L 5 AS 688/18

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 16 AS 1744/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 688/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird verworfen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über Leistungen für Kosten der Unterkunft (KdU) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II) für die Monate Oktober 2013 bis März 2014.

Mit Urteil vom 8. August 2018 hat das Sozialgericht (SG) M. den Beklagten unter Abänderung der für diesen Zeitraum ergangenen Bescheide verurteilt, der Klägerin höhere KdU-Leistungen zu zahlen. Die Berufung hat es zugelassen. Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 28. August 2018 zugestellt worden.

Am 26. September 2018 ist beim Landessozialgericht (LSG) per Telefax eine zehn Seiten umfassende Berufungsschrift des Beklagten eingegangen. Der Text endet auf Seite 10 unten mitten in einem Satz ohne Abschlussformel, Unterschrift oder Ähnliches. In der vom Faxgerät des Beklagten stammenden Kopfzeile auf dieser Seite findet sich die Angabe "S. 10/10".

Am 2. Oktober 2018 ist das Original dieses Schriftsatzes beim LSG eingegangen. Dieses umfasst zwölf Seiten. Auf Seite 11 finden sich zunächst drei Absätze Text und sodann die Angabe:

"Im Auftrag

M.

Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist ohne Unterschrift gültig.

Anlage:

2 Abschriften des Schriftsatzes"

Die gleiche Angabe findet sich (ohne vorhergehenden anderen Text) noch einmal auf Seite 12 oben. Eine handschriftliche Unterschrift enthält der Schriftsatz nicht.

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2018, das dem Beklagten am 2. November 2018 zugestellt worden ist, hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass das Telefax vom 26. September 2018 unvollständig übermittelt worden und dass das Original des Schriftsatzes erst nach Ablauf der Monatsfrist eingegangen sei. Weiter hat er auf Bedenken gegen die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform und die Möglichkeit einer Verwerfung der Berufung durch Beschluss hingewiesen.

Daraufhin hat der Beklagte mit Telefax vom 3. Dezember 2018, einem Montag, mitgeteilt, dass seine sämtliche Post auf einen zentralen Bescheiddruck umgestellt worden sei. Die gesamte ausgehende Post werde an ein Unternehmen übermittelt, dort gedruckt, kuvertiert und der Deutschen Post zum Versand zugeführt. Auch der Schriftsatz vom 26. September 2018 sei über dieses System verschickt worden. Zusätzlich sei der Schriftsatz per Telefax an das Gericht übermittelt worden. Aufgrund des nicht vollständig übermittelten Faxes werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Bei dem gewählten Versandweg sei eine Unterschrift nicht möglich. Sie sei auch nicht erforderlich, weil auch ohne Unterschrift eine ausreichende Gewähr für die Urheberschaft der Berufung und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, bestanden habe. Das Schreiben habe die Anschrift des Beklagten, den Namen der zuständigen Mitarbeiterin und das Aktenzeichen des angefochtenen Urteils genannt. Die Faxnummer, von der das Berufungsschreiben übermittelt worden sei, sei dem Gericht als Faxnummer des Beklagten bekannt. Außerdem ergebe sich der Wille, Berufung einlegen zu wollen, aus der zusätzlichen Übermittlung per Post und aus dem Inhalt der Berufung. Sie betreffe das Konzept des Beklagten zur Angemessenheit von KdU. Dieses sei das zentrale Thema der meisten seiner aktuellen Berufungen. Vorsorglich werde nochmals Berufung eingelegt.

Der Senat hat die Prozessakte des SG beigezogen.

II.

Der Senat verwirft die Berufung gemäß § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, weil sie unzulässig ist.

1.

Die Berufung ist nicht form- und fristgerecht erhoben worden. Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim LSG einzulegen. Diese Frist ist mit der Zustellung des angefochtenen Urteils in Lauf gesetzt worden, weil das Urteil mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehen war (§ 66 Abs. 1 SGG). Die Frist hat für den Beklagten mit der Zustellung an seinen Bevollmächtigten am 28. August 2018 begonnen und mit Ablauf des 28. September 2018, eines Freitags, geendet (§ 64 Abs. 1 und 2 SGG).

Die Schriftform der Berufung im Sinne des § 151 Abs. 1 SGG verlangt nach ständiger Rechtsprechung des BSG grundsätzlich eine eigenhändige Unterschrift (vgl. BSG, Urteil vom 14. Januar 1958, 11/8 RV 97/57, juris Rn. 14; Urteil vom 21. Juni 2001, B 13 RJ 5/01 R, juris Rn. 17; Urteil vom 30. Januar 2002, B 5 RJ 10/01 R, juris Rn. 15; Beschluss vom 24. Mai 2017, B 14 AS 178/16 B, juris Rn. 4). Dafür soll die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens selbst dann nicht genügen, wenn sie mit dem Zusatz "gez." versehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 1998, B 13 RJ 85/97 R, juris Rn. 13; zu den Anforderungen an den Schriftzug siehe Fock, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 151 Rn. 19). Ausnahmsweise kann das Schriftformerfordernis aber auch dann erfüllt sein, wenn die Berufungsschrift zwar keine eigenhändige Unterschrift enthält, sich aber aus anderen Anhaltspunkten hinreichend sicher (d.h. ohne die Notwendigkeit einer Beweiserhebung) eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, ergibt (vgl. BSG, Beschluss vom 30. März 2015, B 12 KR 102/13 B, juris Rn. 8; Beschluss vom 24. Mai 2017, a.a.O.; ebenso für den Zivilprozess Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 9. Dezember 2010, IX ZB 60/10, juris Rn. 5). Dazu muss insbesondere feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht bloß um einen Entwurf handelt (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2001, a.a.O.; Urteil vom 30. Januar 2002, a.a.O.), sondern dass es dem Gericht mit Wissen und Willen des Berechtigten zugeleitet worden ist. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ablauf der Berufungsfrist bekannten Umstände (vgl. BSG, Urteil vom 6. Mai 1998, a.a.O.).

Das Telefaxschreiben des Beklagten vom 26. September 2018 enthält keine eigenhändige Unterschrift. Es endet auf Seite 10 mitten im Text ohne eine Unterschrift. Mehr als diese zehn Seiten sind beim Gericht nicht eingegangen. Das Fax-Journal des Empfangsgeräts hat den Empfang von zehn Seiten (mit dem Ergebnis "OK") vermerkt. Dies entspricht der Absenderangabe in der Kopfzeile des Telefaxes. Auch der Beklagte selbst stellt nicht in Abrede, dass der Schriftsatz per Telefax unvollständig übermittelt worden ist.

Die Unterschrift war auch nicht ausnahmsweise aufgrund der weiteren Umstände entbehrlich. Zwar bestanden bereits bei Ablauf der Berufungsfrist am 28. September 2018 aufgrund des Briefkopfs, der Telefaxnummer und der im Schriftsatz verwendeten gerichtsbekannten Textbausteine keine durchgreifenden Zweifel an der Urheberschaft des Beklagten. Es ließ sich zu diesem Zeitpunkt aber nicht ohne weitere Ermittlungen zuverlässig feststellen, dass dieser das Schreiben auch tatsächlich in den Rechtsverkehr bringen wollte. Insbesondere war auch bei Würdigung sämtlicher bekannter Umstände nicht hinreichend sicher auszuschließen, dass es sich lediglich um den bloßen Entwurf einer Berufungsschrift handelte, der versehentlich versandt worden war. Dafür spricht vor allem der unfertige Charakter des Schreibens, das mitten in einem Satz endet. Der Übergang von einem Entwurf zu einem fertigen Schriftsatz vollzieht sich gerade durch den erkennbaren Abschluss des Textes. Dies gilt in besonderer Weise für einen behördlichen Schriftsatz. Ein solcher Abschluss war hier aber weder in Form einer Unterschrift, Namenswiedergabe oder Schlussformel noch auf andere Weise zu erkennen.

Es kann dahinstehen, ob der am 2. Oktober 2018 per Post eingegangene Schriftsatz den Anforderungen des § 151 Abs. 1 SGG genügt; denn zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist bereits abgelaufen.

2.

Dem Beklagten ist wegen der Versäumung der Berufungsfrist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Voraussetzung einer Wiedereinsetzung ist, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Der Wiedereinsetzungsantrag ist gemäß § 67 Abs. 2 SGG binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

Es ist weder glaubhaft gemacht noch sonst zu erkennen, dass den Beklagten an der Versäumung der Berufungsfrist kein Verschulden träfe.

a.

Ein Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ergibt sich nicht unter dem Gesichtspunkt einer gestörten Faxübertragung.

Nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und der obersten Bundesgerichte dürfen die aus den technischen Gegebenheiten des Kommunikationsmittels Telefax herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Dies gilt insbesondere für Störungen des Empfangsgeräts des Gerichts (vgl. BSG, Urteil vom 25. April 2018, B 8 SO 23/16 R, juris Rn. 17 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Der Beklagte spricht in seinem Wiedereinsetzungsantrag zwar von einem "nicht vollständig übermittelten" Fax. Es fehlt aber jeder konkrete Vortrag und erst recht jede Glaubhaftmachung, dass er mehr als die beim LSG eingegangenen zehn Seiten auf den Weg gebracht hätte. Insbesondere gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Telefaxverbindung gestört gewesen wäre oder das Empfangsgerät beim Gericht einen Defekt gehabt hätte. Das Faxjournal des Empfangsgeräts weist als Ergebnis des Übermittlungsvorgangs den Vermerk "OK" aus. Wenige Minuten nach dem Telefax des Beklagten ist ein anderes Fax eingegangen, dessen Sendestatus im Faxjournal ebenfalls mit "OK" angegeben wird. Die vom Faxgerät des Beklagten stammende Angabe "S. 10/10" in der Kopfzeile des Telefaxes spricht vielmehr deutlich dafür, dass von vornherein nur zehn Seiten versandt worden sind.

b.

Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass den Beklagten wegen der demnach anzunehmenden unvollständigen Absendung kein Verschulden träfe. Für einen Träger der öffentlichen Verwaltung gelten insoweit die gleichen Verschuldensmaßstäbe wie für einen Rechtsanwalt (vgl. BSG, Urteil vom 18. März 1987, 9b RU 8/86, juris Rn. 14). Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen. Dazu gehört eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet sein muss, dass fristwahrende Schriftsätze unter normalen Umständen rechtzeitig bei Gericht eingehen. Seinen Mitarbeitern muss er grundsätzlich die allgemeine Weisung erteilen, bei der Übermittlung fristwahrender Schriftstücke per Telefax einen Einzelnachweis über den Sendevorgang auszudrucken und zu prüfen (vgl. BSG, Beschluss vom 12. März 2002, B 11 AL 3/02 B, juris Rn. 4 m.w.N.). Die Überprüfung hat sich auch darauf zu erstrecken, ob die Zahl der übermittelten Seiten mit der Seitenzahl des Originalschriftsatzes übereinstimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2001, II ZB 16/00, juris Rn. 13 m.w.N.). Der Beklagte hat nicht einmal ansatzweise vorgetragen, dass er irgendwelche Vorkehrungen dieser Art getroffen hätte.

c.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch nicht mit Blick auf eine etwaige Fürsorgepflichtverletzung des Gerichts geboten. Das BSG nimmt dies insbesondere in Fällen an, in denen Schriftsätze weit vor Ablauf der Rechtsmittelfrist übersandt werden und es dem Gericht ohne weiteres möglich gewesen wäre, auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung unter dem Gesichtspunkt des Schriftformerfordernisses hinzuweisen (vgl. BSG, Beschluss vom 6. Juli 2016, B 9 SB 1/16 R, juris Rn. 8). Das Telefax des Beklagten ist aber erst am vorletzten Tag vor Fristablauf beim LSG eingegangen. Seine Unvollständigkeit ist dem Senat nicht innerhalb der Berufungsfrist aufgefallen. Die Fürsorgepflicht des Gerichts verlangt auch nicht, dass es am letzten Tag der Frist prüft, ob der unmittelbar zuvor eingegangene Schriftsatz formelle Mängel aufweist, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechenden Hinweis auf deren Behebung hinzuwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2017, X ZB 7/15, juris Rn. 13).

Im Übrigen wäre der Senat nach Rechtsprechung des BGH selbst dann nicht zu einem sofortigen Hinweis verpflichtet gewesen, wenn er den Fehler noch unmittelbar vor Fristablauf bemerkt hätte. Denn die Unvollständigkeit eines durch Telefax übermittelten Schriftsatzes zeigt lediglich das Scheitern eines einzelnen Übermittlungsversuchs, dem eine Fax-Ausgangskontrolle zu folgen hat. Der Eingang eines unvollständigen Telefaxes lässt daher aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Gerichts nicht erkennen, dass auch die Fax-Ausgangskontrolle versagt hat und der Absender deshalb der Fehlvorstellung unterliegt, die Frist gewahrt zu haben (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 16).

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.

4.

Es liegen keine Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 158 Satz 3, § 160 Abs. 2 SGG) vor.
Rechtskraft
Aus
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