L 12 AL 4314/00

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AL 1837/99
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AL 4314/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Nicht zu den Förderungsvoraussetzungen einer "Strukturanpassungsmaßnahme Ost" gehört, dass der Sitz des Förderung begehrenden Unternehmens in Berlin bzw. im Beitrittsgebiet ist. Maßgebend ist vielmehr, dass der Arbeitsplatz selbst in dem genannten Gebiet liegt.
2. Die Gewährung von Lohnkostenzuschüssen ist ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber vor der Zuweisung die Zahl der bereits bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer verringert hat oder er diese Zahl während der Dauer der Maßnahme verringert. Der Lohnkostenzuschuss kann aber nicht zurückgefordert werden, wenn der Arbeitgeber dem geförderten Arbeitnehmer kündigt, weil die Bundesanstalt den Lohnkostenzuschuss rechtswidrig verweigert hat.
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 31. August 2000 und der Bescheid der Beklagten vom 23. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Juni 1999 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 19. Januar 1999 auf Förderung einer Strukturanpassungsmaßnahme Ost für den Zeitraum vom 1. Februar 1999 bis 25. Mai 1999 (Beschäftigung der Rechtsanwalts-fachangestellten Britta Neumann) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung einer Strukturanpassungsmaßnahme Ost durch die Beklagte.

Die Klägerin betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Sie beabsichtigte, die Tätigkeit der Kanzlei auf Berlin (West) auszudehnen.

Am 19.1.1999 beantragte die Klägerin eine Strukturanpassungsmaßnahme Ost für Wirtschaftsunternehmen und zwar die Förderung der Beschäftigung einer Rechtsanwaltsfachangestellten im Zeitraum vom 1.2.1999 bis 31.1.2000. Für diese Maßnahme wies die Beklagte die seit mehr als 11 Monaten arbeitslose B. N. (N), geb. am zu, nachdem diese zuvor mit der Klägerin bereits Kontakt aufgenommen hatte. Die Klägerin stellte N ab 1.2.1999 als Rechtsanwaltsfachangestellte ein.

Mit Bescheid vom 23.4.1999 lehnte die Bekl. den Antrag auf Förderung einer Strukturanpassungsmaßnahme Ost ab, weil die Klägerin ihren Sitz in Mannheim habe. Bei ihrer Niederlassung in Berlin handele es sich um eine räumliche und organisatorische Untereinheit der Hauptniederlassung in Mannheim, daher könne einer Förderung des Antrags im Zuständigkeitsbereich des Arbeitsamtes Berlin Mitte nicht zugestimmt werden.

Am 12.5.1999 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch und trug vor, die Voraussetzungen für eine Förderung lägen vor. Auf den Sitz des Unternehmens komme es nicht an.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.6.1999 wies die Bekl. den Widerspruch zurück. Die Klägerin betreibe in Berlin keine eigenständige Rechtsanwaltskanzlei. Räumliche und organisatorische Untereinheiten eines Betriebes könnten nur dann als förderungsfähig angesehen werden, wenn es sich um selbstständige Betriebsteile handle.

Am 15.7.1999 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben: die Rechtsanwaltsfachangestellten N sei in der Zeit vom 1.2.1999 bis 25.5.1999 in dem selbständigen Büro in Berlin beschäftigt gewesen. Die persönlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmerin seien unstreitig erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten handele es sich darüber hinaus bei dem Berliner Büro sehr wohl um eine selbstständige Rechtsanwaltskanzlei. Die Kanzlei in Berlin verfüge nicht nur über einen eigenen Mandantenstamm, sondern auch über eine eigene von der Mannheimer Kanzlei völlig getrennte Buchführung. Die Kanzlei in Berlin werde von einem beim Kammergericht Berlin zugelassenen Rechtsanwalt geleitet. Er leite den Betrieb in eigener Regie und verfüge über eine völlig eigenständige und von Mannheim unabhängige Organisation. Er sei weisungsbefugt gegenüber dem Personal und entscheide selbstständig über Annahme oder Ablehnung von Mandaten, habe eine eigene EDV, eine selbstständige Urlaubsplanung und eine eigene Buchhaltung. Ein Austausch zwischen den Mitarbeitern in Berlin und Mannheim finde nicht statt.

Mit Urteil vom 31.8.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, die Klägerin erfülle die Förderungsvoraussetzungen nicht, da die Arbeitnehmerin N. bereits innerhalb von sechs Monaten nach dem möglichen Beginn der Förderung wieder aus dem Unternehmen ausgeschieden sei. Damit sei die sich aus § 415 Absatz 3 Ziffer 1 SGB III ergebende Forderung nach einer längerfristigen Förderung nicht erfüllt. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, dass die Kündigung erforderlich gewesen sei, weil eine Förderung ausgeblieben sei. Damit habe die Klägerin auch dann, wenn die Rechtsanwaltskanzlei in Berlin als selbstständiger Betriebsteil angesehen werden könnte, keinen Anspruch auf einen Lohnkostenzuschuss für die Beschäftigung der Arbeitnehmerin N.

Gegen das am 6.10.2000 zum Zwecke der Zustellung zur Post gegebene Urteil richtet sich die am 6.11.2000 eingelegte Berufung der Klägerin. Die Auffassung des SG entspreche nicht der Rechtslage. Eine Mindestbeschäftigungsdauer von sechs Monaten beziehungsweise eine Forderung nach längerfristiger Förderung als Voraussetzung für die Gewährung der Fördermittel lasse sich aus der Vorschrift des § 415 Absatz 3 Satz 1 Nr 1 SGB III nicht entnehmen. Ein Personalabbau nach § 415 Absatz 3 Nr 1 SGB III liege nicht vor. Das Arbeitsverhältnis mit N habe nur deshalb wieder gekündigt werden müssen, weil eine Förderung nicht erfolgt sei und ohne diese zum damaligen Zeitpunkt eine Beschäftigung nicht möglich gewesen wäre. Im Übrigen handle es sich bei der Niederlassung in Berlin um einen selbstständigen Betrieb der Klägerin. Unbeschadet dieser streitigen Frage könne sich die Bekl. nicht auf die Zuständigkeitsregelung des § 327 Absatz 4 SGB III stützen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Juni 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihren Antrag vom 19. Januar 1999 auf Förderung einer Strukturanpassungsmaßnahme Ost für Wirtschaftsunternehmen für den Zeitraum vom 1. Februar 1999 bis 25. Mai 1999 (Beschäftigung der Rechtsanwaltsfachangestellten B. N.) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Bezüglich weiter Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten der Bekl., des SG sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 23.4.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.6.1999 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat erneut über den Förderungsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Träger von Strukturanpassungsmaßnahmen können nach § 272 SGB III in der Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24.3.1997 (BGBl. I S. 594) für die Beschäftigung von zugewiesenen Arbeitnehmern bis zum 31.12.2002 durch Zuschüsse gefördert werden, wenn 1. die Durchführung der Maßnahme dazu beiträgt, neue Arbeitsplätze zu schaffen, 2. dies zum Ausgleich von Arbeitsplatzverlusten erforderlich ist, die infolge von Personalanpassungsmaßnahmen in einem erheblichen Umfang entstanden sind oder entstehen und sich auf den örtlichen Arbeitsmarkt erheblich nachteilig auswirken und 3. die Träger oder durchführenden Unternehmen Arbeitsverhältnisse mit vom Arbeitsamt zugewiesenen förderungsbedürftigen Arbeitnehmern begründen.

Diese Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor und sind auch von der Beklagten nicht bestritten worden. Auch die persönlichen Voraussetzungen des § 274 SGB III (in der Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetz des vom 24.3.1997) hat die Beklagte geprüft und zutreffend bejaht. N ist arbeitslos gewesen und hat vor der Zuweisung Arbeitslosengeld bezogen. Sie hat ohne die Zuweisung auf absehbare Zeit nicht in Arbeit vermittelt werden können.

Maßgeblich für die Entscheidung über den Antrag der Klägerin ist § 415 Absatz 3 SGB III in der Fassung des 1. SGB III Änderungsgesetzes vom 16.12.1997 (BGBl. I S.2970). Danach sind im Beitrittsgebiet und Berlin (West) als Strukturanpassungsmaßnahmen auch zusätzliche Einstellungen arbeitsloser Arbeitnehmer in Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich förderungsfähig, wenn der Arbeitgeber

1. in einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten vor der Förderung die Zahl der in dem Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmer nicht verringert hat und während der Dauer der Zuweisung nicht verringert und

2. für die Arbeitnehmer während der Zuweisung berufliche Qualifizierung vorsieht, die die Vermittlungschancen der Arbeitnehmer im Anschluss an die Zuweisung verbessern kann.

Diese Voraussetzung ist bei der Einstellung der zuvor arbeitslosen N als Rechtsanwalts- fachangestellte in derartigen Niederlassung der Klägerin in Berlin erfüllt gewesen. Es hat sich um einen neuen dort zu besetzenden Arbeitsplatz gehandelt, für den die Zuweisung der Arbeitslosen N begehrt wurde.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Förderung nicht bereits deshalb abgelehnt werden, weil die Klägerin keinen Sitz in Berlin habe. Zutreffend ist, dass die erweiterte Förderungsmöglichkeit des § 415 auf das Beitrittsgebiet und Berlin (West) beschränkt ist. Nicht zu den Förderungsvoraussetzungen gehört jedoch, dass der Sitz des Förderung begehrenden Unternehmens oder ein selbstständiger Betriebsteil in Berlin bzw. im Beitrittsgebiet Gebiet vorhanden sein muss. Maßgebend ist vielmehr, dass der Arbeitsplatz selbst in dem genannten Gebiet liegt, d.h. die geförderte Arbeit dort erbracht wird (Schlegel in Hennig SGB III § 415 Rdn. 32). Die von der Beklagten herangezogene Zuständigkeitsregelung des § 327 Absatz 4 SGB III stellt entgegen der Annahme der Beklagten kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal dar. Als reine Zuständigkeitsregelung, welches Arbeitsamt für bestimmte Vorgänge zuständig ist, regelt diese Vorschrift nicht die von der Beklagten aufgeworfene Frage. Unabhängig davon hält der Senat die Niederlassung der Klägerin in Berlin für einen selbstständigen Betriebsteil. Von der Klägerin ist unter eingehender Darlegung der Tatsachen überzeugend beschrieben worden, dass dort sowohl organisatorisch, personell als auch wirtschaftlich selbstständig gehandelt wird. Das haben die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anwesenden Rechtsanwälte G. und H. noch einmal überzeugend bekräftigt.

Entgegen der Auffassung des SG kann die Ablehnung der Förderung auch nicht auf die Vorschrift des § 415 Absatz 3 Satz 1 Ziffer 1 SGB III gestützt werden, wonach sich die Zahl der im Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmer während der Dauer der Zuweisung nicht verringern darf. Das SG die Ablehnung zu Unrecht darauf gestützt, dass die zu "fördernde Arbeitnehmerin" N. wieder entlassen worden sei.

Zu beachten ist, dass mit dieser Vorschrift Mitnahmeeffekte vermieden werden sollten. Die Gewährung von Lohnkostenzuschüssen soll ausgeschlossen sein, wenn der Arbeitgeber vor der Zuweisung die Zahl der bereits bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer verringert hat oder er diese Zahl während der Dauer der Maßnahme verringert (Schlegel in Hennig, SGB III § 415 Rdnr.42). Die Förderung soll auf zusätzliche Arbeitsplätze in Wirtschaftsunternehmen beschränkt sein, die sich in der Personalaufbauphase befinden (Bundestagsdrucksache 13/5936 Seite 35 zu § 416). Der Gesetzgeber hat damit eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass durch die Förderung zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Zu vergleichen ist die Zahl der Arbeitsplätze für den Zeitraum von sechs Monaten vor der Förderung und während der Dauer der Zuweisung. Bereits beschäftigte Arbeitnehmer sollen nicht durch "geförderte" Arbeitnehmer ersetzt werden können. Deshalb ist es maßgebend, dass die Arbeitsplätze bereits beschäftigter Arbeitnehmer erhalten werden sollen. Das (positive) Tatbestandsmerkmal der Zusätzlichkeit bezogen auf die Einstellung und das förderungsausschließende Merkmal einer Verringerung der Zahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer können nicht getrennt gesehen werden (BSG, Urteil vom 23.11.00 - B 7 AL 14/01 R -). Eine zusätzliche Einstellung liegt dann nicht vor, wenn diese nur vorgenommen wird, um einen durch eine Entlassung frei gewordenen Arbeitsplatz zu besetzen oder wenn während des Förderungszeitraums bereits vor der Förderung vorhandene Arbeitsplätze abgebaut werden. Die Klägerin hat jedoch keinen bereits vor der Förderung vorhandenen Arbeitsplatz abgebaut, sondern das sich auf den Förderungsantrag beziehende Arbeitsverhältnis wieder gekündigt, weil dieses ohne die Förderung, die die Beklagte rechtswidrig abgelehnt hat, nicht tragfähig gewesen ist, wie die in der mündlichen Verhandlung anwesenden Gesellschafter der Klägerin ebenfalls überzeugend dargelegt haben. Die Klägerin hat das Förderungsbegehren folgerichtig auf den Zeitraum der tatsächlichen Beschäftigung der N begrenzt.

Eine Rechtsanwaltskanzlei ist im Sinne des § 415 Abs 3 SGB III ein Wirtschaftsunternehmen im gewerblichen Bereich, wie die Beklagte nicht in Frage stellt.

Die Beklagte hat demnach den Förderungsantrag der Klägerin rechtswidrig abgelehnt. Das angefochtene Urteil und die Bescheide sind aufzuheben. Die Beklagte hat erneut über den Antrag vom 19.1.1999 auf Förderung einer Strukturanpassungsmaßnahme Ost für den Zeitraum vom 1.2.1999 bis 25.5.1999 zu entscheiden und hier erstmals Ermessen auszuüben. Hierbei darf sie sich nicht darauf berufen, es habe sich nicht um einen selbständigen Betriebsteil der Klägerin in Berlin gehandelt bzw. die Klägerin erfülle den Ausnahmetatbestand des § 415 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 1 SGB III. Ferner wird die Beklagte in der Ermessensausübung nicht zu Lasten der Klägerin die relativ kurze Beschäftigungsdauer der N einwenden dürfen. Das wäre wegen der rechtswidrigen Ablehnung der Förderung, durch welche die Kündigung der Rechtsanwaltsfachangestellten N verursacht worden ist, auch treuwidrig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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