L 11 KR 2720/03 AK-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 1164/03 AK-A
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2720/03 AK-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Beklagter hat, wenn ein zureichender Grund für die Untätigkeit nicht bestand, die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten, wenn die Klage nach Ablauf der Sperrfrist erhoben wurde. Auf die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache kommt es nicht an.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 12. Juni 2003 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg (SG), mit dem die Antragsgegnerin verpflichtet wurde, der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten, die im Rahmen einer Untätigkeitsklage angefallen sind, zu erstatten.

Die Antragsgegnerin entschied durch Bescheide vom 28.06. und 27.07.2001 gegenüber der bei ihr versicherten A. G. (Versicherte), dass eine Kostenübernahme für ein von der Antragstellerin hergestelltes Hilfsmittel ausscheide. Eine Rechtsmittelbelehrung war den Bescheiden jeweils nicht beigefügt.

Hiergegen legte die Antragstellerin, die sich den Anspruch der Versicherten gegenüber der Antragsgegnerin hatte abtreten lassen, am 01.07.2002 Widerspruch ein. Sie führte aus, sie erwarte eine umgehende Stellungnahme bzw. den Eingang eines rechtsmittelfähigen Widerspruchsbescheids bis zum 08.07.2002. Es werde gebeten, die Fristen des § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einzuhalten, um die etwaige Erhebung einer Untätigkeitsklage zu vermeiden. Am 02.07.2002 versuchte die Antragsgegnerin telefonisch den Streit mit der Antragstellerin vergleichsweise zu erledigen, was nicht gelang. Mit Schreiben vom 15.08.2002 teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin noch einmal mit, dass sie das Angebot für inakzeptabel halte und um Erlass eines Abhilfebescheids oder rechtsmittelfähigen Widerspruchsbescheids unter Einhaltung der Frist des § 88 Abs. 2 SGG bitte. Nach fruchtlosem Fristablauf werde sie ohne weitere Ankündigung Untätigkeitsklage erheben. Bezugnehmend auf dieses Schreiben teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter dem 05.09.2002 mit, das Gutachten des MDK habe ergeben, dass eine zusätzliche Behandlung mit einer elektromotorischen Bewegungsschiene bei gleichzeitiger AOTR-Behandlung das Maß des Notwendigen überschreite und somit medizinisch nicht indiziert sei. Danach sehe sie den Widerspruch als nicht begründet an. Sollte der Widerspruch dennoch aufrechterhalten bleiben, so bitte sie, medizinische Unterlagen einzureichen, die die Ausführungen im MDK-Gutachten widerlegen oder eine medizinische Notwendigkeit dieser Hilfsmittelversorgung begründen würden. Sobald diese Unterlagen vorliegen würden, würde sie den MDK um eine erneute Stellungnahme bzw. um ein Zweitgutachten bitten. Mit Schreiben vom 06.09.2002 erklärte die Antragstellerin per Fax, dass der Widerspruch aufrechterhalten würde und bat um Erstellung eines Widerspruchsbescheids innerhalb der Frist des § 88 SGG.

Am 13.11.2002 erhob die Antragstellerin beim SG Untätigkeitsklage gemäß § 88 Abs. 2 SGG, weil die Antragsgegnerin innerhalb der ihr nach § 88 Abs. 2 SGG gesetzten Dreimonatsfrist nicht über den Widerspruch entschieden habe.

Die Antragsgegnerin hat hiergegen im Wesentlichen vorgetragen, die Klage sei bereits unzulässig. Die Antragstellerin sei nicht befugt, Widerspruch zu erheben. Im Übrigen sei ein zureichender Grund dafür gegeben, dass die Dreimonatsfrist des § 88 SGG überschritten worden sei. Es habe sich um einen für die Mitarbeiter der zuständigen Geschäftsstelle rechtlich schwierigen Sachverhalt gehandelt, da ein Leistungserbringer den Sozialrechtsweg unter Verwendung einer vorgefertigten "Abtretungserklärung" missbraucht habe, um eine für ihn teurere Leistungsklage zu umgehen, die rechtlichen Voraussetzungen für eine wirksame Abtretung nicht erfüllt seien, nach ihrer Auffassung keine gültige Vollmacht der gegnerischen Prozessbevollmächtigten zur Prozessführung im Namen der Versicherten vorliegen würde und eine Beschwer der Versicherten nicht gegeben sei. Zudem wäre es sehr bedenklich, wenn jeder unzulässige, vom Leistungserbringer durch "Fachanwälte" forcierte Widerspruch innerhalb einer Frist von drei Monaten beschieden werden müsste.

Mit Schriftsatz vom 12.03.2003 erklärte die Antragstellerin den Rechtsstreit, nachdem die Antragsgegnerin am 20.02.2003 einen Widerspruchsbescheid erlassen hatte, in der Hauptsache für erledigt. Sie beantragte, der Antragsgegnerin ihre außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Die Antragsgegnerin trat dem unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen entgegen.

Durch Beschluss vom 12.06.2003 entschied das SG, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, ein zureichender, das Verstreichen der Frist zum Erlass eines Widerspruchsbescheids rechtfertigender Grund sei nicht ersichtlich. Die von der Antragsgegnerin gegen die Zulässigkeit der Abtretung vorgebrachten Gründe würden weder die besondere Schwierigkeit der Sache für den Sachbearbeiter der Antragsgegnerin nachvollziehbar machen noch einen Rechtfertigungsgrund für die Untätigkeit der Antragsgegnerin begründen. Bei Zutreffen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin, die Versicherte habe ihren Anspruch auf Versorgung mit einem Hilfsmittel der Antragstellerin nicht wirksam abtreten können und die Antragstellerin sei deshalb nicht Inhaberin des Anspruchs, stelle sich die Sach- und Rechtslage vielmehr einfach dar. Die Antragsgegnerin hätte ohne weitere Ermittlungen den Widerspruch zügig entscheiden können.

Hiergegen hat die Antragsgegnerin am 26.06.2003 im Wesentlichen mit der Begründung, es erscheine nicht angemessen, ihr die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen, denn die erhobene Untätigkeitsklage habe keine Aussicht auf Erfolg gehabt und ein sachlicher Grund für die Überschreitung der Dreimonatsfrist sei der hohe Arbeitsfall, andere früher eingegangene und dringlichere Widersprüche und eine nicht erkennbare Eilbedürftigkeit der vorliegenden Streitsache gewesen, Beschwerde eingelegt.

Das SG hat die Beschwerde unter Nichtabhilfe dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Das SG hatte gemäß § 193 Abs. 1 SGG nach sachgemäßem Ermessen über die Kosten zu entscheiden unter Beachtung des Sach- und Streitstandes sowie des voraussichtlichen Ergebnisses des Verfahrens im Zeitpunkt der Erledigung unter Beachtung des Gesichtspunkts des Veranlassungsprinzips (vgl. Beschluss des LSG Niedersachsen vom 09.05.1997 - L 1 S (Ran) 30/97 -, SG Bremen, Beschluss vom 10.07.2002 - S 8 RA 112/01 - in NZS 2003, S. 279 f. m.w.N., Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 21.10.1986, Breithaupt 1987, 253 (257).

Ob das Beschwerdegericht die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts nur auf Ermessensfehler hin überprüfen kann (so LSG Niedersachsen, a.a.O.; LSG Bremen, Breithaupt 1987, 523, Zeihe, § 193 Rdnr. 9c) oder eine Überprüfung der Kostenentscheidung in vollem Umfang zu erfolgen hat (so Bayerisches LSG Breithaupt 1957, 288, LSG Berlin Breithaupt 1965, 440; LSG Rheinland-Pfalz Breithaupt 1998, 943, 945, Meyer-Ladewig, SGG 7. Auflage 2002, § 193 Rdziff. 17; Knittel in Henning, § 193 Rdziff. 38) kann dahingestellt bleiben, denn die Entscheidung des SG ist auf jeden Fall nicht zu beanstanden.

Ist - wie hier - eine Klage nach Sperrfristablauf erhoben, muss der Beklagte in der Regel die außergerichtlichen Kosten des Klägers erstatten, weil dieser mit Bescheid vor Fristablauf rechnen durfte (vgl. Meyer-Ladewig, § 193, Rdnr. 13c). Auf die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache kommt es nicht an, entscheidend ist die Untätigkeit. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Widerspruch zulässig ist oder nicht (vgl. Meyer-Ladewig, § 88 SGG Rz. 3). § 88 SGG schützt den nach seiner Behauptung Berechtigten davor, dass die dort genannten Fristen überschritten werden. Sobald ein förmliches Widerspruchsverfahren anhängig ist, wovon auch die Antragsgegnerin ausgeht, da sie einen Widerspruchsbescheid erlassen hat, kann der Widerspruchsführer den Schutz des § 88 SGG beanspruchen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Beklagte einen zureichenden Grund für eine Untätigkeit hatte und diesen Grund dem Kläger mitgeteilt hat oder der Grund diesem bekannt war (Meyer-Ladewig, § 193 Rdziff. 13 c). Ein Grund für die Untätigkeit existiert hier nicht. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin auf das letzte Schreiben der Antragstellerin vom 06.09.2002 auf keine für die Antragstellerin erkennbare Weise reagiert und insbesondere auch keine Zwischennachricht erteilt hat, vermögen die von der Antragsgegnerin gegen die Zulässigkeit der Abtretung vorgebrachten Gründe - wie das SG zu Recht ausgeführt hat - weder die besondere Schwierigkeit der Sache nachvollziehbar zu machen noch einen Rechtfertigungsgrund für die Untätigkeit zu begründen. Vielmehr stellt sich die Sach- und Rechtslage bei Zutreffen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin einfach dar. Die Antragsgegnerin hatte auch keine medizinischen Ermittlungen, die eventuell eine Verzögerung rechtfertigen würden, zu tätigen. Generelle Arbeitsüberlastung reicht als Begründung für die Verzögerung nicht aus. Die Antragsgegnerin wusste im übrigen auch, dass eine Untätigkeitsklage drohte, nachdem die Antragstellerin auf Einhaltung der Frist des § 88 Abs. 2 SGG hingewiesen hatte. Damit war die Antragstellerin berechtigt, Untätigkeitsklage zu erheben, weshalb es auch gerechtfertigt ist, dass der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auferlegt wurden.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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