L 13 KN 1768/00

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KN 1237/98
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 KN 1768/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die in den sogenannten „wilden Jahren“ von 1946 bis 1955 im Uranerzbergbau der früheren DDR bei Untertagebeschäftigungen aufgetretenen ionisierenden Strahlen sind generell geeignet, Kehlkopfkrebs auszulösen.

2. Für die generelle Eignung der im Uranerzbergbau aufgetretenen ionisierenden Strahlen für die Entstehung von Kehlkopfkrebs genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit.

3. Bei einem durch ionisierenden Strahlen verursachten Kehlkopfkarzinom war der Antragsteller an der rechtzeitigen Anmeldung des Anspruchs gehindert, wenn zwischen der nur für etwas mehr als zweieinhalb Jahre ausgeübten Untertagebeschäftigung und dem Auftreten des Kehlkopfkarzinoms 33 Jahre liegen und beim Antragsteller zuvor schon drei weitere Karzinome an anderen Organen aufgetreten waren.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Januar 2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet bzw. verurteilt wird, den Folgezustand nach Kehlkopfkrebs als Berufskrankheit nach Nr. 2402 BKVO anzuerkennen und dem Kläger ab 1. Januar 1993 Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Folgen eines Kehlkopfkarzinoms links mit Stimmbandteilresektion als Berufskrankheit anzuerkennen und durch Gewährung einer Verletztenrente zu entschädigen sind.

Der 1917 geborene Kläger war nach Einsatz als Soldat und einer Beschäftigung als Tischler vom 3. Februar 1949 bis 1. September 1951 als Zimmerling, Arbeiter im Wetterdienst und Transportarbeiter im Uranerzbergbau bei der SDAG W. (frühere DDR), Objekt J., unter Tage beschäftigt. Danach arbeitete der Kläger bei verschiedenen Arbeitgebern als Montagehelfer, Schreiner und Fräser; seit Mitte 1953 lebt er im Bundesgebiet. Im Jahre 1975 erkrankte er an einem Magenkarzinom, 1982 an einem Dickdarmkarzinom und einem Hauttumor am Nasenrücken, 1984 an einem Kehlkopfkarzinom und 1986 an einem Prostatakarzinom. Dr. med. Z. vom Betriebsärztlichen Dienst in K. zeigte unter dem 20. Januar 1997 die Krebserkrankungen des Klägers als mögliche Berufskrankheiten nach Strahlenexposition an; er fügte den Befundbericht des Kreiskrankenhauses R. vom 1. Dezember 1992 bei. Die Beklagte erhob einen Berufsspiegel für Zeiten außerhalb der SDAG W. In einem Fragebogen, den der Kläger unter dem 3. Februar 1997 ausfüllte, gab er u.a. an, er sei früher Raucher gewesen und habe dreißig Jahre lang täglich etwa ein bis zehn Zigaretten konsumiert. Die Beklagte erhob den Befundbericht des HNO-Arztes Dr. We. vom 14 April 1997, in dem dieser über das Stimmbandkarzinom links vorn berichtet, das durch eine Resektion des linken Stimmbandes am 3. Dezember 1984 und anschließende Bestrahlung vom 10. Januar bis 15. Februar 1985 behandelt worden sei; hierzu legte er u.a. den Befundbericht der St. Vincentius-Krankenhäuser K. vom 11. März 1985 vor, in dem über eine operative Entfernung eines Plattenepithelkarzinoms berichtet wird.

Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten errechnete eine Strahlenbelastung von 269,34 WLM (working level month) und eine Strahlendosis von zunächst 15,4 Sv (Sievert). Daraus ergebe sich auf der Grundlage der Erkenntnisse des Jacobi-II-Gutachtens eine Verursachungswahrscheinlichkeit der Strahlenbelastung für das Stimmbandkarzinom von 43,4 v.H. Die Beklagte holte die gewerbeärztliche Stellungnahme vom 19. August 1997 ein, die zum Ergebnis gelangte dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Erkrankung und Tätigkeit im Uranbergbau nicht hinreichend wahrscheinlich sei. Mit Bescheid vom 22. September 1997 lehnte die Beklagte Leistungen wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 0092 der Berufskrankheiten-VO/DDR ab. Am 13. Oktober 1997 erhob der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch gegen diese Entscheidung. Er wies darauf hin, dass bei ihm im Lauf der Jahre eine Vielzahl von Karzinomen aufgetreten sei, die auf die Strahlenbelastung während der Untertagetätigkeit im Uranerzbergbau der SDAG W. zurückzuführen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 1998 zurück. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der Karzinomerkrankung und der Tätigkeit im Uranerzbergbau lasse sich nach Auswertung der vorliegenden epidemiologischen Untersuchungen und der verfügbaren medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht wahrscheinlich machen.

Aufgrund der Anzeige über eine Berufskrankheit des Dr. Z. wurde zugleich die Entschädigung des Magenkarzinoms, des Dickdarmkarzinoms, des Hauttumors und des Prostatakarzinoms als Berufskrankheiten geprüft. Der TAD war aufgrund der Feststellungen zur Berufsanamnese und zur Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen anhand des Jacobi-II-Gutachtens bezüglich des Magenkarzinoms zu einer kumulativen Strahlendosis von 102,0 Millisievert (mSv) und zu einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 1,5 v.H. gekommen, für den Hauttumor des Nasenrückens zu einer Strahlendosis von 93,3 mSv und zu einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 1,8 v.H., für das Prostatakarzinom zu einer Strahlendosis von 96,2 mSv und einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 2,8 v.H. und schließlich für das Dickdarmkarzinom zu einer Strahlendosis von 94,7 mSv und einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 3,7 v.H. Die Entschädigung dieser jeweils in gesonderten Verfahren ermittelten anderen Erkrankungen wurde jeweils durch Bescheide vom 22. September 1997 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 7. April 1998 abgelehnt.

Der Kläger hat wegen der Entschädigung der insgesamt fünf Berufskrankheiten jeweils gesondert Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben. (S 2 KN 1237/98 (Prostatakarzinom); S 2 KN 1238/98 (Magenkarzinom), S 2 KN 1239/98 (Dickdarmkarzinom); S 2 KN 2544/98 (Kehlkopfkarzinom) sowie S 2 KN 2545/98 (Hauttumor)). Das SG hat die Klagen mit Beschluss vom 31. August 1998 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2000 die Klagen wegen Entschädigung des Dickdarmkarzinoms, des Prostatakarzinoms und des Nasenhauttumors zurückgenommen. Zur Begründung der weitergeführten Klage hat er vorgetragen, das gehäufte Auftreten von verschiedenen Krebserkrankungen lasse es wahrscheinlich erscheinen, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der Tätigkeit im Uranerzbergbau und den genannten Erkrankungen gegeben sei und es sich nicht um schicksalhafte Erkrankungen handele. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Es lasse sich nicht nachweisen, dass die Strahlenexposition generell geeignet sei, das Risiko der Erkrankung an einem Stimmbandkarzinom zu erhöhen. Auch die individuelle Kausalität könne nicht bejaht werden, weil es nach den Berechnungen nur zu 43,4 v.H. wahrscheinlich sei, dass sich die Krebserkrankung des Klägers auf die Untertagetätigkeit zurückführen lasse. Das SG hat den damaligen Leiter des Instituts für Medizinische Strahlenbiologie der Universitätsklinik E. Prof. Dr. Dr. C. St. zum Sachverständigen ernannt. Dieser hat im Gutachten vom 9. Februar 1999 ausgeführt, die beim Kläger bestehenden Tumore könnten grundsätzlich durch ionisierende Strahlung verursacht sein. Die Höhe der Verursachungswahrscheinlichkeit hänge von der Strahlendosis und der Strahlenempfindlichkeit des Organs ab. Unter Heranziehung der sich aus dem Jacobi-II-Gutachten ergebenden Expositionsabschätzungen gelange er für den Kehlkopf zu einer Strahlendosis von 34,27 Sv und nicht lediglich 15,4 Sv, wie von der Beklagten angenommen. Durch Laboruntersuchungen über zytogenetische Schäden nach Bestrahlung habe sich eine Erhöhung der individuellen Strahlenempfindlichkeit des Klägers im Vergleich zu durchschnittlichen Werten der Bevölkerung um den Faktor 1,25 ergeben, was bei der Berechnung der Verursachungswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen sei. Danach beruhten das Kehlkopf- (Stimmband-) Karzinom, aber auch das Magenkarzinom ursächlich auf der beruflichen Strahlenexposition des Klägers; es handle sich um Berufskrankheiten nach Nr. 2402 der Berufskrankheitenverordnung (BKVO). Die Verursachungswahrscheinlichkeit liege entgegen der Annahme der Beklagten über 50 v.H. Die Beklagte hat u.a. den Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben "Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" sowie den Berichtsband über das Berufskrankheiten-Forum "Extrapulmonale Krebserkrankungen Wismut" am 12. Februar 1998 in Hennef, jeweils herausgegeben von der Bergbau-Berufsgenossenschaft und dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und die Ergebnisse des vom Institut für Strahlenschutz der Berufsgenossenschaften der Feinmechanik/Elektrotechnik sowie der chemischen Industrie veranstalteten Symposions "Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zur Induktion maligner Erkrankungen durch ionisierende Strahlung" vom 25. Juni 1998 in Bad Münstereifel überlassen. Das SG hat beim Sachverständigen Prof. Dr. St. die ergänzende Stellungnahme vom 29. Juli 1999 eingeholt. Mit Urteil vom 26. Januar 2000 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. September 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 1998 verurteilt, das Kehlkopfkarzinom als Berufskrankheit nach Nr. 0092 BerufskrankheitenVO/DDR anzuerkennen und dem Grunde nach Verletztenrente zu gewähren. Im Übrigen hat es die auf Anerkennung und Entschädigung des Magenkarzinoms als Berufskrankheit gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des der Beklagten am 11. April 2000 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteils wird Bezug genommen.

Die Beklagte hat am 27. April 2000 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es gebe für die meisten extrapulmonalen Tumore bislang lediglich Hinweise, aber keine gesicherten epidemiologischen Studien für eine Risikoerhöhung durch die berufliche Exposition im Unter- oder Übertageuranerzbergbau. Infolge des fehlenden Nachweises der generellen Geeignetheit komme derzeit eine Entschädigung extrapulmonaler Krebserkrankungen, also des Stimmbandkarzinoms des Klägers, unter Berücksichtigung des Jacobi-II-Gutachtens nicht in Betracht. Die Beklagte hat unter dem 2. Mai 2001 eine neue Berechnung des TAD über die berufliche Exposition des Klägers vorgelegt. Die frühere vom TAD vorgelegte Dosisermittlung sei aufgrund eines Programmierungsfehlers fehlerhaft. Anstelle einer äquivalenten Dosis von 15,4 Sv habe sich in der Nachberechnung eine solche von 19,1 Sv bezogen auf den Kehlkopf ergeben, mit der Folge, dass sich die Verursachungswahrscheinlichkeit für das Stimmbandkarzinom auf 49 v.H. erhöhe. Es sei allerdings daran festzuhalten, dass eine Entschädigung auch bei einer noch höheren individuellen Verursachungswahrscheinlichkeit schon deshalb ausscheide, weil der Nachweis der generellen Geeignetheit des Listenstoffes (ionisierende Strahlung) zur Verursachung der konkreten Erkrankung (Kehlkopf- bzw. Stimmbandkarzinom) fehle. Für den Kausalitätsnachweis im Sinne der generellen Geeignetheit sei der Vollbeweis, also die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Da diese nicht gegeben sei, könne die vorliegende Berufskrankheit nicht entschädigt werden. Wenn eine Entschädigung erfolgen müsste, sei die Bewertung der MdE in Höhe von 20 v.H. angemessen; eine Verletztenrente könnte unter Beachtung der Verjährungsvorschriften frühestens ab 1. Januar 1993 gewährt werden.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2004 hat der Kläger sein Rentenbegehren auf eine solche in Höhe von 20 v.H. und auf die Zeit ab 1. Januar 1993 beschränkt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Januar 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf Grund des Ergebnisses der auch im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme sei eine Verursachungswahrscheinlichkeit von mehr als 50 v.H. gegeben und die Berufskrankheit zu entschädigen.

Der Senat hat die ergänzenden Stellungnahmen des Prof. Dr. St. vom 12. Januar 2001 sowie vom 10. Juni 2001 erhoben und den Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten Prof. Dr. Sta. zum Sachverständigen ernannt, der sein Gutachten unter dem 28. April 2003 erstattet hat; letzterer gelangte zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers um 20 v.H. Der Senat hat schließlich bei Prof. Dr. Sz., Ordinariat für Arbeitsmedizin der Universität H., das nach Aktenlage erstattete Gutachten vom 9. Dezember 2003 erhoben. Der Sachverständige ist zum Ergebnis gelangt, ionisierende Strahlen seien - auch aufgrund einzelner epidemiologischer Studien - mit Wahrscheinlichkeit geeignet, Kehlkopfkrebs auszulösen. Allerdings sei das Risiko an Kehlkopfkrebs zu erkranken auch bei Menschen, die langjährig geraucht und/oder alkoholische Getränke konsumiert hätten, erheblich erhöht. Der mäßige Alkohol- und Nikotinkonsum des Klägers könne unberücksichtigt bleiben; für den rauchenden und alkoholkonsumierenden Beschäftigten erhöhe sich das berufliche Krebsrisiko ebenso, wenn nicht mehr als für den nicht rauchenden oder nicht alkoholkonsumierenden Strahlenexponierten. Auch das erhöhte genetische Risiko des Klägers müsse berücksichtigt werden. Schließlich sei die individuelle Verursachungswahrscheinlichkeit zu bejahen.

Im übrigen wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (97.014.222/3 (Kehlkopf); 97.014.211/8 (Dickdarm), 97.014.209/6 (Prostata), 97.014.213/4 (Haut) und 97.002 608/8 (Magen)), die Klageakten des SG (S 2 KN 1237/98, 1238/98, 1239/98, 2544/98, 2545/98) sowie die Berufungsakten des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten konnte im Wesentlichen keinen Erfolg haben.

Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet. Der Senat hat die Berufung mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe zurückgewiesen; mit der Maßgabe wird die Gesundheitsstörung als Folge der Berufskrankheit sowie letztere präziser bezeichnet und nach entsprechender Klarstellung sowie Beschränkung des prozessualen Anspruchs Beginn sowie die die Höhe der Verletztenrente bestimmende MdE näher festgelegt.

Der Kläger hat wegen des bei ihm bestehenden Folgezustands nach Kehlkopfkrebs (Zustand nach krebsbedingter Stimmbandteilresektion) seit 1. Januar 1993 Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. Diese Gesundheitsstörung ist Folge einer Berufskrankheit nach Nr. 2402 BKVO.

Der vom Kläger erhobene Anspruch richtet sich noch nach den vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) geltenden Vorschriften. Denn bereits vor Inkrafttreten des SGB VII zum 1. Januar 1997 (vgl. Art. 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes (UVEG)) war das am 6. November 1984 erstmals Behandlungsbedürftigkeit verursachende Karzinom am linken vorderen Stimmband aufgetreten, für welches der seit September 1953 im Bundesgebiet lebende Kläger seine im Beitrittsgebiet im Uranerzbergbau vom 3. Februar 1949 bis 1. September 1951 unter Tage verrichtete Beschäftigung verantwortlich macht. Auf den Anspruch des Klägers ist (vgl. § 212 SGB VII) mithin nicht das SGB VII, sondern das Dritte Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden. Dass eine Berufskrankheit, welche auf eine im Beitrittsgebiet ausgeübte Beschäftigung zurückzuführen ist, hinsichtlich Voraussetzungen, Art, Dauer und der Höhe der Leistungen nach den Bestimmungen der RVO entschädigt wird, ergibt sich aus §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 7 des Fremdrentengesetzes (FRG; hierzu BSG, Urteil vom 20. April 1993 - 2 RU 28/92 - in HV-Info 1993, 1683 ff.; BSG SozR 3-2200 § 1150 Nr. 2 und Nr. 3). Dem stehen weder das Gesetz zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 25. Juni 1990 - Vertragsgesetz - (BGBl. II S. 518, vgl. dort Art. 24 §§ 1 Abs. 1 und 2, 2) noch der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889; dort Anl. I Kapitel VIII Sozialgebiet H Abschnitt II Nrn. 17 und 19) entgegen; es geht auch nicht um die Übernahme von vor dem 1. Januar 1992 im Beitrittsgebiet eingetretenen Krankheiten als Berufskrankheiten (vgl. Art. 215 SGB VII i.V.m. § 1150 Abs. 2 RVO; hierzu BSG, Beschluss vom 18. Juni 2001 - B 2 U 104/01 B - abgedruckt in juris, BSG SozR 3-8440 Nr. 50 Nr. 1) sodass es nicht auf die vom SG bejahte Heranziehung der Berufskrankheiten-Verordnung der DDR (BKVO/DDR) ankommt (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 18. Juni 2001 a.a.O.). In § 5 Abs. 1 Nr. 1 FRG wird bestimmt, dass nach den für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebenden bundesrechtlichen Vorschriften auch entschädigt wird ein außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik eingetretener Arbeitsunfall, wenn der Verletzte im Zeitpunkt des Unfalls bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war; die Vorschrift ist (vgl. § 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FRG) auf Berufskrankheiten entsprechend anzuwenden, wobei als Zeitpunkt des Unfalls der letzte Tag gilt, an dem der Versicherte in einem Unternehmen Arbeiten verrichtet hat, die ihrer Art nach geeignet sind, die Berufskrankheit zu verursachen. Die Leistungen für Berufskrankheiten sind nach § 5 Abs. 4 Satz 1 FRG auch Personen zu gewähren, die - wie der Kläger - nicht zu den Personen des § 1 Buchstabe a bis d FRG gehören. Die im Beitrittsgebiet bei der SDAG W. im Uranerzbergbau unter Tage bis 1. September 1951 ausgeübte Beschäftigung, während der der Kläger bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war, war, wie noch zu zeigen ist, ihrer Art nach geeignet, den Kehlkopfkrebs zu verursachen.

Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (Satz 2 a.a.O.). Durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das geschieht in der BKVO, der in der Anlage eine Liste der entschädigungspflichtigen Berufskrankheiten angefügt ist. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2402 der Anlage zur BKVO "Erkrankungen durch ionisierende Strahlen". Durch die unbestimmte Bezeichnung von Berufskrankheiten als "Erkrankungen durch ..." will (vgl. zum Folgenden insoweit BSG, Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R -, veröffentlich u.a. in juris) der Verordnungsgeber alle denkbaren Krankheiten zu Berufskrankheiten erklären, die nach den fortschreitenden Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft ursächlich auf die genannten Einwirkungen zurückzuführen sind, ohne dass insoweit weitere Einschränkungen gemacht werden. Voraussetzung für die Anerkennung und ggf. Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist in diesen Fällen zum einen, dass der schädigende Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zum Entstehen zu bringen oder zu verschlimmern. Zum anderen muss die Erkrankung konkret-individuell durch die Einwirkungen des Listenstoffs wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden und diese Einwirkungen müssen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sein. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht genannten Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht. Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Tatsachen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSGE 45, 285, 286). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nach der genannten im Unfallversicherungsrecht maßgebenden Theorie der wesentlichen Bedingung nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSGE 63, 277, 280). Grundvoraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit ist, dass durch sie die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um mindestens ein Fünftel, d.h. um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO).

Im vorliegenden Fall ist nachgewiesen, dass der Kläger im November 1984 an einem Kehlkopfkarzinom im Bereich des linken Stimmbands erkrankt ist, welches durch Resektion des linken Stimmbands sowie anschließende Bestrahlung mit heute noch bestehenden Folgen behandelt wurde. Nachgewiesen ist ferner die haftungsbegründende Kausalität, also der Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung ionisierender Strahlen. Der Kläger war vom 3. Februar 1949 bis 1. September 1951 im Objekt J. der SDAG W. als Zimmerling, Wetterführer und Transportarbeiter unter Tage beschäftigt und für die gesamte Zeit dieser versicherten Tätigkeit im Uranerzbergbau ionisierenden Strahlen ausgesetzt. Im Einzelnen handelte es sich dabei um die Inhalation von Radon und radioaktiven Folgeprodukten, die Inhalation von Staub mit radioaktiven Stoffen sowie eine externe Strahlenexposition; in allen Fällen dieser beim Kläger nur während der Untertagebeschäftigung im Uranerzbergbau aufgetretenen Strahlenexposition hat es sich um ionisierende Strahlen im Sinn der Nr. 2402 BKVO gehandelt (vgl. auch das zu dieser Berufskrankheit vom Bundesminister für Arbeit herausgegebene Merkblatt für die ärztliche Untersuchung vom 13. Mai 1991, Abschnitt I und Anhang 1, abgedruckt bei Mehrtens/Perlebach. Die Berufskrankenheitenverordnung, M 2402 S. 1,6a und 6b). Der TAD der Beklagten hat, weil für die Zeit der Beschäftigung des Klägers keine Strahlenmessungen durchgeführt worden sind, die während der Beschäftigung auf den Kehlkopf durch Inhalation von Radon und radioaktiven Folgeprodukten entfallende Organdosis mit 18,8149 Sv und die gesamte Organdosis auf 19,10135 Sv geschätzt. Der Senat hält diese Dosisabschätzung, die auf späteren Strahlenschutzmessungen während des Betriebs und nach Stillegung sowie Versuchen unter ganz unterschiedlichen Bedingungen beruhen und die im 1998 erstellten Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben "Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" von Dr. Lehmann u.a. wissenschaftlich aufgearbeitet worden sind, für aussagekräftig, verlässlich und hinreichend sicher. Zwar ist der Sachverständige Prof. Dr. St. in seinem Gutachten und den ergänzenden Äußerungen insbesondere für die Inhalation von Staub mit radioaktiven Stoffen zu einer höheren Expositionsabschätzung, nämlich 22,38 Sv gelangt. Dem hat der TAD der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 5. April 2001 mit beachtlichen Gründen unter Hinweis auf die Ergebnisse von Versuchsreihen, die Bestimmung des Urangehalts am konkreten Arbeitsplatz und den Urangehalt im Objekt J. widersprochen. In seiner anschließenden Äußerung konnte Prof. Dr. St. keine Gesichtspunkte mehr aufzeigen, welche die Dosisabschätzung durch den TAD hätten entkräften können.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sind die beim Uranerzbergbau W. aufgetretenen ionisierenden Strahlen auch generell geeignet, Kehlkopfkrebs auszulösen; den für einen Kausalzusammenhang sprechenden Umständen kommt bei einer Abwägung ein deutliches Übergewicht zu. Für diese Auffassung stützt sich der Senat auf das am 8. Februar 1999 erstattete Gutachten von Prof. Dr. St. mit ergänzenden Äußerungen vom 19. Juli 1999, 12. Januar 2001 und 9. Juni 2001, das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sz. vom 9. Dezember 2003, die von Prof. Dr. Jacobi u.a. im Jahr 1995 erstellte Studie "Risiko und Verursachungswahrscheinlichkeit von extrapulmonalen Krebserkrankungen durch die berufliche Strahlenexposition von Beschäftigten der ehemaligen Wismut. AG" (Jacobi-II-Studie), die Ergebnisse des Fachgesprächs "Extrapulmonale Krebserkrankungen Wismut" am 12. Februar 1998 in Hennef sowie auf die Beiträge des Symposiums "Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zur Induktion maligner Erkrankungen durch ionisierende Strahlung" am 25. Juni 1998 in Bad Münstereifel. Seine Auffassung begründet der Senat wie folgt: Eine Möglichkeit, individuell zwischen strahlenbedingter und nicht strahlenbedingter Induktion von Krebs zu unterscheiden, gibt es derzeit noch nicht. Allerdings gibt es epidemiologische Untersuchungen, bei denen nach Bestrahlung eine eindeutige Dosiswirkungsbeziehung für die Zunahme von Krebstodesfällen oder maligner Erkrankungen gefunden wurde. Diese Untersuchungen beziehen sich indes überwiegend auf Strahlenexpositionen außerhalb des Uranerzbergbaus. Soweit sie sich auch mit extrapulmonalen Krebserkrankungen befassen, hat sich in allen Studien für Kehlkopfkrebs ein Trend zu einer Erhöhung dieser Krebsentität nach Bestrahlung im Gegensatz zu anderen Tumoren der Mundhöhle und des Rachens ergeben; zu einer statistisch signifikanten Zunahme der Kehlkopfkrebserkrankungen kam es allerdings häufig nicht, zumal die eine solche Erhöhung dieser Krebsart belegende Studie von Tirmarche u.a. (1993) revidiert wurde. Die Neubewertung der Studie bezog sich jedoch nicht mehr auf das ursprüngliche Kollektiv, sondern auf eine aus Gründen der statistischen Power erweiterte Kohorte, weil zusätzliche, jedoch weniger strahlenexponierte Bergleute aufgenommen wurden. Untersuchungen an radon-exponierten Bergarbeitern in Polen (Zemla 1996; Skowronek und Zemla 2003) haben jedoch ergeben, dass mit steigenden Radonkonzentration in den Gruben die Rate an Kehlkopfkarzinomen signifikant zunahm und in Bergwerken mit sehr hoher Radonkonzentration eine Verdreifachung des relativen Risikos, an diesem Karzinom zu erkranken, beobachtet wurde. Soweit epidemiologische Untersuchungen weder eine Signifikanz noch auch nur eine leichte Zunahme von Kehlkopfkrebs nach Einwirkung von Strahlen gezeigt haben, hat es sich um Kollektive mit geringerer Strahlenexposition gehandelt. In Bezug auf die epidemiologische Absicherung des Sonderkausalzusammenhangs zwischen ionisierenden Strahlen und der Verursachung bzw. Verschlimmerung von Kehlkopfkrebs bei Uranerzbergbauarbeitern muss allerdings beachtet werden, dass es sich hierbei anders als zum Beispiel bei Lungenkrebs um eine seltene Krebsart handelt, die - auch wegen der besseren Behandelbarkeit - seltener zum Tode führt; bereits deshalb kann für die Bejahung der generellen Eignung eine mehrfache und breit abgesicherte epidemiologische Bestätigung nicht zur Voraussetzung gemacht werden (vgl. auch zur Quasi-Berufskrankheit BSGE 79, 250, 251 f.; BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R - abgedruckt in juris). Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens überwiegen in der Medizin und Strahlenbiologie die Stimmen und sind als gesicherte Erkenntnis auf diesen Gebieten anzusehen, die insbesondere unter Berücksichtigung der hohen Strahlenexpositionen durch Inhalation von Radon und Uran einschließlich der jeweiligen Zerfallsprodukte in den sogenannten "wilden Jahren" des Uranerzbergbaus der früheren DDR von 1946 bis 1955, in denen ausschließlich ohne Frischwetterzufuhr trocken gebohrt wurde, eine höhere Gefährdung der damals in der Urangewinnung unter Tage Beschäftigten, deswegen an Kehlkopfkrebs zu erkranken, bejahen; bei den extrapulmonalen Tumoren wird gerade der Mund-Rachen-Raum einschließlich Kehlkopf als kritische Lokalisation für ein erhöhtes Krebsrisiko angesehen. Das Merkblatt des Bundesministers für Arbeit vom 13. Mai 1991 spricht nicht gegen dieses Ergebnis. Darin ist festgehalten, dass bei der Förderung von Radon einschließlich dessen Zerfallsprodukten und anderen radioaktiven Stoffen enthaltendem Erz durch Inhalation nach mehrjähriger Einwirkung chronische Schäden der Atemwege und der Lunge auftreten (Abschnitt III D Nr. 2); ferner werden als strahlenbedingte Spätschäden vor allem Leukämie und andere maligne Tumore genannt und wird die Erkenntnis wiedergegeben, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Erkrankungen dosisabhängig ist. Dass im Anhang 2 zum Merkblatt, in welchem Organe/Gewebe je nach dem Grad der Strahlenempfindlichkeit (hoch, mittel, niedrig) aufgeführt sind, der Kehlkopf nicht genannt ist, ist kein Beleg gegen das Beweisergebnis des Senats, weil es sich dabei ersichtlich nicht um eine vollständige Auflistung aller möglichen Krebslokalisationen handelt.

Auch wenn gesicherte Erkenntnisse für die generelle Eignung der beim Uranerzbergbau in den "wilden Jahren" aufgetretenen ionisierenden Strahlen für die Entstehung von Kehlkopfkrebs vorliegen, ist der geforderte Sonderkausalzusammenhang lediglich wahrscheinlich, aber nicht im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen. Eines Nachweises bedarf es aus rechtlichen Gründen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht. Denn bei der Beurteilung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen für die Verursachung von Krankheiten kann keine der Gewissheit oder Sicherheit nahekommende Wahrheit verlangt werden; aus erkenntnistheoretischen Gründen genügt hier vielmehr eine der Wahrheit angenäherte klare Wahrscheinlichkeit (vgl. Koch, VSSR, 1996, S. 222, derselbe in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Band 2, § 35 Rz. 8 und in Lauterbach, Unfallversicherung, Sozialgesetzbuch VII, § 9 Rz. 105a m.w.N; a.A. Mehrtens/Perlebach, a.a.O, § 9 SGB VII Rz. 33.2.). Wollte man den Nachweis verlangen, so könnte dieser auch in zahlreichen Fällen einer von der überwiegenden Zahl der Wissenschaftler bejahten Kausalbeziehung nicht bejaht werden. Der Hinweis der Beklagten, der Begründung des Gesetzentwurfs zum Tatbestand der Quasi-Berufskrankheit in § 9 Abs. 2 SGB VII (BT-Drs 13/2204 S. 78) sei zu entnehmen, dass die generelle Geeignetheit nachgewiesen sein müsse, trägt nicht. Vorliegend geht es weder um eine Quasi-Berufskrankheit noch um die Anwendung von § 9 Abs. 2 SGB VII, sondern um die Entschädigung einer Berufskrankheit mit unbestimmter Krankheitsbezeichnung auf der Grundlage der RVO; abgesehen davon ist die von der Beklagten vorgenommene Interpretation auch nicht zwingend.

Auch der konkret individuelle Kausalzusammenhang zwischen der Strahlenexposition und dem Kehlkopfkarzinom lässt sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen. Die Beklagte und der Sachverständige Prof. Dr. St. haben die Verursachungs-Wahrscheinlichkeit anhand des in der Jacobi-II-Studie aufgezeigten dosimetrischen Lösungswegs ermittelt. Diesem Lösungsweg liegen umfangreiche epidemiologische Daten zum Strahlenkrebsrisiko bei anderen strahlenexponierten Personengruppen zugrunde, von denen die wichtigste und umfangreichste die sogenannte "Life-Span-Studie" bei den Atombomben-Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki ist. Diese Risikodaten ermöglichen eine Aussage über die Beziehung zwischen der Energie- bzw. Äquivalentdosis in den bestrahlten Körpergeweben und dem damit verknüpften zusätzlichen Krebsrisiko. Auf diesen Daten basieren auch international anerkannte Richtwerte zum Strahlenkrebsrisiko und die daraus abgeleiteten von der internationalen Strahlenschutzkommission empfohlenen Dosisgrenzwerte. Auf der Grundlage dieses Risikomodells gelangte die Beklagte zuletzt zu einer Verursachungswahrscheinlichkeit von 49 v.H., was der Verdoppelung des Risikos praktisch gleichkommt. Prof. Dr. St. hingegen hat unter Zugrundelegung derselben von der Beklagten ermittelten kumulativen Äquivalentdosis von 19,10 Sv eine Verursachungswahrscheinlichkeit von etwa 54 v.H. ermittelt. Dies resultiert daraus, dass Prof. Dr. St. auch die durch zellbiologische Untersuchungen gefundene und um den Faktor 1,25 erhöhte Strahlenempfindlichkeit des Klägers gewürdigt hat. Dagegen sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben, da für die Feststellung des konkret-individuellen Ursachenzusammenhangs nicht auf einen durchschnittlichen Versicherten, sondern auf den jeweils erkrankten Beteiligten abzustellen ist (vgl. auch BSG SozR 3-5671 Anlage 1 Nr. 4104 Nr. 1). Prof. Dr. Sz. hat es ebenfalls als wahrscheinlich erachtet, dass die ionisierenden Strahlen, denen der Kläger bei seiner Unter-Tage-Tätigkeit ausgesetzt war, eine wesentliche Ursache für das Kehlkopfkarzinom dargestellt haben. Dieser Sachverständige hat sich auch mit dem etwaigen Ursachenbeitrag durch den früheren Alkohol- und Nikotinkonsum des Klägers auseinandergesetzt und überzeugend die Auffassung vertreten, dass der beim Kläger bestehende frühere mässige Konsum dieser beiden Noxen als mögliche Konkurrenzursachen bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs unberücksichtigt bleiben kann.

Der Kläger hat wegen der noch bestehenden Folgen des Kehlkopfkarzinoms als Berufskrankheit Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H.; hierauf hat der Kläger seinen prozessualen Anspruch auch beschränkt. Bei Berufskrankheiten richtet sich (vgl. BSGE 63, 207, 212; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8) die MdE einerseits nach der Schwere des noch vorhandenen akuten Krankheitszustands sowie andererseits nach dem Umfang der dem Erkrankten verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens; das ist am Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Klägers vor Eintritt des Versicherungsfalls zu messen. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch die Krankheitsfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichen Gebiet (vgl. BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - B 2 U 49/99 R - veröffentlicht in juris; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Unter Berücksichtigung dessen hält der Senat die Bewertung der MdE mit 20 v.H. durch den Sachverständigen Prof. Dr. Sta. für überzeugend. Dieser hat nach Untersuchung des Klägers ausgeführt, dass das linke Stimmband abgetragen wurde und sich ein wesentlich schwächeres und dünneres Pseudostimmband neu gebildet hat, welches eine gewisse Funktion übernommen hat. Die Beklagte selbst hält diese Bemessung der MdE für angemessen (Schriftsatz vom 13. Mai 2003). Nicht zu überzeugen vermochte die Bewertung der MdE durch Prof. Dr. St.; dieser hat die MdE mit 100 v.H. beurteilt. Gegen diese Beurteilung spricht, dass der Sachverständige mit Ausnahme strahlenbiologischer Untersuchungen an den Blutlymphozyten keine persönliche Untersuchung des Klägers vorgenommen hat und auch nicht vornehmen musste, nachdem er vom Sozialgericht lediglich mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt war. Seine Bemessung entspricht auch nicht den zur MdE-Bewertung herausgearbeiteten Erfahrungssätzen, die bei Kehlkopfverlust eine MdE von 50 v.H. und bei Tonlosigkeit der Stimme eine solche von 30 v.H. vorsehen.

Die Beklagte war zur Gewährung einer Verletztenrente ab 1. Januar 1993 zu verurteilen; einen früheren Rentenbeginn hat der Kläger nicht beansprucht. Der Versicherungsfall ist am 6. November 1984 eingetreten, als das Kehlkopfkarzinom erstmals diagnostiziert wurde. Angemeldet (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 5. März 2002 - B 2 U 4/01 R - abgedruckt in juris) worden ist der Anspruch am 23. Januar 1997, als die ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit bei der Beklagten einging. Einer Rentengewährung vor dem 1. Januar 1997 könnte deshalb nur § 1546 Abs. 1 RVO entgegenstehen, welcher für die Zeit bis 31. Dezember 1996 gegolten und für die anschließende Zeit durch Art. 35 Nr. 1 i.V.m. Art. 36 UVEG ersatzlos aufgehoben worden ist. Nach § 1546 Abs. 1 Satz 1 RVO beginnen die Leistungen bei einer später als zwei Jahre nach dem Unfall erfolgten Anmeldung des Anspruchs bei dem Versicherungsträger mit dem ersten des Antragsmonats, es sei denn, dass die verspätete Anmeldung durch Verhältnisse begründet ist, die außerhalb des Willens des Antragstellers lagen. Nach Satz 2 der Bestimmung gilt als Zeitpunkt des Arbeitsunfalles im Sinne der Vorschrift bei einer Berufskrankheit das Ende der sie verursachenden Beschäftigung, wenn die Krankheit oder die MdE während der Beschäftigung des Versicherten in dem Unternehmen eingetreten ist, in dem er zuletzt Arbeiten verrichtet hat, die ihrer Art nach geeignet waren, die Berufskrankheit zu verursachen. Letztere Vorschrift ist nicht einschlägig, weil das Kehlkopfkarzinom oder die MdE nicht bereits während der Unter-Tage-Beschäftigung in der früheren DDR eingetreten ist. Die Ausnahmevorsetzungen des § 1546 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz RVO sind jedoch erfüllt. Danach muss die verspätete Anmeldung durch Verhältnisse begründet sein, die außerhalb des Willens des Antragstellers lagen. Diese Ausnahme ist praktisch identisch mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bzw. § 67 Abs. 1 SGG, so dass die dortigen Grundsätze entsprechend gelten (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 9/03 R - m.w.N. abgedruckt in juris). Die Versäumung einer Frist ohne Verschulden im Sinn der genannten Vorschriften des SGB X und des SGG wird angenommen, wenn der Säumige diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Antragsteller bzw. Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernüftigerweise zuzumuten ist (vgl. BSG, Urteil vom 19. August 2003 m.w.N.). Da der Ausnahmetatbestand die verspätete Anmeldung "begründet” haben muss, muss er innerhalb der maßgeblichen Zweijahresfrist eingetreten sein und ununterbrochen bis zur verspäteten Anmeldung angedauert haben (BSG, Urteil vom 19. August 2003 a.a.O. m.w.N.). Bereits während des Laufs der Zweijahresfrist bis 6. November 1986 und fortdauernd bis zur verspäteten Anmeldung im Januar 1997 war der Kläger, ohne dass er insoweit die ihm zumutbare Sorgfalt verletzt hat, gehindert den Rentenanspruch anzumelden. Der Grund hierfür liegt zum einen in der langen Latenzzeit von 33 Jahren zwischen der nur für etwas mehr als zweieinhalb Jahre ausgeübten gefährdenden Unter-Tage-Beschäftigung und dem Auftreten des Kehlkopfkarzinoms; deshalb brauchte an eine berufliche Verursachung nicht gedacht zu werden. Zum anderen waren schon vorher drei weitere Karzinome an anderen Organen aufgetreten, so dass es nahe lag, das Kehlkopfkarzinom sei eine weitere schicksalhafte Erkrankung oder Folge der früheren Karzinome. Zu bedenken ist ferner, dass gerade die Kausalitätsbeurteilung von malignen Tumoren durch ionisierende Strahlen selbst für hoch spezialisierte Ärzte besonders schwierig ist. Es sind auch sonst keine Umstände ersichtlich, deretwegen ein gewissenhafter Antragsteller annehmen musste, das Kehlkopfkarzinom könne von der nur relativ kurz ausgeübten und so viele Jahre zurückliegenden Unter-Tage-Beschäftigung herrühren. Im Übrigen hat sich auch die Beklagte nicht auf die von den Gerichten nicht von Amts wegen zu beachtende (vgl. BSGE 10, 88, 91) Ausschlussfrist des § 1546 Abs. 1 RVO berufen, indem sie im Termin zur mündlichen Verhandlung zugestanden hat, dem Kläger könne die Rente für den Fall der Gewährung unter Beachtung der Verjährungsvorschriften ab 1. Januar 1993 gezahlt werden. Für die Zeit ab 1. Januar 1993 jedenfalls war der Rentenanspruch nicht verjährt (vgl. § 45 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat für die Beklagte die Revision zugelassen, weil der Frage, ob bei offenen Berufskrankheitstatbeständen der Sonderkausalzusammenhang zwischen angeschuldigtem Stoff und Krankheit nachgewiesen oder nur hinreichend wahrscheinlich sein muss, grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Rechtskraft
Aus
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