L 11 KR 2090/04

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 2446/03
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2090/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Inwieweit und in welchem Umfang die Behandlung im EU-Ausland zu erstatten ist, richtet sich auch unter Geltung des § 13 Abs. 4 SGB V nach dem nationalen Sachleistungssystem. Die Norm führt nicht dazu, dass auch solche Behandlungen erstattet werden können, die nach den hiesigen Rechtsvorschriften verboten sind (hier: IVF. Behandlung in Össterreich).
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Mai 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme eines dritten Behandlungsversuches der künstlichen Befruchtung (sog. IVF-Behandlung) in Österreich streitig.

Bei der 1968 geborenen, bei der Beklagten pflichtversicherten Klägerin besteht seit 1999 wegen primärer Sterilität tubarer Genese ein unerfüllter Kinderwunsch, weswegen ihr vom Universitätsklinikum H. (Frauenklinik - Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen -) die zügige Übernahme in ein IVF-Programm (nach Eheschließung) empfohlen wurde.

Die Klägerin beantragte deswegen bei der Beklagten am 19. Dezember 2002 die Kostenübernahme der IVF-Behandlung in Österreich bei Prof. Dr. Z., dessen Schwangerschaftsraten bei 80% lägen, während die Erfolgsquote der hiesigen Universitätsklinik nur 20 bis 25% betrage. Sie wolle auch aufgrund des Risikofaktors Alter nicht noch weitere Zeit verlieren.

Mit Bescheid vom 29. Januar 2003 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, die IVF-Behandlung sei eine in Deutschland anerkannte Vertragsleistung, die von den Vertragsbehandlern (z.B. Universitätsklinik H.) direkt abgerechnet würden. Deswegen sei eine Kostenübernahme einer gezielten Behandlung im Ausland nicht möglich. Bis 30. Juni 2002 seien zwar Leistungen des Prof. Dr. Z. über eine Ausnahmeregelung bezuschusst worden. Diese Praxis wäre jedoch mit dem 1. Juli 2002 eingestellt worden, da seit diesem Zeitpunkt die Behandlung eine Kassenleistung darstelle. Auch sei Prof. Dr. Z. in Österreich ein reiner Privatarzt, der mit den Krankenkassen keinen Vertrag habe. Die IVF-Behandlung selbst sei in Österreich keine Kassenleistung.

Zur Begründung ihres dagegen eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend, aufgrund schärferer Embryonenschutzgesetzes sei in Deutschland die IVF-Behandlung weniger erfolgreich als in Österreich. Deswegen würden auch andere Krankenkassen die Behandlung bei Prof. Dr. Z. nach dem 1. Juli 2002 übernehmen. Dieser behandle nur Paare, bei denen er eine realistische Erfolgschance sehe, was zusätzlich auch wieder der Kostenersparnis diene.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2003 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, ein Sachleistungsanspruch in Österreich bestehe nur dann, wenn Leistungen unaufschiebbar benötigt würden oder der zuständige Leistungsträger der Behandlung vorher zustimme. Sofern ambulante Leistungen im Ausland erbracht würden, sei mitentscheidend, ob der Leistungserbringer im Ausland in dem jeweiligen nationalen System des Aufenthaltsstaates sachleistungsberechtigt sei. Das schließe die ärztliche Versorgung durch Nichtvertragsbehandler im Ausland grundsätzlich aus. Bei Prof. Dr. Z. (Institut für Reproduktionsmedizin) aus B. handle es sich nicht um einen Vertragsbehandler bzw. eine Vertragseinrichtung des österreichischen Krankenversicherungsträgers; vielmehr könnte er nur privat in Anspruch genommen werden. Im übrigen könnten Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung auch im Geschäftsgebiet der Kasse erbracht werden.

Mit ihrer dagegen beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, sie habe zunächst versucht, die Hilfe einer anerkannten deutschen Klinik in Anspruch zu nehmen, deren Bemühungen um Herbeiführung einer Schwangerschaft aber zwecklos gewesen wären. Unter dem Gesichtspunkt der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit müsse daher zugelassen werden, dass sie sich anderswo Hilfe hole. Die Beklagte habe auch - wie an zwei Beispielen ersichtlich - die Behandlung bei Prof. Dr. Z. nach Inlandssätzen erstattet. Die AOK Bayern habe einen Vertrag mit Prof. Dr. Z. wegen der Vergütung der Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft mit Wirkung ab 1. Juli 1996 geschlossen.

Die Beklagte ist der Klage mit der Begründung entgegengetreten, dass offensichtliches Ziel der Klägerin sei, eine Behandlung im Ausland zu erhalten, die in der Bundesrepublik nach dem Embryonenschutzgesetz verboten wäre. Hiervon betroffen seien u.a. Maßnahmen, die mit einer Selektion von Embryonen einhergehen, wie z.B. die von Prof. Dr. Z. praktizierte Blastozytenkultur. Auch Prof. Dr. Z. führe seine höhere Erfolgsquote nur auf die unterschiedlichen Möglichkeiten wegen der verschiedenen Embryonenschutzgesetze zurück. Es könne aber nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sein, den Bürgern der Bundesrepublik die Umgehung der hier geltenden Gesetze zu finanzieren und sozusagen aktiv an einem Rechtsverstoß mitzuwirken.

Mit Urteil vom 18. Mai 2004, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 27. Mai 2004, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung nach § 27a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) dürften nach § 121a Abs. 1 SGB V nur durch Vertragsärzte, ermächtigte Ärzte, ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen oder zugelassene Krankenhäuser, denen die zuständige Behörde eine Genehmigung zur Durchführung dieser Maßnahme erteilt habe, erbracht werden. Das sei bei der gewünschten Behandlung in Österreich nicht der Fall, für die keine Genehmigung erteilt werden könne. Insbesondere erzwinge nicht die mögliche größere Erfolgsaussicht der künstlichen Befruchtung durch die in Österreich praktizierte Methode die Erteilung einer Genehmigung. Denn diese dürfe ausdrücklich nur bei in einem bestimmten Genehmigungsverfahren zugelassenen Ärzten oder Einrichtungen durchgeführt werden. Die Genehmigungsvoraussetzung sei deshalb normiert worden, um sicher zu stellen, dass der Arzt oder die Einrichtung die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen erfülle, die medizinisch notwendig seien und dabei durch Auswahl und Überwachung der Mitarbeiter sicherstellen könne, dass keine mit dem Embryonenschutzgesetz unvereinbaren Maßnahmen durchgeführt würden. Dies sei bei der Behandlungsmethode von Prof. Dr. Z. aber der Fall, da die Embryonenselektion nach den insoweit strengeren gesetzlichen Vorgaben in der Bundesrepublik Deutschland nicht zulässig sei. Im Falle einer Genehmigung zur Behandlung würden daher diese Schutzbestimmungen umgangen werden. Auch der Umstand, dass die Beklagte in einzelnen Fällen die Behandlung durch Prof. Dr. Z. übernommen habe, begründe kein Rechtsanspruch auf entsprechende Gleichbehandlung, da kein Anspruch auf Gleichheit im Unrecht bestehe.

Hiergegen richtet sich die am 1. Juni 2004 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, angesichts der Vielzahl von Einzelfällen, in der eine Praxis der Beklagten praeter legem entstanden sei, könne der Grundsatz nicht gelten, dass es eine Gleichheit im Unrecht nicht gebe. Vielmehr habe sich ein Vertrauensschutz für Versicherte der Beklagten herausgebildet. Auch habe die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu einer größeren Freizügigkeit der Leistungserbringung geführt. Prof. Dr. Z. erfülle die erforderlichen Qualifikationsvoraussetzungen für eine solche Behandlung. Sie wolle im Frühjahr 2005 einen neuen Versuch starten, dessen Kosten bei ca. 2.500,- bis 3.000,- EUR mit den Medikamenten lägen. Insgesamt habe sie bereits zwei erfolglose Versuche durchgeführt, von denen sie bereits einen privat gezahlt habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 18. Mai 2004 sowie den Bescheid vom 29. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer künstlichen Befruchtungsmaßnahme durch Prof. Dr. Z./B. - hilfsweise einem anderen Leistungserbringer in Österreich - zu übernehmen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass aus einer fehlerhaften Leistungsgewährung im Einzelfall kein Anspruch auf Beibehaltung rechtswidrigen Verwaltungshandelns abzuleiten sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere auch statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG, da die Klägerin die hälftige Kostenübernahme einer künstlichen Befruchtungsmaßnahme begehrt, für die insgesamt Kosten in Höhe von 2.500,- bis 3.500,- EUR entstehen.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist indessen unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Kostenübernahme hat. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2003 ist daher rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage hierfür ist der mit Wirkung vom 01.01.2004 angefügte § 13 Abs. 4 SGB V. Das ergibt sich daraus, dass, solange eine Behandlung nicht durchgeführt ist, regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt werden muss (vgl. u.a. BSG SozR 4-2500 § 28 Nr. 1).

Nach dieser Vorschrift sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten im Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen aufgrund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Der Anspruch nach § 13 Abs. 4 SGB V besteht nach Satz 3 höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte.

Das ist vorliegend - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - § 27a i.V.m. § 121a SGB V, weswegen der Senat zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen hierauf nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt.

§ 13 Abs. 4 SGB V stellt nur eine Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) dar (Rs. C 120/95 Decker NZS 1998, 283 und Rs. C 158/96 Kohll NZS 1998, 208), wonach das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung durch den (nationalen) Krankenversicherungsträger für die Erstattung einer in einem anderen EU-Mitgliedsstaat erbrachten Gesundheitsleistung gegen die Warenverkehrs- (Art. 28 EGV-AV) bzw. die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49, 50 EGV-AV) verstößt. Der Wegfall des Genehmigungserfordernisses hat zur Folge, dass weder geprüft wird, ob eine vergleichbare Leistung im Inland möglich ist noch diese von einer vorherigen Genehmigung der Krankenkasse abhängt (so der § 18 SGB V a.F.). Insgesamt wird dadurch lediglich der Zugang der europäischen Leistungserbringer zum inländischen Gesundheitsmarkt eröffnet. Inwieweit und in welchem Umfang dann die Behandlung im EU-Ausland zu erstatten ist, richtet sich weiterhin nach dem nationalen Sachleistungssystem.

Denn § 13 IV SGB V führt keineswegs dazu, dass auch solche Behandlungen erstattet werden können, die nach den hiesigen Rechtsvorschriften verboten sind (vgl. auch BSG SozR 3-2500 § 18 Nr. 2 zur Organtransplantation nach bezahlter Organspende). Das ist auch darin begründet, dass nach § 13 Abs. 1 SGB V die Kostenerstattung grundsätzlich anstelle der Sachleistung tritt, d.h. nur dann ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht, wenn die begehrte Leistung als Sachleistung erbracht werden könnte.

Das ist bei der von der Klägerin begehrten IVF-Behandlungsmethode von Prof. Dr. Z. nicht der Fall, denn dieser führt routinemäßig eine Embryonenselektion durch. D.h. aus der Gesamtheit aller über 3 bis 6 Tage kultivierten Embryonen werden die am weitesten entwickelten und morphologisch am unauffälligsten Aussehenden selektiert und transferiert, wobei das bevorzugte Stadium die nach einer Kulturdauer von 5 bis 6 Tagen entstandene expandierte Plastozyste ist. Diese Art der Selektion ist in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz verboten, denn es dürfen sich nur maximal 3 ausgewählte Vorkernstadien zu Embryonen entwickeln und müssen übertragen werden, egal wie gut oder schlecht diese Entwicklung abgelaufen ist.

Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber auch die Regelung des § 121a SGB V eingeführt, wonach eine künstliche Befruchtung nur von besonders zugelassenen Leistungserbringern durchgeführt werden kann. Hierdurch soll gesichert werden, dass künstliche Befruchtung nur von zugelassenen, d.h. in einem Zugangsverfahren besonders kontrollierten Leistungserbringern, unter Beachtung der Schutzvorschriften des Embryonenschutzgesetzes durchgeführt wird.

Da folglich die Behandlungsmethode von Prof. Dr. Z. zu einer Umgehung des Embryonenschutzgesetzes führen würde, ist eine solche Sachleistung nach § 27a i.V.m. § 121a SGB V ausgeschlossen, so dass auch ein Anspruch auf Kostenübernahme einer solchen Behandlung nicht besteht.

Das SG hat weiter zutreffend festgestellt, dass, da die Kostenübernahme rechtswidrig wäre, auch unter dem Gesichtspunkt einer Gleichbehandlung der Klägerin ein Kostenübernahmeanspruch nicht zusteht, da es keine Gleichbehandlung im Unrecht gibt (vgl. BSG SozR 2200 § 1237 RVO Nr. 10).

Die Berufung war daher als unbegründet zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, da sich der Senat in Übereinstimmung mit der Entscheidung des BSG vom 15.04.1997 (SozR 3-2500 § 18 Nr. 2) sieht.
Rechtskraft
Aus
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