhalb des verfassungsrechtlich garantierten, menschenwürdigen Existenzminimums.

Die Antragstellerin trägt vor, aufgrund ihres schwerstbehinderten Sohnes habe sie besondere Bedarfe, wie etwa die Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, um die dringend notwendigen Arzttermine wahrnehmen zu können. Während der Unterbringung in der Erstaufnahmeeinrichtung habe eine menschenunwürdige Unterdeckung im Bereich der ÖPNV-Nutzung und jeder Kommunikation bestanden. Ihr sei es nicht möglich gewesen, ohne ÖPNV die Erstaufnahmeeinrichtung zu verlassen. Sie habe keine Anwaltstermine wahrnehmen können. Sie habe sich auch für ihr Telefon keine Prepaid-Karten kaufen können.

Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 21. Februar 2019 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 1. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2018 anzuordnen sowie die Folgen des Vollzugs des Bescheides durch vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung des Barbetrages zu beseitigen.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner ist der Rechtsauffassung, dass es sich bei der im Nachhinein zu Tage getretenen sozialleistungsmotivierten Einreise um eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 SGB X gehandelt habe. Durch den Umzug nach A-Stadt habe sich der streitgegenständliche Bescheid erledigt. Er hat ausführlich zur Bedarfsdeckung in der Erstaufnahmeeinrichtung vorgetragen und sich umfangreich zum Vortrag ungedeckter Bedarfe seitens der Antragstellerin geäußert.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Sachverhaltsdarstellung in der erstinstanzlichen Entscheidung, den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen, die vom Senat beigezogen wurde.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Sie ist am Maßstab von § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG statthaft, da sich die Barbeträge ab Antragstellung bis 30. April 2019 – dem Ablauf des Einschränkungszeitraums – auf 585 EUR belaufen und der Wert eines ÖPNV-Tickets für 4 1/3 Monate den Wert von 165 EUR bis zur Wertgrenze des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG übersteigen dürfte. Ausschlaggebend für die Statthaftigkeit ist aber letztlich die formale Beschwer, dass – wie noch auszuführen ist – nicht feststeht, in welcher Höhe der Bescheid vom 4. September 2019 aufgehoben wurde bzw. Leistungen weiter bewilligt wurden.

Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen Bescheid vom 1. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2018 liegen vor (dazu 1.). Darüber hinaus ist der Antrag auf Vollzugsfolgenbeseitigung teilweise begründet (dazu 2.).

1. a) Das Sozialgericht ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vorliegend auf der Grundlage von § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die streitigen Bescheide statthaft war. § 11 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG in Verbindung mit § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG sieht vor, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte, mit denen eine Leistung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ganz oder teilweise entzogen oder die Leistungsbewilligung aufgehoben wird, keine aufschiebende Wirkung haben. Die Betroffenen müssen in diesen Fällen zur Erlangung einstweiligen Rechtsschutzes um die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung nachsuchen. Bei der Leistungsbewilligung vom 4. September 2019, die mit den streitgegenständlichen Bescheiden aufgehoben wurde, handelte es sich auch um einen Dauerverwaltungsakt, dessen Wirkung zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Sozialgericht im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch wieder zum Tragen kommen konnte. Der Bescheid vom 4. September 2019 enthält keinerlei zeitliche Einschränkungen.

Die streitgegenständlichen Bescheide haben sich auch nicht durch den Umzug nach A-Stadt erledigt; sie entfalten nach wie vor belastende Rechtswirkungen ungeachtet der Tatsache, dass für eine Neubewilligung von Leistungen eine andere Behörde zuständig geworden ist.

b) Das Sozialgericht hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung aber zu Unrecht abgelehnt. Die bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86 Abs. 1 SGG gebotene Interessenabwägung muss sich auf alle öffentlichen und privaten Interessen erstrecken, die im Einzelfall von Bedeutung sind; den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, also namentlich der Rechtmäßigkeit beziehungsweise der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, kommt dabei, soweit sie sich im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung beurteilen lässt, erhebliche Bedeutung zu (vgl. zu dem im Einzelnen umstrittenen Maßstab für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung: Hess. LSG, Beschluss vom 26. März 2007 – L 9 AS 387/07 ER – sowie Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG – Kommentar, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 12 ff.). Namentlich hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ohne Weiteres zu erfolgen, wenn der Bescheid offensichtlich rechtswidrig (und die Klage zulässig) ist, während sie ausscheidet, wenn dieser offensichtlich rechtmäßig (oder die Klage offensichtlich unzulässig) ist. Insbesondere wenn die Erfolgsaussichten offen sind, hat eine umfassende Folgenabwägung stattzufinden, in deren Rahmen namentlich die Grundrechte der Betroffenen zu berücksichtigen sind, sofern sie durch die Entscheidung berührt werden. Schließlich ist die der gesetzlichen Anordnung des regelmäßigen Sofortvollzugs zu entnehmende Wertung zu beachten.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend die aufschiebende Wirkung anzuordnen, weil der streitige Bescheid nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich rechtswidrig ist.

Der Bescheid ist bereits am Maßstab von § 37 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG) nicht hinreichend bestimmt. Zwar könnte erwogen werden, den Bescheid vom 1. November 2018 dahingehend auszulegen, dass er den Bescheid vom 4. September 2018 komplett aufhebt. Dann wäre er zwar hinreichend bestimmt, aber rechtswidrig, soweit unstreitig ein Anspruch auf abgesenkte Leistungen besteht. Wesentlich naheliegender ist es, den Bescheid dahingehend auszulegen, dass er den Bescheid vom 4. September 2018 in § 1a AsylbLG übersteigender Leistungshöhe aufheben soll. Dann fehlt es aber an der Bestimmung der Einschränkung der Leistungshöhe.

In der Leistungsverwaltung ist die hinreichende Bestimmtheit gegeben, wenn die entsprechende zu gewährende Leistung hinreichend genau bezeichnet ist, sowohl hinsichtlich der Leistungsart als auch der Leistungshöhe. Bei einer Leistungsabsenkung ist eine hinreichende Bestimmtheit nur gegeben, wenn grundsätzlich der genaue Betrag festgesetzt wird, um den die konkret zuerkannte Leistung abgesenkt wird (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Oktober 2006 - L 8 AS 4922/06 ER-B -, juris; Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2014, § 37 Rn. 93), wobei eine prozentuale Angabe oder eine Formulierung, die kleinere Berechnungen notwendig macht, unschädlich ist (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 30/09 R –, SozR 4-4200 § 31 Nr. 3, Rn. 17). Der Verfügungssatz beschränkt sich hier indes auf die Wiederholung des Wortlauts des Gesetzes; weder in der Begründung des Ausgangsbescheides noch in der Begründung des Widerspruchsbescheides ist erkennbar, dass der Bescheid vom 4. September 2018 in Höhe des Barbeitrages von 135 EUR monatlich nach § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG und der Sachleistungsgewährung bezüglich des ÖPNV-Tickets aufgehoben werden sollte. Es ist auch nicht auf andere Weise erschließbar, welche Leistungen als unabweisbar weiter gewährt werden. Eine etwaige spätere Auszahlung eines bestimmten Betrages ist dafür nicht hinreichend.

Da bei der Bestimmtheit letztlich auch fachrechtliche Fragen das hinreichende Maß bestimmen (Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2014, § 37 Rn. 92), ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass es nach dem gesetzlichen Leitbild des § 1a Abs. 1 AsylbLG Aufgabe der Behörde ist, das unabweisbar Gebotene konkret zu ermitteln und durch Verwaltungsakt eine entsprechende Leistungshöhe festzusetzen: "Inhalt und Umfang des unabweisbar Gebotenen sind durch den zuständigen Leistungsträger anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls allein bedarfsorientiert festzulegen (vgl. zu § 1a AsylbLG in der nunmehr geltenden Fassung auch BT-Drucks 18/8615, S. 35)" (BSG, Urteil vom 12. Mai 2017 - B 7 AY 1/16 R -, juris Rn. 21). Dass dies erfolgt ist, geht weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus dem Widerspruchsbescheid hervor.

Darüber hinaus genügt der Aufhebungsbescheid nicht den Anforderungen aus § 9 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 45 SGB X; zu Unrecht hat der Antragsgegner den Bescheid auf § 48 SGB X gestützt.

Die Abgrenzung des Anwendungsbereichs von § 45 SGB X, also der Rücknahme einer von Anfang an rechtswidrigen Begünstigung, einerseits und von § 48 SGB X, also der Aufhebung eines Dauerverwaltungsakts wegen einer nachträglichen wesentlichen Änderung der für seinen Erlass maßgeblichen Umstände, andererseits erfolgt nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. nur BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 4 AS 21/10 R –, BSGE 108, 258 [Rn. 16]) anhand der objektiv gegebenen Sach- und Rechtslage, die bei Erlass des nunmehr zur Korrektur anstehenden Verwaltungsaktes gegeben war. Auf die Kenntnis der Behörde (oder auch nur deren Kenntnismöglichkeit) oder gar auf den Abschluss der von ihr für notwendig erachteten Ermittlungen kommt es dagegen nicht an (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Mai 2019 – L 4 AY 3/19 B ER -).

Die Einreisemotivation ist eine innere Tatsache, die naturgemäß zum Zeitpunkt der Einreise vorliegt. Bei Vorliegen dieser Tatsache war die ungekürzte Bewilligung von Leistungen nach § 3 AsylbLG am 4. September 2019 von Anfang an rechtswidrig, da die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt eingereist war, auch wenn der Antragsgegner die Motivation der Antragsteller zunächst aufzuklären hatte. Entscheidend ist insofern, dass § 1a Abs. 1 AsylbLG in diesem Falle bindend die Einschränkung der Leistungen vorsieht (vgl. Oppermann, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG Rn. 26 und Rn. 99), auch wenn zur Umsetzung der Erlass eines entsprechenden Bescheides notwendig ist (vgl. in diesem Sinne LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 21. Juni 2018 – L 9 AY 1/18 B ER –, juris, Rn. 45; Bayerisches LSG, Beschl. v. 1. März 2018 L 18 AY 2/18 B ER –, juris, Rn. 30). Selbst wenn man sich dem Vortrag im Schriftsatz des Antragsgegners vom 28. Mai 2019 anschlösse, dass die Anspruchskonstruktion auch im Falle des § 1a Abs. 1 AsylbLG für eine logische Sekunde ein ungekürzter Anspruch bestünde, so bestünden diese Voraussetzungen jedenfalls nicht über diese logische Sekunde hinaus.

Eine auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützte behördliche Entscheidung lässt sich regelmäßig auch auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 SGB X nicht aufrechterhalten (vgl. ausführlich BSG, Urteil vom 7. April 2016 – B 5 R 26/15 R –, SozR 4-2600 § 89 Nr. 3 [Rn. 33 ff.]). Denn im Rahmen der Anwendung von § 45 Abs. 1 SGB X muss der Leistungsträger – anders als nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X – auch bei einer Aufhebung für die Zukunft grundsätzlich Ermessen ausüben. Das hat der Antragsgegner vorliegend nicht getan. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung war vorliegend das Ermessen auch nicht auf Null reduziert, so dass die fehlende Ermessensbetätigung aus diesem Grunde unschädlich wäre. Zwar überwiegen bei einer auf die Zukunft beschränkten Entscheidung vielfach die für die Rücknahme sprechenden Gesichtspunkte die Interessen des Betroffenen an der Aufrechterhaltung der von Anfang an rechtswidrigen Entscheidung. Das ist aber keineswegs zwingend so, insbesondere wenn – wie hier – keinerlei Verschulden der Betroffenen vorliegt.

Damit kann der Senat offenlassen, in welchem Umfang den Garantien aus Art. 14 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (ABl. 2009 L 348/98) zugunsten besonders schutzbedürftiger Personen (hier: Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern) bei der unionsrechtskonformen Auslegung des "unabweisbar Gebotenen" Rechnung zu tragen ist.

Auch lässt der Senat offen, welche Anforderungen an die Substantiierung von Bedarfen des sog. soziokulturellen Existenzminimums zu stellen sind, bei denen einen vollständige Kürzung der Leistungen aus § 3 Abs. 1 Satz 8 AsylbLG verfassungswidrig wäre (vgl. zu dieser vom Sozialgericht offenbar übersehenen Erwägung BSG, Urteil vom 12.Mai 2017 B 7 AY 1/16 R – juris, Rn. 35).

2. Die Entscheidung über die Vollzugsfolgenbeseitigung folgt aus § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Der Antrag ist zulässigerweise erst in der Beschwerdeinstanz gestellt worden. Er ist auch überwiegend begründet. Die Aufhebung der Vollziehung war allerdings in zweierlei Hinsicht zeitlich zu begrenzen: Der Antragsgegner war zur Auszahlung von Leistungen erst ab dem Zeitpunkt der Beantragung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu verpflichten, weil erst ab diesem Zeitpunkt das notwendige Interesse an der Aufhebung der Vollziehung dokumentiert ist (vgl. insoweit LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - L 15 SO 301/16 B ER -, Rn. 49). Da sich die Leistungsbewilligung insgesamt nach dem derzeitigen Kenntnisstand mit dem Umzug nach A-Stadt zwar nicht erledigt hat, aber rechtswidrig geworden ist, besteht insoweit nach Rechtsauffassung des Senats auch kein schutzwürdiges Vollzugsfolgenbeseitigungsinteresse ab 21. März 2019. Der auszukehrende Betrag wurde daher auf drei volle Monate des Barbetrages begrenzt (1/3 des Monats Dezember 2018, Januar, Februar und 2/3 des Monats März 2019).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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