L 5 R 105/16

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 1 R 186/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 105/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 220/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 15. März 2016 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 25. November 2016 wird abgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger 3/10 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Verrechnung von Beitragsansprüchen der Beigeladenen gegen die dem Kläger zuerkannte Altersrente gemäß § 52 i. V. m. § 51 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I).

Mit Schreiben vom 21. Oktober 1992 zeigte die AOK Vogelsbergkreis, die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, gegenüber der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), die Rechtsvorgängerin der Beklagten, an, dass ihr der Kläger Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 11.474,72 DM schulde, und beantragte vorsorglich die Auf- bzw. Verrechnung mit eventuell zugebilligten oder in Zukunft gewährten Renten.

Seit dem 1. März 2012 bezieht der Kläger von der Beklagten Regelaltersrente mit einem monatlichen Zahlbetrag von anfänglich 833,79 EUR.

Mit Schreiben vom 8. Februar 2012 teilte die Beklagte der Beigeladenen den Rentenbezug des Klägers mit und wies darauf hin, dass in dessen Versicherungskonto in den Altdaten ein Forderungsersuchen der AOK Vogelsbergkreis ohne weitere Angaben abgespeichert sei. Die Beigeladene werde daher um Prüfung gebeten, inwieweit die damals ausgesprochene Forderung noch bestehe, sowie Angaben zum Rechtsgrund, dem Entstehungszeitpunkt und der Fälligkeit der Forderung nachzuholen.

Mit Schreiben vom 17. Februar 2012 teilte die Beigeladene unter Bezugnahme auf das Ersuchen vom 21. Oktober 1992 mit, dass sie weiterhin Inhaber einer Geldforderung gegen den Kläger sei. Es handele sich hierbei um einen öffentlich-rechtlichen Beitragsanspruch in Höhe von 5.886,42 EUR, der sich aus einer Hauptforderung vom 1. März 1985 bis 30. April 1985 in Höhe von 4.164,69 EUR und Vollstreckungskosten in Höhe von 1.721,73 EUR zusammensetze und sich durch noch mitzuteilende Säumniszuschläge weiter erhöhen werde. Die Beitragsforderung sei in den Monaten März 1985 und April 1985 entstanden und am 15. des jeweiligen Folgemonats fällig geworden. Die im rückständigen Zeitraum zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge seien vom Kläger als Arbeitgeber per Beitragsnachweis gemeldet worden. In der Sozialversicherung bedürfe es zur Entstehung des Beitragsanspruchs keiner Konkretisierung durch Einzelbescheid des Versicherungsträgers. Der Beitragsnachweis gelte für die Vollstreckung als Leistungsbescheid.

Mit Schreiben vom 28. Februar 2012 hörte die Beklagte den Kläger zu einem beabsichtigen Einbehalt von seiner Regelaltersrente in Höhe von monatlich 400 EUR an, wobei sie ihn insbesondere auch auf die Möglichkeit hinwies, eine Bedarfsbescheinigung des Sozialhilfeträgers vorzulegen, falls er durch den Einbehalt sozialhilfebedürftig werden sollte.

Von der ihm eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme machte der Kläger Gebrauch, indem er ausführte, dass seine monatliche Rente unterhalb jeglicher Pfändungsfreigrenze von Arbeitseinkommen liege und daher seine Hilfebedürftigkeit von Gesetzes wegen festgestellt sei (Schreiben vom 3. März 2012).

Mit Bescheid vom 29. März 2012 verrechnete die Beklagte die dem Kläger zustehende Altersrente in Höhe von 400 EUR mit der Beitragsforderung der Beigeladenen. Sie sei von der Beigeladenen ermächtigt worden, die geschuldeten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung für die Zeit vom 1. März 1985 bis 30. April 1985 (ggf. einschließlich Nebenforderungen) von 5.886,42 EUR (ggf. zuzüglich weiterer Zinsen, Säumniszuschläge) gegen die ihm zuerkannte laufende Geldleistung (Rente) zu verrechnen. Die laufende Zahlung der Rente werde mit Ablauf des Monats April 2012 eingestellt. Der Kläger erhalte ab 1. Mai 2012 monatlich 433,79 EUR.

Hiergegen erhob der Kläger am 23. April 2012 Widerspruch, den er damit begründete, dass Vollstreckungskosten nur nach Maßgabe des § 51 Abs. 1 SGB I verrechenbar seien und dass die Forderung der Beigeladenen bereits verjährt sei.

Nachdem sie eine Stellungnahme der Beigeladenen vom 15. Mai 2012 eingeholt hatte, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers durch Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2012 als unbegründet zurück.

Mit seiner am 25. Juli 2012 vor dem Sozialgericht Fulda erhobenen Klage wiederholte und vertiefte der Kläger seine bisherigen Argumente und trug hierbei vor allem vor, im März und April 1985 zahlungsunfähig und auch aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen zu sein, seiner Beitragspflicht nachzukommen. Sämtliche Geldeingänge auf seinem Konto seien damals von der Sparkasse C-Stadt mit eigenen Forderungen verrechnet worden. Von einer vorsätzlichen oder auch nur bedingt vorsätzlichen Beitragsvorenthaltung könne somit keine Rede sein. Es fehle an einem Leistungsbescheid der Beigeladenen mit eindeutiger Bekanntgabe der beizutreibenden Forderung, deren Höhe er daher ebenso wie diejenige der Säumniszuschläge bestreite. Die Vollstreckungskosten und Säumniszuschläge seien nicht tituliert und auch deshalb bereits verjährt. Der Sozialhilfeträger stelle ihm keine Bedarfsbescheinigung aus, weil seine Ehefrau ausreichendes Einkommen erziele. Bei einer Verrechnung in Höhe von 400 EUR könne allerdings kein Zweifel daran bestehen, dass Hilfebedürftigkeit eintrete. Die Beklagte habe ihr Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt.

Die Beklagte erwiderte, dass eine Verrechnung auch unterhalb der Pfändungsfreigrenze zulässig sei. Ob die Beitragsforderung rechtmäßig sei, prüfe sie als Rentenversicherungsträger nicht eigenständig, sondern nur, ob durch die Verrechnung Sozialhilfebedürftigkeit eintrete. Eben dies habe der Kläger jedoch nicht nachgewiesen.

Die mit Beschluss vom 22. Januar 2015 zum Klageverfahren beigeladene AOK Hessen führte aus, dass ihre Forderung nicht verjährt sei, weil der Kläger damals vorsätzlich Beiträge vorenthalten habe. Eine Zahlungsunfähigkeit schließe Vorsatz ebenso wenig aus wie die vom Kläger geltend gemachten gesundheitlichen Gründe. Eine gesonderte Feststellung der gesamten Forderungshöhe durch Bescheid sei nicht erforderlich, wenn Beitragsnachweise eingereicht worden seien. Abschließend legte die Beigeladene noch vier an den Kläger adressierte Schreiben vom 11. Januar 1999, 25. November 2002, 26. September 2006 und 17. August 2010 über Bestand und Höhe ihrer Forderung vor.

Ausweislich der vom Sozialgericht eingeholten Auskunft des Vogelbergkreises - Der Kreisausschuss vom 15. September 2014 führt eine Rentenkürzung von 400 EUR "definitiv" nicht zur Grundsicherungsbedürftigkeit des Klägers.

Durch Gerichtsbescheid vom 15. März 2016 wies das Sozialgericht sodann die Klage des Klägers ab. Die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung sei mit Blick auf § 51 Abs. 2 SGB I insbesondere auch der Höhe nach rechtmäßig. Die Rechtmäßigkeit der von der Beigeladenen geltend gemachten Beitragsforderung sei nicht mehr zu prüfen. Auch habe die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt.

Gegen den ihm am 15. März 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15. April 2016 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Zusammen mit der Vorlage der Berufungsbegründung stellte der Kläger am 15. Juli 2016 einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (Az. L 5 R 270/16 ER), zu dessen Begründung er vortrug, weder rechtlich noch tatsächlich in der Lage gewesen zu sein, die offenen Forderungen der Beigeladenen zu begleichen. Zahlungsunfähigkeit schließe ein vorsätzliches Vorenthalten im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) aus. Abgesehen davon sei diese Vorschrift wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung verfassungswidrig (Hinweis auf BVerfG, Az. 1 BvR 2457/08), so dass die vierjährige Verjährungsfrist gelte und daher die Forderung der Beigeladenen bereits verjährt sei. Im Übrigen hätte das Sozialgericht die Rechtmäßigkeit dieser Forderung sehr wohl prüfen müssen. Allein die Vorlage von Beitragsnachweisen durch einen seiner Mitarbeiter reiche für eine Verrechnung nicht aus, weil dies keinesfalls eine bestands- oder rechtskräftige Feststellung der Forderung über 5.886,42 EUR ersetze. Die insgesamt vier Schreiben der Beigeladenen seien ihm erstmals zusammen mit dem Gerichtsbescheid übersandt worden. Mangels Rechtsbehelfsbelehrung handele es sich hierbei jedoch nicht um Verwaltungsakte über den Bestand der Forderung, für die grundsätzlich die 30-jährige Verjährungsfrist gelte.

Durch Beschluss vom 4. Oktober 2016 ordnete der Senat die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 29. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 an, soweit damit die Beklagte auch Vollstreckungskosten in Höhe von 1.721,73 EUR gegen die dem Kläger zuerkannte Altersrente verrechnet. Im Übrigen wurde der Antrag des Klägers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Zur Begründung führte der Senat aus, dass die Voraussetzungen für eine Verrechnung auch der von der Beigeladenen geltend gemachten Vollstreckungskosten in Höhe von 1.721,73 EUR nicht erfüllt seien, weil es insoweit an einer Verrechnungslage fehle, für deren Vorliegen unter anderem die Gegenforderung entstanden und fällig sein müsse. Das sei hier nicht der Fall, da Vollstreckungskosten - anders als Beitragsansprüche nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV und Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV - nicht kraft Gesetzes entstehen würden, sondern durch Bescheid festzusetzen seien. Ein solcher Festsetzungsbescheid sei dem Kläger aber nicht wirksam bekanntgegeben worden.

Ansonsten sei der Bescheid vom 29. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 allerdings rechtmäßig, da insoweit die Voraussetzungen für eine Verrechnung nach § 52 i. V. m. § 51 Abs. 2 SGB I erfüllt seien. Der Beklagten liege eine wirksame Ermächtigungserklärung der Beigeladenen vor, deren Verrechnungsersuchen zumindest in der Fassung vom 17. Februar 2012 hinreichend substantiiert sei (Hinweis auf BSG, Urteil vom 24. Juli 2003, B 4 RA 60/02 R = SozR 4-1200 § 52 Nr. 1). Hinsichtlich der Forderung der Beigeladenen über 4.164,69 EUR sei zudem auch eine Verrechnungslage gegeben. Während mit Blick auf die dem Kläger bindend zuerkannte Altersrente nicht ernsthaft bezweifelt werden könne, dass die Hauptforderung entstanden und erfüllbar sei, sei die Beitragsforderung der Beigeladenen (Gegenforderung) gemäß § 22 Abs. 1 SGB IV in den Monaten März 1985 und April 1985 entstanden und nach § 23 Abs. 1 SGB IV i. V. m. § 26 ihrer Satzung am 15. des jeweiligen Folgemonats fällig geworden. Auch die bislang erhobenen Säumniszuschläge könnten bei der Geltendmachung von Beitragsansprüchen im Sinne des § 51 Abs. 2 SGB I berücksichtigt werden, weil sie als Nebenforderung Teil der Beitragsforderung seien (Hinweis auf LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. März 2015, L 1 R 425/14 B ER - juris Rdnr. 35 m.w.N.). Eine wirksame Verrechnung verlange demgegenüber nicht zwingend, dass die Gegenforderung des Leistungsträgers bestands- oder rechtskräftig geworden sein müsse. Dies sei jedenfalls dann entbehrlich, wenn die Gegenforderung in einer Beitragsforderung bestehe, deren Höhe auf eigenen Beitragsnachweisen des Leistungsberechtigten beruhe. Denn der Beitragsnachweis gelte gemäß § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV sogar als Leistungsbescheid der Einzugsstelle für die Vollstreckung im Sinne des § 66 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), was dann erst Recht als Beleg für eine nach § 52 SGB I verrechnungsfähige Gegenforderung ausreichen müsse. Denn das Argument für das Erfordernis einer bestands- oder rechtskräftigen Forderung, die Rechtsstellung des Leistungsberechtigten im Verhältnis zu dem die Verrechnung anstrebenden Schuldner nicht dadurch zu verschlechtern, dass dieser gezwungen werde, sich erstmals im "Verrechnungsverfahren" mit einem weiteren Anspruch auseinanderzusetzen, gehe nämlich dann ins Leere, wenn dem Leistungsberechtigten wie vorliegend dem Kläger - die Gegenforderung aufgrund seiner eigenen Angaben bekannt sein müsse (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Oktober 2007, L 8 B 1205/07 ER - juris Rdnr. 27). Die Beitragsforderung der Beigeladenen sei auch nicht verjährt, weil vorsätzlich vorenthaltene Beiträge erst in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs verjähren würden, in dem sie fällig geworden seien (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Der Kläger müsse sich vorwerfen lassen, im Zeitraum vom 1. März 1985 bis 30. April 1985 Beiträge vorsätzlich vorenthalten zu haben. Die von ihm behauptete Zahlungsunfähigkeit vermöge daran nichts zu ändern. Sie schließe Vorsatz im Sinne dieser Vorschrift schon deshalb nicht aus, weil es ein Schuldner auch dann billigend in Kauf nehme, Beiträge vorzuenthalten, wenn er bei Zahlungsunfähigkeit schlicht die Beitragszahlung unterlasse, von der er wisse, dass er zu ihr verpflichtet sei (Hinweis auf Segebrecht, in: jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 25 Rdnr. 39; Lüdtke/Winkler, in: Winkler, LPK-SGB IV, 2. Aufl. 2016, § 25 Rdnr. 8 m.w.N.; BGH, Versäumnisurteil vom 20. März 2003, III ZR 305/01 - juris). Als Alternativen zum bloßen Unterlassen der Zahlung bei wirtschaftlichem Unvermögen stünden dem Schuldner zumindest Stundung oder Ratenzahlung zur Verfügung. Deshalb könne auch bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners keine Rede davon sein, dass es an dem für Vorsatz unerlässlichen Willenselement fehle. Zielsetzung der langen Verjährung sei im Übrigen nicht eine "Bestrafung" des Zahlungspflichtigen. Vielmehr solle der Schuldnerschutz bei vorsätzlicher Nichtzahlung hinter das öffentliche Interesse der Liquidität der Versicherungsträger zurücktreten. Dass wirtschaftliches Unvermögen den Vorsatz im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ausschließen solle, überzeuge daher nicht. Die vom Kläger geltend gemacht Erkrankung rechtfertige ebenfalls keine andere Sicht der Dinge, da er sich dann das Verhalten seines Arbeitnehmers, dem er die Beitragsabrechnung übertragen habe, zurechnen lassen müsse. § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sei auch nicht verfassungswidrig, weil er weder gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG)) noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoße. Die vom Kläger in diesem Zusammenhang in Bezug genommene und zum Straßenausbaubeitragsrecht ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 5. März 2013, 1 BvR 2457/08 = BVerfGE 133, 143) sei auf § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV schon deshalb nicht übertragbar, weil die dort überprüfte Norm keine zeitliche Obergrenze für den Beginn der Verjährungsfrist bestimmt habe und es daher an einer Regelung fehlte, die der Abgabenerhebung eine bestimmte zeitliche Grenze setze. Eben das treffe auf § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht zu, der nicht den Beginn der Verjährungsfrist, sondern deren Ende regeln würde und damit der Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen sehr wohl eine bestimmte zeitliche Grenze setze. Durchgreifende Bedenken gegen die 30-jährige Verjährungsfrist als solche bestünden ebenfalls nicht. Denn abgesehen davon, dass eine derart lange Verjährungsfrist dem deutschen Recht nicht unbekannt sei (vgl. § 197 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); § 52 Abs. 2 SGB X), verfolge § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV das durchaus legitime Ziel, bei vorsätzlicher Nichtzahlung den durch Verjährungsvorschriften bezweckten Schuldnerschutz hinter das öffentliche Interesse an der Liquidität der Versicherungsträger für die Dauer von 30 Jahren zurücktreten zu lassen. In Anbetracht dessen bezwecke § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV einen Ausgleich der beiden widerstreitenden Interessen, ohne dass ersichtlich sei, dass der Gesetzgeber den ihm hierbei eingeräumten weiten Gestaltungsspielraum überschritten haben könnte. Vor diesem Hintergrund liege auch kein die Verfassungswidrigkeit begründender Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Ebenso wie die Beitragsforderung seien auch die geltend gemachten Säumniszuschläge nicht verjährt, weil Ansprüche auf Nebenleistungen ebenfalls in 30 Jahren verjähren würden, wenn die Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden seien (Hinweis auf BSG, Urteil vom 8. April 2002, 10 RAr 5/91 = SozR 3-2400 § 25 Nr. 4). Auch gegen die Verrechnungserklärung der Beklagten bestünden keine durchgreifenden Bedenken. Die Beklagte sei insbesondere berechtigt gewesen, die Verrechnung durch Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) zu regeln (Hinweis auf BSG Großer Senat, Beschluss vom 31. August 2011, GS 2/10 = SozR 4-1200 § 52 Nr. 4; BSG, Urteil vom 7. Februar 2012, B 13 R 109/11 R - juris), und habe hierbei außerdem nicht die Pfändungsfreigrenzen, namentlich nicht diejenigen für Arbeitseinkommen (§ 54 Abs. 4 SGB I i. V. m. § 850c Zivilprozessordnung (ZPO)), beachten müssen (Hinweis auf Urteil des erkennenden Senats vom 17. Mai 2013, L 5 R 336/12 - juris Rdnr. 34). Eine Hilfebedürftigkeit des Klägers im Sinne von § 51 Abs. 2 SGB I sei durch die Verrechnung in Höhe von 400 EUR monatlich nicht eingetreten, wie der Auskunft des Vogelsbergkreises vom 15. September 2014 entnommen werden könne. Dabei sei es rechtlich nicht zu beanstanden, dass bei der Bedürftigkeitsprüfung das Renteneinkommen der Ehefrau des Klägers mit herangezogen worden sei (Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. Februar 2012, B 13 R 85/09 R - juris Rdnr. 79 ff.). Eine aktuellere oder genauere Bedarfsberechnung habe der Kläger nicht vorgelegt, obwohl ihn insoweit eine Obliegenheit treffe (Hinweis auf Hessisches LSG, Urteil vom 8. April 2014, L 2 R 526/11 - juris). Die Beklagte habe schließlich auch in hinreichendem Umfang das ihr zustehende und im Rahmen von § 52 i. V. m. § 51 Abs. 2 SGB I grundsätzlich auch auszuübende Ermessen betätigt, weil sie sogar berechtigt gewesen wäre, 416,89 EUR monatlich einzubehalten.

Nachdem sich der Kläger nicht mit einer Erledigung des Berufungsverfahrens auf der Grundlage dieses Beschlusses einverstanden erklärt hatte, weil dem Rechtsstreit eine Vielzahl von Sach- und Rechtsfragen zugrunde liegen würde, die auch anders beurteilt werden könnten, hat die Beklagte mit Bescheid vom 25. November 2016 die zu verrechnende Forderungshöhe auf 4.164,69 EUR reduziert.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 15. März 2016, den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 sowie den Bescheid vom 25. November 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 15. März 2016 zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 25. November 2016 abzuweisen.

Zur Begründung nimmt die Beklagte Bezug auf die Entscheidungsgründe der ersten Instanz.

Die Beigeladene stellt keinen bestimmten Antrag, führt aber aus, dass der Kläger als Arbeitgeber stets für die Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge verantwortlich bleibe, er vorsätzlich Beiträge vorenthalten habe und eine bestandskräftige Feststellung der zur Verrechnung gestellten Beitragsansprüche nicht erforderlich sei. Außerdem sei ihre Beitragsforderung nicht verjährt, zumal ihre Bescheide vom 11. Januar 1999, 25. November 2002, 26. September 2006 und 17. August 2010 die Verjährung unterbrochen bzw. gehemmt hätten.

Auf Nachfrage des Senats hat die Beklagte mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 erklärt, dass die Forderung der Beigeladenen im Februar 2017 getilgt sein werde. Ab März 2017 erhalte der Kläger dann seine Altersrente wieder in voller Höhe ausbezahlt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze, auf die beigezogene Gerichtsakte L 5 R 270/16 ER sowie auf die den Kläger betreffende Rentenakte. Deren Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung und Klage des Klägers bleiben ohne Erfolg.

Streitgegenständlich ist nur noch die von der Beklagten verfügte Verrechnung der Regelaltersrente des Klägers gegen die Beitragsforderung der Beigeladenen nebst Säumniszuschlägen in Höhe von zusammen 4.164,69 EUR. Angefochten sind insoweit der Bescheid der Beklagten vom 29. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 (§ 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) sowie der Bescheid vom 25. November 2016, der gemäß § 153 Abs. 1 i. V. m. § 96 Abs. 1 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. Über den Bescheid vom 25. November 2016 entscheidet der Senat dabei auf Klage (vgl. BSG, Urteil vom 25. Februar 2010, B 13 R 61/09 R = SozR 4-5050 § 22 Nr. 10; BSG, Urteil vom 30. Januar 1963, 2 RU 35/60 = SozR Nr. 17 zu § 96 SGG). Da jener zuletzt ergangene Bescheid den ursprünglichen Verrechnungsbescheid vom 29. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012 nicht vollumfänglich ersetzt hat, sondern hiermit lediglich die Höhe der zu verrechnenden Forderung reduziert wurde, ist das erstinstanzliche Urteil nicht gegenstandslos geworden. Hiergegen setzt sich der Kläger daher weiterhin mit der Berufung gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 SGG zur Wehr.

In diesem streitgegenständlichen Umfang bleiben Berufung und Klage des Klägers in der Sache ohne Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 29. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Juni 2012, geändert durch Bescheid vom 25. November 2016, ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG.

Gegen die Verrechnung der Beklagten wendet sich der Kläger zutreffend mit der isolierten Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG (vgl. Siefert, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 93. Erg.-Lfg., Stand: März 2017, § 52 SGB I Rdnr. 25).

Diese Anfechtungsklage ist zulässig. Insbesondere fehlt dem Kläger mittlerweile nicht etwa das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil bereits mit Ablauf des Monats Februar 2017 die Gegenforderung der Beigeladenen vollständig getilgt ist. Die Verrechnung der Beklagten hat sich hierdurch nicht auf andere Weise im Sinne von § 39 Abs. 2 SGB X erledigt.

Eine Erledigung im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X tritt ein, wenn der Verwaltungsakt seine regelnde Wirkung verliert oder die Ausführung seines Hauptverfügungssatzes rechtlich oder tatsächlich unmöglich geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 1993, 4 RA 40/92 = BSGE 72, 50). Das ist nach vollständiger Tilgung der Gegenforderung durch Verrechnung indes nicht der Fall. Denn einem Verwaltungsakt, mit dem der Rentenversicherungsträger über eine Auf- oder Verrechnung entscheidet, kommt insoweit rechtsgestaltende Wirkung zu, als er den Auszahlungsanspruch des Rentenempfängers hinsichtlich der im Rentenbescheid festgelegten Art und Weise seiner Erfüllung modifizieren und zum Erlöschen bringen will (vgl. BSG, Urteil vom 7. Februar 2012, B 13 R 85/09 R - juris Rdnr. 41 m.w.N.). Solange aber die - grundsätzlich mit Bekanntgabe eintretende - Wirksamkeit (§§ 37, 39 Abs. 1 SGB X) eines solchen Verwaltungsaktes zwischen den Beteiligten nicht verbindlich feststeht (§§ 77, 141 SGG), es vielmehr noch Gegenstand eines (gerichtlichen) Verfahrens ist, ob er Bestand hat oder der Aufhebung mit Wirkung ex-tunc unterliegt, ist ein derartiger Verwaltungsakt weiterhin geeignet, rechtliche Wirkungen - die genannten Gestaltungswirkungen - zu erzeugen. Mithin hat sich ein entsprechender Verwaltungsakt auch dann noch nicht vollständig erledigt, wenn der Leistungsträger während eines laufenden Rechtsstreits von den monatlichen Rentenzahlungen insgesamt einen Betrag in Höhe der zur Auf- oder Verrechnung gestellten Gegenforderung einbehalten hat. Denn bei Erfolg der Klage muss er die einbehaltenen Beträge an den Berechtigten auskehren, weil der Rechtsgrund für den Einbehalt dann entfallen ist (vgl. zum Vorstehenden: BSG, Urteil vom 14. März 2013, B 13 R 5/11 R - juris Rdnr. 21 m.w.N.).

Dass die streitgegenständliche Verrechnung der Beklagten über noch 4.164,69 EUR rechtmäßig ist, hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 4. Oktober 2016 ausführlich dargelegt, wobei er sich umfassend mit den vom Kläger vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt hat (Az. L 5 R 270/16 ER). Da der Kläger im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens keine vertiefenden oder zusätzlichen Argumente vorgebracht hat, die sein Anfechtungsbegehren stützen könnten, sondern lediglich pauschal darauf hingewiesen hat, dass die Sach- und Rechtslage auch anders beurteilt werden könne, verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen im Beschluss vom 4. Oktober 2016 und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Nur ergänzend sei zu den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Einwänden - nochmals - auszuführen:

Der Senat hält auch im Hauptsacheverfahren daran fest, dass bei einer Verrechnung gemäß § 52 i. V. m. § 51 SGB I die Gegenforderung des Leistungsträgers nicht bestands- oder rechtskräftig geworden sein muss. Das folgt aus § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV, wonach die vom Arbeitgeber der Einzugsstelle zu übermittelnden Beitragsnachweise für die Vollstreckung als Leistungsbescheide der Einzugsstelle gelten. Dann müssen diese Beitragsnachweise aber auch zum Nachweis einer Forderung im Rahmen einer Verrechnung ausreichen. Denn wenn eine Forderung auf Grund eines Bescheides vollstreckbar ist, muss sie erst Recht - als einfacheres und in Bezug auf Kosten "milderes" Mittel zur Befriedigung des Gläubigers ohne Mitwirkung des Schuldners - Grundlage einer Verrechnung sein können (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Februar 2017, L 10 R 1501/16 - juris Rdnr. 26).

Dass der Kläger seinen eigenen Angaben zufolge für die Vorenthaltung der Beiträge strafrechtlich nicht verurteilt, sondern freigesprochen worden sei, ändert nichts daran, dass vorliegend gleichwohl die 30-jährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV zum Tragen kommt. Denn die zu § 266a Strafgesetzbuch (StGB) für die Fälle einer vollständigen Zahlungsunfähigkeit entwickelten Grundsätze sind für die Auslegung des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV schon deshalb nicht heranzuziehen, weil beide Vorschriften unterschiedliche Zielrichtungen haben. § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV ist gerade nicht darauf gerichtet, den Zahlungspflichtigen zu bestrafen, sondern bezweckt, dass der Schuldnerschutz bei vorsätzlicher Nichtzahlung hinter das öffentliche Interesse der Liquidität der Versicherungsträger zurücktreten soll. Aus einer unterbliebenen Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB darf somit nicht zwangsläufig auf das Fehlen eines Vorsatzes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV geschlossen werden.

Der Hinweis des Klägers darauf, in der Zeit von März 1985 bis Anfang Mai 1985 stationär behandelt worden zu sein, so dass ihm auch deshalb kein vorsätzliches Vorenthalten im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV vorgeworfen werden könne, geht schließlich ebenfalls ins Leere. Denn abgesehen davon, dass der Kläger sich in dieser Zeit dann das Verhalten eines Arbeitnehmers, dem er die Beitragsabrechnung übertagen hatte, zurechnen lassen muss (vgl. Udsching, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 1/12, § 25 SGB IV Rdnr. 4 m.w.N.), wie der erkennende Senat bereits in seinem Beschluss vom 4. Oktober 2016 dargelegt hat, muss der Vorsatz nicht schon im Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge vorliegen. Für die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist genügt es vielmehr, wenn der Vorsatz noch während des Laufs der vierjährigen Verjährungsfrist eintritt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2000, B 12 KR 14/99 R = SozR 3-2400 § 25 Nr. 7). Hiervon ist vorliegend bei einer Entlassung des Klägers aus dem Krankenhaus bereits Anfang Mai 1985 jedoch zweifelsfrei auszugehen.

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 15. März 2016 zurückzuweisen und seine Klage gegen den Bescheid vom 25. November 2016 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Beklagte mit der Reduzierung der zu verrechnenden Forderung von ursprünglich 5.886,42 EUR auf 4.164,69 EUR durch Bescheid vom 25. November 2016 dem Anfechtungsbegehren des Klägers zumindest teilweise entsprochen hat. Da die Beigeladene keinen Sachantrag gestellt hat, erscheint es angemessen, sie nicht mit außergerichtlichen Kosten des Klägers zu belasten.

Revisionszulassungsgründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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