S 12 AS 32/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AS 32/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 B 49/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGBII) zu gewähren wird abgelehnt.

Die Antragsgegnerin trägt 4/5 der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Antragsteller und seinem Sohn aufgrund seines Leistungsantrages vom 29.04.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) zustehen.

Der am 00.00.1972 geborene Antragsteller stellte am 29.04.2004 einen SGB II Folgeantrag bei der Antragsgegnerin. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12.05.2005 ab und führte zur Begründung aus, dass eine örtliche Zuständigkeit der Stadt Q wegen eines in Q nicht begründeten gewöhnlichen Aufenthalts nicht gegeben sei. Nachfragen der Mitarbeiter des Sozialamtes habe der Antragsteller nicht bzw. unzureichend beantwortet, so dass die Wohnverhältnisse nicht hätten geklärt werden können. Zudem beständen gleichlautende Zeugenaussagen unter anderem des Vermieters Herrn M, nach der der Antragsteller persönlich die Wohnung nicht bewohne. Auch der Hauptmieter der Wohnung des Antragstellers habe ausgeführt, dass sich dieser überwiegend bei seiner Lebensgefährtin in N aufhalte. Lediglich gelegentlich würde er seinen Sohn N1 in J besuchen. Weil der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in N habe, sei die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nicht gegeben. Auch für den Sohn N1 ergebe sich kein Leistungsanspruch nach dem SGB II, da er nicht mit einer erwerbsfähigen hilfebedürftigen Person in einer Bedarfsgemeinschaft lebe.

Am 24.05.2005 hat der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt und hierzu im Wesentlichen vorgetragen, dass er im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Er wohne zusammen mit seinem Sohn N1 als Untermieter in der Wohnung des S, B Straße 0, 00000 Q. Am 12.04.2005 habe er einen Anruf von der in N lebenden Frau S1 erhalten, in dem sie ihm mitgeteilt habe, dass sie sich umgehend in stationäre Behandlung begeben müsse. Da er der Vater von zwei Kindern der Frau S1 sei, habe diese ihn gebeten, sich um die Kinder zu kümmern. Er habe deshalb seine Sachen gepackt und sei mit seinem Sohn für die Zeit des stationären Aufenthalts in die Wohnung von Frau S1 gezogen. Dies habe er dem zuständigen Sozialamt mitgeteilt. Dieses habe daraufhin seine Leistungen ab dem 01.05.05 gesperrt und ihm zu verstehen gegeben, dass er Sozialhilfe dort beantragen müsse, wo er sich aufhalte. Ende Mai sei er wieder in seine Wohnung in Q zurückgekehrt.

Zur weiteren Begründung überreicht der Antragsteller unter anderem eine ärztliche Bescheinigung des Klinikums N über den stationären Aufenthalt der Frau B1- D S2.

Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm und seinem Sohn für die Zeit vom 01.05.2005 an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück zuweisen.

Zur Begründung teilt sie mit, dass sie aufgrund des dem Grunde nach unstrittig gegebenen Anspruchs an den Antragsteller und seinen Sohn 80% der Regelleistung ab Antragsteilung bis einschließlich Juni auszahle. Die weitere Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich der Frage der Wohnverhältnisse solle im sich anschließenden weiteren Verwaltungsverfahren erfolgen. Bisher lägen eine Reihe von Anhaltspunkten vor, die darauf schließen ließen, dass der Antragsteller sich gewöhnlich in N aufhalte, eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliege und die Wohnverhältnisse in Q lediglich konstruiert sein.

Ein Grund für eine einstweilige Anordnung zur Gewährung vorläufiger Leistungen sei nicht zu erkennen, da der Antragsteller selbst den Anlass dafür gegeben habe, dass die Ansprüche noch nicht abschließend geprüft worden sein. Durch die beharrliche Antragsteilung bei der Stadt Q und die unterbliebene Antragstellung in N habe es der Antragsteller zu vertreten, wenn er noch nicht die Leistungen erhalte, die ihm nach den Bestimmungen des SGB II zuständen. Schließlich sei festzustellen, dass Antragsgegner der Kreis Minden-Lübbecke sei und nicht die Stadt Q.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der von der Antragsgegnerin beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Gründe:

II.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig.

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die örtlich zuständige Stadt, als für die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuständige Behörde anzusehen. Der Kreis Minden-Lübbecke hat gemäß § 1 der Satzung über die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II im Kreis Minden-Lübbecke als nach § 6 a Abs. 2 SGB II zugelassener kommunaler Träger der Leistungen nach dem § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II den kreisangehörigen Städten und Gemeinden zur Entscheidung im eigenen Namen die Durchführung der in §§ 4 und 5 dieser Satzung bezeichneten Aufgaben übertragen. Somit ist die Stadt Q - hier die Antragsgegnerin - im Verhältnis zum Kreis die zuständige Leistungsträgerin. Dem Kreis Minden-Lübbecke obliegt die Prozessvertretung gemäß § 71 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Dies ergibt sich aus § 8 Satz 1 der oben genannten Satzung, wonach die Durchführung von Rechtsbehelfs- und Streitverfahren in allen Fällen dem Kreis obliegt.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines bestehenden Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung).

Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsordnung).

Erforderlich ist in beiden Fällen, dass dem Antragsteller a) ein Anordnungsanspruch und b) ein Anordnungsgrund zusteht (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 86 b Rd.Nr. 27 ff.)

Für eine vorläufige Entscheidung, d. h. vor Entscheidung der Antragsgegnerin vor dem Widerspruch des Antragstellers bzw. vor Entscheidung des Gerichts über eine gegebenenfalls vom Antragstellers erhobene Klage, müssen gewichtige Gründe vorliegen; dies ist der sogenannte Anordnungsgrund. Er liegt vor, wenn dem Antragsteller wesentliche insbesondere irreversiblen Nachteile drohen, die für ihn ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar machen und die Regelung zur Verhinderung dieser unzumutbaren Nachteile durch eine Anordnung nötig erscheint (vgl. BverfG, Beschluss vom 19.10.1977, Aktenzeichen: 2 BvR 42/76).

Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens liegen in der Sicherung der Entscheidungsfähigkeit und der prozessuallen Lage, um eine endgültige Rechtsverwirklichung im Hauptsacheverfahren zu ermöglichen. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren will nichts anderes, als allein wegen der Zeitdimension der Rechtserkenntnis und der Rechtsdurchsetzung im Hauptsacheverfahren eine zukünftige oder gegenwärtige prozessualle Rechtsstellung vor zeitüberholenden Entwicklungen sichern (so ausdrücklich: Sächsisches LSG, Beschluss vom 11.02.2004, Aktenzeichen: L 1 B 227/03 KR-ER).

Eine einstweilige Anordnung ergeht demnach nur, wenn sie zur Abwendung wesentlicher, nicht wiedergutzumachender Nachteile für den Antragsteller notwendig ist. Dabei hat der Antragsteller wegen der von ihm geltend gemachten Eilbedürftigkeit der Entscheidung die Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 202 SGG, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO), also Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Einen solchen Anordnungsgrund hat der Antragsteller zur Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft gemacht. Wie er selbst ein räumt hat die Antragsgegnerin 80 Prozent der Regelleistungen für ihn und seinen Sohn ab Antragstellung bis einschließlich Juni gezahlt. Bei dieser Sachlage ist zur Überzeugung des Gerichts seitens des Antragstellers nicht glaubhaft dargelegt und nachgewiesen worden, dass ihm durch ein Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache wesentliche Nachteile drohen. Durch die Zahlung von 80 Prozent der Regelleistung wird ihm ein das Existenzminimum wahrendes Leben grundsätzlich ermöglicht. Anhaltspunkte dafür, dass die Zahlung von 80 Prozent der Regelleistungen das Existenzminimum unterschreitet, sind von dem Antragsteller weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden. Sollte die Antragsgegnerin bis zur Entscheidung über ihren Widerspruch die Zahlung von 80 Prozent der Regelleistung erneut einstellen, steht es dem Antragsteller frei, erneut einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen. Die Zahlung von 80 Prozent der Regelleistung durch die Antragsgegnerin sind auch deshalb nicht zu beanstanden, weil auch im einstweiligen Rechtschutzverfahren keine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgen soll. Demgemäß wäre auch bei einer gerichtlichen Anordnung die vorläufig zu zahlende Leistung auf 80 Prozent des Regelsatzes begrenzt worden (vgl. SG Düsseldorf, Beschluss vom 26.01.2005, Aktenzeichen: S 35 AS 6/05 ER).

Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 183,193 SGG. Hierbei hat das Gericht berücksichtigt, dass dem Grunde nach ein Anspruch des Antragstellers gegeben war und die Antragsgegnerin bei Nichtgewährung der 80 Prozent der Regeiieistungen auch gerichtlicherseits hierzu verpflichtet worden wäre.
Rechtskraft
Aus
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