L 5 AS 34/17

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 16 AS 1138/16
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 34/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren Leistungen für eine neue Heizungsanlage.

Die Kläger bezogen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II). Am 10. Februar 2010 teilte der Kläger zu 1. dem Beklagten mit, dass die Heizungsanlage des von ihnen bewohnten Eigenheims defekt sei. Daraufhin erteilte der Beklagte noch am selben Tag eine Zusicherung, dass er Reparaturkosten bis zu einer Höhe von 500 EUR übernehme. Der Bescheid wurde dem Kläger zu 1. sogleich ausgehändigt. Am Nachmittag desselben Tages legte der Kläger zu 1. einen Kostenvoranschlag über den Austausch des defekten Forster-Heizkessels vor; die Kosten sollten sich auf insgesamt 5.474,05 EUR belaufen. Der Beklagte forderte die Kläger daraufhin auf, drei Kostenvoranschläge einzureichen.

Am Vormittag des 11. Februar 2010 gaben die Kläger zu 1. und 2. beim Beklagten drei Kostenvoranschläge ab (5.474,05 EUR, 5.814,34 EUR und 5.875,57 EUR). Daraufhin wurde ihnen mitgeteilt, dass nur für einen Teilbetrag der Kosten Leistungen als Beihilfe gewährt werden könnten; im Übrigen komme nur ein Darlehen in Betracht.

Über dieses Gespräch fertigte der zuständige Mitarbeiter des Beklagten, Herr W. C., am selben Tag einen Aktenvermerk und führte u.a. aus:

"Damit waren die D. nicht einverstanden. Herr D. machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass er sich in Privatinsolvenz befände und keine neuen Schulden machen dürfe. Frau D. lehnte die Aufnahme eines Darlehens ab. Die Frage des Unterzeichners, ob damit die Angelegenheit erledigt sei, wurde nicht eindeutig beantwortet."

Im weiteren Verlauf des Tages kam es zu einem Telefonat zwischen dem Kläger zu 1. und Herrn C ... Anschließend reichte der Kläger zu 1. ein Angebot der Hagebaucentrum S. GmbH über vier Einzelöfen samt Zubehör für 1.644,14 EUR ein. Daraufhin erteilte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Februar 2010 eine Zusicherung über Leistungen in dieser Höhe entsprechend diesem Angebot.

Darüber fertigte Herr C. am selben Tag einen weiteren Aktenvermerk und führte aus:

"Der UZ. diktierte den Bewilligungsbescheid. Danach sollte 3.570 EUR als Beihilfe (Erhaltungsaufwand) und ca. 2.000 EUR als Darlehen (Wertsteigerung) bewilligt werden.

Herr D. rief den Unterzeichner während des Diktates an und teilte mit, er beabsichtige nun, die Unterkunft mit Öfen heizen. Dieses sei günstiger. Er benötigt vier Öfen. Diese wolle er sich über einen Baumarkt beschaffen. Entsprechende Kostenvoranschläge wird er vorab einreichen. Dieses gescha dann auch. Herr D. legte ein Angebot des Hagebaucentrums vor, Dies umfasst die Beschaffung von vier Dauerbrandöfen mit Anschlusszubehör sowie eines 80 l-Boilers. Eine entsprechende Zusicherung wurde gefertigt. Und alles war gut."

Am 15. Februar 2010 ging beim Beklagten eine Rechnung der Hagebaucentrum S. GmbH vom 11. Februar 2010 über die Anschaffung der vier Einzelöfen samt Zubehör für 1.652,48 EUR ein. Unter dem 16. Februar 2010 quittierte der Kläger zu 1. auf dieser Rechnung: "Hiermit bestätige ich, Herr I.D., dass die vorgenannte Ware vollständig geliefert wurde und in meinem Haus eingebaut wurde."

Im Dezember 2015 ging beim Beklagten eine E-Mail ein, mit der der Kläger zu 1. sich darüber beklagte, dass er seit fünf Jahren auf die Entscheidung über einen Widerspruch warte. Beigefügt war eine Bilddatei mit der Wiedergabe eines handgeschriebenen Widerspruchsschreibens, das auf den 16. Februar 2010 datiert war. Die Betreffzeile lautete: "Wiederspruch gegen mündliche Ablehnung von Dienstag den 16.2.2010!" Im Text hieß es:

"Sie setzten uns am 16.2.10 unter Druck, entweder wir nehmen andere Öfen oder wir sietzen im Kalten! Dieses hat ein Zeuge gehört, der zugegen war bei unseren Telefonat! [ ] Am 15. mündliche abgelent (Montag noch im Kalten) Am 16. setzten sie uns die Pistole auf der Brust!"

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2016 verwarf der Beklagte den Widerspruch als unzulässig. Am 16. Februar 2010 sei keine für die Kläger nachteilige Entscheidung getroffen worden. Sofern der Widerspruch sich gegen die angekündigte Bewilligung/Zusicherung der Übernahme von Erneuerungskosten i.H.v. 3.570 EUR als Beihilfe und i.H.v. 2.000 EUR als Darlehen richten sollte, sei bereits fraglich, ob überhaupt ein wirksamer Verwaltungsakt vorliege. Jedenfalls sei der Widerspruch verfristet. Im Falle einer mündlichen Entscheidung am 11. Februar 2010 wäre die Widerspruchsfrist am 11. Februar 2011 um 24 Uhr abgelaufen. Der Widerspruch sei aber erst am 26. Dezember 2015 eingegangen. Im laufenden Verwaltungsvorgang finde sich vorher kein Hinweis auf einen Widerspruch vom 16. Februar 2010 wegen der Forster-Heizung.

Dagegen hat der Kläger 7. April 2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Magdeburg erhoben. Dieses hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19. Dezember 2016 abgewiesen. Der Beklagte habe den Widerspruch zu Recht als unzulässig verworfen. Der streitige Ausgangsbescheid könne allenfalls in einem Telefonat am 11. Februar 2010 ergangen sein. Mangels Rechtsbehelfsbelehrung hätte dann für die Einlegung eines Widerspruchs die Jahresfrist gegolten. Diese habe am 10. Februar 2011 geendet. Der Widerspruch sei aber erst am 26. Dezember 2015 eingelegt worden.

Gegen den Gerichtsbescheid haben die Kläger am 16. Januar 2017 Berufung eingelegt. Sie hätten seinerzeit notgedrungen die Einzelöfen genommen, weil sie unter Druck gesetzt worden seien. Ihr Antrag sei am 16. Februar 2010 mündlich abgelehnt worden. Dies könne ein Herr B. M. bezeugen, der das Telefonat mitgehört habe. Am selben Tag hätten sie persönlich ihren Widerspruch abgegeben.

Einen konkreten Berufungsantrag haben die Kläger nicht formuliert.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf seinen Widerspruchsbescheid und den seines Erachtens zutreffenden Gerichtsbescheid.

Der Senat hat die Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 15. Februar 2019 dem Berichterstatter übertragen.

In der mündlichen Verhandlung vom 27. März 2019 ist Herr W. C. als Zeuge gehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Sie ist zwar gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Das Begehren der Kläger ist im Sinne einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage auf die Aufhebung einer mündlichen Leistungsablehnung und die Gewährung von SGB II-Leistungen für die Anschaffung einer neuen Forster-Heizung gerichtet. Die so verstandene Klage ist unzulässig.

Es liegt schon kein ablehnender Verwaltungsakt vor. Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X)). Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass ein solcher insbesondere nicht von Herrn C. in einem Telefonat mit dem Kläger zu 1. am 10., 11. oder 16. Februar 2010 erteilt worden ist. Der Senat stützt sich dabei auf den Inhalt der Verwaltungsakte, die Zeugenaussage des Herrn C. und das schriftliche Vorbringen der Kläger.

Dass am 10. und 11. Februar 2010 kein ablehnender mündlicher Verwaltungsakt ergangen ist, ergibt sich insbesondere aus der ausführlichen und präzisen Dokumentation der an diesen Tagen geführten Gespräche in der Verwaltungsakte des Beklagten. Dort finden sich insgesamt vier Vermerke, die jeweils am selben Tag erstellt worden sind und deren Inhalt im Einklang mit dem übrigen Akteninhalt steht, insbesondere mit den dort befindlichen, von den Klägern eingereichten Kostenvoranschlägen und Rechnungen. Danach ist den Klägern zu 1. und 2. in einem persönlichen Gespräch am 11. Februar 2010 erläutert worden, dass Leistungen für eine neue Forster-Heizung nur teilweise als Zuschuss und im Übrigen als Darlehen gewährt werden könnten. Dafür, dass diese Erläuterung der Rechtslage bereits mit einer verbindlichen Regelung des Einzelfalls i.S.v. § 31 Satz 1 SGB X einhergegangen wäre, gibt es keinerlei Anhaltspunkt. Leistungsentscheidungen im Bereich des SGB II ergehen praktisch durchweg durch schriftlichen Bescheid. Es deutet nichts darauf hin, dass im vorliegenden Fall anders verfahren worden wäre. Vielmehr belegt der Vermerk des Herrn C., wonach er gerade dabei war, einen entsprechenden Bescheid zu diktieren, als der Kläger zu 1. ihn angerufen hat, dass eine Entscheidung zu diesem Zeitpunkt noch ausstand. Dem Vermerk lässt sich auch nachvollziehbar entnehmen, dass in diesem Telefonat kein Verwaltungsakt ergangen ist und dass es eines solchen aufgrund einer eigenen Entscheidung der Kläger auch nicht mehr bedurfte. Herr C. hat als Zeuge glaubhaft bekundet, dass er sich zwar an das fragliche Telefonat nicht erinnere, dass er aber den Erlass eines mündlichen Verwaltungsakts in seinem Vermerk erwähnt hätte. Es gibt auch keinen vernünftigen Grund, weshalb er seinerzeit einen unzutreffenden oder unvollständigen Sachverhalt derart ausführlich und präzise hätte dokumentieren sollen. Das von ihm protokollierte Geschehen ist auch plausibel. Schließlich hatten die Kläger bereits in einem früheren Gespräch klargestellt, dass eine darlehensweise Leistung für sie nicht in Betracht komme. Vor diesem Hintergrund war die Anschaffung von preisgünstigeren Einzelöfen in der damaligen Situation die für sie naheliegende Alternative.

Die Behauptung der Kläger, es sei am 16. Februar 2010 zu einer mündlichen Leistungsablehnung gekommen, macht schon angesichts des übrigen zweifelsfrei feststehenden Geschehensablaufs keinen Sinn. Am 16. Februar 2010 war die Diskussion um die Anschaffung einer neuen Forster-Heizung bereits erledigt. Ausweislich der vorliegenden Baumarkt-Rechnung hatten die Kläger schon am 11. Februar 2010 als Alternative dazu die Einzelöfen gekauft. Die Rechnung lag bereits am 15. Februar 2010 beim Beklagten vor. Der Kläger zu 1. hat den Erhalt und den Einbau der Öfen unter dem 16. Februar 2010 bestätigt. Der von den Klägern behauptete zeitliche Ablauf erscheint daher ausgeschlossen. Einer Anhörung des von ihnen benannten Zeugen bedurfte es deshalb nicht. Aus diesem Grund kann dahinstehen, ob eine solche Zeugenaussage über ein angeblich mitgehörtes Telefonat verwertbar wäre (vgl. Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. Juli 2014 – L 16 KR 429/13 –, juris Rn. 43; Gehrlein, VersR 2011, 1350, 1355).

Doch selbst wenn man davon ausginge, der Beklagte hätte am 11. oder 16. Februar 2010 durch einen mündlichen Verwaltungsakt die Gewährung von Leistungen für eine neue Forster-Heizung abgelehnt, wäre die Klage unzulässig. In diesem Fall fehlte es an einem fristgemäß eingelegten Widerspruch. Wenn man von einer mündlichen Leistungsablehnung am 16. Februar 2010 ausginge, hätte die gem. § 66 Abs. 2 SGG maßgebliche Jahresfrist mit Ablauf des 16. Februar 2011 geendet. Es lässt sich aber nicht feststellen, dass die Kläger bis zu diesem Zeitpunkt Widerspruch eingelegt hätten. Der Zeuge C., dem das Widerspruchsschreiben angeblich übergeben wurde, konnte sich daran nicht erinnern. In der Verwaltungsakte des Beklagten findet sich ein solcher Widerspruch nicht, ebenso wenig sonstige Hinweise darauf, dass es ihn gegeben hätte. So werden beispielsweise in einem Schreiben des Klägers zu 1. vom 9. August 2011 zwar verschiedene offene Streitfragen angesprochen, nicht jedoch die Anschaffung einer neuen Forster-Heizung.

Es spricht vieles dafür, dass das von den Klägern als Fotografie bzw. Fotokopie vorgelegte, auf den 16. Februar 2010 datierte Widerspruchsschreiben tatsächlich erst deutlich später erstellt worden ist. Der in dem Schreiben geschilderte zeitliche Ablauf lässt sich, wie dargelegt, nicht mit dem aus der Verwaltungsakte ersichtlichen Geschehen in Einklang bringen. Das legt die Möglichkeit nahe, dass das Schreiben erst erstellt worden ist, als die Kläger mit der zunächst gewählten Lösung einer Beheizung durch Einzelöfen nicht mehr zufrieden waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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