S 44 KR 701/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
44
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 44 KR 701/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2001 wird aufgehoben. II. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten einer C-Leg-Versorgung des Klägers zu übernehmen. III. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Versorgung des Klägers mit einem sog. C-Leg, das heißt einer elektronisch gesteuerten Beinprothese.

Der 1970 geborene Kläger erlitt im Jahre 1991 einen Motorradunfall, in dessen Folge sein linkes Bein bis oberhalb des Knies amputiert werden musste. Als gelernter Schreiner absolvierte er nach dem Unfall eine Umschulung zum Zahntechniker, zuletzt arbeitete er als Lagerist. Der Kläger lebt in einer festen Partnerschaft und hat eine Tochter im Kleinkindalter. Bislang war der Kläger mit drei herkömmlichen Oberschenkelprothesen versorgt, wegen Abnutzung steht nun eine Neuversorgung an. Unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Frau Dr. A. über eine Oberschenkelprothese links und eines Kostenvoranschlages des Orthopädie- und Sanitätshauses T. vom 11.10.2000 über ein C-Leg Versorgungspaket in Höhe von insgesamt 48.231,23 DM beantragte der Kläger am 18.10.2000 bei der Beklagten die Versorgung mit dem streitgegenständlichen C-Leg. Es handelt sich hierbei um ein High-Tech-Einachskniegelenk mit elektronisch gesteuerter hydraulischer Standphasensicherung und Schwungphasensteuerung. Mit Schreiben vom 17.11.2000 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Kostenübernahme unter Hinweis auf ein sozialmedizinisches Gutachten des MDK ab. In diesem Gutachten nach Aktenlage war eine Kostenübernahme nicht befürwortet worden, weil es sich bei dem Kläger um einen körperlich hochaktiven Patienten handle, der außer der Oberschenkelamputation über keine zusätzlichen körperlichen Behinderungen verfüge und auch im sozialen Umfeld keinen außergewöhnlichen Anforderungen ausgesetzt sei. Nach einer Kostennutzenrelation gehöre daher der Kläger nicht zu dem Personenkreis, dem die teure C-Leg-Versorgung zur Verfügung gestellt werden sollte. Darüberhinaus sei nach Ansicht des Orthopädietechnikers der Kläger optimal mit Prothesen versorgt. Nachdem das Sanitätshaus T. unter Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens des Chefarztes der Chirurgischen Abteilung des Krankenhauses L., Herr Dr. U., nochmals auf die Notwendigkeit der Versorgung des Klägers mit einem C-Leg hingewiesen hatte, erließ die Beklagte nach nochmaliger Einschaltung des Medizinischen Dienstes am 18.1.2001 gegenüber dem Kläger einen Bescheid, in dem die Kostenübernahme des C-Legs nochmals abgelehnt wurde. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass sich die Krankenkassen mit dem Hersteller und Vertretern der klinischen Orthopädie sowie der Orthopädie-Technikerinnung darauf geeinigt hätten, unter welchen Voraussetzungen bei Patienten ein C-Leg indiziert sein könne. Darüberhinaus müsse sichergestellt sein, dass die konventionelle Prothesenversorgung optimiert sei, d.h. nicht mehr verbessert werden könne. Auch dies sei im Fall des Klägers nicht nachgewiesen, da der Gutachter des MDK die Versorgung mit einem sog. Cat-Cam-Schaft empfohlen habe. Sofern das Kniegelenk der derzeitigen Prothese verschlissen sei, werde eine Kostenübernahme für einen Ersatz der gleichen Prothese befürwortet. Am 5.2.2001 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, da der von der Beklagten empfohlene Cat-Cam-Schaft bei einer Anprobe zwar zu einer Verbesserung des Tragekomforts geführt habe, aber die dringend benötigte Sicherung des Kniegelenks zum Schutz vor Stürzen nicht besser geworden sei. Am 8.6.2001 erging schließlich der Widerspruchsbescheid der Beklagten, mit dem dem Widerspruch des Klägers insoweit teilweise abgeholfen wurde, als sich die Beklagte verpflichtete, die Kosten der Versorgung mit einem Hilfsmittel in Höhe von 21.990,71 DM zu übernehmen. Hierbei handle es sich um die Kosten für eine herkömmliche Prothesenversorgung beim Kläger; eine darüber hinausgehende C-Leg-Versorgung sei nicht erforderlich und nicht wirtschaftlich. Hiergegen wurde am 27. Juni 2001 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben, das das Verfahren mit Beschluss vom 24.8.2001 wegen örtlicher Unzuständigkeit an das Sozialgericht München verwies. Zur Klärung der medizinischen Fragen beauftragte das erkennende Gericht die Fachärztin für Orthopädie Frau Dr. C. mit der Erstellung eines sozialmedizinischen Gutachtens. Frau Dr. C. kam in ihrem Gutachten vom 8.7.2002 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zusammenfassend zu folgenden Feststellungen: Der Kläger leide an Überlastungsbeschwerden am rechten Kniegelenk, der Lendenwirbelsäule und den Schultergelenken durch immer wieder notwendiges Gehen mit Unterarmgehstützen. In der Vergangenheit hätten sich mehrfache Stürze ereignet. Der Oberschenkelstumpf des Klägers sei durch seine Kürze funktionell ungünstig. Zum Erhalt der privaten und beruflichen Leistungsfähigkeit hat die Sachverständige die bestmögliche Versorgung mit einer C-Leg-Prothese für sinnvoll erachtet. Eine solche könne auch zur Vermeidung von Be- und Überlastungsbeschwerden beitragen.

Mit Beschluss vom 12.10.2001 hat das Gericht den zuständigen Rentenversicherungsträger des Klägers beigeladen.

In der mündlichen Verhandlung vom 21.2.2003 beantragt der Kläger,

den Bescheid der Beklagten vom 18.1.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die gesamten Kosten einer C-Leg-Versorgung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, daß der Kläger mit einer herkömmlichen Prothesenversorgung ausreichend versorgt ist und darüberhinaus aufgrund der beruflichen Erfordernisse auch die Beigeladene zur Kostentragungspflicht herangezogen werden könne.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Klageakte sowie die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 51 I Nr. 1 i.V.m. § 57 I 1 SGG an das sachlich und örtlich zuständige Sozialgericht gerichtete Klage ist zulässig und begründet, da der Kläger von der Beklagten die Versorgung mit einem sog. C-Leg verlangen kann. Der Anspruch gründet sich auf § 33 Abs. 1 SGB V; hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern (Alternative 1) oder eine Behinderung auszugleichen (Alternative 2), soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Bei einer Beinprothese handelt es sich offensichtlich weder um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, noch liegt ein Anspruchausschluss nach § 34 Abs. 4 SGB V vor, da Prothesen mit Computersteuerung nicht in der einschlägigen Verordnung über Heil- und Hilfsmittel von geringen oder umstrittenen therapeutischen Nutzen enthalten ist (Verordnung vom 17.1.1995, BGBl. I, Seite 44). Auch die Nichtaufnahme des C-Leg in das sog. Hilfsmittelverzeichnis nch § 128 SGB V schadet nicht, da es sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hierbei um eine bloße Auslegungshilfe handelt, die für die Gerichte nicht verbindlich ist (Urteil des BSG vom 29.9.1997, SozR 3-2500, § 33 Nr. 25).

Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass das beantragte C-Leg für den Kläger ein grundsätzlich geeignetes Hilfsmittel darstellt. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 4.6.2002 zur C-Leg-Versorgung (Az.: B 3 KR 68/01 R; SozR 3-2500, § 33 Nr. 44) ausdrücklich zu der Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen Behinderte vor dem Hintergrund der neuen Regelungen des SGB IX von den Krankenkassen die Versorgung mit Hilfsmitteln beanspruchen können, die technische Verbesserungen beinhalten. Danach liegt weiter nur dann eine Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn die Versorgung mit Hilfsmitteln der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dient. Geht es um den Ersatz eines voll funktionstüchtigen Hilfsmittels durch ein technisch verbessertes Gerät mit Gebrauchsvorteilen gegenüber dem bisherigen Hilfsmittel, so reicht es nicht aus, wenn die Verbesserung sich nur in einzelnen Lebensbereichen auswirkt, die nicht zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V schließt darüberhinaus eine Leistungspflicht der Krankenversicherung für solche Innovationen aus, die nicht die Funktionalität, sondern in erster Linie Bequemlichkeit und Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels betreffen.

Dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegen die unterschiedlichen Beurteilungen der Parteien, ob beim Kläger diese Voraussetzungen gegeben sind. Das Gericht stimmt der Beklagten insoweit zu, dass die Versorgung mit einem sog. C-Leg in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung darstellt und die Überprüfung im konkreten Fall auch zum Ergebnis führen kann, dass Gebrauchsvorteile nicht erzielt werden können oder Grundbedürfnisse des täglichen Lebens nicht betroffen sind. Im Gegensatz zur Beklagten sieht das Gericht im vorliegenden Fall diese Voraussetzungen beim Kläger aber eindeutig als gegeben an; beim Kläger handelt es sich um einen jungen Mann, der es trotz seiner schweren Behinderung erreicht hat, voll im Berufsleben zu stehen, eine Familie zu gründen und aktiv Sport zu betreiben. Gleichwohl muss es sich hierbei nicht um einen dauerhaften Zustand handeln, was sich schon daran zeigt, dass die Gutachterin konkrete Abnutzungsschäden beim Kläger festgestellt hat und auch der Arbeitsplatz des Klägers von seiner Leistungsfähigkeit abhängt. Darüberhinaus hat der Kläger eindringlich geschildert, dass es in der Vergangenheit sowohl im privaten wie auch im beruflichen Bereich zu mehreren Stürzen gekommen war; der von der Beklagten favorisierte Cat-Cam-Schaft verleihe ihm zwar mehr Komfort, könne aber nicht zu einer Verbesserung der Sicherheit beitragen. Wie das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 6.6.2002 festgestellt hat, ist der Einsatz der Beine zum Gehen, Laufen und Stehen jederzeit und überall erforderlich und damit ein Grundbedürfnis, das das C-Leg nach dem gegenwärtigen Stand der Technik soweit wie möglich deckt. Aufgrund der geschilderten Situation des Klägers sind die Gebrauchsvorteile für das Gericht offensichtlich: Im Vordergrund steht dabei die Möglichkeit des Klägers, sich weiter intensiv um sein Kind zu kümmern, das mit fortschreitendem Alter mobiler wird und einer aktiven Betreuung und Beaufsichtigung bedarf. Das C-Leg wird den Kläger im Vergleich zu anderen Versorgungsmöglichkeiten in die Lage versetzen, sich noch besser um sein Kind kümmern zu können, ohne sich selbst zu gefährden; darüberhinaus bietet das C-Leg auch in allen anderen Lebensbereichen Vorteile für den Kläger, da es die Sturzgefahr erheblich vermindern kann und Verbesserungen des Bewegungsablaufs auf unebenem Gelände sowie beim Berg- und Treppengehen bewirkt. In diesem Sinne ist auch damit zu rechnen, dass die weitere körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers günstig beeinflusst werden kann, da Abnutzungserscheinungen entgegengewirkt wird.

Da das Gericht im Fall des Klägers klare Gebrauchsvorteile durch das C-Leg in Bereichen, die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens des Klägers berühren, feststellen konnte, war die Beklagte in vollem Umfang zur Übernahme der Kosten der C-Leg-Versorgung zu verurteilen. Eine (anteilige) Verurteilung der Beigeladenen war daher im vorliegenden Fall nicht möglich, obwohl das Gericht eine vergleichsweise Einigung mit einer anteiligen Beteiligung des Rentenversicherungsträgers zur Vermeidung eines langwierigen Gerichtsverfahrens durchaus für angemessen erachtet hätte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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