L 3 AL 4431/99

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AL 4308/98
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 4431/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wirksamkeit Aufrechnung. Die Bestandskraft einer Aufrechnungserklärung ersetz nicht die wegen unterlassener Aufhebung der Bewilligungsentscheidung fehlende Gegenforderungen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01. Oktober 1999 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 1998 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte die Erstattung von mehr als 391,26 DM geltend macht. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die teilweise Aufhebung der Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 01.02. bis 30.04.1997 wegen der Berücksichtigung von Einkommen und die Erstattung von Leistungen in Höhe von 1.199,72 DM.

Die am 05.09.1967 geborene Klägerin bezog von der Beklagten Arbeitslosengeld (Alg) bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 17.05.1996. Am selben Tag meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alhi. Sie gab an, Einkommen aus einer Nebentätigkeit in Höhe von ca. 550,- DM monatlich zu erzielen. Sie war nämlich ab 01.05.1996 bei der D. Gartencenter GmbH (D.) kurzzeitig beschäftigt. Die Beklagte bewilligte Alhi ab 18.05.1996 nach dem bisherigen Bemessungsentgelt von 400,- DM, der Leistungsgruppe D - erhöhter Leistungssatz -, ohne Berücksichtigung von Einkommen und somit in Höhe von 118,20 DM wöchentlich. Ab 01.07.1996 bewilligte sie Alhi nach einem - dynamisierten - Bemessungsentgelt von 390,- DM bei im Übrigen unveränderten Leistungsmerkmalen in Höhe von wöchentlich 115,80 DM (Bescheid vom 22.10.1996). Das im Leistungszeitraum von Mai bis Oktober 1996 von der Klägerin erzielte Einkommen berücksichtigte die Beklagte in der Weise, dass sie in Höhe der von ihr aufgrund der im Nachhinein vorgelegten Nebenverdienstbescheinigungen ermittelten Anrechnungsbeträge die Aufrechnung gegen die Leistungsansprüche der Klägerin erklärte und Alhi entsprechend in verminderter Höhe ausbezahlte (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Bl. 61/65, 70/73 und 76/78 der Leistungsakte Bezug genommen).

Da zu Beginn des Jahres 1997 die Nebenverdienstbescheinigungen für den Leistungszeitraum von November 1996 bis Januar 1997 noch nicht vorlagen, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 09.01.1997 Alhi ab 01.01.1997 - wiederum ohne Berücksichtigung von Einkommen - bei im Übrigen unveränderten Leistungsmerkmalen und unter Berücksichtigung der geänderten Leistungsverordnung in Höhe von 113,40 DM wöchentlich. Am 19.02.1997 lagen die Nebenverdienstbescheinigungen für die Zeit vom 01.11.1996 bis 31.01.1997 vor. Die Beklagte errechnete insgesamt ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 1.045,14 DM und erklärte mit Schreiben vom 27.02.1997 in dieser Höhe die Aufrechnung gegen die Leistungsansprüche der Klägerin (zur näheren Feststellung der Einzelheiten und insbesondere des Inhalts des Schreibens vom 27.02.1997 wird auf Bl. 83/87 der Leistungsakte Bezug genommen). Nachdem die Beklagte für den Leistungszeitraum vom 01.01. bis 19.02.1997 Leistungen in voller Höhe ausbezahlt hatte, erfolgte die Umsetzung der von ihr erklärten Aufrechnung in der Weise, dass sie für den Leistungszeitraum vom 20.02. bis 16.04.1997 keine Auszahlung und für den Leistungszeitraum vom 17.04.1997 bis zum Ende des Bewilligungsabschnitts am 30.04.1997 eine Auszahlung in Höhe von 88,86 DM vornahm.

In der Folgezeit legte die Klägerin trotz mehrmaliger Aufforderung durch die Beklagte die Nebenverdienstbescheinigungen für den Leistungszeitraum vom 01.02. bis 30.04.1997 nicht vor. Schließlich wandte sich die Beklagte im Januar 1998 an D. und erhielt am 08.01.1998 die entsprechende Nebenverdienstbescheinigung, nach der die Klägerin in dieser Zeit ein gleichbleibendes Arbeitsentgelt (brutto = netto) in Höhe von monatlich 597,92 DM (insgesamt 1.793,76 DM) erzielte. Hieraus errechnete die Beklagte ein zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 1.199,72 DM (zur näheren Feststellung der Einzelheiten wird auf Bl. 95/99 der Leistungsakte Bezug genommen). Mit Bescheid vom 27.08.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.1998 hob sie daraufhin die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 01.02. bis 30.04.1997 teilweise gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 152 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) auf und erhob gemäß § 50 Abs. 1 SGB X eine Erstattungsforderung in Höhe von 1.199,72 DM.

Das hiergegen am 21.10.1998 angerufene Sozialgericht Karlsruhe (SG) hat die Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01.10.1999 durch Urteil vom selben Tag abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 06.10.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 05.11.1999 Berufung eingelegt. Wie bisher wendet sie sich nicht gegen die Höhe des von der Beklagten für die Zeit vom 01.02. bis 30.04.1997 berücksichtigten Einkommens, ist aber - sinngemäß - der Auffassung, die Beklagte habe bereits dem Grunde nach für den Leistungszeitraum ab 20.02.1997 Einkommen zu Unrecht berücksichtigt. Die Anrechnung von Einkommen für einen bestimmten Zeitraum setze nämlich voraus, dass dem Arbeitslosen für diesen Zeitraum ein Leistungsanspruch zustehe. Dies sei vorliegend nicht der Fall, weil die Beklagte ab 20.02.1997 keinerlei Leistungen mehr gewährt habe. Weil sie nichts erhalten habe, könne sie auch nicht zur Erstattung verpflichtet sein. Im Übrigen sei der von der Beklagten erhobene Vorwurf unrichtig, sie habe das in der Zeit von Februar bis April 1997 erzielte Einkommen nicht oder verspätet mitgeteilt. Tatsächlich habe sie das erzielte Einkommen der Beklagten unverzüglich mündlich mitgeteilt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 01. Oktober 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 27. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 1998 aufzuheben. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und in der Sache teilweise begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27.08.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.1998, mit dem sie die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi rückwirkend für die Zeit vom 01.02. bis 30.04.1997 teilweise wegen Berücksichtigung von Einkommen in dieser Zeit aufgehoben und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 1.199,72 DM geltend gemacht hat. Dieser Bescheid ist rechtmäßig, soweit die Beklagte die mit Bescheid vom 09.01.1997 erfolgte Bewilligung von Alhi für den streitgegenständlichen Zeitraum teilweise beseitigt und die Erstattung von Leistungen für die Zeit vom 01. bis 19.02. 1997 verlangt hat. Der Bescheid ist aber insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, als die Beklagte die Erstattung von Leistungen für die Zeit vom 20.02. bis 30.04.1997 in Höhe von mehr als 88,86 DM begehrt, weil sie für diesen Zeitraum außer der Zahlung in Höhe von 88,86 DM nicht im Rechtssinne Leistungen erbracht hat. Insoweit ist das angefochtene Urteil abzuändern und der Bescheid der Beklagten aufzuheben.

Der angefochtene Bescheid ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte es unterlassen hat, die Klägerin vor Erlass des Bescheides gemäß § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören. Denn die Klägerin hatte im Widerspruchsverfahren Gelegenheit, sich zu äußern, wodurch dieser Mangel geheilt wurde (BSG SozR 1200 § 34 a.F. Nrn. 1 und 7).

Es kann offen bleiben, ob Rechtsgrundlage für die von der Beklagten getroffene Entscheidung § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 SGB X ist, dessen Voraussetzungen das SG zutreffend dargelegt hat und worauf der Senat Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), oder ob als Ermächtigungsgrundlage § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X (jeweils i.V.m. § 152 Abs. 3 AFG bzw. § 330 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III] und § 152 Abs. 2 AFG bzw. § 330 Abs. 2 SGB III) heranzuziehen ist. Denn die Voraussetzungen beider Vorschriften sind vorliegend erfüllt.

Nach § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 152 Abs. 2 AFG bzw. § 330 Abs. 2 SGB III ist ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt) soweit er rechtswidrig ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt dabei vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Hier war die mit Bescheid vom 09.01.1997 erfolgte Entscheidung über die Bewilligung von Alhi ab 01.01.1997 ohne Berücksichtigung von Einkommen von Anfang an insoweit rechtswidrig bzw. ist nachträglich insoweit rechtswidrig geworden, als die Klägerin in der Zeit vom 01.02. bis 30.04.1997 ein im Rahmen der Einkommensanrechnung (vgl. §§ 138 Abs.1 Satz 1 Nr.1, 115 AFG) zu berücksichtigendes Einkommen in Höhe von 1.199,72 DM erzielt hat, weshalb ihr in dieser Höhe ein geringerer Leistungsanspruch als der mit Bescheid vom 09.01.1997 bewilligte zustand. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das anzurechnende Nebeneinkommen der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum unrichtig berechnet hätte, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Wegen der insoweit anzuwendenden Rechtsvorschriften nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).

Mit dem von der Klägerin in diesem Zusammenhang erhobenen Einwand, eine Berücksichtigung von Einkommen scheide jedenfalls für den Leistungszeitraum ab 20.02.1997 (bis 16.04.1997) deshalb aus, weil die Beklagte während dieser Zeit keinerlei Leistungen ausbezahlt habe, vermag sie nicht durchzudringen. Denn aufgrund der mit Bescheid vom 09.01.1997 erfolgten Bewilligung von Alhi ab 01.01.1997 stand der Klägerin im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 1 AFG Alhi auch für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.02. bis 30.04.1997 zu. Der Anspruch hat in dieser Zeit weder geruht noch wurde er (zeitweise) versagt. Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Alhi für die Zeit ab 20.02.1997 ist - was noch auszuführen ist - auch nicht infolge der von der Beklagten mit Schreiben vom 27.02.1997 erklärten Aufrechnung (teilweise) erloschen. Dass in der Zeit ab 20.02.1997 von der Beklagten entgegen der mit Bescheid vom 09.01.1997 erfolgten Bewilligung Alhi tatsächlich nicht ausbezahlt wurde, steht der Annahme, die Klägerin habe auch während dieser Zeit im Alhi-Bezug gestanden, also nicht entgegen. Schließlich hat die Beklagte für den streitgegenständlichen Zeitraum nur Einkommen der Klägerin berücksichtigt, welches diese während dieses Zeitraums erzielt hat.

Der Senat bejaht vorliegend die Voraussetzungen für eine rückwirkende Rücknahme bzw. Aufhebung der mit dem Bescheid vom 09.01.1997 erfolgten Entscheidung über die Bewilligung von Alhi. Die Klägerin wusste zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides, mit dem die Beklagte Alhi ab 01.01.1997 ohne Berücksichtigung von Einkommen bewilligte, dass das mit der Beschäftigung bei der D. erzielte Arbeitsentgelt als Einkommen zu berücksichtigen ist und - das Vorgehen der Beklagten in der Vergangenheit hat dies gezeigt - zu einer Minderung des Leistungsanspruchs führt. Zumindest trifft die Klägerin, die anlässlich ihrer Antragstellung im Mai 1996 das Merkblatt 1 für Arbeitslose "Ihre Rechte, Ihre Pflichten" erhalten und ihre Kenntnisnahme von seinem Inhalt unterschriftlich bestätigt hatte, insoweit der Vorwurf grober Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Sie liegt nach der Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn der Betroffene mit dem relevanten Umstand lediglich "rechnen musste". Vorausgesetzt wird vielmehr, dass er ihn "aufgrund einfachster und (ganz) naheliegender Überlegungen" hätte erkennen können bzw. dass "dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Falle jedem hätte einleuchten müssen". Hierbei sind auch die persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen zu berücksichtigen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff, BSGE 62, 103, 107). Das Außerachtlassen von Vorschriften, auf die in einem Merkblatt besonders hingewiesen wurde, ist im Allgemeinen grob fahrlässig, es sei denn, dass der Betreffende nach seiner Persönlichkeitsstruktur und seinem Bildungsstand die Vorschrift nicht verstanden hat (BSGE 44, 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr. 2 S. 13 m.w.N.). Unter Berücksichtigung der im Merkblatt für Arbeitslose enthaltenen Hinweise bejaht der Senat das Vorliegen grober Fahrlässigkeit.

Im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X genügt es für eine rückwirkende Aufhebung, dass - wie hier - nach Erlass des bewilligenden Bescheides Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hat, ohne dass es auf ein Verschulden ankommt.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 27.08.1998 hat die Beklagte die Handlungsfrist von einem Jahr gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X bzw. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X gewahrt. Denn zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Beklagte erstmals am 08.01.1998 mit der erst jetzt erfolgten Vorlage der Nebenverdienstbescheinigung für die Monate Februar bis April 1997 Kenntnis von den die Rücknahme bzw. Aufhebung rechtfertigenden Tatsachen erlangt hat. Für die Behauptung der Klägerin, sie habe das entsprechende Einkommen bereits zu einem früheren Zeitpunkt bzw. unverzüglich mündlich mitgeteilt, finden sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens keinerlei Anhaltspunkte.

Nach alledem war die Beklagte zwar verpflichtet, die mit Bescheid vom 09.01.1997 erfolgte Entscheidung über die Bewilligung von Alhi in Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens (teilweise) für die Zeit vom 01.02. bis 30.04.1997 aufzuheben bzw. zurückzunehmen. Sie ist allerdings nicht berechtigt, für den gesamten Aufhebungs- bzw. Rücknahmezeitraum Erstattung zu verlangen.

Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nämlich, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, (nur) bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.

Leistungen hat die Beklagte im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum lediglich für die Zeit vom 01. bis 19.02.1997 und teilweise für die Zeit vom 17. bis 30.04.1997 erbracht, soweit sie Alhi tatsächlich ausbezahlt hat.

In der Zeit vom 20.02. bis 16.04.1997 und teilweise in der Zeit vom 17.04. bis 30.04.1997 hat die Beklagte in Ausführung der von ihr am 27.02.1997 erklärten Aufrechnung keine Zahlungen erbracht. Im Sinne des § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X Leistungen erbracht haben könnte die Beklagte für diesen Zeitraum deshalb allenfalls dann, wenn die von ihr erklärte Aufrechnung im Zusammenhang mit dem von der Klägerin im Leistungszeitraum von November 1996 bis Januar 1997 erzielten Einkommen wirksam gewesen wäre.

Nach § 154 Abs. 1 AFG kann das Arbeitsamt, wenn u.a. ein Bezieher von Alhi die Leistung zu Unrecht erhalten hat, weil der Anspruch wegen der Anrechnung von Nebeneinkommen nach § 115 AFG gemindert war, mit dem Anspruch auf Erstattung gegen einen Anspruch auf die genannte Leistung abweichend von § 51 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in voller Höhe aufrechnen.

Zwar hat die Beklagte mit Schreiben vom 27.02.1997 wegen des in der Zeit von November 1996 bis Januar 1997 erzielten Einkommens die Aufrechnung erklärt, jedoch ging diese ins Leere, weil der Beklagten kein Anspruch auf Erstattung zustand, es deshalb an einer fälligen und erfüllbaren Gegenforderung der Beklagten und somit an der sogenannten Aufrechnungslage (vgl. hierzu KassKomm-Seewald, § 51 SGB I Rdnrn. 7 ff.) fehlte. Damit konnte auch der sich aus dem Bewilligungsbescheid vom 09.01.1997 ergebende Anspruch der Klägerin auf Alhi nicht (teilweise) erlöschen (vgl. § 389 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]). Die von der Beklagten und vom SG ins Feld geführte "Verkürzung der Leistungswege" als Begründung dafür, dass die Beklagte auch ohne Auszahlung Leistungen im Sinne des § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X erbracht habe, ist also nicht erfolgt. Hieran vermag die - fragliche - Bestandskraft der Aufrechnungserklärung (diese erfolgt durch Verwaltungsakt, vgl. Hennig u.a., AFG, Rdnr. 8 zu § 154) vom 27.02.1997 nichts zu ändern, denn eine - auch bindende - Aufrechnungserklärung setzt zur Entfaltung von Rechtswirkungen das Bestehen einer Aufrechnungslage voraus.

Der Beklagten steht hinsichtlich des von der Klägerin in der Zeit von November 1996 bis Januar 1997 erzielten Einkommens eine Erstattungsforderung deswegen nicht zu, weil die für diesen Zeitraum erfolgte Leistungsgewährung auf den Bewilligungsbescheiden vom 22.10.1996 und 09.01.1997 beruht und die Beklagte diese Bewilligungen nicht aufgehoben bzw. zurückgenommen hat (vgl. zu dieser Voraussetzung Gagel, AFG, Rdnr. 3 zu § 154 m.w.N.). Dass das Bestehen eines Erstattungsanspruchs hinsichtlich Leistungen, die auf einem Bewilligungsbescheid beruhen, auch im Rahmen einer Aufrechnung nach § 154 AFG bzw. § 51 SGB I voraussetzt, dass zuvor die Leistungsbewilligung aufgehoben bzw. zurückgenommen wurde, ist der Beklagten bekannt. Dies zeigen die Ausführungen in ihrer Dienstanweisung (DA) 8 (3) und das in diesem Zusammenhang vorgesehene Bescheidformular (Anlage 3 zur DA und Bescheid vom 10.01.1996 - Bl. 29 der Leistungsakte -).

In dem hier maßgeblichen Schreiben vom 27.02.1997 (Bl. 87 der Leistungsakte) hat die Beklagte weder ausdrücklich noch konkludent die Aufhebung bzw. Rücknahme der mit Bescheiden vom 22.10.1996 und 09.01.1997 erfolgten Leistungsbewilligungen ausgesprochen. Die Annahme einer konkludenten Aufhebungs- bzw. Rücknahmeentscheidung würde mindestens voraussetzen, dass sich die Beklagte zum Zeitpunkt der Erteilung des Schreibens vom 27.02.1997 bewusst gewesen ist, überhaupt die Regelung eines Einzelfalles durch Verwaltungsakt vornehmen zu wollen. Daran fehlt es hier.

Abgesehen davon, dass der Aufhebung bzw. Rücknahme einer Bewilligungsentscheidung (aber auch einer Aufrechnungserklärung, vgl. Hennig u.a. Rdnr. 8 zu § 154 AFG) grundsätzlich eine Anhörung vorauszugehen hat, was hier nicht erfolgt ist, beweist schon die Tatsache, dass dem Schreiben vom 27.02.1997 keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, dass es der Beklagten am Willen mangelte, eine bescheidmäßige Regelung zu treffen, jedenfalls eine solche, die über die bloße Erklärung der Aufrechnung hinausginge.

Mangels wirksamer Aufrechnung hat die Beklagte damit für den Leistungszeitraum vom 20.02. bis 16.04.1997 keine Leistungen im Sinne des § 50 Abs. 1 SGB X erbracht und kann deshalb insoweit auch keine Erstattung verlangen. Vielmehr beschränkt sich der Erstattungsanspruch der Beklagten auf die im Leistungszeitraum vom 01. bis 19.02.1997 erbrachten Zahlungen (16 Leistungstage x 18,90 DM = 302,40 DM) und auf die für den Leistungszeitraum vom 17.04. bis 30.04.1997 geleisteten Zahlungen in Höhe von 88,86 DM und somit insgesamt auf einen Betrag von 391,26 DM.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Rechtsfrage, ob die Bestandskraft einer Aufrechnungserklärung die materiell-rechtlich fehlende Gegenforderung und somit eine Aufrechnungslage ersetzt, ist bislang nicht höchstrichterlich entscheiden.
Rechtskraft
Aus
Saved