L 11 RA 2787/03

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 RA 1989/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 RA 2787/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Frist für einen Befreiungsantrag von der Versicherungspflicht für einen selbständigen Handelsvertreter mit nur einem Auftraggeber beginnt mit dem Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen zu laufen. Kenntnis von der Möglichkeit der Befreiung ist nicht erforderlich.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 26. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in der Zeit vom 01.01.1999 bis 12.12.2001 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien war.

Der 1937 geborene Kläger entrichtete bis 31.12.1995 freiwillige Rentenversicherungsbeiträge. Am 12.11.2001 beantragte er Regelaltersrente, worauf ihm die Beklagte einen Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbstständige übersandte. In diesem Fragebogen, welcher am 13.12.2001 ausgefüllt bei der Beklagten einging, gab der Kläger u.a. an, er betreibe seit 1979 eine Handelsvertretung und sei dabei nur für einen Auftraggeber tätig. Mit Schreiben vom 18.12.2001 teilte die Beklagte daraufhin dem Kläger mit, dass er aufgrund seiner selbstständigen Tätigkeit als Handelsvertreter ab 01.01.1999 unter die Versicherungspflicht als Selbstständiger mit einem Auftraggeber falle. Unter bestimmten Voraussetzungen bestehe für ihn die Möglichkeit der Befreiung. Zwingende Voraussetzung für die Befreiung sei, dass ein entsprechender Antrag gestellt werde. Diesen Antrag stellte der Kläger am 14.01.2002.

Mit Bescheid vom 08.03.2002 stellte die Beklagte ab 13.12.2001 die Befreiung des Klägers in der Rentenversicherung für Selbstständige mit einem Auftraggeber fest. Gleichzeitig führte sie aus, für den Zeitraum vom 01.01.1999 bis 12.12.2001 unterliege der Kläger der Versicherungspflicht für Selbstständige mit einem Auftraggeber.

Seinen hiergegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger vorrangig damit, dass er von einer eventuellen Versicherungspflicht wegen seiner selbstständigen Tätigkeit erst im Zusammenhang mit seinem Antrag auf Altersruhegeld erfahren habe. Er sei vorher weder durch die Beklagte noch durch eine Veröffentlichung informiert worden, so dass er einen Antrag auf Befreiung auch nicht innerhalb einer Dreimonatsfrist habe stellen können. 1995 habe er bei der Beratungsstelle der Beklagten noch die Mitteilung erhalten, dass weitere Beitragszahlungen seine Gesamtrente nur noch unwesentlich beeinflussen könnten. Man habe ihm empfohlen, das Geld in private Lebensversicherungen anzulegen. Im Übrigen habe er aber auch dadurch, dass er erst mit Schreiben der Beklagten vom 19.11.2001 über das eventuelle Vorliegen der Versicherungspflicht informiert worden sei und er den Antrag auf Befreiung von dieser Pflicht am 13.12.2001 gestellt habe, die Dreimonatsfrist eingehalten und sei deshalb rückwirkend ab dem Beginn der Versicherungspflicht am 01.01.1999 von der Versicherungspflicht zu befreien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger unterliege in der Zeit ab 01.01.1999 bis 12.12.2001 der Versicherungspflicht gemäß § 2 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), da der Befreiungsantrag nach § 6 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 SGB VI erst am 13.12.2001 gestellt worden sei. Werde die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht innerhalb von drei Monaten nach Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen beantragt, wirke sie vom Beginn des Zeitpunkts an, von dem an die Voraussetzungen vorliegen würden. Werde der Antrag später gestellt, wirke die Befreiung vom Eingang des Antrags an. Die Befreiungsvoraussetzungen hätten seit dem 01.01.1999, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI, nach der der Kläger erstmalig versicherungspflichtig für die selbstständige Tätigkeit als Handelsvertreter geworden sei, vorgelegen. Der Befreiungsantrag sei mehr als drei Monate später, nämlich am 13.12.2001 gestellt worden. Damit wirke die Befreiung erst ab dem 13.12.2001. Auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch könne sich der Kläger nicht berufen. Ein konkretes - individuelles Beratungs- bzw. Betreuungsverhältnis habe bis zur Rentenantragstellung nicht vorgelegen. Bei Selbstständigen, wie dem Kläger, handele es sich im übrigen um eine Gruppe, bei der davon auszugehen sei, dass sie mit der Erledigung von Geschäfts- und Behördenangelegenheiten hinreichend vertraut sei, so dass ihnen zuzumuten sei, sich selbst die notwendigen Informationen zu beschaffen.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Zur Begründung wiederholte er, er habe drei Monate nach Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen den Antrag gestellt, denn zu den Befreiungsvoraussetzungen gehöre nach seinem Rechtsverständnis auch, dass er darüber informiert werde, dass er einer Pflicht unterliege, von der er sich befreien lassen könne. Die Information sei erst am 19.11.2001 erfolgt. Im Übrigen habe er sich im Jahr 1996 bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Mannheim beraten lassen und seit 1999 habe die Beklagte regelmäßig Betriebsprüfungen in seinem Betrieb durchgeführt und hätte dabei unschwer feststellen können, dass er die Voraussetzungen für das Vorliegen einer "Scheinselbstständigkeit" erfülle.

Auf Nachfrage teilte der Kläger mit, er habe nur für einen Auftraggeber gearbeitet.

Die Beklagte führte aus, sie habe die Firma des Klägers am 06.04.1998 und die Firma seiner Ehefrau, die sein einziger Auftraggeber war, am 17.12.1998 bzw. 17.12.2002 geprüft.

Der Kläger trug hierzu vor, am 17.12.1998 sei das Gesetz zur "Scheinselbstständigkeit" bereits in allen Einzelheiten bekannt gewesen. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, ihre Betriebsprüfer so zu schulen, dass diese schon im Vorfeld der Gesetzesänderung zum 01.01.1999 ihre Aufmerksamkeit gezielt auf eine eventuelle arbeitnehmerähnliche Selbstständigentätigkeit richteten. Sie hätten ihn hierauf hinweisen müssen. Dadurch, dass sie diesen Hinweis versäumt hätten, müsse sich die Beklagte ein Verschulden an der verspäteten Feststellung der Scheinselbstständigkeit zurechnen lassen.

Mit Urteil vom 26.06.2003 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Kläger sei als selbstständig Tätiger gemäß § 2 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig im Sinne des Rentenversicherungsrechts nach SGB VI. Die Versicherungspflicht bestehe dem Grunde nach seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 19.12.1998 mit Wirkung zum 01.01.1999. Gemäss § 231 Abs. 5 SGB V würden Personen, die am 31.12.1998 eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hätten, in der sie nicht versicherungspflichtig gewesen und danach versicherungspflichtig geworden seien, auf Antrag von dieser Versicherungspflicht befreit, wenn sie vor dem 02.01.1949 geboren seien. Die Befreiung sei binnen eines Jahres nach Eintritt der Versicherungspflicht zu beantragen. Die Frist laufe nicht vor dem 30.06.2000 ab. Die Befreiung wirke vom Eintritt der Versicherungspflicht an. Da der Kläger erstmals am 13.12.2001 die Befreiung begehrt habe, greife die Regelung jedoch nicht ein. Auch eine Befreiung nach § 6 Abs. 1a SGB VI für den Zeitraum vom 01.01.1999 bis 12.12.2001 komme nicht in Betracht. Eine solche müsse gemäß § 6 Abs. 4 SGB VI innerhalb von drei Monaten nach Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen gestellt werden. Ansonsten wirke die Befreiung erst vom Eingang des Antrags an. Die Befreiungsvoraussetzungen hätten am 01.01.1999 vorgelegen. Zum Zeitpunkt der Antragsstellung am 13.12.2001 sei die Dreimonatsfrist überschritten gewesen, so dass eine Befreiung erst ab Antragsstellung in Betracht komme. Der Kläger sei auch nicht auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe er den Antrag rechtzeitig gestellt. Im Hinblick auf einen solchen Anspruch bestehe bereits keine Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers im Verhältnis zum Kläger. Die Beklagte habe keine Beratungspflicht verletzt. Ein konkreter Anlass für die Beratung habe sich erst während des Rentenverfahrens ergeben. Vorher sei die Beklagte ohne besonderen Anlass nicht verpflichtet gewesen, die durch das Gesetz vom 19.12.1998 eingeführte Sozialversicherungspflicht der Selbstständigen nach § 2 Nr. 9 SGB VI latent betroffenen Versicherten zu ermitteln und sie individuell über die zum 01.01.1999 geänderte Pflichtversicherung zu informieren. Auch bei der Betriebsprüfung am 17.12.1998 hätte kein Hinweis auf das bevorstehende Gesetz erfolgen müssen. Zum einen sei die Firma der Ehefrau geprüft worden und zum anderen stamme das Gesetz vom 19.12.1998, während die Prüfung am 17.12.1998 erfolgt sei.

Hiergegen hat der Kläger am 16.07.2003 Berufung eingelegt. Ergänzend hat er noch einmal ausgeführt, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, ihn zu informieren. Würde man es den Versicherten selbst überlassen, beim Versicherungsträger vorzusprechen und die Versicherungspflicht selbst zu beantragen, würden gewissenhafte und den Vorschriften entsprechend handelnde Versicherte mit der hohen Beitragsleistung zur Pflichtversicherung bestraft, während Versicherte, die aus Gedankenlosigkeit oder Berechnung sich nicht beim Versicherungsträger melden, belohnt würden, indem sie nicht einer hohen und unrentablen Beitragsleistung unterworfen würden. Bei der Betriebsprüfung in der Firma seiner Ehefrau hätte die Beklagte diese darauf aufmerksam machen müssen, dass seine Tätigkeit für die Firma mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Angestelltentätigkeit entspreche. Im Übrigen sei das Gesetz zur Scheinselbstständigkeit am 17.12.1998 in allen Einzelheiten bereits bekannt gewesen. Darauf, dass es erst zum 01.01.1999 in Kraft getreten sei, komme es nicht an.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 26. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 8. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juli 2002 zu verurteilen, ihn auch für die Zeit vom 01.01.1999 bis 12.12.2001 von der Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VI zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und verweist ergänzend auf § 190a SGB VI. Die Vorschrift regele mit Wirkung vom 01.01.2001 jetzt ausdrücklich die sich bereits nach bisher geltendem Recht als Nebenpflicht unmittelbar aus der Versicherungspflicht ergebende Meldepflicht für versicherungspflichtige Selbstständige nach § 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 und 9 SGB VI.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit vom 01.01.1999 bis 12.12.2001.

Die Voraussetzungen für das Bestehen der Versicherungspflicht, die Befreiung der Versicherungspflicht und den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch sind im Urteil des SG zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen.

In Ansehung dieser rechtlichen Gegebenheiten hat der Kläger, wie vom SG im Urteil ausführlich und zutreffend begründet, keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der streitigen Zeit. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des SG in vollem Umfang an und sieht deswegen insoweit von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Ergänzend wird lediglich noch darauf hingewiesen, dass auch aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber einem Teil der von der Änderung zum 01.01.1999 von der Versicherungspflicht betroffenen Personen in § 231 Abs. 5 SGB VI eine begrenzte Befreiungsmöglichkeit zunächst bis 30.06.1999 und anschließend bis 30.06.2000 eingeräumt hat, geschlossen werden kann, dass es allein auf den Antrag und die sonstigen vom Gesetz normierten Voraussetzungen, jedoch nicht auf die Kenntnis von der Versicherungspflicht ankommen kann. Wäre die Kenntnis vom Eintritt der Versicherungspflicht entscheidend und würde der drei Monate nach positiver Kenntnis gestellte Antrag stets auf den 01.01.1999 zurückwirken, bedürfte es dieser Übergangsvorschrift nicht. Durch das Abstellen auf die positive Kenntnis wäre die Rückwirkung ab Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen gegeben. Sinn macht § 231 Abs. 5 SGB VI nur dadurch, dass auf die Kenntnis nicht abzustellen ist. Eine Beratungspflicht für die Beklagte zum Jahreswechsel 1998/1999, die sich im Hinblick auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auswirken könnte, ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch in einem laufenden Versicherungsverhältnis zu der Beklagten gestanden hätte. Die letzten freiwilligen Versicherungsbeiträge hat der Kläger am 31.12.1995 bezahlt. Hinsichtlich der 1998 erfolgten Überprüfungen der Firma des Klägers und seiner Ehefrau durch den Rentenversicherungsträger ist auch der Senat der Auffassung, dass eine solche Überprüfung nicht den Sinn und Zweck hat, den Selbstständigen zu veranlassen, dass er im Fall einer Gesetzesänderung die Rentenversicherungsbeiträge abführt oder Befreiungsanträge stellt. Die Betriebsprüfung bezieht sich auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum und stellt auf den augenblicklichen Status ab. Es ist Sache des Selbstständigen, sich darum zu kümmern, ob er oder seine Mitarbeiter künftig versicherungspflichtig werden. Vom Versicherungsträger, der die zukünftigen Beschäftigungsverhältnisse nicht kennt, kann nicht verlangt werden, dass er insoweit nachfragt und entsprechend berät. Für die Beratung ist erforderlich, dass der Betroffene sich selbst mit einem Begehren um Beratung an den Versicherungsträger wendet. Der Kläger kann schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) verlangen, dass er seinen Antrag im Rahmen der eingeräumten Fristen nachholt. Abgesehen davon, dass ihn an der Unkenntnis vom Eintreten der Versicherungspflicht und der Befreiungsmöglichkeit ein Verschulden treffen dürfte, ist zu beachten, dass die Stellung des Antrags der Dispositionsbefugnis unterliegt. Deshalb kann, solange es allein um den Zeitpunkt der Befreiungswirkung geht, von einer Antragsfrist und ihrer Versäumung im Sinne des § 27 SGB X nicht gesprochen werden (vgl. Kass Komm - Gürtner § 6 SGB VI Rdnr. 28).

Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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