L 4 KR 4850/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 697/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4850/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In-vitro-Fertilisation bei über 40-Jährigen. Anspruch auf mehr als vier Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung bei einer über 40-jährigen Frau, bei welcher die künstliche Befruchtung in der Vergangenheit bereits zur Geburt von zwei Kindern geführt hat.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 28. September 2001 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 26. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. März 2000 verurteilt, der Klä-gerin eine weitere Leistung zur künstlichen Befruchtung (IVF) zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin ein Viertel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zwei weitere medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft zu gewähren.

Die am 1959 geborene verheiratete Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, kann ohne künstliche Befruchtung wegen beidseitigen Eileiterverschlusses keine Kinder gebären. Durch In-vitro-Fertilisation (IVF) gebar sie am 1995 nach einem ersten Versuch ihre Tochter J. und am 1997 nach zwei weiteren Versuchen ihren Sohn B ... Nach drei Jahren verstarb ihre Toch-ter. Danach durchgeführte fünf weitere Versuche der IVF hatten keinen Erfolg. Bei den am 28. August 1998 sowie 27. Januar und 29. Juli 1999 durchgeführten Versuchen kam es zu einem Embryotransfer; die beiden am 21. Oktober 1998 und 24. März 1999 durchgeführten Versuche blieben erfolglos. Zu einer Schwangerschaft kam es bei allen fünf Versuchen nicht. Am 20. September 1999 beantragte die Klägerin unter Vorlage der Bescheinigung der Gynäko-logischen Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. S. vom 30. August 1999 die Bewilligung weiterer Ver-suche einer IVF. In der Bescheinigung wird ausgeführt, dass jetzt sechs Versuche einer IVF durchgeführt worden seien. Nach zwei Behandlungszyklen sei erneut eine Schwangerschaft ein-getreten, in den letzten vier Behandlungszyklen seien jeweils Eizellbefruchtung und Embryo-transfer möglich gewesen. Leider sei die gewünschte Schwangerschaft ausgeblieben. Die Chan-cen der Klägerin, mit Hilfe der IVF schwanger zu werden, seien insgesamt als gut zu bezeich-nen, zumal deren Anwendung schon früher zu einer Schwangerschaft geführt habe. Eine Erhö-hung der Gonadotropinwerte liege nicht vor, so dass von einer klimakterischen Umstellung nicht gesprochen werden könne. Vielmehr sei die Stimulierbarkeit der Eierstöcke nach wie vor gege-ben. Die Beklagte holte das sozialmedizinische Gutachten des Dr. G. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 21. Oktober 1999 ein. Dieser gelangte zu der Auffassung, dass im vorliegenden Fall, nachdem jetzt sechs Versuche einer IVF durchgeführt worden seien, keine hinreichende Erfolgsaussicht für den Eintritt einer Schwangerschaft mehr bestehe, worauf die Beklagte mit Bescheid vom 26. Oktober 1999 die Bewilligung von zwei weiteren Versuchen der IVF ablehnte. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie fühle sich trotz ihrer jetzt 40 Jahre durchaus in der Lage, ein Kind auszutragen und großzuziehen. Wegen der beson-deren Situation infolge des Todes ihrer Tochter müsse hier zudem eine Ausnahme gemacht wer-den, so dass sie nun bitte, vier weitere Versuche zu gewähren. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Im ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 13. März 2000 legte der Widerspruchsaus-schuss III der Beklagten die allgemeinen Grundsätze für die Gewährung von IVF dar und be-gründete die Ablehnung erneut vor allem mit der Tatsache, dass die Klägerin das 40. Lebensjahr bereits vollendet habe.

Die am 12. April 2000 zum Sozialgericht (SG) Konstanz erhobene Klage begründete die Kläge-rin vor allem damit, dass ihr Alter kein entscheidender Hinderungsgrund sein könne. Die diesbe-züglichen Ausführungen des von der Beklagten gehörten Gutachters seien voreilig. Nach den Richtlinien hätte weiter geprüft werden müssen, ob nicht ausnahmsweise doch Erfolgsaussichten bei ihr bestünden. Sie wies darauf hin, dass ihre Tochter J. schon nach dem ersten und ihr Sohn B. nach zwei weiteren Versuchen der IVF geboren worden seien. Jedenfalls habe die Beklagte die Geburt des Sohnes B. überhaupt nicht berücksichtigt. Nach dessen Geburt seien nur fünf Versuche durchgeführt worden. Die Klägerin legte noch die weitere Bescheinigung des Prof. Dr. S. vom 11. September 2000 vor, derzufolge die Chancen der Klägerin, erneut schwanger zu werden, als überdurchschnittlich zu beurteilen seien. Nach den in Frankreich gemachten Erfah-rungen sei die Durchführung zusätzlicher IVF-Zyklen zu empfehlen. Ferner legte die Klägerin noch die weitere Bescheinigung des Prof. Dr. S. vom 23. Januar 2001 vor. Darin wird erneut betont, dass eine klimakterische Umstellung nicht vorliege und die Chancen der Klägerin, schwanger zu werden, als überdurchschnittlich hoch zu bewerten seien. Die Beklagte trat der Klage entgegen und verwies auf die bestehenden Richtlinien des Bundes-ausschusses der Ärzte und Krankenkassen (BA) über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Be-fruchtung (Ri). Sie habe durch die Gewährung von insgesamt sechs weiteren IVF-Zyklen ihre Leistungspflicht erfüllt. Das SG wies die Klage mit Urteil vom 28. September 2001 ab und legte in den Entscheidungs-gründen erneut die Ri nach § 92 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) dar. Weite-re Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung durch IVF könne die Klägerin nicht beanspruchen, da es an der hinreichenden Aussicht auf Herbeiführung einer Schwangerschaft fehle. Nach der letzten erfolgreich durchgeführten IVF im Oktober 1996 seien zwischen August 1998 und Juli 1999 insgesamt fünf weitere Versuche unternommen worden, die nicht zum Erfolg, also einer klinisch nachgewiesenen Schwangerschaft, geführt hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 12. November 2001 gegen Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil verwiesen.

Mit der am 12. Dezember 2001 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) eingelegten Beru-fung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie macht geltend, bei numerischer Interpretation der Nr. 8 der Ri, wie sie vom SG vorgenommen worden sei, sei ohne weiteres anzunehmen, dass sie Anspruch auf vier weitere Versuche habe. Sie habe seit der letzten Behandlung im Juli 1999 keine weiteren Behandlungsversuche auf eigene Kosten vornehmen lassen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 28. September 2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 26. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. März 2000 zu verurteilen, ihr vier weitere Leistungen zur künstlichen Befruchtung (IVF) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die getroffene Entscheidung für richtig, auch wenn davon ausgegangen werden müsse, dass die Klägerin lediglich fünf weitere Versuche nach der Geburt ihres Sohnes B. durchgemacht habe. Die Ri ließen eine andere Entscheidung nicht zu, zumal die Klägerin das 40. Lebensjahr bereits vollendet habe.

Die Berichterstatterin des Senats hat die Auskunft des Prof. Dr. S. als sachverständiger Zeuge vom 13. Mai 2002 eingeholt, aus der sich auch statistische Angaben für die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft im allgemeinen durch die IVF-Methode ergeben.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündli-che Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die von der Beklagten vorgelegten sowie die Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die entsprechend den Form- und Fristvorschriften des § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Betei-ligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1999 in der durch den Widerspruchsbescheid vom 13. März 2000 unveränderten Gestalt verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten, als die Beklagte ihr nicht eine weitere IVF-Behandlung zugebilligt hat.

Die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen gemäß § 27a Abs. 1 SGB V derartige Leistungen zu gewähren sind, hat das SG im angefochtenen Urteil ebenso zutreffend dargelegt wie die Be-klagte im Widerspruchsbescheid. Zur Vermeidung von Wiederholungen darf deswegen gemäß § 153 Abs. 2 SGG hierauf verwiesen werden. Allerdings übersieht die getroffene Entscheidung, dass der Klägerin noch eine weitere IVF-Behandlung zu gewähren ist, da insoweit eine hinreichende Aussicht besteht, dass dadurch eine Schwangerschaft herbeigeführt wird (§ 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB ). Nach § 27a Abs. 4 SGB V be-stimmt der BA in Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Vorausset-zungen sowie Art und Umfang der Maßnahmen nach Abs. 1. Die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht auf Herbeiführung einer Schwangerschaft verlangt eine Prognoseentscheidung. Maßgebender Zeitpunkt für diese ist auch im Falle der gerichtlichen Nachprüfung der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids, hier also der 13. März 2000 (vgl. hierzu auch BSG SozR 3 - 4100 § 36 Nr. 5). Damit kann auch nicht aus der Erfolglosigkeit der bereits durchge-führten letzten fünf Versuche ein Argument gegen eine erneute Behandlung gewonnen werden. Vielmehr war die Beklagte zur Gewährung eines weiteren Versuches zu verurteilen. Hierbei hat der Senat nicht nur berücksichtigt, dass die Beklagte zum Teil von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist und dass die Klägerin erst fünf weitere IVF-Zyklen durchgemacht hat, nachdem sie 1997 ihren Sohn B. geboren hatte. Die Beklagte selbst ist davon ausgegangen, dass ihr sechs weitere Versuche und nicht nur fünf, wie bisher absolviert, zustehen. Vor allem ist nicht erkenn-bar, dass die Beklagte und der sie beratende Arzt des MDK der Tatsache hinreichend Rechnung getragen haben, dass bei der Klägerin zwei IVF-Behandlungen erfolgreich waren und nicht nur zur Schwangerschaft, sondern auch zur Geburt von zwei Kindern geführt haben. Im Übrigen hat auch Dr. G. vom MDK nach vier durchgeführten Behandlungen jedenfalls noch für zwei Zyklen Erfolgsaussichten gesehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der erfolglose Versuch vor der Geburt des Sohnes B. (erst der dritte Versuch insgesamt hat zur Schwangerschaft geführt) im Hinblick auf Nr. 2 Satz 3 der Ri ohne Bedeutung ist.

Dem steht das Alter der Klägerin, die inzwischen das 43. Lebensjahr vollendet hat, nicht entge-gen. Wie der Auskunft des Prof. Dr. S. als sachverständiger Zeuge vom 13. Mai 2002 zu ent-nehmen ist, lassen sich zwar die Chancen für eine Schwangerschaft im Einzelfall nicht prospek-tiv errechnen. Es kommt aber nicht allein auf das Alter, sondern auch auf die hormonelle Situati-on sowie die Anzahl und Qualität der übertragenen Embryonen an. Außerdem ist bei dieser Prognose zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits bei zwei IVF-Versuchen Erfolg hatte. Richtig ist auch, dass die übertragenen Embryonen stets hochwertig waren, was mit guten Chan-cen für den Eintritt einer Schwangerschaft verbunden ist. Noch bei einer Kontrolluntersuchung im Januar 2001 fand sich eine normale Funktion der Eierstöcke, so dass der gehörte Zeuge von einer Stimulierbarkeit der Eierstöcke ausgeht. Trotz der deutlichen Verminderung der Möglich-keiten der Schwangerschaft jenseits des 40. Lebensjahres sprechen hiermit so viele Faktoren im vorliegenden Fall für eine gute Erfolgsaussicht, dass sich der Senat dem nicht verschließen konn-te und die Beklagte zur Gewährung einer weiteren IVF-Behandlung verurteilt hat.

Für eine weitergehende Verurteilung fehlt es jedoch an den erforderlichen Voraussetzungen, zumal diese Versuche nicht unmittelbar nacheinander erfolgen können, sondern bestimmte Inter-valle einzuhalten sind, so dass das Alter der Klägerin einer Erfolgsaussicht immer mehr im Wege steht. Soweit die Klägerin also insgesamt vier IVF-Zyklen bewilligt haben möchte, konnte ihre Berufung keinen Erfolg haben. Sie war deshalb insoweit aus den diesbezüglichen Gründen des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Anteil des Obsiegens der Klägerin.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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