L 11 KR 4122/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 2440/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4122/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Medizinische Fußpflege ist zu gewähren, wenn auf Grund einer Erkrankung und ihrer Auswirkungen auf den Gesamtgesundheitszustand eine unmittelbare, konkrete Gefahr besteht, dass ohne regelmäßige medizinische Fußpflege besondere Folgeschäden auftreten. Ein Anspruch besteht nicht, wenn die Fußpflege zum Ausgleich einer (teilweisen) Hilflosigkeit bei der Körperpflege benötigt wird.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. August 2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Krankenkasse die Kosten für Leistungen der medizinischen Fußpflege zu übernehmen hat.

Der 1939 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er leidet an einer arteriellen Verschlusskrankheit im Stadium II beidseits. Beidseits hat er, zuletzt 1991, bereits mehrere Bypässe an den Beinen erhalten. Er wird marcumarisiert und erhält wegen der prätibialen Ödeme am Unterschenkel wassertreibende Medikamente. Daneben leidet der Kläger unter einer Gonarthrose beidseits und einem Innenmeniskus-Lappenriß links sowie einer degenerativen Innenmeniskusläsion des rechten Kniegelenkes, weshalb im Februar 2000 eine Arthroskopie und Gelenktoilette und im Juni 2001 eine Arthroskopie, Innenmeniskus-Teilresektion und Gelenktoilette links und im Juni 2001 eine Arthroskopie und Innenmeniskus-Resektion rechts durchgeführt wurde. Im Februar 2001 war die Extension/Flexion für das rechte Kniegelenk mit 0/0/120° gemessen worden.

Im Januar 2001 beantragte der Kläger zunächst telefonisch und im Februar 2001 schriftlich unter Bezugnahme auf einen Bericht in der Zeitschrift "Sozialrecht und Praxis, Heft 7/00", wonach medizinische Fußpflege von der Kasse bezahlt werden müsse, eine Kostenzusage für medizinische Fußpflege. Aufgrund seiner Erkrankung und der Tatsache, dass er Marcumar-Patient sei, sei die Notwendigkeit einer medizinischen Fußpflege bei ihm unbestritten. Die von der Beklagten ihm telefonisch erteilte Begründung, dass die medizinische Fußpflege durch einen Arzt erfolgen müsse, sei für ihn nicht nachvollziehbar. Ärzte, darunter auch sein Hausarzt, würden so etwas nicht machen. Hierfür gebe es entsprechende Fachkräfte.

Nachdem die Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.11.1999 - Az: B 1 KR 9/97 R - darauf hingewiesen hatte, sie benötige nähere Angaben dazu, ob beim Kläger aufgrund der bei ihm bestehenden Erkrankung medizinische Fußpflege notwendig sei und sein Arzt diese Leistung nicht vornehmen könne, legte der Kläger ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. W., wonach bei ihm die Notwendigkeit der fortlaufenden medizinischen Fußpflege wegen schwerer arterieller Verschlusskrankheit (AVK) beider Beine und Marcumar-Einnahme bestehe, vor.

Mit Bescheid vom 06.04.2001 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenzusage für die von einer Fußpflegerin erbrachte medizinische Fußpflege ab. Gemäß § 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) hätten Versicherte u.a. Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Zur Krankenbehandlung zähle neben der ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung auch die Versorgung mit Heilmitteln, denen u.a. krankengymnastische Übungen und die physikalische Therapie zuzuordnen seien. Die ärztliche Behandlung werde von Vertragsärzten erbracht. Diese hätten die Richtlinien der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln in der kassenärztlichen Versorgung zu beachten. Dabei sei eine Behandlung durch Fußpflegerinnen nicht vorgesehen. Das BSG habe die medizinische Fußpflege dem Bereich der persönlichen Lebensführung und der Gesunderhaltung zugeordnet. Selbst wenn aufgrund der Erkrankung des Klägers fußpflegerische Maßnahmen nur unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden könnten und er sie bei Vorliegen einer Allgemeinerkrankung nur schwerlich selbst durchführen könne, würden diese Maßnahmen der Körperpflege nicht zu einem Heilmittel, das zu Lasten der Krankenkasse abgerechnet werden könne. Fußpflege gehöre weiterhin zum Eigenverantwortungsbereich des Versicherten. Wenn eine Erkrankung des Fußes vorliege, könne ein Vertragsarzt die Fußpflege unter Beachtung der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln in der kassenärztlichen Versorgung durchführen und entsprechende Gebührenziffern abrechnen.

Seinen dagegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger unter Vorlage eines Attestes des Oberarztes Dr. K., Chirurgische Universitätsklinik und Poliklinik, Abteilung für Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Ulm, wonach bei ihm die Notwendigkeit einer medizinischen Fußpflege auf Dauer bei schwerer AVK, Zustand nach multiplen Bypassanlagen an beiden Beinen und daraus resultierender Notwendigkeit einer Marcumar-Behandlung besteht, damit, § 27 SGB V sei als Ablehnungsgrund nicht geeignet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.08.2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach der Entscheidung des BSG vom 16.11.1999 sei die Fußpflege unabhängig von der dadurch abgewendeten Gefahr von Gesundheitsstörungen grundsätzlich der Körperpflege zuzuordnen, weil sie nicht in erster Linie zum Zwecke der Gesundheitsförderung und Gesunderhaltung durchgeführt werde und weil sie - etwa was Form und Häufigkeit betreffe - auf die Lebensart bezogen sei. In Einzelfällen sei eine Kostenübernahme möglich. Dies setze voraus, dass die Diagnose "Diabetes mellitus/diabetischer Fuß" vorliege. Zudem sei eine ärztliche Verordnung mit Angabe der genannten Diagnose und der Behandlungsfrequenz erforderlich. Eine solche Diagnose bestehe beim Kläger aktuell nicht. Eine Kostenübernahme sei deshalb nicht möglich.

Deswegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) mit der Begründung, nach § 27 Abs. 1 SGB V seien auch die Kosten für die notwendige ärztliche Behandlung zu tragen, wenn ohne regelmäßige medizinische Fußpflege Folgekrankheiten zu erwarten seien, die bei einem gesunden Versicherten nicht auftreten würden. Dies gelte insbesondere, wenn die Krankheit ohne Behandlung (hier medizinische Fußpflege) mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Erkrankungen nach sich ziehe. Dann sei eine solche Behandlung erforderlich, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu verhindern. Diese Voraussetzung läge bei ihm ebenso, wie ein eindeutiger Bezug zur Krankheit und nicht nur das allgemeine Ziel, Folgekrankheiten zu verhindern, vor. Die medizinische Fußpflege werde von Dr. W. angeordnet und überwacht. Ergänzend legte der Kläger den bereits im Antrag erwähnten Aufsatz in der Zeitschrift "Sozialrecht und Praxis 7/00", S. 445 f., mit dem Titel "Medizinische Fußpflege muss von der Kasse bezahlt werden" sowie eine Aufstellung über Behandlungskosten für die medizinische Fußpflege vom 01.08.1996 bis 25.03.2003 vor. Außerdem wies er darauf hin, die Behandlungskosten seien ihm bis einschließlich August 1996 erstattet worden. Nachdem ihm damals von der Kasse mitgeteilt worden sei, dass eine Erstattung der Behandlungskosten nicht mehr möglich sei, habe er auf die weitere Ausstellung von ärztlichen Verordnungen verzichtet.

Das SG hörte Dr. W. als sachverständigen Zeugen. Dr. W. teilte mit, der Kläger habe einen Zustand nach Mehrfachoperation wegen schwerer arterieller Durchblutungsstörungen der Beine. Die Operationen seien in den Jahren 1987 und 1990 sowie 1991 durchgeführt worden. Zwischenzeitlich sei er wegen seiner komplizierten Gefäßsituation insbesondere der Beine wiederholt in der Uni-Klinik U. und zuletzt am 21.11.2002 in der Hochrhein-Klinik in Bad S. gewesen. Im Januar 2003 sei ein stationärer Aufenthalt in der Kreisklinik T. wegen eines Erysipels im Bereich des linken Unterschenkels erfolgt. Die von ihm ausgestellten Rezepte über medizinische Fußpflege seien bei der schwerwiegenden Gefäßsituation (eine Amputation des Beines sei in Erwägung gezogen worden) gerechtfertigt gewesen. Da der Kläger außerdem unter Marcumar-Therapie stehe, hätten bereits kleinere Verletzungen durch die selbständige Fußpflege zu schwerwiegenden Komplikationen, Blutungen oder Infektionen führen können. Wer die medizinische Fußpflege erbracht habe, sei ihm namentlich nicht bekannt.

Prof. Dr. S.-P. und Dr. K. vom Universitätsklinikum U. führten unter Beifügung von Arztbriefen ihrer Abteilung sowie der Unfallchirurgischen Abteilung aus, der Kläger leide unter einer arteriellen Verschlusskrankheit im Stadium II beidseits. Trophische Störungen oder sonstige konkrete krankhafte Befunde an den Füssen lägen zur Zeit nicht vor. Aufgrund der beim Kläger bestehenden arteriellen Verschlusskrankheit mit generalisierter Arteriosklerose sei jedoch sicherlich von einer latent vorliegenden Durchblutungsstörung, insbesondere im Bereich der kleinen Gefäße auszugehen. Die entscheidende Therapie sei die Verhinderung von Verletzungen, Druckstellen o.ä ... Der häufigste Anlass für Entzündungen im Zehenbereich sei hier eindeutig eine fehlerhaft durchgeführte Fußpflege. Die Durchführung einer medizinischen Fußpflege stelle eine prophylaktische Maßnahme dar, um eine unmittelbare konkrete Gesundheitsgefahr zu vermeiden. Die häufig zu verzeichnenden Folgeschäden durch fehlerhaft durchgeführte Fußpflegemaßnahmen seien in der Gefäßchirurgie oft erst in Form von Unterschenkelamputationen zu therapieren. Ähnlich wie beim chronischen Diabetiker sei auch beim chronischen Arteriosklerosepatienten die Veränderung der Schäden, also der prophylaktische Ansatz wichtiger als die äußerst schwere, meist langwierige und oft nicht erfolgreiche Behandlung von Entzündungen und Verletzungen im Bereich der Zehen. Die häufig schwierige Fußpflege beim älteren Menschen könne in der Regel meist nicht von diesem selbst durchgeführt werden. Sollte diese Maßnahme nicht von entsprechend eingewiesenen und geschickten Angehörigen durchführbar sein, bleibe keine andere Möglichkeit als eine professionelle und regelmäßige medizinische Fußpflege als persönliches Heilmittel zu verordnen. Dies sei vor allem dann gegeben, wenn Visusstörungen vorlägen oder wenn orthopädische Einschränkungen bestehen würden. Der Kläger trage eine Brille. Ebenso würden die bei ihm langjährig dokumentierten Kniearthrosen beidseits mit Sicherheit eine einwandfreie Durchführung der notwendigen Fußpflege durch ihn selbst behindern.

Ergänzend berichtete Dr. W. auf erneute Nachfrage, weitere Angaben seien ihm nicht möglich. Er legte eine Bescheinigung des Dr. H., Leitender Oberarzt der Abteilung für Gefäß-, Thorax- und Herzchirurgie, Universität U., vom 20.11.1990, wonach der Arzt insbesondere aufgrund der grenzwertig kompensierten Durchblutungssituation am linken Bein die Fortsetzung einer fachgerechten medizinischen Fußpflege für dringend erforderlich hält, und einen Behandlungsbericht vom April 2003 (Diagnose: Verdacht auf beginnendes Panaritium Großzehe links bei PAVK) vor.

Die Beklagte wies auf Nachfrage darauf hin, dass der Kläger seit Inkrafttreten der geänderten Richtlinien vom 26.02.2002 keinen erneuten Antrag für die Gewährung medizinischer Fußpflege gestellt habe. Nach den geänderten Richtlinien vom 26.02.2002 sei die Maßnahme der podologischen Therapie nur dann ein verordnungsfähiges Heilmittel, wenn sie der Behandlung krankhafter Veränderungen am Fuß infolge Diabetes mellitus (diabetisches Fußsyndrom) dienen würde.

Mit Urteil vom 28.08.2003, der Beklagten zugestellt am 16.09.2003, verurteilte das SG die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 06.04.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.08.2001, dem Kläger die Kosten der medizinischen Fußpflege ab Januar 2001 entsprechend seinem Antrag zu erstatten und den Nachzahlungsbetrag gemäß § 44 SGB I zu verzinsen. Das SG führte aus, die Beklagte könne sich für die Zeit vor dem 01.07.2001 auf den Leistungsausschluss in den Heil- und Hilfsmittelrichtlinien nicht berufen, da es für diesen keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage gebe. Gleiches gelte auch für die seit 01.07.2001 eingetretene Rechtsänderung, soweit die vorgenannten Richtlinien außer Kraft getreten und hinsichtlich der Heilmittel durch die Heilmittel-Richtlinien vom 16.10.2000 ersetzt worden seien und für die Heilmittel-Richtlinien vom 26.02.2002 mit Wirkung vom 01.07./01.08.2002. Den Entscheidungsgründen des Urteils des BSG vom 16.11.1999 sei nicht zu entnehmen, dass Maßnahmen der podologischen Therapie nur zur Behandlung krankhafter Veränderungen am Fuß infolge Diabetes mellitus als verordnungsfähiges Heilmittel in Betracht kämen. Nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen und den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung sei der Kläger wegen seines eingeschränkten Sehvermögens und alters- und krankheitsbedingter eingeschränkter Beweglichkeit nicht in der Lage, die erforderliche Fußpflege selbst durchzuführen und ihm stünden dafür auch keine geeigneten Angehörigen zur Verfügung. Insoweit rechtfertige sein Gesundheitszustand Fußpflege als Verhütungsmaßnahme, weil bei Schwere und Art der Grunderkrankung eine deutlich höhere Gefahr von gravierenden Gesundheitsstörungen an den Füßen als bei einem gesunden Versicherten bestehen würden. Es handele sich dabei auch nicht nur um eine abstrakte, sondern um eine höchst konkrete Gesundheitsgefahr. Dies werde daraus deutlich, dass der Kläger erst Ende Januar 2003 wegen eines Erysipels im Bereich des linken Unterschenkels mehrere Wochen lang habe stationär behandelt werden müssen und Ende April 2003 eine weitere notfallmäßige, mehrwöchige Behandlung wegen einer Entzündung an der linken Großzehe erforderlich gewesen sei. Nachdem der Sachleistungs-Anspruch (und ebenso die Kostenerstattung) bislang unter Berufung auf die Heilmittel-Richtlinien generell abgelehnt worden sei, könne dem Leistungsbegehren des Klägers bislang auch nicht entgegengehalten werden, dass er sich bezüglich der streitigen Fußpflege keine weiteren ärztlichen Verordnungen mehr habe ausstellen lassen. Künftig sei es jedoch geboten bei der Verordnung von Maßnahmen der podologischen Therapie die in den Heilmittel-Richtlinien vom 26.02.2002 festgelegten Kriterien entsprechend zu beachten.

Hiergegen hat die Beklagte am 15.10.2003 Berufung eingelegt mit der Begründung, dass medizinische Fußpflege entsprechend dem Urteil des BSG vom 16.11.1999 grundsätzlich der Körperpflege zuzuordnen sei. Eine Kostenübernahme sei demnach in Einzelfällen nur bei der Diagnose "Diabetes mellitus/diabetischer Fuß" als Krankenbehandlung möglich. Diese Auffassung bestätige auch der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in seiner Bekanntmachung über die Änderung der Richtlinien über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung vom 26.02.2002. Danach komme die podologische Therapie bei an diabetischem Fußsyndrom leidenden Patienten nur in Betracht, bei denen ohne diese Behandlung unumkehrbare Folgeschäden der Füße, wie Entzündungen und Wundheilungsstörungen, eintreten würden. Die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen seien das maßgebende Beurteilungskriterium entsprechend § 138 i.V.m. § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V. Für die Fußpflege habe es früher keine Anerkennung als Heilmittel gegeben. Insofern sei eine Beurteilung nach den Kriterien des § 138 SGB V vorzunehmen. Darüber hinaus zweifle die Beklagte die Auffassung des SG an, dass die beim Kläger bestehenden Erkrankungen im Falle der unsachgemäßen Fußpflege zu ähnlich schwerwiegenden Erkrankungen an den Füßen führen würden, wie es bei einem diabetischen Fuß der Fall sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. August 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er weist darauf hin, dass bei ihm aufgrund der Art und Schwere der Grunderkrankungen die konkrete deutlich höhere Gefahr, dass es zu schwerwiegenden Gesundheitsstörungen an den Füßen komme, bestehe. Nach der Entscheidung des BSG vom 16.11.1999 sei der Ausschluss in den Heilmittel-Richtlinien durch die gesetzliche Ermächtigung nicht gedeckt gewesen. Dasselbe gelte auch für die Heilmittel-Richtlinien vom 26.02.2002, soweit dort Maßnahmen der medizinischen Fußpflege nur zur Behandlung krankhafter Veränderungen am Fuß infolge Diabetes mellitus verordnungsfähig seien. Neues Heilmittel im Sinne des § 138 SGB V könne die medizinische Fußpflege schon deshalb nicht sein, weil sie bereits durch die genannte Entscheidung des BSG für bestimmte Erkrankungen als Heilmittel zugelassen worden sei.

Der Senat hat die Augenärztin Dr. St. als sachverständige Zeugin gehört. Diese hat mitgeteilt, bei der im Mai 2001 durchgeführten Untersuchung habe die Sehschärfe für die Ferne ohne Korrektur am rechten wie auch am linken Auge 1,0 und zuletzt im Januar 2004 am rechten Auge 0,8 und am linken Auge 0,9 betragen. Die zuletzt am 08.01.2003 durchgeführte Gesichtsfelduntersuchung habe beidseits einen Normalbefund ergeben. Von der Sehschärfe her sei der Kläger mit entsprechender Nahkorrektur in der Lage feinste Veränderungen an den Zehen zu erkennen. Sein feinmotorisches Geschick und die Kenntnis krankhafter Veränderungen im Zehenbereich einordnen zu können, könne nicht beurteilt werden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Kosten der medizinischen Fußpflege ab Januar 2001 entsprechend seinem Antrag zu erstatten und den Nachzahlungsbetrag zu verzinsen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der medizinischen Fußpflege.

Die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruches gemäß § 13 Abs. 3 SGB V, der Krankenbehandlung durch Versorgung mit einem Heilmittel gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 3 SGB V sowie § 32 SGB V und die maßgeblichen Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien für die Zeit bis 30.06.2001, vom 01.07.2001 bis 30.06. bzw. 31.07.2002 sowie ab 01.07./01.08.2002 sind im Urteil des SG zutreffend dargestellt. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

Ob die bis 30.06.2001, zwischen 01.07.2001 und 30.06.2002/31.07.2002 sowie ab 01.07.2002/01.08.2002 gültigen Heilmittel-Richtlinien der Verordnungsfähigkeit und Kostenübernahme medizinischer Fußpflege durch ein(e)n Fußpfleger(in) bei einer AVK, entgegenstanden, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn entsprechend den Ausführungen des SG für die Richtlinien insoweit jeweils keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage bestanden hätte (so auch für die Zeit bis 30.06.2001, BSG Urteil vom 16.11.1999 - B 1 KR 9/97 R -; bis 30.06.2002/31.07.2002, LSG Berlin Beschluss vom 09.08.2001 - L 9 B 412/01 KR ER), wäre nach den vom BSG in seiner Entscheidung vom 16.11.1999 aufgestellten rechtlichen Kriterien für die Beurteilung medizinischer Fußpflege im Fall des Klägers ein Anspruch auf Kostenübernahme zu verneinen.

Entsprechend den Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 16.11.1999 ist im Rahmen des § 27 Satz 1 SGB V unter dem Gesichtspunkt der Verhütung einer Verschlimmerung der Erkrankung zu überprüfen, ob aufgrund der beim Kläger vorliegenden AVK und ihrer Auswirkungen auf den Gesamtgesundheitszustand eine unmittelbare, konkrete Gefahr besteht, dass ohne regelmäßige medizinische Fußpflege besondere Folgeschäden auftreten, mit denen bei einem gesunden Versicherten nicht zu rechnen ist. Zieht eine Krankheit im unbehandelten Zustand zwangsläufig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Erkrankungen nach sich, so sind medizinische Maßnahmen, die dem entgegenwirken und eine Verschlechterung des Gesamtgesundheitszustandes verhüten sollen, als Behandlung der Grundkrankheit und damit als Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V aufzufassen. Für die Gefahr von Fußerkrankungen spricht im Falle des Klägers die bei ihm vorliegende AVK, die mehrere Bypässe erforderlich gemacht hat und die dadurch bedingte Notwendigkeit der Einnahme von Marcumar. Sowohl der behandelnde Hausarzt Dr. W. als auch Oberarzt Dr. K. und bereits in den 90er Jahren Dr. H. haben dargelegt, dass es bei diesem Krankheitsbild entscheidend darauf ankommt, das Auftreten von Verletzungen, Druckstellen oder Entzündungen im Zehenbereich, die häufig Folge einer fehlerhaft durchgeführten Fußpflege seien, zu vermeiden, weil die Behandlung von Entzündungen und Verletzungen im Bereich der Zehen bei diesem Krankheitsbild äußerst schwierig, meist langwierig und nicht selten auch in Form von Unterschenkelamputationen zu therapieren sei. Auf der anderen Seite ist jedoch zu beachten, dass es sich beim Kläger insoweit zur Zeit nach den Ausführungen von Dr. K. nur um eine latent vorliegende Durchblutungsstörung handelt. Trophische Störungen in Form von Schäden am Weichteilgewebe und der Haut, vorwiegend am Unterschenkel und an den Zehen bedingt durch eine Mangeldurchblutung, liegen nicht vor. Es besteht auch nicht, wie etwa in dem vom BSG entschiedenen Fall vom 16.11.1999, ein verstärktes Hornhautwachstum im Bereich der Zehen und/oder Hautrisse. Eine vermehrte Fußpflege und eine besondere Form der Behandlung im Rahmen der Fußpflege ist beim Kläger nicht erforderlich. Besonderes Gewicht kommt auch der Tatsache zu, dass beim Kläger im Gegensatz zu dem der Entscheidung des BSG zugrundeliegenden Fall eine herabgesetzte Empfindlichkeit im Bereich der Füße und Zehen, die das Risiko unbemerkter Verletzungen in sich bergen würde, nicht beschrieben wird. Der Kläger sieht nach der von Dr. St. erteilten Auskunft auch so gut, dass er in der Lage ist, feinste Veränderungen an den Zehen zu erkennen. Im Zusammenhang mit der nicht gestörten Empfindlichkeit vermag er sofort auf Auffälligkeiten zu reagieren. Damit besteht bei ihm nicht die notwendige unmittelbare konkrete Gefahr, dass ohne regelmäßige medizinische Fußpflege besondere Folgeschäden auftreten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Aspekt, dass beim Kläger im Bereich beider Knie eine Gonarthrose und Meniskusschäden vorliegen und sich der Befund insoweit nach dem Vortrag des Klägers verschlechtert hat. Dies ist für die Gewährung medizinischer Fußpflege nicht maßgebend. Fußpflege wird in einem solchen Fall zum Ausgleich einer (teilweisen) Hilflosigkeit bei der Körperpflege benötigt. Damit fällt sie in den Bereich der Körperpflege. Hierfür ist der Versicherte selbst zuständig (vgl. LSG Niedersachsen Urteil vom 08.04.1992 -L 4 KR 151/91-; BSG Urteil vom 21.10.1998 -B 9 V 3/98 R-). Bei der beim Kläger notwendigen Fußpflege stehen damit nicht gesundheitliche, sondern pflegerische Belange im Vordergrund. Die Fußpflege des Klägers ist unabhängig von der dadurch abgewendeten Gefahr von Gesundheitsstörungen, der Körperpflege zuzuordnen. Zur Erreichung des therapeutischen Zwecks einschließlich einer regelmäßigen sachkundigen Kontrolle auf beginnende schädliche Veränderungen oder im Hinblick auf die Gefahren einer Fehlbehandlung ist es nicht notwendig, die Fußpflege im konkreten Fall qualifiziertem medizinischen Personal vorzubehalten. Zwar ist beim Kläger eine regelmäßige Fußpflege unerlässlich, es bestehen jedoch keine Auffälligkeiten im Bereich der Zehen und Füße und der Kläger ist sowohl von seinem Sehvermögen als auch der Wahrnehmung her in der Lage, die Fußpflege ohne die Gefahr einer Verletzung durchzuführen. Sollte es zu einer Verletzung kommen, was auch - wie aus dem Bericht vom April 2003 hervorgeht - bei medizinischer Fußpflege nicht ausgeschlossen ist, vermag er dies sofort zu sehen und zu spüren und kann ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Die Berufung der Beklagten hat deshalb in der Sache Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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