L 11 KR 4346/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 2331/04
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4346/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Beitragspflicht der Kapitalzahlung aus einer Lebensversicherung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung zur Kranken- und Pflegeversicherung. (Bestätigung der Entscheidung vom 15.11.2005 - L 11 KR 3216/05 -)
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. September 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, d.h. die Beitragspflicht der Kapitalzahlung aus einer Lebensversicherung streitig.

Der 1939 geborene Kläger war seit 01.04.1989 freiwilliges Mitglied der Beklagten. Als Führungskraft der Firma K. stand ihm ein Anspruch auf jährliche Jahresabschlussvergütung als Lohnbestandteil zu. Am 12.04.1990 vereinbarte er mit seinem Arbeitgeber den Abschluss einer Direktversicherung über ein Rahmenabkommen bei der A. L.-AG mit einem Jahresbeitrag von 3.000,- DM, wobei Versicherungsnehmer die Firma K., die auch die Beiträge für die Direktversicherung zahlte, Bezugsberechtigter aber der Kläger war. Seit dem 01.04.2002 ist er in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert. Der Zahlbetrag seiner monatlichen Rente beläuft sich ab 01.07.2003 auf 1.778,20 EUR.

Mit Schreiben vom 13.04.2004 zeigte die A. L.-AG der Beklagten eine Versorgungsleistung aus einer Kapitalzahlung der betrieblichen Altersversorgung mit einem einmaligen Versorgungsbezug von 30.508,60 EUR, fällig am 01.06.2004 an.

Die Beklagte setzte daraufhin mit Bescheiden vom 19.04.2004 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.07.2004 mit der Begründung neu fest, die ausgezahlte Kapitalleistung sei als Versorgungsbezug beitragspflichtig. Aus der Kapitalleistung, die auf 10 Jahre umgelegt und für die deshalb monatlich jeweils 1/120 des Gesamtbetrages als Ausgangswert für die Beitragsberechnung zugrunde gelegt werde, resultiere ein Monatsbeitrag von 38,64 EUR zur gesetzlichen Krankenversicherung und von 4,32 EUR zur Pflegeversicherung.

Mit seinen dagegen erhobenen Widersprüchen machte der Kläger geltend, bei der Lebensversicherung handele es sich nicht um Versorgungsbezüge, sondern die Beiträge seien aus rein steuertechnischen Gründen über die Firma gezahlt worden. Ein entsprechender Hinweis sei auch an die A. ergangen. Somit handele es sich um eine ganz normale Lebensversicherung, die nicht unter den Begriff "Firmenversorgung" falle. Zum Nachweis legte er die Vereinbarung zu seinem Arbeitsvertrag vom 12.04.1990 sowie den Antrag auf Umwandlung von Bezügen vom 01.03.1990 vor.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 14.07.2004 wies die Beklagte die Widersprüche mit der Begründung zurück, bei der Kapitalleistung habe es sich um eine solche aus einer abgeschlossenen Direktversicherung gehandelt. Diese stelle eine Form der betrieblichen Altersversorgung dar, die zwischen dem Arbeitgeber (Versicherungsnehmer) und dem Arbeitnehmer (Versicherten) vereinbart werde. Die Versorgungszusage des Arbeitgebers bestehe darin, eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers abzuschließen und dem Arbeitnehmer bzw. seinen Hinterbliebenen das Bezugsrecht für die Leistungen daraus einzuräumen. Solche Versorgungsbezüge seien als der Rente vergleichbare Einnahmen beitragspflichtig, weil sie auf eine frühere Erwerbstätigkeit des Versorgungsempfängers zurückzuführen seien und bei Eintritt eines Versicherungsfalles (Erwerbsminderung oder Alter) ausfallendes Erwerbseinkommen ersetzen oder im Falles des Todes der Sicherung von Hinterbliebenen dienen sollen. Es komme nicht darauf an, wer die Leistungen im Ergebnis finanziert habe. Leistungen seien selbst dann beitragspflichtige Versorgungsbezüge, wenn sie überwiegend oder sogar ausschließlich durch Beiträge des Arbeitnehmers finanziert worden seien, sofern sie einen Betriebsbezug hätten. Ab dem 01.01.2004 würden als beitragspflichtige Versorgungsbezüge auch nicht wiederkehrende Leistungen (Kapitalabfindungen) gelten, die vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart und zugesagt worden seien. Hierdurch sei mehr Beitragsgerechtigkeit geschaffen worden. Die dem Kläger gewährte Kapitalleistung stelle zweifelsfrei einen solchen beitragspflichtigen Versorgungsbezug dar. Da die Kapitalleistung am 01.06.2004 fällig werde, beurteile sich ihre Beitragspflicht nach den seit dem 01.01.2004 maßgeblichen Vorschriften. Deswegen sei die Entscheidung, Beiträge zur Krankenversicherung nach 1/120 der Kapitalleistung festzusetzen, rechtens.

Mit seiner dagegen beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass die monatlichen Bezüge, die die Beklagte der Beitragspflicht zugrunde lege, aus privater Eigenvorsorge herrührten. Dies beruhe auf einer Lohnverwendungsabrede, die allein aus steuerrechtlichen Gründen so vereinbart worden sei. Aus den Tantiemen seien niemals Beiträge an die Beklagte abgeführt worden. Insofern habe sich durch die Vereinbarung der Lebensversicherung nichts geändert. Er habe seine Tantiemen lediglich anders verwendet. Die Tantieme habe auch im Gegensatz zu einer Abfindung keinerlei Lohnersatzfunktion.

Sein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz blieb erfolglos (Beschluss des SG vom 27.09.2004 - S 8 KR 2711/04 ER -, bestätigt durch Beschlüsse des LSG vom 16.12.2004 - L 11 KR 5212/04 ER-B - und 08.02.2005 - L 4 P 5679/04 ER-B). Mit Gerichtsbescheid vom 14.09.2005, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 21.09.2005, wies das SG die Klage mit der Begründung ab, es handle sich unzweifelhaft um eine Direktversicherung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG), denn die betriebliche Altersversorgung sei auf das Leben des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen und der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen seien hinsichtlich der Leistungen des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt. Eine solche Vereinbarung habe der Kläger mit seinem ehemaligen Arbeitgeber am 12.04.1990 geschlossen und anschließend durchgeführt. Dies ergebe sich aus der von dem Kläger vorgelegten Vereinbarung, die in Ziffer 9 ausdrücklich auf die Regelungen des BetrAVG Bezug nehme. Der erforderliche Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit ergebe sich daraus, dass er auf einer für die betriebliche Altersversorgung typischen Versicherungsart (Direktversicherung, § 1 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG) beruhe. Darüber hinaus seien die Beiträge hieraus aus einem Teil des Anspruchs des Klägers auf Bezüge finanziert worden, welches aus Nr. 1 der Vereinbarung vom 12.04.1990 folge. Die Versicherung sei weiter daran gebunden gewesen, dass der Kläger dem Kreis der leitenden Angestellten, d.h. als Arbeitnehmer, bei seinem Arbeitgeber angehört habe. Diese einmalige Kapitalleistung führe deswegen zur Beitragspflicht. Die Neuregelung des § 229 Abs. 1 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der Fassung des GMG bezwecke nach der Gesetzesbegründung die Beseitigung von Umgehungsmöglichkeiten bei der Beitragspflicht für Versorgungsbezüge. Sie sei auch auf den Fall des Klägers anzuwenden, weil die Kapitalleistung erst nach dem 01.01.2004 fällig geworden sei. Insoweit liege auch keine Verfassungswidrigkeit vor, da es sich nur um eine unechte Rückwirkung handele, die grundsätzlich zulässig sei. Dies verstoße auch nicht gegen Artikel 14 Grundgesetz (GG), denn die Geldleistungspflichten würden den Betroffenen nicht übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse so grundlegend beeinträchtigen, dass sie erdrosselnde Wirkung hätten. Auf die Beiträge sei schließlich der volle und nicht der halbe Beitragssatz zugrunde zu legen. Dies ergebe sich aus § 248 SGB V. Dass diese Vorschrift nicht gegen Verfassungsrecht verstoße, habe zwischenzeitlich das BSG mit Urteil vom 24.08.2005 (B 12 KR 29/04 R) entschieden.

Zur Begründung seiner dagegen am 21.10.2005 eingelegten Berufung trägt der Kläger ergänzend vor, dass das erstinstanzliche Gericht seine Vereinbarung vom 12. 4. 1990 nicht beachtet habe. Darin habe sich der Arbeitgeber vorbehalten, bei Kündigung derselben (insbesondere bei zusätzlichen finanziellen Belastungen) oder Ausscheiden aus dem Kreis der leitenden Angestellten die umgewandelten Bezüge wieder bar auszuzahlen. Dadurch hätte sicher gestellt sein sollen, dass der Kläger selbst ausschließlich bezahle.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 14. September 2005 sowie die Bescheide der Beklagten vom 19. April 2004 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 14. Juli 2004 aufzuheben.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Akten beider Rechtszüge und die beigezogenen Akten S 8 KR 2711/04 ER, L 11 KR 5212/04 ER-B und L 4 P 5679/04 ER-B verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 151 Abs. 1, 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist insbesondere statthaft, da die Berufung eine Beitragsforderung von mehr als einem Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die zulässige Berufung ist indessen unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Einstufungsbescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat aus der Kapitalzahlung der Lebensversicherung Beiträge in der von der Beklagten festgestellten Höhe zu entrichten (vgl. auch Urteil des Senats vom 15.11.2005 L 11 KR 3216/05).

Die Beklagte als Einzugsstelle hat nach § 28 h Abs. 2 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGV IV) sachlich zuständig über die Versicherungspflicht sowie über die Heranziehung der hier streitigen Zahlung entschieden. In der Kranken- und Pflegeversicherung (insofern § 57 Abs. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung -) darf die Kapitalleistung der Beitragserhebung zugrunde gelegt werden, weil sie eine der Rente vergleichbare Einnahme (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V) im Sinne des § 229 SGB V darstellt. In § 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V werden die wiederkehrenden Leistungen aufgeführt, die als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten. Nach Nr. 5 sind dies Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der erhöhten knappschaftlichen Zusatzversorgung.

Darunter fällt, wie das SG zutreffend festgestellt hat, auch die dem Kläger ausgezahlte Lebensversicherung. Bei der Direktversicherung handelt es sich um eine betriebliche Altersversorgung in diesem Sinne, denn sie wird im Wege einer Einzel- oder Gruppenversicherung auf den Todes- oder Erlebensfall des Arbeitnehmers als Begünstigten abgeschlossen, während der Arbeitgeber aber als Versicherungsnehmer zur Zahlung der Prämien verpflichtet ist. Die zusätzlich zum Lohn gezahlten Direktversicherungsbeiträge werden pauschal besteuert, wobei der Satz der Pauschalbesteuerung von ursprünglich 10 % schrittweise auf 20 % angehoben wurde (§ 40 b Einkommensteuergesetz - EStG). Dass eine solche Konstellation bei dem Kläger vorlag, ergibt sich aus der von ihm vorgelegten Vereinbarung vom 12.04.1990, die in Ziffer 9 auf die Regelungen des BetrAVG Bezug nimmt und daran gebunden war, dass der Kläger zum Kreis der leitenden Angestellten gehörte, wie sich aus Nr. 1 der Vereinbarung ergibt. Insofern besteht ein hinreichender Zusammenhang zwischen dem Erwerb der Leistungen aus der Lebensversicherung und der Berufstätigkeit des Klägers. Dieser Teil der Vereinbarung spricht somit entgegen dem Berufungsvortrag des Klägers gerade für die Einordnung der Kapitalleistung als solche der betrieblichen Altersvorsorge.

Da die Kapitalleistung erst nach dem 01.01.2004 fällig wurde, liegt auch keine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift vor, da es sich nur um eine unechte Rückwirkung handelt. Regelungen, die nämlich nur mit Wirkung für die Zukunft in bestehende Rechtspositionen eingreifen, sind verfassungsrechtlich zulässig und genügen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfGE 95, 64, 86 - ständige Rechtsprechung). Von unechter Rückwirkung oder auch tatbestandlicher Rückanknüpfung wird auch gesprochen, wenn eine Norm künftige Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig macht (BVerfGE 72, 200, 242; 79, 29, 45 ff.). Bei einer unechten Rückwirkung bzw. einer tatbestandlichen Rückanknüpfung wird somit ein Tatbestand geregelt, der zwar vor Gesetzesverkündung begonnen hat, aber noch nicht vollständig abgeschlossen oder - mit anderen Worten - bereits vor Verkündung "in Kraft gesetzt" worden ist (BVerfGE 97, 67, 79).

Eine echte Rückwirkung liegt dagegen vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfGE 57, 361, 391) bzw. wenn die Rechtsfolgen für einen vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt eintreten sollen und nicht für einen nach oder mit der Verkündung beginnenden Zeitraum (BVerfGE 72, 200, 242).

Während die unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung regelmäßig zulässig ist, weil das vom Gesetzgeber verfolgte Gemeinwohlinteresse in der Regel das Vertrauen des Bürgers auf Fortbestand einer ihn begünstigenden Rechtslage überwiegt, ist die echte Rückwirkung bzw. die Rückbewirkung von Rechtsfolgen durch das Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich verboten (BVerfGE 13, 261, 227) oder bedarf jedenfalls einer besonderen Rechtfertigung (BVerfGE 72, 200, 257).

Vorliegend hatte der Kläger zwar die Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber bzw. die Lebensversicherung bereits 1990 abgeschlossen, diese gelangte aber erst am 01.06.2004, d.h. nach dem Stichtag der Änderung des § 229 SGB V durch das GMG, zur Auszahlung. Deswegen handelt es sich um einen Fall der unechten Rückwirkung, so dass der Kläger grundsätzlich in seinem Vertrauen nicht geschützt wird.

Auch im übrigen erachtet der Senat die Vorschrift für verfassungskonform. Die Neuregelung sollte gerade Umgehungsmöglichkeiten bei der Beitragspflicht für Versorgungsbezüge beseitigen (BT-Drucks. 15/1525 S. 139) und demnach zu einer gleichmäßigen Behandlung aller Betroffenen führen (vgl. Peters, in: Kasseler Kommentar, § 229 SGB V Rdnr. 16). Deswegen verstößt die Neuregelung auch nicht gegen Art. 3 Grundgesetz, sondern dient gerade der Gleichbehandlung aller Versicherten.

Die Berufung erweist sich damit insgesamt als unbegründet, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.

Der Senat hat die Revision zugelassen, da er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG beimisst.
Rechtskraft
Aus
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