L 8 KR 236/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 31 R 61/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 236/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Auslegung eines Formularbescheides der BfA, der die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung auf weitere berufsspezifische Beschäftigungen erstreckt
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Mai 2017 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt wurde, den Kläger auch für die Zeit vom 1. April 2005 bis 19. März 2015 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Auf den Hilfsantrag des Klägers wird festgestellt, dass der Kläger aufgrund des Bescheides der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 4. Januar 2002 in der Zeit vom 1. April 2005 bis 19. März 2015 in seiner Beschäftigung für die Beigeladene zu 1) weiterhin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht noch die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 1. April 2005 bis 19. März 2015.

Der Kläger ist Diplom-Ingenieur und Architekt und war vom 1. April 2005 bis 30. Juni 2015 als Trainee/Consultant im Bereich Valuation bei der Beigeladenen zu 1) beschäftigt. Zum 1. Juli 2015 wechselte der Kläger zur D. GmbH, A-Stadt. Der Kläger ist seit dem 3. Dezember 2003 Mitglied der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und seit dem 1. Januar 2004 Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen. Für eine vorherig ausgeübte Tätigkeit bei E. und F. Architekten, B-Stadt war er auf seinen Antrag vom 2. Dezember 2001 mit Bescheid vom 4. Januar 2002 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit worden.

Am 20. März 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht wegen seiner Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) ab 1. April 2005 und bat auch zu prüfen, ob die mit Bescheid vom "2. Dezember 2001" erteilte Befreiung weiterhin bestehe. Er legte ein Aufgabenprofil dieser Tätigkeit, den Anstellungsvertrag mit der Beigeladenen zu 1) vom 9. Februar 2005 und 6. Juli 2005 nebst Anlagen sowie eine Bestätigung des Beigeladenen zu 2) über die dortige Mitgliedschaft und die bei der Beigeladenen zu 3) vom 27. April 2015 vor.

Mit Bescheid vom 2. Juni 2015 lehnte die Beklagte die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ab, weil es sich bei der Beschäftigung des Klägers für die Beigeladene zu 1) um keine berufsspezifische Tätigkeit als Architekt handle. Berufsspezifisch sei eine Tätigkeit, die dem typischen durch die Hochschulausbildung und dem entsprechenden Hochschulabschluss geprägten Berufsbild und Tätigkeitsbereich entspreche. Das Leistungsbild des Architekten sei in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) genau definiert. Ausweislich der Stellenausschreibung bestehe die Aufgabe des Klägers als Consultant der Abteilung Valuation vorwiegend in der Bewertung von Immobilienportfolios und Einzelimmobilien im Zusammenhang mit Investmenttransaktionen, Bilanzierungen und Finanzierungsfragen für internationale und deutsche Kunden des Auftraggebers. Nach der Gesamtschau der dem Kläger übertragenen Aufgaben entspreche die Tätigkeit nicht dem berufsspezifischen Bild eines Architekten. Eine wirksame Befreiung könne auch nicht aus dem Befreiungsbescheid vom 4. Januar 2002 hergeleitet werden, da diese sich ausschließlich auf die konkrete Tätigkeit, für die sie beantragt worden sei, bezogen habe. Sie sei bereits mit der Aufgabe der Tätigkeit als Architekt bei E. und F. Architekten in B-Stadt unwirksam geworden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 29. Juni 2015 Widerspruch, da seiner Ansicht nach auch die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken als Sachverständiger zu den klassischen Architektentätigkeiten gehöre. Er leitete zudem einen Anspruch auf Befreiung bereits aus dem Bescheid vom "2. Dezember 2001" her. In dem Bescheid heiße es: "Die Befreiung gilt für die oben genannte und weitere berufsspezifische Beschäftigung / Tätigkeiten, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständigen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer besteht und solange Versorgungsabgaben beziehungsweise Beiträge in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären." Seiner Ansicht nach fehle in dem Bescheid jegliche Bezugnahme auf eine Tätigkeit. Dementsprechend beziehe sich der Bescheid schon seinem Wortlaut nach ausdrücklich auf sämtliche Architektentätigkeiten von ihm.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2016 wies die Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung ihrer im Bescheid vom 2. Juni 2015 dargelegten Argumente als unbegründet zurück. Darüber hinaus führte die Beklagte aus, der Befreiungsbescheid vom 4. Januar 2002 habe sich mit der Aufgabe der Beschäftigung bei E. und F. Architekten auf sonstige Art und Weise erledigt und keiner gesonderte Aufhebung bedurft. Ein Vertrauenstatbestand habe nicht entstehen können.

Am 8. Februar 2016 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben. Neben den bereits dargelegten Argumenten im Widerspruch vom 29. Juni 2015 verwies der Kläger darauf, dass die Beigeladene zu 1) als Reaktion auf die sogenannten Syndikusurteile des Bundessozialgerichts (BSG) zum 1. Januar 2015 die Abführung der Beiträge für die Altersvorsorge geändert und fortan in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt habe. Daraufhin habe sich der Kläger veranlasst gesehen, bei der Beklagten um eine Bestätigung zu bitten, dass die Befreiung, wie sie im Bescheid vom "2. Dezember 2001" erteilt worden sei, weiterhin fortbestehe.

Nach Beiladung der C. Gesellschaft mit beschränkter Haftung (C. GmbH), des Versorgungswerkes der Architektenkammer in Nordrhein-Westfalen und der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen mit Beschlüssen vom 23. August 2016 und 1. November 2016 und Anhörung der Beteiligten unter dem 14. Februar 2017 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main mit Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2017 der Klage stattgegeben, den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger für die Beschäftigung als Teamleiter Office/Logistics, Businessline Valuation bei der Beigeladenen zu 1) ab 1. April 2005 von der Versicherungspflicht zu befreien. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI lägen vor, da – neben den sonstigen nicht streitigen Voraussetzungen - der Kläger eine berufsspezifische Architektentätigkeit ausübe. Seine konkrete Tätigkeit sei gekennzeichnet durch die Erstellung von planungs- und baurechtlichen Analysen von Bestandsgebäuden und unbebauten Grundstücken, der Ausführung von Objekt-/Mark-/Standortanalysen, der Entwicklung von Wirtschaftlichkeitsberechnungen von Umnutzungsarten sowie der Erstellung von Wertgutachten nach nationalen und internationalen Wertermittlungsstandards laut Stellenaufgabenprofil, wie von der Beigeladenen zu 1) vorgelegt. Damit übe der Kläger eine berufsspezifische Architektentätigkeit hauptsächlich in Gestalt einer Sachverständigentätigkeit aus. Er bewerte Immobilienportfolios und Einzelimmobilien im Zusammenhang mit Investmenttransaktionen, Finanzierungen und Finanzierungsfragen für nationale und internationale Kunden, wie auch im Widerspruchsbescheid dargelegt. Wie die Beigeladenen zu 2) und zu 3) zu Recht dargelegt hätten, seien die inhaltlichen Berufsaufgaben der Architekten nach § 1 Abs. 1 und Abs. 5 Baukammergesetz NRW ebenso erfüllt wie die Leistungsphasen 1 und 3 der HOAI. Soweit der Kläger der Ansicht ist, dass die Befreiung bereits aus dem Bescheid vom "2. Dezember 2001" herzuleiten sei, sei ihm zuzugestehen, dass diese Befreiung sich nicht auf eine konkret ausgeübte Tätigkeit bezogen habe. Jedoch sei durch den Bescheid vom 2. Juni 2015 eine konkludente Aufhebung des Bescheides vom "2. Dezember 2001" erfolgt. Die erforderliche Anhörung sei im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden. Da vorliegend von der Beigeladenen zu 1) Beiträge zur berufsständigen Versorgungseinrichtung bis 31. Dezember 2014 und ab 1. Januar 2015 Beiträge für die Altersvorsorge an die Beklagte gezahlt worden seien und der Befreiungsantrag vom 20. März 2015 datiere, sei er innerhalb der Dreimonatsfrist des § 6 Abs. 4 SGB VI gestellt worden.

Gegen den am 11. Mai 2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 9. Juni 2017 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Mit Schriftsatz vom 4. September 2017 hat die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Beschäftigung als Trainee/Consultant im Bereich Valuation bei der Beigeladenen zu 1) ab Eingang des Antrages am 20. März 2015 anerkannt. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis mit Schriftsatz vom 14. Februar 2018 angenommen.

Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, eine Befreiung für die Zeit vor dem 20. März 2015 sei nicht zulässig. Der Befreiungsbeginn richte sich ausschließlich nach § 6 Abs. 4 SGB V. Danach wirke eine Befreiung vom kumulativen Vorliegen der Voraussetzungen an, wenn sie innerhalb von 3 Monaten beantragt werde, sonst vom Antragseingang. Die Befreiungsvoraussetzungen seien vorliegend am 1. April 2005 mit dem Beginn der Beschäftigung eingetreten, der Antrag sei jedoch erst am 20. März 2015 gestellt worden. Eine Befreiung sei zudem nicht aus dem Bescheid vom "2. Dezember 2001" herzuleiten. Die Befreiung sei auf die jeweils ausgeübte konkrete Beschäftigung oder Tätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber beschränkt. Sie werde mit der Aufgabe der Beschäftigung gegenstandslos, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedürfe. Jeder Arbeitsplatzwechsel ziehe den Eintritt der Versicherungspflicht kraft Gesetzes sowie ggf. ein neues Befreiungsverfahren nach sich. Die im Bescheid vom "2. Dezember 2001" enthaltenen Hinweise seien nicht Teil des Verfügungssatzes der Befreiung.

Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Mai 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise festzustellen, dass der Kläger aufgrund des Bescheides der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 4. Januar 2002 in der Zeit vom 1. April 2005 bis 19. März 2015 in seiner Beschäftigung für die Beigeladene zu 1) weiterhin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war.

Der Kläger verteidigt den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid und verweist auf die Entscheidungen des BSG vom 13. Dezember 2018.

Die Beigeladenen haben sich mit Ausnahme der Beigeladenen zu 3) nicht zur Sache geäußert. Anträge haben die Beigeladenen zu 1) bis 3) keine gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet, überwiegend aber unbegründet.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Mai 2017 kann keinen Bestand haben, als das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2016 verurteilt hat, den Kläger auch für die Zeit vor der Antragstellung am 20. März 2015 von der Rentenversicherungspflicht zu befreien. Ein Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab Beschäftigungsaufnahme am 1. April 2005 besteht nicht, sondern nur ab Antragstellung am 20. März 2015, wie ihn die Beklagte anerkannt hat. Allerdings hat der Kläger entsprechend seinem Hilfsantrag einen Anspruch auf Feststellung, dass er infolge der Fortwirkung des Befreiungsbescheides vom 4. Januar 2002 auch in der Zeit vom 1. April 2005 bis 19. März 2011 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen gem. § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist dabei jeweils § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger bezüglich der streitgegenständlichen Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) zweifelsfrei vor.

Die Voraussetzungen einer Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht ergeben sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Nach dieser Vorschrift werden Beschäftigte und selbstständig Tätige von der Versicherungspflicht für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit befreit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist. Gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI wirkt die Befreiung vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrages an.

Vorliegend lagen die Befreiungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zugunsten des Klägers mit der Aufnahme der Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1) am 1. April 2005 grundsätzlich vor. Der Kläger übte, wie vom Sozialgericht zutreffend dargelegt und von der Beklagten nunmehr auch anerkannt, eine berufsspezifische Tätigkeit aus, war Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer und der entsprechenden Versorgungseinrichtung und zahlte seit Beschäftigungsbeginn einkommensbezogene Beiträge an das Versorgungswerk. Da der Befreiungsantrag vorliegend erst am 20. März 2015 gestellt wurde, wirkt die Befreiung wegen Versäumens der 3-Monatsfrist des § 6 Abs. 4 Satz 1 SGB VI aber erst ab Antragseingang, wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich ein Anspruch des Klägers auf Feststellung, dass er auch in der Zeit vom 1. April 2005 bis 19. März 2011 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit war, jedoch aus einer Fortwirkung der Befreiung, die mit Bescheid der BfA vom 4. Januar 2002 erteilt worden ist.

Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dahingehend gestellte Hilfsantrag stellt keine Klageänderung im Sinne von § 99 SGG, sondern lediglich eine Klarstellung des Antrags im Rahmen des von dem Kläger erhobenen Anspruchs (§ 123 SGG) dar. Denn der Kläger hat schon im Antrag vom 20. März 2015 die Bestätigung begehrt, dass die mit Bescheid vom 4. Januar 2002 erteilte Befreiung von der Rentenversicherungspflicht weiterhin bestehe, und die Beklagte hat darüber in den angefochtenen Bescheiden entschieden.

Die Auslegung des Bescheides vom 4. Januar 2002 ergibt, dass sich diese Befreiung nicht nur auf die seit 1. November 2001 ausgeübte Tätigkeit als Architekt bei E. und F. Architekten, B-Stadt, sondern auf alle berufsspezifischen Beschäftigungen als Architekt und damit auch auf die hier streitgegenständliche Beschäftigung erstreckt.

Die Entscheidung über die Befreiung gemäß § 6 Abs. 1 SGB VI ist gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI – von zeitlich befristeten Tätigkeiten nach Satz 2 abgesehen – allerdings grundsätzlich auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt. Aus dem klaren Wortlaut der Regelung ergibt sich, dass mit einer Befreiungsentscheidung keine umfassende Befreiung von der Versicherungspflicht auch für andere als die "jeweilig" ausgeübte Beschäftigung des Betroffenen in Betracht kommt, selbst wenn ursprüngliche und nachfolgende Erwerbstätigkeiten ähnlich sein mögen. Darüber hinaus ist dem Gesetzeswortlaut ebenfalls zu entnehmen, dass Anknüpfungspunkt einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung allein die (jeweilige) "Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit" des Betroffenen ist (BSG, Urteile vom 31. Oktober 2012, B 12 R 3/11 R, Rn. 16 ff., juris).

Aus dieser Gesetzeslage kann jedoch nicht automatisch abgeleitet werden, dass ausnahmslos jede Entscheidung der Beklagten über die Befreiung eines Pflichtmitglieds eines Versorgungswerks von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nur für eine ganz konkrete Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitgeber oder für eine bestimmte selbständige Tätigkeit gilt. Maßgeblich ist nicht, wie die Behörde bei zutreffender Rechtsanwendung hätte entscheiden müssen, sondern welche Regelung sie gegenüber dem Bürger unter Beachtung der allgemein anerkannten Auslegungsregeln tatsächlich getroffen hat (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 7.März 2018, B 5 RE 3/17 R, juris Rn. 31). Die Auslegung eines Verwaltungsaktes hat ausgehend von seinem Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens so zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern den wirklichen Willen der Behörde bzw. des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die den Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (BSG, Urteile vom 13. Dezember 2018, B 5 RE 3/18 R, Rn. 29 und B 5 RE 1/18 R, Rn. 49, Urteil vom 22. März 2018, B 5 RE 5/16 R, Rn. 27, jeweils juris).

Unter Beachtung dieser Vorgaben ist der Bescheid vom 4. Januar 2002 zunächst dahin zu verstehen, dass er den Kläger von der Rentenversicherungspflicht für die am 1. November 2001 bei E. und F. Architekten aufgenommene Beschäftigung mit Wirkung ab 1. November 2001 befreit. Diese Beschäftigungsbezogenheit der Befreiung ergibt sich aus dem konkreten Verfügungssatz in Verbindung mit dem damaligen Befreiungsantrag. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Bescheid aber auch, dass die Befreiung unabhängig von dieser Beschäftigung weiter gilt und jede weitere berufsspezifische Beschäftigung / Tätigkeit als Architekt erfasst.

Der Bescheid vom 4. Januar 2002 trägt die Überschrift "Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI)" und lautet nach der Bezeichnung des Namens des Klägers und der Grußformel wie folgt:
"Auf Ihren Antrag werden Sie von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten befreit.
Eingangsdatum des Befreiungsantrages
Art der berufsständischen Beschäftigung bzw. Tätigkeit 05. 12. 01 Architekt
Beginn des Beschäftigungsverhältnisses bzw. der Versicherungspflicht 01. 11. 01
Beginn der Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung und der Berufskammer 01. 11. 01
Versorgungseinrichtung
Versorgungswerk der Architektenkammer B-Stadt G-Straße, B-Stadt
Beginn der Befreiung 1. Nov. 2001

Die Befreiung gilt für die oben genannte und weitere berufsspezifische Beschäftigung / Tätigkeiten, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständigen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der Berufskammer besteht und solange Versorgungsabgaben beziehungsweise Beiträge in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die Befreiung zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären."
Danach folgt die Rechtsmittelbelehrung.

Bei der Auslegung solcher Verwaltungsakte ist nach der Rechtsprechung des BSG zu ähnlich gestalteten Befreiungsbescheiden der Beklagten zu beachten, dass ein Verfügungssatz bzw. eine Regelung grundsätzlich allein der Eingangssatz des Bescheides in Verbindung mit den ihm unmittelbar folgenden und ihn konkretisierenden (umrandeten) Ausführungen zum Beschäftigungsverhältnis und Beginn der Befreiung enthält. Dies ergibt sich sowohl aus der äußeren Gestaltung der Ausführungen als auch ihrem Inhalt. Durch die Umrandung der Verlautbarungen zu dem Eingangsdatum des Befreiungsantrags, der Art der berufsständischen Beschäftigung, dem Beginn des Beschäftigungsverhältnisses und der Pflichtmitgliedschaft in Versorgungseinrichtung und Berufskammer sowie dem Beginn der Befreiung werden diese von den nachfolgenden Erklärungen abgehoben und ihnen dadurch eine besondere Bedeutung beigemessen. Insbesondere aber sind allein sie individuell auf den Einzelfall bezogen. Diese Beschäftigungsbezogenheit der Befreiung ergibt sich dabei insbesondere im Zusammenhang mit dem damaligen Befreiungsantrag, der den Arbeitgeber und den Beginn des Beschäftigungsverhältnisses benennt (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 13. Dezember 2018, B 5 RE 3/18 R, Rn. 31 ff. und B 5 RE 1/18 R, Rn. 51 ff., Urteil vom 22. März 2018, B 5 RE 5/16 R, Rn. 30 ff., jeweils juris).

Im Vergleich zu den vom BSG entschiedenen Konstellationen weist der vorliegende Bescheid vom 4. Januar 2002 jedoch Besonderheiten auf. Die Ausführungen in diesem Bescheid beschränken sich nicht auf die konkret ausgeübte Beschäftigung, sondern gehen darüber hinaus. Demnach gilt die Befreiung ausdrücklich "für die obengenannten und weitere berufsspezifische Beschäftigungen". Mit der obengenannten Beschäftigung ist die des Architekten gemeint (siehe 2. Zeile des Verfügungssatzes). "Weitere berufsspezifische Beschäftigungen" meint nach dem klaren Wortlaut weitere Beschäftigungsverhältnisse im Sinne von § 7 SGB IV, solange eine berufsspezifische Tätigkeit ausgeübt wird. Dass der Kläger berufsspezifisch arbeitet, hat die Beklagte im vorliegenden Fall anerkannt. Eine Formulierung dergestalt, dass die Befreiung grundsätzlich auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt ist, wie dies den Entscheidungen des BSG vom 13. Dezember 2018 zugrunde lag, enthält der Bescheid vom 4. Januar 2002 gerade nicht.

Damit ist der Bescheid der BfA vom 4. Januar 2002 mit dem Wechsel der Beschäftigung von E. und F. Architekten zur Beigeladenen zu 1) zum 1. April 2005 nicht gegenstandslos geworden (§ 39 SGB X), sondern wirkt fort. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts wurde der Bescheid auch nicht durch den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2015 konkludent aufgehoben. Zum einen ging die Beklagte davon aus, den Bescheid vom 4. Januar 2002 nicht aufheben zu müssen, da dieser sich auf sonstige Art und Weise erledigt hab. Zum anderen sah die BfA selbst bei einer Aufgabe der berufsspezifischen Beschäftigung / Tätigkeit keinen Grund, den Befreiungsbescheid aufheben zu müssen, solange weiterhin die Kammermitgliedschaft bestehe (vgl. letzter Satz in den Hinweisen auf Seite 2 des Bescheides vom 4. Januar 2002).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt neben dem Kostenteilanerkenntnis der Beklagten den Umstand, dass der Kläger, der gegenüber der Beklagten von Beginn an auch die Weitergeltung der Befreiungsentscheidung geltend gemacht hat, mit seinem Begehren im Ergebnis in vollen Umfang Erfolg gehabt hat.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen in dem hier entschiedenen Einzelfall nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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