L 11 VG 2160/01

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 3068/00
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 VG 2160/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 VG 6/01 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Halbwaisengrundrente nach dem OEG gehört zum Einkommen nach § 76 Abs 1 BSHG.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. April 2001 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Leistungen. Die Klägerin gewährt in ihrer Eigenschaft als örtlicher Träger der Jugendhilfe dem am 18.05.1993 geborenen Beigeladenen S. C. seit 1995 Leistungen der Jugendhilfe durch Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege. Der Beigeladene, dessen Mutter am 14.08.1995 einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel, ist Halbwaise und lebt im Haushalt der Eheleute C., die zum Vormund bestellt sind. Das Versorgungsamt Karlsruhe (VA) bewilligte dem Beigeladenen Hinterbliebenenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Form einer Halbwaisengrundrente und einer Ausgleichsrente. Die Zahlungen erfolgten an die Klägerin. Mit Schreiben vom 03.05.2000 wies das VA die Klägerin darauf hin, daß die Waisengrundrente ab sofort an den Vormund ausgezahlt werden müsse. Die grundsätzliche Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 25.06.1998 - L 11 VG 171/98 -, wonach die Waisengrundrente zum anrechenbaren Einkommen im Sinne von § 76 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gehöre, sei durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.07.1999 (Breithaupt 1999, 1069) überholt. Der Bundesminister für Arbeit (BMA) habe daher in seinem Rundschreiben vom 25.01.2000 festgelegt, daß sowohl die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als auch die Grundrente, die nach anderen Gesetzen des sozialen Entschädigungsrechts in entsprechender Anwendung des BVG gezahlt werden, nicht zum anrechenbaren Einkommen im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG gehörten. Die Klägerin entgegnete hierauf, die Entscheidung des LSG vom 25.06.1998 werde durch das Urteil des BSG vom 28.07.1999 nicht in Zweifel gezogen. Das BSG habe sich nämlich nur mit der Beschädigtengrundrente nach dem OEG, nicht dagegen mit der Waisengrundrente befaßt. Diese Unterscheidung müsse im Hinblick auf das frühere Urteil des BSG vom 23.10.1985 aufrechterhalten werden. Das VA teilte hierauf mit Schreiben vom 17.07.2000 mit, daß die Zahlung der Waisenrente ab 01.08.2000 vorsorglich eingestellt werde. Mit der zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, daß die Waisengrundrente nach dem OEG gemäß dem Urteil des BSG vom 23.10.1985 Unterhaltscharakter habe und damit zum anrechenbaren Einkommen im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG gehöre. In seinem weiteren Urteil vom 28.07.1999 habe sich das BSG ausschließlich mit der Beschädigtengrundrente nach dem OEG befaßt und ausdrücklich erklärt, daß die frühere Entscheidung der jetzigen Entscheidung nicht entgegenstehe. Mit Urteil vom 10.04.2001, dem Beklagten zugestellt am 14.05.2001, verurteilte das SG den Beklagten, der Klägerin ab 01.09.2000 deren gesetzlichen Erstattungsanspruch in Höhe der sich im entsprechender Anwendung von § 46 BVG ergebenden Halbwaisengrundrente zu erfüllen. In den Entscheidungsgründen führte es aus, das BSG habe in seinem Urteil vom 28.07.1999 erneut auf den Unterhaltscharakter der Waisengrundrente verwiesen. Diese sei deshalb anrechenbares Einkommen im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG. Hiergegen hat der Beklagte am 18.05.2001 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, das BSG habe in seinem Urteil vom 28.07.1999 entschieden, daß die in entsprechender Anwendung des BVG gewährte Beschädigtengrundrente nach dem OEG nicht auf die nach dem BSHG zu gewährende Hilfe zum Lebensunterhalt anzurechnen sei. Die Frage, ob dies in gleicher Weise für die Halbwaisengrundrente nach dem OEG gelte, sei nicht zu entscheiden gewesen und bewußt offengelassen worden. Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. April 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die von der Klägerin begehrte Erstattung war wegen der Gleichberechtigung beider Leistungsträger im Wege der Leistungsklage geltend zu machen (Pickel, SGB X, § 104, RdNr. 60). Zu Recht hat das SG entschieden, daß die dem Beigeladenen gewährte Halbwaisengrundrente nach dem OEG zum Einkommen im Sinne von § 76 Abs. 1 BSHG gehört, mit der Folge, daß der Klägerin ein entsprechender Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten zusteht. In § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG i.V.m. § 76 Abs. 1 BSHG ist bestimmt, daß die Beschädigtengrundrente nach dem BVG nicht auf die Leistungen zum notwendigen Lebensunterhalt angerechnet werden darf. Der Grund hierfür ist, daß die Grundrente des Beschädigten gerade nicht dem allgemeinen Lebensunterhalt dient, sondern eine Entschädigung für die körperliche Beeinträchtigung darstellt und die hierdurch bedingten Mehraufwendungen und Ausgaben ausgleichen soll. Dieser Entschädigungscharakter trifft gemäß dem Urteil des BSG vom 28.07.1999 (a.a.O.) in gleicher Weise auf die Beschädigtengrundrente nach dem OEG zu, so daß auch diese nicht zum anrechenbaren Einkommen zu zählen ist. Ob dies ebenso für die Hinterbliebenenversorgung nach dem OEG gilt, hat das BSG in seinem Urteil vom 28.07.1999 (a.a.O.) ausdrücklich offengelassen, wobei es darauf hingewiesen hat, daß die frühere Entscheidung vom 23.10.1985 (a.a.O.) der jetzigen Entscheidung nicht entgegensteht. In seinem Urteil vom 23.10.1985 (a.a.O.), dem sich der Senat anschließt, hat das BSG zwischen Kriegsopfern und Opfern nach dem OEG differenziert und den unterschiedlichen Leistungszweck der Waisengrundrente nach dem BVG und dem OEG herausgearbeitet. Danach dient die Waisengrundrente nach dem BVG über die Unterhaltsleistung hinaus auch einem immateriellen Zweck, während die Waisengrundrente nach dem OEG ausschließlich vom Unterhaltscharakter geprägt ist. Dem steht § 1 Abs. 1 OEG nicht entgegen. Die darin normierte "entsprechende Anwendung des BVG" gibt lediglich den Leistungsmaßstab für die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Gewalttat an, läßt im übrigen aber die Rechtsqualität der nach dem OEG abgeleiteten Ansprüche unberührt. Soweit demgegenüber in der Kommentierung zu § 76 Abs. 1 BSHG und in dem Rundschreiben des BMA vom 25.01.2000 eine andere Auffassung vertreten wird, vermag dies nicht zu überzeugen. Auch der Hinweis des Beklagten darauf, daß das Urteil des BSG vom 23.10.1985 (a.a.O.) ausschließlich unter dem Aspekt der Versagung nach § 2 OEG zu sehen sei, geht fehl. Denn die Ausführungen des BSG sind erkennbar grundsätzlicher Natur. Die Berufung konnte hiernach keinen Erfolg haben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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