L 12 AL 2148/02

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AL 13/01
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 2148/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird eine Leistung für die Dauer der gesamten Maßnahme dem Grunde nach zugebilligt, jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum tatsächlich zugesprochen, liegt eine begrenzte Bewilligung i. S. v. § 426 Abs. 2 SGB III vor.
Das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8.5.2002 und die Bescheide vom 25.1.2000 und 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2000 werden aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Bescheide vom 02.09.1998 und vom 12.07.1999 zurückzunehmen und ab 01.09.1998 Fahrkosten nach ei-nem Kilometersatz von DM 0,38 zu bewilligen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin Fahrkosten nach einem Kilometersatz von DM 0,38 verlangen kann.

Die 1955 geborene Klägerin beantragte beim Arbeitsamt (AA) am 15.8.1997 die Förderung der Teilnahme an der vom 15.09.1997 bis zum 31.08.2000 dauernden beruflichen Bildungs-maßnahme (Umschulung zur Bürokauffrau). Das AA bewilligte mit Bescheid vom 6.10.1997 Leistungen (Lehrgangsgebühren/Fahrkosten) für die Zeit vom 15.09.1997 bis 31.08.2000 in Höhe von insgesamt 9.985,93, und zwar Lehrgangsgebühren bis 31.8.1999 in Höhe von 3695,39 DM und Fahrkosten bis 31.08.1998 in Höhe von 1290,00 DM. Die Fahrkosten be-rechneten sich auf Grund der Angaben der Klägerin zur Fahrstrecke und einem Kilometersatz von DM 0,20. Der Bescheid enthielt den Zusatz, zu den Lehrgangsgebühren ab 1999 und den Prüfungsgebühren ergehe ein gesonderter Bescheid, Fahrkosten für das Praktikum ab 1.9.1998 würden nach Vorlage der entsprechenden Fahrkostenerklärung bewilligt. Die Kläge-rin nahm an der Maßnahme teil. Zum Ort der Maßnahme bzw. der Praktika fuhr sie mit ihrem Kfz, das einen Hubraum von mehr als 600 ccm hatte.

Die Klägerin besuchte ab 01.09.1998 ein Praktikum und gab mit Schreiben vom 27.08.1998 die zum Praktikumsort zurückzulegenden Fahrstrecken an. Das AA bewilligte mit Bescheid vom 02.09.1998 Fahrkosten in Höhe von DM 1.459,20 wiederum unter Zugrundelegung eines Kilometersatzes von DM 0,20.

Nach Beendigung des Praktikums beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 08.07.1999 die für die Zukunft anfallenden Fahrkosten und gab die nunmehr zurückzulegende Fahrstrecke an. Hierauf bewilligte das AA mit Bescheid vom 12.07.1999 Fahrkosten für die Zeit vom 01.09.1999 bis zum 31.08.2000 in Höhe von DM 1.519,60 unter Zugrundelegung eines Kilo-metersatzes von DM 0,20.

Am 25.1.2000 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Höhe der ihr zuerkannten Fahr-kosten. Im Januar 1998 habe sich eine Rechtsänderung ergeben, nach der Fahrkosten nach einem Stundensatz von DM 0,38 zu erstatten seien. Sie verlange diesen Kilometersatz mit Beginn des zweiten Bewilligungsabschnitts ab 01.09.1998.

Das AA teilte der Klägerin mit Bescheiden vom 25.1.2000 und 6.9.2000 mit, die Zurücknah-me der Bewilligungsbescheide komme nicht in Betracht, da diese rechtmäßig seien. Nach der Übergangsregelung des § 426 SGB III, seien die Fahrkosten während der gesamten Teilnah-me an der Maßnahme nach dem bis zum 31.12.1997 geltenden Recht zu berechnen. Den Wi-derspruch wies das AA mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2000 als unbegründet zurück.

Am 03.01.2001 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben: Die von der Beklagten genannte Übergangsregelung sei schon alleine deshalb nicht anwendbar, weil die Fahrkosten jeweils für einen bestimmten Zeitraum bewilligt worden seien. Ab der ersten abschnittsweisen Bewilligung nach Inkrafttreten des neuen Rechts müsse dieses auch Anwen-dung finden.

Mit Urteil vom 8.5.2002 hat das SG die Klage abgewiesen: Der Klägerin seien für die gesam-te Maßnahme Fahrkosten in Höhe des in § 45 AFG genannten Betrages von 0,20 DM pro Ki-lometer zu zahlen gewesen. Zwar könnten nach § 83 Abs. 1 u. 2 SGB III bei Benutzung eines Kfz mit einem Hubraum von mehr als 600 ccm Fahrkosten bis zur Höhe der Wegstreckenent-schädigung nach § 6 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) in Höhe von DM 0,38 übernommen werden. Im vorliegenden Fall fänden diese Vorschriften jedoch wegen der Übergangsvorschrift des § 426 Abs. 1 Ziffer 3 SGB III keine Anwendung. Hiernach seien u. a. bei Leistungen der individuellen Förderung der beruflichen Bildung bis zum Ende der Leis-tungen oder der Maßnahme die jeweils maßgeblichen Vorschriften des AFG weiter anzuwen-den, wenn die Maßnahme vor dem 01.01.1998 begonnen habe, wenn die Leistung bis zum Beginn der Maßnahme beantragt worden sei. Nichts anderes folge aus § 426 Abs. 2 SGB III. Mit Bescheid vom 06.10.1997 seien Lehrgangsgebühren und Fahrkosten für den gesamten Zeitraum der Maßnahmeteilnahme vom 15.09.1997 bis zum 31.08.2000 dem Grunde nach bewilligt worden. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut des Bescheids. Soweit in die-sem Bescheid geregelt sei, dass die Klägerin "vorläufig" zunächst bis zum 31.08.1998 Fahr-kosten in Höhe von DM 1.290,- erhalte, handele es sich nicht um eine zeitliche Begrenzung der Bewilligung dem Grunde nach, sondern lediglich um eine zeitliche Begrenzung hinsicht-lich der Höhe der Fahrkostenerstattung abhängig von den angefallenen Wegstrecken bis zum Beginn des Praktikums.

Gegen das ihr am 27.5.2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.6.2002 Berufung einge-legt: Die Fahrkosten seien jeweils nur für einen Abschnitt bewilligt worden. Sie habe jeweils nach Ablauf des Abschnitts einen neuen Antrag stellen müssen. Dieser sei jeweils als echter neuer Antrag zu sehen. Damit finde § 426 Abs. 2 SGB III Anwendung.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8.5.2002 und die Bescheide vom 25.1.2000 und 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Bescheide vom 02.09.1998 und vom 12.07.1999 zurückzunehmen und ab 01.09.1998 Fahr-kosten nach einem Kilometersatz von DM 0,38 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstan-den erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere übersteigt der Beschwerdewert die nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG in der zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung geltenden Fassung maßgebliche Grenze von 500,00 EUR. Streitig sind Fahrkosten für insgesamt 14.894 km. Bei dem geltend ge-machten Anspruch von 0,38 DM pro km ergibt sich ein Mehrbetrag von 2680,29 DM, das entspricht 1368,63 EUR.

Die Berufung ist begründet. Die Bewilligungen von Fahrkosten sind für die Zeit ab 1.9.1998 rechtswidrig. Die Klägerin hat für die Zeit ab dem 01.09.1998 Anspruch auf Fahrkostenerstat-tung nach einem Kilometersatz von 0,38 DM.

Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar ge-worden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt aus-gegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Nach dem zum Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme geltenden § 45 AFG konnte die Bun-desanstalt ganz oder teilweise die notwendigen Kosten tragen, die durch die Fortbildungs-maßnahme unmittelbar entstehen. Hierzu gehörten neben den Lehrgangskosten, den Kosten für Lernmittel und den Kosten der Arbeitskleidung auch Fahrkosten. § 18 Abs. 1 S. 1 und 3 der Anordnung Fortbildung und Umschulung (A-FuU) schrieb vor, dass Antragsteller unter bestimmten Voraussetzungen für Pendelfahrten bei Benutzung sonstiger Verkehrsmittel eine Pauschale von DM 0,20 pro zurückzulegendem Kilometer erhalten können. Diesen Kilome-tersatz hat die Beklagte der Klägerin während der gesamten Maßnahmedauer für Fahrkosten bewilligt.

Mit Wirkung ab 1.1.1998 sind die Vorschriften des AFG durch das SGB III ersetzt worden. Nach § 83 Abs. 1 u. 2 SGB III können bei Maßnahmen der Weiterbildung bei Benutzung ei-nes anderen als eines öffentlichen Verkehrsmittels Fahrkosten bis zur Höhe der Wegstrecken-entschädigung nach § 6 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) übernommen werden. Nach § 6 Abs. 1 BRKG werden bei Benutzung eines Kfz mit einem Hubraum von mehr als 600 ccm Fahrkosten von DM 0,38 pro gefahrenen km gewährt.

Inwieweit das neue Recht auf bereits zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens laufende Sachver-halte anzuwenden ist, bestimmt die Übergangsvorschrift des § 426 SGB III. § 426 Abs. 1 SGB III schreibt vor, dass auf Leistungen nach dem 4. bis 8. Unterabschnitt des 2. Abschnit-tes des AFG - in dem auch die individuelle Förderung der beruflichen Bildung geregelt ist -, bis zum Ende der Leistungen oder der Maßnahme die jeweils maßgeblichen Vorschriften des AFG weiter anzuwenden sind, wenn vor dem 01.01.1998 der Anspruch entstanden ist, die Leistung zuerkannt worden ist oder die Maßnahme begonnen hat, wenn die Leistung bis zum Beginn der Maßnahme beantragt worden ist. Trotz der grundsätzlichen Anwendbarkeit des Rechts des AFG findet nach § 426 Abs. 2 SGB III das zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verlängerung geltende Recht (also das SGB III) Anwendung, wenn die Leistung nur für einen begrenzten Zeitraum zuerkannt worden ist. Die Regelung des § 426 SGB III dient dem Vertrauensschutz (Planungssicherheit) und der Verwaltungsvereinfachung (Bundestags-Drucks. 13/4941 S. 226 f.). Sie findet nach ihrem eindeutigen Wortlaut sowohl in den Fällen Anwendung, in denen nach dem neuen Recht eine geringere Leistung zusteht als auch dann, wenn eine höhere Leistung zusteht.

Hinsichtlich der vorliegend allein streitigen Fahrkosten sind die Voraussetzungen des § 426 Abs. 2 SGB III erfüllt. Der Anspruch auf Fahrkosten ist rechtlich selbstständig. Dementspre-chend hat das AA hierüber im Bescheid vom 6.10.1997 eine eigene Entscheidung (Verfü-gungssatz) getroffen. Die Entscheidung lautet: "Dem Teilnehmer werden Leistungen bewilligt vom 15.9.1997 bis 31.8.2000 vorläufig für Fahrkosten bis 31.8.1998 1290,00 DM". In dieser Entscheidung kann entgegen der Auffassung des SG keine Bewilligung von Fahrkosten über den 31.8.1998 hinaus bis 31.8.2000 gesehen werden. Wie aus dem genannten Datum 31.8.1998 ersichtlich wird, wollte das AA Fahrkosten über dieses Datum hinaus gerade noch nicht bewilligen. Dies wird auch aus dem Zusatz deutlich, dass Fahrkosten für das Praktikum ab 1.9.1998 nur nach Vorlage der entsprechenden Fahrkostenerklärung bewilligt würden. Das heißt, hätte die Klägerin die entsprechende Erklärung nicht abgegebenen, hätte sie für diese Zeit keinen Anspruch auf Fahrkosten gehabt. Einen solchen Anspruch hätte sie aus dem Be-scheid vom 6.10.1997 nicht herleiten können. Umgekehrt hätte die Beklagte den Bescheid vom 6.10.1997 auch nicht teilweise aufheben müssen, wären ab 1.9.1998 z. B. keine Fahrkos-ten angefallen, weil das Praktikum am Wohnort der Klägerin stattgefunden hätte. Hieran än-dert es nichts, wenn das AA zum Ausdruck gebracht hat, die Leistung stehe "dem Grunde nach" für die gesamte Maßnahme bis 31.8.2000 zu. Eine Bewilligung setzt grundsätzlich vor-aus, dass der Anspruch sowohl dem Grund als auch der Höhe nach besteht, also eine Leistung tatsächlich zuerkannt wird. Besteht der Anspruch nur dem Grunde nach, aber nicht der Höhe nach, muss die Leistung abgelehnt werden.

Der Senat weicht nicht von der Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 31.12.2000 - L 1 AL 49/99 -) ab. Nach dem dieser Entscheidung zu entnehmenden Sachver-halt sind der dortigen Klägerin von vornherein Fahrkosten für die gesamten Maßnahmedauer

von 37 Monaten bewilligt worden, so dass die Voraussetzungen des § 426 Abs. 2 SGB III nicht vorgelegen haben.

Die übrigen Voraussetzungen für die Bewilligung von Fahrkosten liegen vor. Die Höhe der Entschädigung pro gefahrenen km beträgt 0,38 DM. Dies folgt aus § 83 Abs. 2 Satz 1 SGB III iVm. § 6 Abs. 1 BKKG. Zum Ort der Maßnahme bzw. der Praktika ist die Klägerin mit ihrem Kfz gefahren, das einen Hubraum von mehr als 600 ccm hatte. Ein Ermessen steht der Be-klagten insoweit nicht zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat der Senat die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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