L 5 AS 501/18 NZB

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 16 AS 3396/14
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 501/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. April 2018 wird zurückgewiesen.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Nichtzulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Magdeburg. In der Sache begehren Sie die Rücknahme von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden wegen überzahlter Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Zeitraum vom 1. März bis 30. April 2014.

Die Kläger bezogen als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger zu 3. war an 5 Tagen/Woche als Taxifahrer beschäftigt und erhielt neben seinem Lohn eine monatliche Auslöse; die Auszahlung erfolgte jeweils im Folgemonat. Im streitigen Zeitraum war der Kläger zu 3. jeweils nicht mehr als 9 Stunden ortsabwesend.

Der Beklagte hatte den Klägern mit Bescheid vom 10. Februar 2014 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 25. März 2014 Leistungen nach dem SGB II für März bis April 2014 bewilligt.

Nach Vorlage der Einkommensnachweise hob der Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 5. Mai 2014 die Leistungsbewilligungen gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) für März und April 2014 teilweise auf und stellte die überzahlten Beträge gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zur Erstattung (Klägerin zu 1. i.H.v. 82,51 EUR, Klägerin zu 2. i.H.v. 31,81 EUR, Kläger zu 3. i.H.v. 82,48 EUR). Da der Kläger zu 3. an keinem Tag über 12 Stunden gearbeitet habe, sei die Auslöse in voller Höhe anzurechnen. Mit Änderungsbescheid vom gleichen Tag stellte der Beklagte für März 2014 einen Gesamtleistungsanspruch i.H.v. 608,49 EUR (96 EUR weniger) für April 2014 i.H.v. 701,90 EUR (100,80 EUR weniger) fest.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 23. Oktober 2014 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger als unbegründet zurück. Eine Absetzung der Auslöse vom Einkommen komme erst ab einer Abwesenheit von mehr als 12 Stunden in Betracht.

Dagegen haben die Kläger am 24 November 2014 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben.

Das Sozialgericht hat die Beteiligten unter dem 6. März 2018 auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. Dezember 2012 (B 4 AS 27/12 R) hingewiesen. Ein konkreter privatrechtlicher Verwendungszweck sei weder behauptet noch ersichtlich. Unbenommen bleibe der Nachweis höherer Ausgaben.

Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits die Bescheinigung der N. S. - Büroservice - vom 3. April 2018 über die "Gewährung von Auslöse" vorgelegt.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. April 2018 abgewiesen. Zu Recht habe der Beklagte das Einkommen des Klägers zu 3. einschließlich der Auslöse berücksichtigt. Zwar sei die in § 6 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) geregelte pauschale Beschränkung auf 6 EUR/Tag bei einer Abwesenheit von mindestens 12 Stunden nur mit einer Öffnungsklausel ermächtigungskonform. Die Nichtanrechnung der Auslöse setze aber eine Zweckbindung hinsichtlich der Verwendung für einen vom Arbeitgeber vorgesehenen Zweck, oder den Nachweis höherer Verpflegungskosten voraus. Die Kläger hätten aber beides nicht nachgewiesen. Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen.

Die Kläger haben gegen das ihnen am 13. Juni 2018 zugestellte Urteil am 13. Juli 2018 Nichtzulassungsbeschwerde beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Sie machen geltend:

Das Urteil beruhe auf einer Verletzung von § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie hätten dem Nachweis der Zweckbestimmung der Auslöse nicht die notwendige Bedeutung beigemessen. Die Zweckbestimmung sei durch die Lohnabrechnung, die sozialversicherungs- und einkommensteuerrechtliche Behandlung und die Erklärung der Frau S. objektiv zweckbestimmt. Sie hätten auch einen erhöhten Verpflegungsmehraufwand nachgewiesen, denn der Kläger zu 3. habe einen solchen angegeben. Es hätte eines richterlichen Hinweises bedurft, was zur Begründung der zweckbestimmten Einnahmen und zu deren Verwendung vorzubringen gewesen wäre.

Die Auslösen seien auch zweckbestimmte Einnahmen i.S.v. § 11a Abs. 3 SGB II. Der privatrechtliche Verwendungszweck sei in der Erklärung der Frau S. vom 3. April 2018 bestätigt worden. Zudem seien die Auslösen ihrem Zweck entsprechend verwendet worden.

§ 6 Abs. 3 ALG II-V stehe als rangniedrigere Norm dem § 11a Abs. 3 SGB II nicht entgegen. Die Verordnungsermächtigung in § 13 SGB II reiche nicht aus, um eine Abweichung zu legitimieren. Das Fehlen einer Öffnungsklausel für nachgewiesene höhere Aufwendungen bei einer Abwesenheitsdauer von mehr als 12 Stunden überschreite den Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers. Bei der Höhe des Pauschbetrags wären die Wertungen in § 6 Bundesreisekostengesetz (BRKG) zu berücksichtigen gewesen.

Es sei auch zu beachten, dass der Kläger zu 3. Fernfahrten und Nachtschichten gehabt habe.

Der Beklagte hält die Nichtzulassungsbeschwerde für unbegründet, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Sie trägt vor:

Das Urteil weiche nicht von der Entscheidung eines Obergerichts i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ab.

Ein Verfahrensmangel durch Verletzung von § 103 SGG sei nicht zu erkennen. Das Sozialgericht habe unter dem 6. März 2018 auf die Rechtsprechung des BSG und den möglichen Nachweis höherer Ausgaben verwiesen. Ein Verwendungszweck könne der Bestätigung des Büroservice N. S. vom 3. April 2018 nicht entnommen werden, zumal die Bescheinigung nicht vom Arbeitgeber unterzeichnet worden sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

II.

1.

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 145 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Sie ist auch statthaft, da die Berufung nicht kraft Gesetzes zulässig und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist. Die im Klageverfahren streitigen Rückforderungsbeträge i.H.v. insgesamt 196,80 EUR liegen unter dem Berufungsstreitwert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Wiederkehrende oder laufende Leistungen von mehr als einem Jahr stehen nicht im Streit.

2.

Die Beschwerde der Kläger ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Berufung gegen das Urteil vom 4. April 2018 zu Recht nicht zugelassen.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor. Nach

§ 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder (3.) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1.)

Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegt nicht vor, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Diese ist gegeben, wenn die Rechtsfrage ungeklärt ist und eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (vgl. BSG, Beschluss vom 25. September 2002, B 7 AL 142/02 B (6)). Klärungsbedürftigkeit ist nicht gegeben, wenn sich die entschiedene Rechtsfrage unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nur eine Anwendung höchstrichterlicher Rechtssätze auf den Einzelfall darstellt (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 144, Rn. 28).

Die Berücksichtigung der Auslöse als Einkommen ergibt sich schon aus den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen. Nach § 11 Abs. 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Darunter fällt auch die dem Kläger zu 3. mit dem Lohn gewährte Auslöse.

Die Frage einer arbeitsvertraglichen Zweckbestimmung der Auslöse ist gemäß § 11a SGB II in der ab dem 1. April 2011 geltenden Fassung ohne Bedeutung. Denn danach können nur Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nicht als Einkommen zu berücksichtigen sein. Insoweit hat sich der Gesetzgeber gegenüber dem bis zum 31. März 2011 anwendbaren § 11 Abs. 3 SGB II für eine Einschränkung der nicht als Einkommen zu berücksichtigenden zweckbestimmten Einnahmen entschieden.

Die Kläger machen jedoch keine Zweckbestimmung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften, sondern aufgrund arbeitsvertraglicher Abrede geltend.

(2.)

Es besteht auch keine Divergenz des erstinstanzlichen Urteils zu einer Entscheidung der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Spruchkörper. Divergenz liegt vor, wenn das erstinstanzliche Gericht einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG benannten Gerichte aufgestellt hat (vgl. BSG, Beschluss vom 25. September 2002, B 7 AL 142/02 B (13)). Eine Abweichung in diesem Sinne liegt nicht schon dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien der Rechtsprechung dieser Gerichte genügt. Vielmehr muss das erstinstanzliche Gericht diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt haben (vgl. BSG, Beschluss vom 4. Dezember 2007, B 2 U 165/06 B (6)). Die Divergenz setzt voraus, dass das erstinstanzliche Gericht die obergerichtliche Rechtsprechung im angegriffenen Urteil durch einen abweichenden Rechtssatz in Frage stellt (vgl. BSG, Beschluss vom 25. September 2002, B 7 AL 142/02 B (14)). Dies erfordert, dass das Sozialgericht zweifelsfrei in den Gründen seiner Entscheidung wenigstens mittelbar und (im Ergebnis) eindeutig einen abweichenden Rechtssatz aufstellen wollte (vgl. BSG, Beschluss vom 27. Januar 1999, B 4 RA 131/98 B (12)).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Sozialgericht vorliegend keinen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Insbesondere ist es nicht von der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 11. Dezember 2012 (B 4 AS 27/12 R) abgewichen. Danach hat sich der Verordnungsgeber bei der Entscheidung in § 6 Abs. 3 ALG II-V, Verpflegungsmehraufwendungen erst bei Abwesenheit von mehr als 12 Stunden zu bewilligen, im Rahmen der Verordnungsermächtigung bewegt (BSG, a.a.O. (26)). Lediglich die Begrenzung der Tagessätze auf 6 EUR bei über zwölfstündiger Abwesenheit habe den Gestaltungsspielraum unterschritten und einer Öffnungsklausel bedurft (BSG, a.a.O. (27, 33)).

Hier war der Kläger zu 3. unstreitig an keinem Tag des streitigen Zeitraums mehr als 12 Stunden vom häuslichen Umfeld abwesend. Die Frage einer Öffnungsklausel sowie des Nachweises höherer Verpflegungskosten als die Pauschale von 6 EUR/Tag stellte sich daher im vorliegenden Fall gar nicht.

Der weitere Hinweis, wonach der Kläger zu 3. Fernfahrten und Nachtschichten gehabt habe, lässt in keiner Weise erkennen, aus welchem Rechtsgrund die Anrechnung der Auslöse unterbleiben hätte müssen.

(3.)

Auch ein Zulassungsgrund im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt nicht vor. Unter einem Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, zu verstehen. Die inhaltliche Unrichtigkeit eines Urteils kann insoweit nicht mit Erfolg gerügt werden, da es im Rahmen des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht um die Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil geht. Aus den vorgetragenen Tatsachen muss sich schlüssig ergeben, welche Verfahrensvorschrift als verletzt angesehen wird und warum das Urteil darauf beruhen kann. Bei der Beurteilung, ob ein die Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel vorliegt, ist von der Rechtauffassung des Sozialgerichts auszugehen (Leitherer, a. a. O., § 144, Rn. 32, 32a).

Der Kläger macht geltend, das Sozialgericht habe seine in § 103 SGG geregelte Pflicht zur Amtsermittlung verletzt. Ein solcher Verfahrensmangel liegt jedoch nicht vor. Für diese Frage kommt es darauf an, welche Ermittlungen das Sozialgericht von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus noch hätte anstellen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1969, 11 RA 154/69 (9), Juris). Dabei hat es im Rahmen der Untersuchungsmaxime lediglich solche Ermittlungen anzustellen, die nach "Lage der Sache" erforderlich sind. Es hat nur dann ermitteln, soweit der Sachverhalt und der Beteiligtenvortrag Nachforschungen nahelegen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, 5 RJ 26/94 (24), Juris).

Die Frage einer Zweckbestimmung der arbeitsvertraglichen Abrede hat das Sozialgericht aufgrund der ihm vorgelegten Arbeitsverträge und Bescheinigungen gewürdigt. Hinsichtlich der Höhe der Aufwendungen hat das Sozialgericht ebenso wie das Vorbringen der Kläger gewürdigt. Diese sind im rechtlichen Hinweis vom 6. März 2018 auf die Rechtslage hingewiesen worden.

3.

Die beantragte Prozesskostenhilfe für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren war schon deshalb abzulehnen, weil die Kläger bis zur Entscheidung des Senats - trotz Ankündigung - keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt haben (§ 117 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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