L 8 KR 487/19 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 34 KR 1312/19 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 487/19 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. November 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers mit dem Antrag (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. November 2019 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn vorläufig im Rahmen der Sachleistung mit Cannabisblüten zu versorgen,

ist in der Sache nicht begründet.

Wegen des Sachverhalts und der rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der vorliegend allein in Betracht kommenden Regelungsanordnung gem. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, insbesondere dem Erfordernis des Vorliegens und der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes, wird auf die zutreffenden Darlegungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen Beschluss Bezug genommen, die von den Beteiligten auch nicht infrage gestellt werden.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch im Beschwerdeverfahren nicht gegeben. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Gem. § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn

1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung

a) nicht zur Verfügung steht oder

b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,

2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.

Gem. § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V bedarf die Leistung bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Verordnet die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt die Leistung nach Satz 1 im Rahmen der Versorgung nach § 37b SGB V, ist über den Antrag auf Genehmigung nach Satz 2 abweichend von § 13 Absatz 3a Satz 1 innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden (§ 31 Abs. 6 Satz 3 SGB V).

Zwar sprechen, wie bereits das Sozialgericht festgestellt hat, gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die bei dem Antragsteller vorliegende hemiplegische Migräne iSv § 31 Abs. 6 SGB V als schwerwiegende Erkrankung zu bewerten ist; davon geht auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in seinem Gutachten vom 22. März 2019 aus.

Jedoch ist nicht glaubhaft gemacht, dass zur Behandlung dieser Krankheit eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann.

Für den Senat ist nicht zu erkennen, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Behandlung der hemiplegischen Migräne nicht zur Verfügung steht. Bei dem Antragsteller sind die zur Verfügung stehenden Optionen zur Therapie der Migräne als einer weit verbreiteten und gut erforschten Krankheit nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht ausgeschöpft. Eine kontinuierliche fachärztliche Behandlung über einen längeren Zeitraum unter Einsatz der verschiedenen möglichen Therapieoptionen hat nicht erkennbar stattgefunden. Soweit der Antragsteller auf die Behandlung bei dem Neurologen und Psychiater Dr. C. verweist, ergibt sich aus dessen Befundbericht für das Sozialgericht und der ergänzend eingeholten Auskunft des Senats, dass sich der Antragsteller dort lediglich zweimal (im September und Dezember 2018) vorgestellt hat. Hierbei wurde ein neues Medikament (Betablocker Propranopol) probiert, welches aber nach den Angaben des Antragstellers keinen positiven Effekt hatte. Dr. C. empfahl daraufhin die Einnahme des Antidepressivums Trimipramin in höherer als bisher angewandter Dosis. Dieses Medikament setzt der Antragsteller nach seinem Vortrag in der Beschwerde auch weiterhin ein; ansonsten verwendet er lediglich Ibuprofen und Thomapyrin. Eine darüberhinausgehende, spezifische Migränetherapie hat in der jüngsten Vergangenheit nach Auskunft von Dr. C. als auch der Hausärztin D. nicht stattgefunden, obwohl für die Behandlung der chronischen Migräne eine breite Auswahl an Medikamenten und anderen therapeutischen Möglichkeiten zur Verfügung steht. Dr. C. hat auf verschiedene weitere Behandlungsoptionen mittels Betablocker, Antidepressiva, Kalziumantagonisten (Flunarizin), Medikamente aus der Epilepsietherapie sowie Botox verwiesen, bei deren Versagen zudem die Therapie mit CGRP-Antagonisten zur Verfügung stehe. Das deckt sich mit den Aussagen des MDK im sozialmedizinischen Gutachten vom 22. März 2019, welches ebenfalls eine Vielzahl möglicher Therapieansätze beschreibt und darauf verweist, dass die Wirksamkeit der Betablocker Metoprolol und Propranolol, des Kalziumantagonisten Flunarizin, der Antikonvulsiva Topiramat und Valproinsäure und von Amitryptilin in der Migräneprophylaxe am besten durch randomisierte Studien belegt sei. Dr. C. hat ferner auf die Möglichkeit einer – von ihm dem Antragsteller empfohlenen - multimodalen Schmerztherapie (z.B. in der Migräneklinik Königstein) hingewiesen. Von all diesen therapeutischen Möglichkeiten hat der Antragsteller - auch nach den Angaben der Hausärztin D. im Befundbericht an das Sozialgericht – bislang keinen Gebrauch gemacht. Insoweit ist die Behauptung des Antragstellers, nach Auskunft von Dr. C. seien alle verfügbaren Medikamente erschöpft, nicht nachvollziehbar.

Eine Versorgung mit Cannabisblüten auf der Grundlage des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr 1 b) SGB V kommt ebenfalls nicht in Betracht. Weder aus den ärztlichen Stellungnahmen der Hausärztin D. noch des Neurologen und Psychiaters Dr. C. geht begründet hervor, dass das noch zur Verfügung stehende, vielfältige Therapiespektrum zur Behandlung der Migräne unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes bei dem Antragsteller nicht zur Anwendung kommen kann. Vielmehr hat Dr. C., dem als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie insoweit besondere Kompetenz zu attestieren ist, in seinem Befundbericht solche weiteren Behandlungsmöglichkeiten bejaht.

Darüber hinaus fehlt es aus Sicht des Senats für einen Therapieversuch mit Cannaboiden bei Migräne aktuell an einer ausreichenden Datenlage. Zwar erfordert § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 SGB V keinen Wirksamkeitsnachweis nach den Maßstäben evidenzbasierter Medizin, jedoch bedarf es einer gewissen Mindestevidenz im Sinne des Vorliegens erster wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass bei dem konkreten Krankheitsbild durch den Einsatz von Cannaboiden ein therapeutischer Erfolg zu erwarten ist (dazu näher Senat, Beschluss vom 20. Februar 2018 – L 8 KR 445/17 B ER –, juris). Für die symptomatische Behandlung von Migräne fehlt es nach derzeitigem Erkenntnisstand an dahingehenden ausreichenden Indizien. Der MDK legt in seinem Gutachten vom 22. März 2019 dar, dass die klinische Evidenz bei Cannabioiden in der Kopfschmerzbehandlung gering ist. Indiziengestützte Hinweise auf einen möglichen Behandlungserfolg seien zwar vorhanden, jedoch werde selbst eine Mindestevidenz im Sinne einer vergleichenden Untersuchung mit kleiner Fallzahl noch nicht erreicht. Auch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. verweist darauf, dass die Studienlage bei Migräne und Kopfschmerzen im Moment noch zu dürftig ist, um Cannabinoide für eine reguläre Behandlung zu empfehlen (www.medsach.de/aktuelle-meldungen/warnung-vor-cannabis-zur-kopfschmerztherapie, recherchiert am 15. Februar 2020).

Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kann nicht gewährt werden, weil die Beschwerde aus den Gründen dieses Beschlusses nicht die nach § 73a SGG i.V.m. § 144 Zivilprozessordnung erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht hatte.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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