L 7 U 1718/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 361/99
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 U 1718/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Herabsetzung der Beitragsklassen im Gefahrtarif. Keine Beitragsklassenherabsetzung nach Teil II Nr. 2 der Gefahrstarife 1990 und 1995 der Verwaltungs - Bgfür Architekturbüro mit ca. 10% aus den Dienstanteil.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2001 aufgehoben.Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Herabsetzung der Gefahrklasse für die Beitragsjahre von 1994 bis 1997.

Die Kläger betreiben ein Architekturbüro in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Als Mitgliedsunternehmen der Beklagten wurden sie nach dem ab 1.1.1990 geltenden Gefahrtarif (GT) in der GT-Stelle 4.2 (Architekten, Ingenieure sowie entsprechende Unternehmen, selbstständige Bauleiter, technische Überwachungsvereine) mit der Gefahrklasse 2,2 veranlagt. Auf der Grundlage dieser Veranlagung ergingen jeweils die Beitragsbescheide der Beklagten vom 27.4.1993, 27.4.1994 und 25.4.1995 für die Beitragsjahre 1992 bis 1994. Die Kläger erhoben jeweils Widerspruch und machten zuletzt geltend, nur die Teillohnsumme von ca. 9,65 Prozent erfülle die Veranlagung in die Gefahrklassen 2.2, ansonsten werde ausschließlich Bürotätigkeit verrichtet. Es handle sich um eine erheblich abweichende Betriebsweise (Widerspruchsbegründung vom 20.10.1994). Bei den von ihnen geplanten Großprojekten bestehe im wesentlichen sowohl eine personelle Arbeitsteilung als auch eine Trennung zwischen Planung und Bauausführung. Die betriebliche Organisation unterscheide sich daher von der eines durchschnittlichen Architekturbüros, bei dem ein Projekt vom Entwurf bis zur Realisierung von einem Architekt begleitet werde (Schreiben vom 27.2.1995). Mit Widerspruchsbescheid vom 4.4.1996 wies die Beklagte die Widersprüche gegen die Veranlagung ab 1.1.1990 und gegen den Beitragsbescheid für das Beitragsjahr 1993 zurück.

Mit Veranlagungsbescheid vom 13.2.1996 stufte die Beklagte auf der Grundlage ihres ab 1.1.1995 geltenden GTs die Kläger in der GT-Stelle 10 (Architekturbüro) nach Gefahrklasse 2.2 ein. Gegen die Neuveranlagung erhoben die Kläger Widerspruch (Widerspruch vom 11.3.1996) unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen (Schreiben vom 10.4.1996). Mit Bescheiden vom 26.4.1996, 25.4.1997 und 27.4.1998 erhob die Beklagte Beiträge gemäß ihrer Veranlagung ab Januar 1995 für die Beitragsjahre 1995 bis 1997. Gegen den Beitragbescheid vom 26.4.1996 legten die Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, schwerpunktmäßig stütze man sich auf die Ziffer 2 der sonstigen Bestimmungen des GTs, denn bei erheblich abweichender Betriebsweise sei eine Herabsetzung der Gefahrklasse vorzunehmen, und zwar bereits ab 1993.

Mit Bescheid von 13.11.1996 lehnte die Beklagte die mit Schreiben vom 20.10.1994 beantragte Herabsetzung der Gefahrklasse ab 1.1.1990 ab. Eine Prüfung der Unternehmensverhältnisse durch den Technischen Aufsichtsdienst habe regelrechte Betriebsverhältnisse ergeben. Mit Bescheid vom 17.4.1997 lehnte die Beklagte die mit Schreiben vom 27.2.1995 beantragte Herabsetzung der Gefahrklasse ab 1.1.1995 ab. Gegen beide Bescheide legten die Kläger Widerspruch ein (Widersprüche vom 3.12.1996 und 3.6.1997).

Mit Bescheid vom 31.3.1998 veranlagte die Beklagte die Kläger nach dem ab 1.1.1998 geltenden GT nach GT-Stelle 13 (Architekturbüro) mit Gefahrklasse 0,72. Auch hiergegen erhoben die Kläger Widerspruch (Schreiben vom 24.4.1998). Gegen die unter dem 15.10.1998 jeweils gesondert ergangenen Beitragsbescheide zur Abänderung der Beiträge für die Beitragsjahre 1994 und 1995 erhoben die Kläger ebenfalls Widerspruch mit Schreiben vom 19.10.1998. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.1998 wies die Beklagte die Widersprüche der Kläger gegen den Veranlagungsbescheid vom 13.2.1996 (I), die Ablehnung der Herabsetzung der Gefahrklasse ab 1.1.1990 bis 31.12.1994 (II), gegen die Ablehnung der Herabsetzung der Gefahrklasse ab 1.1.1995 (III) und gegen die Beitragsbescheide für die Beitragsjahre 1994 bis 1997 (IV) zurück. In den Gründen zu den unter II und III getroffenen Entscheidungen führte die Beklagte aus, eine von der üblichen erheblich abweichende Betriebsweise liege vor, wenn sie außergewöhnlich sei und in der Regel bei Unternehmen derselben Unternehmensart nicht vorkomme. Eine Herabsetzung der Gefahrklassen diene nicht dazu, Ausgaben für Arbeitsschutzmaßnahmen zu kompensieren. Eine von der bei der Gefartarifsgemeinschaft üblichen erheblich abweichende Betriebsweise habe nicht festgestellt werden können.

Gegen den am 23.12.1998 bei den Prozessbevollmächtigten der Kläger eingegangenen Widerspruchsbescheid erhoben diese am 20.1.1999 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) mit dem Begehren, die Beklagte zu verurteilen, über die Herabsetzungsanträge vom 20.10.1994 und 27.2.1995 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Es sei fraglich, wie die Beklagte zur Einschätzung der Betriebsverhältnisse und zum Strukturbild der Gefahrgemeinschaft gekommen sei. Ihr Büro betreibe Großbauvorhaben, weshalb ein wesentlich geringerer Prozentsatz für Bauleitung hinsichtlich der der Beitragsbemessung zu Grunde liegenden Gesamtlohnsumme aufgewandt werde. Insoweit sei ihr Büro nicht vergleichbar mit einem normalen Architekturbüro. Es seien 130 bis 140 Fachleute bundesweit für sie tätig, davon seien allenfalls 13 bis 14 Personen mit Bauleitung befasst. In der Zentrale in S. seien 85 bis 90 Prozent des Personals tätig, deren Beschäftigung mache, von wenigen Ausnahmen durch Teilnahme an einer Besichtigung oder Einweihung abgesehen, ausschließlich Bürotätigkeit aus. Für die Bauleitung seien speziell Angestellte oder freiberuflich tätige Personen für viele Monate, wenn nicht gar für Jahre für die Dauer der Realisierung eines Projekts vor Ort tätig, weshalb die Bauleiter dorthin umzögen. Dies unterscheide sich von dem normalen Architekturbüro, in dem nach der Entwurfsphase der Architekt sich selbst auf dem Bau einfinde und insoweit Planung und Bauausführung miteinander verzahnt seien. Deshalb seien in der Honorarordnung für Architektenleistungen (HOAl) für die Bauleitung 30 Prozentpunkte vorgesehen. Die Beklagte habe das notwendige Ermessen nicht ausgeübt. Das ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Datenmaterial sei zu schmal, denn es seien nur die Herabsetzungsanträge der letzten Jahre berücksichtigt worden, deren Verwertung sie entgegenträten.

Die Beklagte verwies auf die von ihr vorgelegte Stichprobenanalyse der Architekturbüros, die 1994 anlässlich der Neubildung des GT vorgenommen worden sei. Diese betreffe die GT-Perioden ab 1984 und 1990. Die weit überwiegende Zahl der Architekturbüros seien freiberufliche architektonische Planungsbüros (1985: 29.000), daneben gebe es eine größere Anzahl (1985: 4200) baugewerblicher Architekten. Dies seien die neben ihrem Architekturbüro auch ein Bauunternehmen betreibenden Unternehmen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der eigenen Berufsgenossenschaft fielen. Manche der bei ihr versicherten Architekturbüros hätten sich spezialisiert, unter anderem in den Bereichen Design, Innenarchitektur, Garten- und Landschaftsarchitektur, Städtebau, Glasarchitektur, Beratung und Begutachtung. Danach seien in den meisten Fällen kein oder nur ein Beschäftigter im Außendienst (ohne Bauleitung) mit einer Außendienstbelastung von fünf bis 20 Prozent der Arbeitszeit tätig. In 36 Prozent der Fälle sei auch Bauleitung ausgeübt worden, die im Mittel ca. 10% der Arbeitszeit des Bauleiters beansprucht habe. Im Durchschnitt umfasse ein Architekturbüro fünf Mitarbeiter. Viele Beschäftigte erledigten auch Außendienst, der reine Anteil daran liege aber bei neun Prozent. Bei den mittätigen Unternehmern liege der Außendienstanteil bei 13 Prozent. Wenn auch Bauleiter beschäftigt würden, treffe sie einen Außendienstanteil von durchschnittlich 13 Prozent. Hieraus sei ersichtlich, dass ein hoher Anteil von Bürotätigkeit nicht unüblich sei und dass sogar bei Beschäftigung von Bauleitern auch diese einen großen Teil ihrer Arbeitszeit mit Bürotätigkeit verbrächten. Im Büro der Kläger seien dagegen Bauleiter langfristig an den Baustellen tätig und führten einen hundertprozentigen Außendienst aus.

Das SG führte einen Erörterungstermin am 17.7.2000 durch. Mit Urteil vom 15.2.2001 verurteilte es die Beklagte, über die Herabbemessungsanträge der Kläger vom 20.10.1994 und 27.2.1995 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. In den Entscheidungsgründen führte es im wesentlichen aus, die Beklagte sei ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen. Es sei nicht dargelegt worden, auf Grund welcher Erhebungen und Erwägungen die Beklagte zu den angegriffenen Ausgangsentscheidungen gekommen sei. Das vorgelegte Datendokument habe keinerlei weitergehende Beweiskraft. Auch insoweit seien einzelfallbezogene Ermessenselemente des Verwaltungshandelns nicht in nachvollziehbarer Weise transparent geworden. Soweit im gerichtlichen Streitverfahren noch Tatsachenmaterial und Ausführungen der Beklagten in das Verfahren eingeführt worden seien, sei dies ohne Belang, denn zur Verteidigung ihrer Rechtsposition sei ein Nachschieben von Gründen durch die Beklagte nicht statthaft und habe unberücksichtigt bleiben müssen. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen seien daher im Sinne eines Bescheidungsurteils aufzuheben gewesen.

Gegen das ihr am 30.3.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.4.2001 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zur Begründung vertiefend geltend gemacht, die Tatbestandsvoraussetzungen für das im GT eingeräumte Entschließungsermessen lägen nicht vor. Die von den Klägern beschriebene Betriebsweise könne als zutreffend unterstellt werden, sie weiche aber nicht erheblich von der für Architekturunternehmen üblichen Betriebsweise ab. Das Herabsetzungsverfahren diene nicht der Berücksichtigung niedrigerer Unfallzahlen, hierfür seien die Beitragszuschlags- und -nachlass-Verfahren gesetzlich vorgesehen. Die Herabsetzungsbestimmungen gälten demgegenüber nur für ganz außergewöhnliche, extreme Ausnahmefälle, die auf wenige Einzelfälle beschränkt seien. Aus der vorgelegten Aktenauswertung der Herabsetzungsanträge in den GT-Perioden ab 1984 ergebe sich, dass auch andere Unternehmen vergleichbare oder nach Interpretation der Kläger sogar weniger gefahrträchtige, z. B. wenn im Unternehmen überhaupt keine Bauleitung wahrgenommen werde, Unternehmensverhältnisse hätten. Es sei davon auszugehen, dass über die vorgelegten 59 Anträge hinaus die tatsächliche Zahl vergleichbarer Unternehmen noch wesentlich höher sei, weil die wenigsten Unternehmen einen Herabsetzungsantrag stellten. Es sei nicht Aufgabe einer Berufsgenossenschaft, die Mitgliedsunternehmen regelmäßig auf ihre Betriebsweisen zu prüfen, dies wäre praktisch undurchführbar und unwirtschaftlich. Die Entscheidung über einen Herabsetzungsantrag beruhe auf der Würdigung der allgemeinen Erkenntnisse aus den bekannt gewordenen Unternehmensschilderungen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Februar 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führen aus, im Erörterungstermin am 17.7.2000 vor dem SG sei klargestellt worden, dass die Durchführung der GTe für die Beitragsjahre ab 1994 streitbefangen sei bis einschließlich 1997. Offen seien jedoch noch die Beitragsjahre für 1998 bis 2000. Es sei Sache der Beklagten, die notwendigen Ermittlungen anzustellen und diese nachvollziehbar darzustellen, um das Fehlen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermessensentscheidung über die Herabsetzung der Gefahrklassen zu begründen. Bei Zweifel über das Vorliegen des ermessenseröffnenden Tatbestands sei der Klage stattzugeben. Es sei nicht Sache des Gerichts, nachträglich Feststellungen zu treffen, was letztlich Sache der Beklagten sei. Im Übrigen sei es nur ein Postulat, dass die Herabsetzungsbestimmungen nur für wenige außergewöhnliche Ausnahmefälle gelten sollten. Dies ergebe sich nicht aus dem Wortlaut der Satzungsbestimmung, die nur auf eine "wesentlich" geringere oder höhere Gefährdung abhebe. Ihr Unternehmen sei nur mit einem Prozentsatz von 10 bis höchstens 15 Prozent in einer Weise tätig, wie es der üblichen Betriebsweise entsprechen würde. Auf die Auswertung des Datenmaterials über Herabsetzungsanträge könne sich die Beklagte nicht berufen, denn maßgeblich sei eine Erhebung darüber, wie die übliche Betriebsweise aussehe. Solche Erhebungen seien nicht punktuell im Hinblick auf ihr Unternehmen gefertigt worden und lägen auch generell nicht vor im Hinblick auf all die anderen Herabsetzungsverfahren.

Dem Senat liegen die beigezogenen Akten des SG sowie die restaurierte Verwaltungsakte der Beklagten vor.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung der Beklagten ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe (§ 144 SGG) liegen nicht vor.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind außer den Bescheiden der Beklagten vom 13.11.1996 und 17.4.1997, mit denen die Herabsetzung der Gefahrklasse ab 1.1.1990 bzw. 1.1.1995 abgelehnt wurde, auch die Beitragsbescheide für die Beitragsjahre ab 1994 bis 1997. Über den Beitragsbescheid vom 25.4.1995 für das Beitragsjahr 1994 hatte die Beklagte mit bestandskräftigem Widerspruchsbescheid vom 4.4.1996 nämlich nicht entschieden. Die Beklagte hat daher sachgerecht mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.1998 auch über den insoweit noch anhängigen Widerspruch gegen den Beitragsbescheid für 1994 entschieden. Nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens sind die Veranlagungsbescheide zum GT ab 1.1.1990 und ab 1.1.1995. Der Widerspruch gegen die Veranlagung zur GT-Stelle 4.2 ab 1.1.1990 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 4.4.1996 bestandskräftig - und insoweit sind die Beitragsbescheide für 1993 und 1994 bestandskräftig geworden - zurückgewiesen. Der Widerspruch gegen den Veranlagungsbescheid vom 29.9.1995 zur Veranlagung zur GT-Stelle 10 ab 1.1.1995 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.1998 zurückgewiesen. Hiergegen haben die Kläger nicht Klage erhoben, denn ihr Klageantrag vor dem SG war ausdrücklich auf die Ablehnung der Herabsetzung (und die Beitragsbescheide zu den Beitragsjahren ab 1994) begrenzt. Die Beitragsbescheide für die Beitragsjahre ab 1998 sind entgegen der Auffassung der Kläger nicht gem. § 96 SGG Gegenstand dieses Berufungsverfahrens geworden, denn diese beruhen auf dem am 1.1.1998 in Kraft getretenen neuen GT der Beklagten.

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

Nach § 219 Abs. 1 SGB VII sind die Vorschriften über die Aufbringung der Mittel erstmals für das Haushaltsjahr 1997 anzuwenden. Für das Haushaltsjahr 1996 und frühere Haushaltsjahre sind die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die Aufbringung und die Verwendung der Mittel sowie Art. 3 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes in der am Tag vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden. Mithin ist im vorliegenden Fall nur der Beitragsbescheid vom 27.04.1998 nach den Vorschriften des SGB VII zu beurteilen. Prüfungsmaßstab für die übrigen angefochtenen Bescheide sind die Vorschriften der RVO. Da sich im vorliegenden Fall keine unterschiedlichen Rechtsfolgen ergeben - die Beitragsbescheide hängen sämtlich von den streitbefangenen Ablehnungsbescheiden zur Herabbemessung vom 13.11.1996 bzw. 17.04.1997 getroffenen Regelungen ab - werden im folgenden nur die Vorschriften der RVO zitiert.

Die Höhe der Beiträge richtet sich vorbehaltlich des § 723 Abs. 2 und des § 728 RVO nach dem Entgelt der Versicherten und nach dem Grade der Unfallgefahr (§ 725 Abs. 1 RVO). Zur Abstufung nach dem Grad der Unfallgefahr hat die Vertreterversammlung durch einen GT Gefahrklassen zu bilden (§ 730 RVO). Der Vorstand hat den GT mindestens alle fünf Jahre mit Rücksicht auf die eingetretenen Arbeitsunfälle nachzuprüfen (§ 731 Abs. 1 RVO). Die Berufsgenossenschaft veranlagt die Unternehmen für die Tarifzeit nach der Satzung zu den Gefahrklassen (§ 734 Abs. 1 RVO).

Der GT der Beklagten besteht aus zwei Teilen. Um die Beiträge nach der Unfallgefahr abzustufen, werden die Unternehmensarten in Teil I den Gefahrklassen zugeteilt. Hierdurch wird die Risikogemeinschaft "Berufsgenossenschaft" in kleinere Risikogemeinschaften GT-Stellen gegliedert. Gefahrklassen zeigen den durchschnittlichen Grad der Unfallgefahr jeder Tarifstelle. Je höher das Unfallrisiko, desto höher die Gefahrklasse und damit der Beitrag. In den GT-Stellen sind jeweils Gewerbezweige mit annähernd gleichen Unfallrisiken zusammengestellt (Gefahrengemeinschaften). Die Gefahrklasse erfasst nicht das Risiko des einzelnen Unternehmens, sondern das Risiko aller in einer bestimmten GT-Stelle zusammengefaßten Unternehmen.

In Teil II sowohl der GT 1984 und 1990 als auch des GT 1995 (und 1998, nicht mehr 2001) hat die Beklagte eine Vorschrift aufgenommen, wonach sie die Gefahrklasse um 10 bis 50 v.H. (im Falle des GT 1998 nur noch bis 30 v.H.) herabsetzen oder erhöhen konnte, wenn sich in Einzelfällen ergab, dass wegen einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise ein Unternehmen geringeren oder höheren Gefahren unterlag, als die, für welche die Gefahrklasse im Teil I berechnet war.

Schließlich hatten die Berufsgenossenschaften unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Arbeitsunfälle Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen. Die Höhe der Zuschläge und Nachlässe richtete sich nach der Zahl, der Schwere und den Kosten der Arbeitsunfälle oder nach mehreren dieser Merkmale. Anstelle von Nachlässen oder zusätzlich zu den Nachlässen konnten nach der Wirksamkeit der Unfallverhütung gestaffelte Prämien gewährt werden. Das Nähere bestimmte die Satzung (§ 725 Abs. 2 RVO). Die Beklagte ist dieser gesetzlichen Verpflichtung in § 26 ihrer Satzung durch ein Beitragszuschlagsverfahren nachgekommen. Beitragsnachlässe wurden nicht gewährt.

Mit den bestandskräftigen Veranlagungsbescheiden hat die Beklagte die Kläger für die Dauer des ab 01.01.1990 bzw. 1995 geltenden GT neu zu den Gefahrklassen veranlagt. Mit dem Ablauf der Tarifzeit bzw. dem Ende der Geltungsdauer eines GT endet die bisherige Veranlagung automatisch durch Zeitablauf (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X), da sie von vornherein nur für die betreffende Tarifzeit gelten soll. Es bedarf also keines aufhebenden Verwaltungsaktes (KassKommRicke, Rz 2 zu § 734 RVO nach dem Stand von September 1994). Die Einstufung nach § 734 Abs. 1 RVO ist mithin auflösend bedingt durch die Geltungsdauer des jeweiligen GT (vgl. Urteile des Senats vom 13.12.2001, L 7 U 674/99 und vom 24.01.2002, L 7 U 632/99; beide nicht rechtskräftig).

Für Neuveranlagungen zu Beginn eines GT-Zeitraums gelten deshalb die allgemeinen Regeln, ohne dass ein Änderungsnachweis im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X zu führen wäre. Im übrigen würde selbst die Anwendung der genannten Vorschrift zu keinem abweichenden Ergebnis führen, weil das Inkrafttreten des neuen GT als wesentliche Änderung in den für die GT-Veranlagung maßgeblichen rechtlichen Verhältnissen zu werten wäre, die eine Neufeststellung zulässt. Insoweit ist auch für jeden GT-Zeitraum ohne Bindung an frühere Entscheidungen über eine Herabsetzung der Gefahrklasse neu zu entscheiden.

Entgegen der Ansicht des SG hat die Beklagte hinsichtlich der Entscheidung dem Grunde nach, ob die Gefahrklasse herabzusetzen sei, keine Ermessensentscheidung zu treffen. Liegen die in Teil II Nr. 2 des GT festgelegten Voraussetzungen vor, so muß eine abweichende Veranlagung vorgenommen werden. Insoweit ist dem Unfallversicherungsträger kein Ermessen eingeräumt, auch wenn der GT insoweit eine "Kann"-Formulierung enthält (KassKomm-Ricke, Rz 19 zu § 730 RVO mwN bzw. Rz 17 zu § 157 SGB VII). Das Ermessen erstreckt sich auf den Umfang der Herabsetzung. Es kann dahinstehen, ob trotz Vorliegens der ermessenseröffnenden Voraussetzungen ausnahmsweise eine Herabsetzung um "Null" Prozent ermessensgerecht sein kann. Das Vorbringen der Beklagten ist entgegen der Rechtsauffassung des SG kein "Nachschieben von Ermessensgründen", sondern der freien Würdigung des Senats zugänglicher Vortrag zur Behauptung, es fehlten die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermessensentscheidung.

Die danach mögliche und gebotene freie Überprüfung ergibt, dass für die Zeit ab 01.01.1990 die Voraussetzungen einer Herabsetzung der Beitragsklasse nach Teil II Nr. 2 des GT nicht vorlagen. Wenn dort von Einzelfällen die Rede ist, bedeutet dies nach Auffassung des Senats, dass nur außergewöhnliche, für die betreffende Unternehmensart atypische Betriebsweisen (Betriebsverhältnisse) eine Herabsetzung der Beitragsklasse rechtfertigen können. Wie Schulz (SGb 1993, S. 402, 403) zutreffend dargelegt hat, beruhen nämlich gefahrtarifliche Regelungen über Gefahrklassenänderungen in Einzelfällen auf Empfehlungen des früheren Reichtsversicherungsamtes (RVA) aus dem Jahre 1886, deren Ziel es war, mehr Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen, als dies durch den GT möglich erschien. Während das RVA hierbei zunächst noch überwiegend auf subjektive Gesichtspunkte abstellte, rückte es später hiervon ab. In seinem Schreiben an den Vorstand des Verbandes der Deutschen Berufsgenossenschaften vom 22.02.1908 (zitiert nach Schulz, aaO, Fußnote 14) hat es vor einer großzügigen Auslegung dieser Bestimmung gewarnt, weil dadurch die Berechnung der Gefahrklassen "bedeutungslos" würde. Mit seinem Runderlaß vom 15.06.1933 (AN 1933, 364f.) bekräftigte das RVA diesen Standpunkt und betonte, daß Herabsetzungen aus Billigkeitsgründen ausgeschlossen seien und Abweichungen von den normalen Gefahrklassen nur in einer geringen Zahl von Fällen vorkommen könnten. Das BSG hat sich in seiner Entscheidung vom 14.12.1967 - 2 RU 60/65 - (BSGE 27, 237, 241f.) der Rechtsauffassung des RVA im Grundsatz angeschlossen. Allerdings hat es bisher, soweit ersichtlich, nicht zu der Frage Stellung genommen, ob nur außergewöhnliche Betriebsverhältnisse eine Herabsetzung der Beitragsklasse rechtfertigen können. Die Entscheidungen vom 24.02.1982 - 2 RU 89/80 - und vom 27.02.1985 - 2 BU 81/83 - lassen insoweit keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu. Große Bedeutung kommt nach Auffassung des Senats dem Gesichtspunkt zu, daß der Geltungsbereich der Regelgefahrklasse, welcher die Unternehmen einer bestimmten GT-Stelle zugeordnet sind, nicht dadurch ausgehöhlt werden darf, daß in erheblichem Umfang Beitragsklassenherabsetzungen nach Teil II Nr. 2 des GT bewilligt werden. Beschränkt man dieses Verfahren nicht auf seltene Ausnahmefälle, so tritt eine Entwertung der Gefahrklassenberechnung ein, die mit Beitragsnachteilen für andere Mitgliedsunternehmen verbunden ist, weil die feststehende Höhe der Umlage durch höhere Beiträge der anderen Unternehmen aufgebracht werden muss. Auch führt eine extensive Auslegung der Gefahrklassenherabsetzungsvorschrift zu erheblichem Verwaltungsmehraufwand, da bei fast jeder Unternehmensart eine oder mehrere mutmaßlich besonders gefährliche oder aber mutmaßlich weniger gefährliche Varianten der Betriebsweisen existieren, die dann über mehrere GTe hinweg eine ständige Herab- oder Heraufsetzung der Gefahrklasse bedingen würden (vgl. Urteile des Senats vom 13.12.2001 und 24.01.2002, aaO).

Nach diesen Grundsätzen steht zur Überzeugung des Senats fest, dass kein außergewöhnlicher Einzelfall in der von den Klägern geltend gemachten Betriebsweise gesehen werden kann. Entgegen der Auffassung der Kläger ist dies mit hinreichender Sicherheit den ab der GTsperiode 1984 gestellten 59 Herabsetzungsanträgen von Architekturbüros zu entnehmen. Die Unternehmensverhältnisse sämtlicher Antragsteller, die nach Selbsteinschätzung der Unternehmer bereits als eine erheblich abweichende Betriebsweise zu beurteilen seien, lassen - bis auf eine Ausnahme - eine weit geringere Außendiensttätigkeit erkennen, als die Kläger für ihr Unternehmen dargelegt haben. Daraus folgt, dass schon nach der branchenspezifischen Verkehrsanschauung das Unternehmen der Kläger nicht dem möglichen Kreis der Betriebe mit abweichender Betriebsweise zuzuordnen ist. Das klägerische Unternehmen umfasst nach eigenen Angaben 130 bis 140 Beschäftigte bundesweit, wovon 13 bis 14 ausschließlich mit Bauleitung vor Ort befasst sind. Damit sind im Durchschnitt zehn Prozent der Beschäftigten zu annähernd 100 Prozent im Außendienst tätig. Demgegenüber ist nach der eine Auslese darstellenden Stichprobenanalyse der Beklagten in den meisten Fällen nur ein Beschäftigter mit Außendiensttätigkeit im Umfang zwischen 5 bis 20 Prozent seiner Arbeitszeit eingesetzt, bei einer durchschnittlichen Beschäftigtenzahl von 5. Soweit Bauleitung ausgeübt wird, beträgt diese Außendiensttätigkeit zehn Prozent der Arbeitszeit des betreffenden Beschäftigten. Die vereinzelt in größeren Büros mit mehr als zehn Beschäftigten ausgeübte Bauleitung oder sonstiger Außendienst (Behördenbesprechung etc.) obliegt in der Regel einem bis allenfalls 8 Beschäftigten bzw. mitarbeitenden Unternehmern (größte Beschäftigtenzahl 30 bzw. 17 bis 26 Beschäftigte), deren Beanspruchung für entsprechende Außendienste zwischen 5 und 50 Prozent der Arbeitszeit lag. Nur in einem Fall waren in einem Architekturbüro mit 16 Mitarbeitern 2 überwiegend als Bauleiter im Außendienst eingesetzt, die übrigen ausschließlich mit Bürotätigkeit befasst. Dagegen waren in 11 Fällen ausschließlich Büroarbeiten ohne Bauleitung bzw. Außendienst angegeben worden. Abgesehen davon, dass das klägerische Unternehmen in der Größe von den in der Analyse erfassten Architekturbüros abweicht, ist der Umfang der dort geleisteten Außendiensttätigkeit jedoch weit größer. Soweit in den von der Beklagten erfassten größeren Architekturbüros mehrere Beschäftigte mit Außendienst befasst sind (z. B. im Büro mit 17 bis 26 Beschäftigten bei vier bis sechs Außendiensttätigen zu je 15 Prozent) ist deren Außendienstanteil an der Gesamtarbeitszeit prozentual deutlich geringer. Wenn deshalb in Unternehmen, die für sich eine strukturell vom Üblichen abweichende Betriebsweise durch fehlenden oder geringen Außendienst reklamieren, der Anteil am Außendienst insgesamt geringer ist als bei dem Unternehmen der Kläger, ist eine branchentypisch außergewöhnlich abweichende Betriebsweise des Unternehmens der Kläger nicht festzustellen. Vielmehr ist mit der Beklagten davon auszugehen, dass bei der Unternehmensart "Architekturbüro" eine überwiegende Bürotätigkeit bis hin zur ausschließlichen Bürotätigkeit noch zu den üblichen Betriebsweisen zählt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach der Erhebung der Beklagten sich einige Architekturbüros spezialisiert haben auf Beratung und Begutachtung, deren Betriebsstruktur daher von vornherein durch wenige Außentermine geprägt ist.

Auf den Anteil der Löhne der Außendienstmitarbeiter an der Gesamtlohnsumme kommt es nicht an, denn maßgeblich ist die betriebliche Organisation und nicht die Gehaltsstruktur. Für die Beurteilung einer erheblich abweichenden Betriebsweise kann auch nicht auf die objektbezogene Vergütung nach der HOAl abgestellt werden, denn der Honoraranteil der Architektenleistungen von 30 Prozent für die Bauleitung trifft keine Aussage über die generelle Betriebsstruktur eines Architekturbüros.

Die Kläger haben keine Anhaltspunkte vorgetragen, die zu einer anderen Beurteilung bzw. zu weiteren Ermittlungen hätten Anlass geben müssen. Im übrigen tragen die Kläger nach dem Grundsatz der objektiven Feststellungslast die Nachteile, wenn die für sie günstigen Umstände, die den Tatbestand des von ihnen geltendgemachten Anspruchs auf Herabbemessung erfüllen, nicht nachgewiesen werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

Gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat der Senat die Revision zugelassen, weil er der in einer großen Zahl anhängiger Streitsachen rechtserheblichen Frage nach den Voraussetzungen einer Beitragsklassenherabsetzung entsprechend Teil II Nr. 2 der Gte 1990 und 1995 der Beklagten grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Rechtskraft
Aus
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