L 6 U 158/14

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 65/13
Datum
-
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 158/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 239/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Ereignisses vom 28. Juli 2012 als Arbeitsunfall.

Der ... geborene Kläger gab an, er habe im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Lokführer am 28. Juli 2012 beim Leisten von Umstiegshilfe von Reisenden und Gepäckstücken einen stechenden Schmerz in der linken Schulter verspürt. Er stellte sich dazu am 6. August 2012 bei der Durchgangsärztin Dr. K. vor. Diese befundete einen Druckschmerz am inneren Schulterblattrand und keine Bewegungseinschränkung der linken Schulter. Die Röntgenaufnahme ergab keine Fraktur. Sie diagnostizierte eine Schulterdistorsion. Am 24. August 2012 suchte der Kläger Dr. K. erneut auf. Dort gab er an, die Schulterbeschwerden hätten sich zurück gebildet. Er klagte stattdessen über Schmerzen im linken Bein, sei aber nach eigener Angabe nicht auf das Bein gefallen. Am 12. September 2012 befand sich der Kläger wieder in durchgangsärztlicher Behandlung, wobei er ein MRT der Halswirbelsäule mit Bandscheibenvorfällen in den Segmenten C 5/6 und C 6/7 vorlegte. Am 17. September 2012 wurde der Kläger an der Halswirbelsäule im Bereich C 5/6/7 operiert.

Der Kläger schilderte unter dem 10. Oktober 2012 den genauen Unfallhergang.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2012 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 28. Juli 2012 als Arbeitsunfall ab. Sie begründete dies sinngemäß damit, der willentlich ausgeübte Arbeitsvorgang sei kein Unfallereignis und, selbst wenn ein Unfallereignis stattgefunden hätte, habe dieses nicht rechtlich wesentlich den Gesundheitsschaden verursacht. Den dagegen eingelegten Widerspruch unter Hinweis auf eine Bescheinigung des behandelnden Neurochirurgen Herrn W. vom 11. Dezember 2012 wies die Beklagte nach Einholung einer bratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. C. vom 25. Januar 2013 mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2013 zurück.

Der Kläger hat am 26. März 2013 beim Sozialgericht Magdeburg (SG) Klage erhoben und sein Begehren, das Ereignis vom 28. Juli 2012 als Arbeitsunfall mit der Folge der Bandscheibenschäden im Bereich C5/6 und C6/7 anzuerkennen, weiterverfolgt. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. September 2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, zwischen dem geschilderten Ereignis am 28. Juli 2012 und den als Unfallfolgen geltend gemachten Bandscheibenschäden bestehe kein wesentlicher Zusammenhang.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 25. September 2014 ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis zugestellt worden. Dieses ist mit einem Eingangsstempel vom 27. Oktober 2014 und der Unterschrift von Rechtsanwalt H. beim SG per Fax am 26. Oktober 2014 wieder eingegangen. Der Absende- und der Eingangsvermerk des Faxes tragen jeweils das Datum vom 26. Oktober 2014, 16:07 Uhr.

Der Kläger hat am 27. November 2014, einem Donnerstag, wiederum per Fax Berufung gegen den Gerichtsbescheid bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 hat der Berichterstatter den Kläger darauf hingewiesen, der Gerichtsbescheid sei ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 26. Oktober 2014 zugestellt worden und die Berufung folglich nicht fristgerecht. Zugleich hat der Berichterstatter auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung nach § 67 Abs. 1 SGG hingewiesen.

Der Kläger hat – vertreten durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt G. – darauf verwiesen, der 26. Oktober 2014 sei ein Sonntag gewesen, an dem eine Zustellung nicht möglich sei. Rechtsanwalt H. habe am 26. Oktober 2014 den Briefkasten geleert, das Empfangsbekenntnis mit dem auf den 27. Oktober 2014 datierten Stempel versehen und dann aus praktischen Gesichtspunkten an das Sozialgericht gefaxt. Die förmliche Zustellung sei entsprechend der Datierung auf dem Empfangsbekenntnis erst am 27. Oktober 2014 erfolgt.

Der Berichterstatter hat den Hinweis erteilt, diese Rechtsansicht erscheine mit § 5 Abs. 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes nicht vereinbar. Die tatsächliche Kenntnisnahme sei maßgeblich.

Der Kläger hat erwidert, die tatsächliche Kenntnisnahme vom Inhalt des Gerichtsbescheides sei erst am 27. Oktober 2014 erfolgt. Dies gelte umso mehr für den sachbearbeitenden Rechtsanwalt G. Aber auch Rechtsanwalt H. habe den Gerichtsbescheid am 26. Oktober 2014 nicht gelesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil des BGH vom 07. Juni 1990 – III ZR 216/89) werde in einem vergleichbaren Fall auf die Beweiskraft der im Empfangsbekenntnis eingetragenen Datierung abgestellt, da allein durch den Eingangsstempel des Gerichtes, der auf einen Tag vor dem Datum auf dem Empfangsbekenntnis lautete, der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnis nicht erbracht sei bzw. die Beweiskraft des Empfangsbekenntnis nicht vollständig entkräftet sei. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt H. versicherte an Eides statt: "Ich habe am Sonntag, den 26.10.2014 die an mich bzw. meine Kanzlei gerichtete Post vom hiesigen Postamt abgeholt. Dort habe ich für die Post ein eigenes Fach. Ich habe dann die Briefumschläge geöffnet. In der vorliegenden Sache habe ich lediglich das Empfangsbekenntnis mit dem Eingangsstempel der Kanzlei mit Datum vom 27. Oktober 2014 versehen, unterschrieben und am Nachmittag kurz nach 16:00 Uhr an das Sozialgericht Magdeburg gefaxt. Den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 25.09.2014 habe ich an diesem Tag nicht gelesen, sondern diesen in das kanzleiinterne Posteingangsfach gelegt, damit der Gerichtsbescheid zusammen mit der Handakte dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt M. G. am nächsten Werktag vorgelegt wird, was dann auch so erfolgt ist."

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 25. September 2014, zugestellt am 27. Oktober 2014, und den Bescheid der Beklagten vom 12. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2013 aufzuheben und das Ereignis vom 28. Juli 2012 als Arbeitsunfall festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Gericht hat den Kläger auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts betreffend die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 5 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) vom 17. März 1981 – 7RAr 107/79, Juris, Rdnr. 21; vom 23. März 1966 – 9RV 334/63, Juris, Rdnr. 8 und vom 21. Dezember 2009 – B14 AS 63/08 R, Juris, Rdnr. 13 hingewiesen.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143, 105 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegen den Gerichtsbescheid statthafte Berufung ist unzulässig, da sie außerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist.

Nach §§ 151 Abs. 1, 105 Abs. 1 Satz 3 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Berufungsfrist begann nach § 64 Abs. 1 SGG am Montag, den 27. Oktober 2014, und endete nach § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG am Mittwoch, den 26. November 2014, weil die Zustellung schon am 26. Oktober 2014 erfolgt war.

Zugestellt wird gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO).

Bei einer Zustellung durch Empfangsbekenntnis nach § 174 ZPO – wie vorliegend – ist Zustellungsdatum der Tag, an dem der Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks persönlich Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegennimmt (BSG, Urteil vom 13. Mai 2015 – B 6 KA 18/14 R –, juris Rdnr. 18; BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 – I ZB 39/05 –, juris Rdnr. 7 m.w.N,; so auch BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009, B 14 AS 63/08 R, juris 3. Orientierungssatz und Rdnr. 13 m.w.N. bezogen auf die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 5 Abs. 4 VwZG). Auf die Frage, ob der Rechtsanwalt das Schriftstück auch inhaltlich zur Kenntnis genommen hat, kommt es dagegen nicht an. Hinzukommen muss, dass der Empfangswille durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses, bei dem es sich um eine öffentliche Urkunde handelt, beurkundet wird (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 – I ZB 39/05 –, juris Rdnr. 7). Als Tag der Zustellung ist der Tag anzugeben, an dem der Adressat von dem Zugang des Schriftstücks Kenntnis erlangt und sich entschließt, die Zustellung anzunehmen (BSG, Urteil vom 23. März 1966 – 9 RV 334/63 – SozR Nr. 4 zu § 5 VwZG, juris Rdnr. 8).

Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes erbringt das datierte und unterschriebene Empfangsbekenntnis als öffentliche Urkunde Beweis für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme (BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009 – B 14 AS 63/08 R –, juris Rdnr. 12), sofern der zulässige Gegenbeweis nichts anderes ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1966, 9 RV 334/63, juris Rdnr. 8 bezogen auf die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 5 VwZG).

Durch das vorliegende Empfangsbekenntnis wäre danach nur dann bewiesen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Gerichtsbescheid am 27. Oktober 2006 entgegengenommen hat, wenn der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des eingetragenen Zustelldatums nicht geführt wäre.

Der Beweis dafür, dass der Prozessbevollmächtigte ein anderes Datum als den Tag der tatsächlichen Kenntnisnahme vom Zugang des Gerichtsbescheides beurkundet hat, ist hier erbracht.

Der Gegenbeweis ist geführt, wenn die von dem Empfangsbekenntnis ausgehende Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sind (BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009 – B 14 AS 63/08 R –, juris Rdnr. 12; BGH, Beschluss vom 13. Juni 1996 – VII ZB 12/96 –, juris Rdnr. 7 m.w.N.).

Zweifel an der Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis betreffend das Zustellungsdatum am 27. Oktober 2014 ergaben sich aus dem Absende- und Eingangsvermerk vom 26. Oktober 2014 auf dem beim Sozialgericht Magdeburg per Fax eingegangenen Empfangsbekenntnis. Das Gericht muss nicht klären, inwieweit sich bereits aus der Empfangsdokumentation von Faxeingängen beim Sozialgericht Magdeburg am 26. Oktober 2014 der Gegenbeweis zum Empfangsbekenntnis führen lässt. Denn die Zweifel an dessen Richtigkeit haben sich bestätigt, weil der bevollmächtigte Rechtsanwalt H. an Eides statt versichert hat, dass er am Sonntag, den 26. Oktober 2014 die Post vom Postamt abgeholt, die Briefumschläge geöffnet, in der vorliegenden Sache das Empfangsbekenntnis unterschrieben und am Nachmittag des Tages an das Sozialgericht Magdeburg gefaxt hat. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat danach am 26. Oktober 2014 seinen Annahmewillen nach außen durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses und dessen Übersendung per Fax an das Sozialgericht dokumentiert. Aus der eidesstattlichen Versicherung ergibt sich auch der Beweis dafür, dass der Prozessbevollmächtigte mit dem Eingangsstempel vom 27. Oktober 2014 ein anderes Datum als den Tag der tatsächlichen Kenntnisnahme vom Zugang des Gerichtsbescheides am Vortag beurkundet hat. Die tatsächliche Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses hat bereits mit Abschluss der Handlung den objektiven Erklärungsinhalt, das betreffende Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt war dem Verfahrensbevollmächtigten der Zugang des Gerichtsbescheides auch bekannt; dass er den Inhalt der Entscheidung noch nicht kannte und Rechtsanwalt G. ihn erst am 27. Oktober 2014 zur Kenntnis nehmen wollte, ist ohne Belang. Daraus ergibt sich keine fehlende Empfangsbereitschaft. Ein nur innerlich gebliebener Vorbehalt des Zustellungsempfängers, das Schriftstück als (noch) nicht zugestellt zu behandeln, ist unbeachtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 – I ZB 39/05 –, juris Rdnr. 9). Der Prozessbevollmächtigte ist daher auch nicht befugt, den Zeitpunkt der Zustellung auf ein späteres Datum vorzudatieren.

Mit dem danach erbrachten Gegenbeweis der Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis eingetragenen Datums der Zustellung liegt auch kein der Entscheidung des BGH (Urteil vom 07. Juni 1990 – III ZR 216/89) vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, denn dort konnten die sich aus dem Absende- und Eingangsvermerk des eingegangenen Empfangsbekenntnisses ergebenden Zweifel an der Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis betreffend das Zustellungsdatum nicht bewiesen werden.

Die Berufungseinlegung am 27. November 2014 bei dem Landessozialgericht war daher verspätet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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