S 12 KA 303/18 und S 12 KA 391/18

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 303/18 und S 12 KA 391/18
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird eine Behandlungsdokumentation weder im Prüf- noch Gerichtsverfahren vorgelegt, so fehlt es an einer Begründung i. S. d. § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V und am Nachweis, dass eine Arzneimittelverordnung trotz Ausschluss im Einzelfall gerechtfertigt war.
1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Arzneikostenregresses für die drei Quartale II bis IV/14 wegen der Verordnung von Actos 30 mg (mit Wirkstoff Pioglitazon) in einem Behandlungsfall i. H. v. insgesamt 543,21 EUR (netto).

Die Klägerin ist als Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie nimmt an der hausärztlichen Versorgung teil.

Die Beigeladene beantragte am 14.06.2018 im Behandlungsfall der am 19.12.1959 geb. C. C. für das streitbefangene Quartal II/14 die Prüfung der Verordnungsweise und Festsetzung eines Regresses, weil für das Arzneimittel Actos 30 mg gem. Anlage III Nr. 49 der Arzneimittel-Richtlinie ein Verordnungsausschluss bestehe.

Die Beklagte übersandte der Klägerin unter Datum vom 25.06.2018 per Telefax den Prüfantrag. Sie teilte ihr ferner mit, aufgrund der späten Antragstellung sei es ihr nicht möglich, vor Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist eine Entscheidung zu treffen, da noch Sachverhaltsermittlungen angestellt werden müssten. Die Frist werde jedoch durch die Antragstellung seitens der Beigeladenen unterbrochen bzw. gehemmt. Dies sei nach der Auffassung des Bundessozialgerichts zumindest dann der Fall, wenn der Vertragsarzt - wie durch dieses Schreiben geschehen - über die Gründe informiert werde, die einer zügigen Entscheidung über den gestellten Prüfantrag entgegenstünden (BSG, Urt. v. 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R). Sie forderte zudem die Behandlungsdokumentation an.

Die Klägerin führte mit Schreiben vom 08.08.2018 aus, bei der Patientin habe sie im Juni 2013 Actos 30 abgesetzt, obwohl die Patientin angegeben habe, dies gut zu vertragen. Zur Unterstützung ihrer Argumentation habe sie sie zum Diabetologen Dr. D. geschickt, der Actos weiter empfohlen habe. Im September 2013 sei die Patientin mit schlechteren BZ-Werten trotz höherer Dosis von Metformin, aber ohne Actos-Medikation erschienen. Leider hätte sie zu diesem Zeitpunkt noch keinen Scanner gehabt, um die Aufzeichnungen der Patientin zu dokumentieren. Sie habe angegeben, höhere Dosen von Metformin und Januvia 100 (Ärztemuster !) nicht vertragen zu haben, deshalb habe sie jetzt ihre Restbestände an Actos wieder eingenommen. Die Werte hätten sich tatsächlich danach wieder gebessert. Nach erneuter Verordnung von Actos 30 seien die BZ-Werte wieder in einem tolerierbaren Bereich geblieben. Ihr sei zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen, dass die Verordnung von der Krankenkasse hätte genehmigt werden müssen. Sowohl die Kardiologie der Uniklinik, bei der die Patientin sich im Januar 2014 wegen eines Myocardinfarkts habe behandeln lassen, als auch die Stoffwechselklinik in Lindenfels habe weiter Actos 30 verordnet. Im Dezember 2017 nach der Rückforderung habe sie die Patientin mehrmals gebeten, ihr den Sachverhalt zu bestätigen, der ihr wegen heftiger Diskussionen 2013 ihrerseits mit ihr noch erinnerlich gewesen sei, was sie hatte auch tun wollen. Dazu sei es wegen verschiedener neuen Krankheiten und OP-Planung (Schulter) nicht mehr gekommen. Leider sei die Patientin im April 2018 während eines Herzkatheters, der von den Orthopäden im Vorfeld der Schulter-OP gewünscht worden sei, verstorben. Ihr sei unverständlich, warum die Kasse solange mit der Rückforderung gewartet habe, schließlich habe sie die ganze Zeit der Apotheke die Kosten dafür erstattet. Sie hätte viel früher Gegenmaßnahmen ergreifen können, z. B. durch zusätzliche Verordnung von niedriger dosiertem Sitagliptin oder zusätzliche Gabe von Insulin.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 27.09.2018, der Klägerin zugestellt am 01.10.2018, die strittige Schadensersatzpflicht für das Quartal II/14 in Höhe von 157,13 EUR fest. Zur Begründung verwies sie erneut auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hin, wonach trotz der späten Antragstellung hier noch eine Festsetzung hätte ergehen können. Die Verordnung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung sei unzulässig. Gem. Anlage III Nr. 49 AM-RL unterlägen Glitazone, insb. Pioglitazon und Rosiglitazon, zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 einem Verordnungsausschluss verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGB V i. V. m. § 16 Abs. 1 und 2 AM-RL. Hierfür seien keine Ausnahmen vorgesehen. Laut Lauer-Taxe enthalte das Präparat Actos den Wirkstoff Pioglitazon. Somit sei das Präparat nicht verordnungsfähig. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe mit Beschluss vom 17.06.2011 (Inkrafttreten am 01.04.2011) Glitazone als unzweckmäßig ausgeschlossen, da ein Zusatznutzen auf makro- und mikrovaskuläre Folgeerkrankungen des Diabetes nicht hinreichend belegt sei. Mit der Zunahme von Herzinsuffizienz und Knochenfrakturen, die als Klasseneffekte anzusehen seien, sei den Patienten aber schwerwiegender Schaden zugefügt worden.

Hiergegen hat die Klägerin am 08.10.2018 die Klage zum Az.: S 12 KA 303/18 erhoben.

Die Beigeladene beantragte ferner am 06.09.2018 für das streitbefangene Quartal III/14 und am 10.09.2018 für das streitbefangene Quartal IV/14 ebf. die Prüfung der Verordnung für das Arzneimittel Actos 30 mg bei der Patientin C. Die Beklagte übersandte der Klägerin beide Prüfanträge unter Datum vom 20.09.2018 und setzte mit Bescheid vom 06.12.2018, der Klägerin zugestellt am 10.12.2018, die strittige Schadensersatzpflicht mit weitgehend gleicher Begründung wie für das Vorquartal fest, für das Quartal III/14 in Höhe von 193,04 EUR und für das Quartal IV/14 in Höhe von 192,85 EUR, insgesamt in Höhe von 385,89 EUR. Ergänzend führte sie aus, die Unzweckmäßigkeit des strittigen Arzneimittels beruhe nach der Begründung des GBA auch darauf, dass mit der Zunahme von Herzinsuffizienz und Knochenfrakturen, die als Klasseneffekte anzusehen seien, den Patienten aber schwerwiegender Schaden zugefügt worden sei. Sie habe nicht entlastend bewerten können, dass der Klägerin ein Verordnungsausschluss nicht bekannt gewesen sei. Bei der Richtlinie handele es sich um eine allgemeinverbindliche Rechtsnorm, die vom Zeitpunkt ihres In-Kraft-Tretens an gelten würde. Empfehlungen von Fachärzten oder Kliniken seien nicht maßgeblich für eine Verordnungsfähigkeit zu Lasten der GKV. Der Arzt selbst sei gem. § 29 Abs. 1 Bundemantelvertrag-Ärzte für seine Verordnungen verantwortlich. Die Berufung auf die Empfehlungen des Krankenhauses oder Facharztes schütze den Arzt nicht vor Regressansprüchen.

Hiergegen hat die Klägerin am 13.12.2018 die Klage zum Az.: S 12 KA 391/18 erhoben.

Sie trägt ergänzend zu ihrem Vorbringen im Verwaltungsverfahren vor, ein Prüfverfahren für das Quartal IV/13 sei offensichtlich nicht fortgeführt worden. Die Patientin C. sei seit vielen Jahren Patientin gewesen. Sie habe unter erheblichem Übergewicht (mehr als 110 kg bei einer Größe von 1,60 m) und unter einem Diabetes Mellitus Typ 2, ebf. seit vielen Jahren, gelitten. Die Patientin habe nach Feststellung des Diabetes Mellitus Typ 2 das Arzneimittel Actos erhalten, und zwar seit etwa 2008. Diese Therapie sei notwendig im Sinne der GKV und auch "erfolgreich" gewesen. Sie habe mit der Patientin mehrfach erörtert, dass zur Behandlung des Diabetes Insulin geeignet sei. Die Patientin sei nicht bereit gewesen, Insulin zu spritzen, weshalb ihr Metformin 850 verabreicht worden sei zusammen mit Actos 30. Actos habe durch Metformin nicht ersetzt werden können, auch nicht dadurch, dass die Dosierung bei Metformin gesteigert worden wäre. Dies habe die Patientin nicht vertragen. Ein Diabetologe habe die Indikation für das Präparat Actos bestätigt. Das Absetzen von Actos hätte kurzfristige Verschlechterungen zur Folge gehabt. Die Verordnung von Actos 30 in diesem speziellen Einzelfall sei weder unwirtschaftlich, noch sei sie nach der Arzneimittelrichtlinie ausgeschlossen gewesen. Der Anspruch der Beigeladenen sei verjährt. Zum Zeitpunkt der "Antragsmitteilung" vom 25.06.2018 für das Quartal II/14 sei die vierjährige Verjährung abgelaufen gewesen. Dies gelte erst recht für den Zeitpunkt des Bescheiderlasses. Nach § 16 Abs. 5 der Arzneimittelrichtlinie könne die behandelnde Ärztin "in medizinisch begründeten Einzelfällen" Actos 30 verordnen. Hier liege ein solcher medizinischer Einzelfall vor. Im Januar 2014 sei es zur Feststellung einer schweren koronaren 3-Gefäßerkrankung gekommen. Sie verweise auf den Arztbrief der Universitätsklinik Frankfurt am Main vom 15.01.2014. Bei einer so schweren Folgeerkrankung wäre es ein nicht zu akzeptierendes Risiko gewesen, die Verordnung von Actos 30 im Falle der Patientin zu unterbrechen. Die Patientin habe sich bereits im Jahre 2013 wegen Herzrhytmusstörungen kardiologischen Untersuchungen unterziehen lassen müssen. Hier sei ausdrücklich auf die Risikofaktoren für Gefäßerkrankungen hingewiesen worden, nämlich Diabetes. Auch im Jahre 2013 habe sie bei dieser Patientin besondere Sorgfalt darauf legen müssen, dass mit Hilfe einer sachgerechten Medikation Folgeerkrankungen des Diabetes vermieden werde (auch unter Berücksichtigung des Übergewichts). Die Patientin sei vor allem wegen der Herzerkrankung ganztägig ambulant in der Reha-Einrichtung CCB-Reha vom 28.01.2014 bis 24.02.2014 behandelt worden. Der Reha-Entlassungsbericht der Reha-Einrichtung CCB-Reha vom 28.02.2014 komme zu dem Ergebnis, dass bei Entlassung als Medikament Actos 30 weiter einzunehmen sei. Eine weitere Reha-Einrichtung, die Eleonoren-Klinik, eine Klinik für Stoffwechselerkrankungen und eine Diabetes Einrichtung, bestätige im Entlassungsbrief vom 07.11.2016 die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Medikation mit Actos 30. Nach dem Arztbrief der Universitätsklinik vom 07.05.2014 sei der Diabetes (noch) nicht insulinpflichtig gewesen, sei aber die bisherige Medikation mit Actos 30 auch künftig als empfohlene Medikation fortzuführen. Es stelle sich auch die Frage, ob die Beurteilung durch den GBA im Jahre 2013 und 2014 überhaupt noch zutreffend gewesen sei. Der GBA habe seine Entscheidung aus dem Jahre 2011 gestützt auf Berichte aus der Zeit lange zuvor. Es fehle an einer Evaluation.

Die Klägerin beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 27.09.2018 und 06.12.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Anträge der Beigeladenen zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, die Frist zur Prüfung sei durch die Antragstellung seitens der Krankenkasse unterbrochen bzw. gehemmt worden. Der Wirkstoff Pioglitazon sei von einer Verordnung durch die Arzneimittel-Richtlinie ausgeschlossen worden. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschluss des GBA im Jahre 2013 und 2014 unzutreffend gewesen sei. Seitens der Aufsichtsbehörde liege keine Beanstandung des Beschlusses des GBA vorn 17.06.2010 vor. Es liege keine Arzneimittelverordnung "mit Begründung" vor. Die Begründung i. S. v. § 34 Abs. 1 Satz 4 SGB V müsse in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung abgegeben werden. Die Therapieentscheidung sei zu dokumentieren. Die erstmals im Rahmen des Klageverfahrens eingereichten Arztbriefe, Laborberichte und Entlassungsberichte erfüllten nicht die Voraussetzungen an eine Arzneimittelverordnung "mit Begründung". Bei der angegebenen Diagnose wäre außer der Alternativtherapie mit Metformin noch eine Therapie mit Metformin mit Sulfonylharnstoff (Glibericlamid, Glimepirid) sowie eine Kombinationstherapie mit einem DDP-4-lnhibitor (Dipeptidyl-Peptidase-4-Inhibltor) möglich gewesen. Die Wirkstoffe Sitagliptin, Vildagiliptin und Saxagliptin seien zum Verordnungszeitpunkt zugelassen gewesen in Kombination mit einer Insulintherapie oder in Kombination mit Insulin plus Metformin. Es liege keine Patientendokumentation vor, aus der zu entnehmen sei, dass vorrangig diese Therapiealternativen verordnet worden seien. Auf Empfehlungen der Kliniken komme es nicht an, da der Vertragsarzt die Verantwortung für die Verordnung von Arzneimitteln trage. Seitens der Prüfungsstelle sei mit Bescheid vom 20.03.2018 hinsichtlich der Verordnung von Actos im Quartal IV/13 gegenüber der Klägerin ein Regress festgesetzt worden, gegen den die Klägerin nicht geklagt habe.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie trägt vor, ihr stehe gegen die Klägerin ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu. Dieser Anspruch sei auch noch nicht verjährt. Die Zahlungen seien im Jahr 2014 geleistet und im Jahr 2018 sei ein Bescheid ergangen, dass die Verordnung unzulässig sei. Der Anspruch einer Krankenkasse gegen einen Arzt auf Erstattung einer zu Unrecht gezahlten Vergütung unterliege einer vierjährigen Verjährung. Sie beginne entsprechend § 45 Abs. 1 SGB I nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden sei. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch im gleichgeordneten Leistungserbringungsverhältnis entsteht bereits im Augenblick der Überzahlung.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 04.02.2019 und 07.01.2019 die Beiladung ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten sowie einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz SGG). Sie konnte dies trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen tun, weil diese ordnungsgemäß geladen und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 110 Abs. 1 SGG).

Die Klagen sind zulässig, denn sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Der Durchführung eines Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss bedurfte es nicht. Die Prüfungsstelle war abschließend zuständig.

Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes grundsätzlich in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dies gilt auch für das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V. § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V bestimmt, dass die dort aufgeführten Personen und Institutionen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen können; gemäß § 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V gilt das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss als Vorverfahren (§ 78 Abs. 1 SGG). Gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG bedarf es eines Vorverfahrens (nur) dann nicht, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt. Ein derartiger Ausnahmefall ist in § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V (in der ab dem 01.01.2008 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG)) geregelt. Danach findet - abweichend von § 106 Abs. 5 Satz 3 SGB V - in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt. Diese Ausnahmeregelung ist, wie ihre Auslegung ergibt, auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergibt. Zudem muss sich der Ausschluss aus spezifischen Regelungen des Krankenversicherungsrechts ergeben. Eine (einschränkende) Auslegung der Norm in diesem Sinne legt bereits ihr Wortlaut nahe. Danach gilt der Ausschluss des Vorverfahrens nur für "Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind" (vgl. BSG, Urt. v. 11.05.2011 - B 6 KA 13/10 R - BSGE 108, 175 = SozR 4-2500 § 106 Nr. 32, juris Rdnr. 18 ff.).

Der Ausschluss der Verordnungsfähigkeit folgt aus den Vorschriften des SGB V und aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (s. im Einzelnen nachfolgend).

Die Klagen sind aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 27.09.2018 und 06.12.2018 sind rechtmäßig und waren daher nicht aufzuheben. Die Beklagte war nicht zu verpflichten, die Anträge der Beigeladenen zurückzuweisen.

Im System der gesetzlichen Krankenversicherung nimmt der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt - Vertragsarzt - die Stellung eines Leistungserbringers ein. Er versorgt die Mitglieder der Krankenkassen mit ärztlichen Behandlungsleistungen, unterfällt damit auch und gerade dem Gebot, sämtliche Leistungen im Rahmen des Wirtschaftlichen zu erbringen. Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, darf er nach dem hier anzuwendenden Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch, gesetzliche Krankenversicherung nicht erbringen.

Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind nach geltender Rechtslage berechtigt, Arzneikostenregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festzusetzen. Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Verordnungsregressen ist § 106 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz 3 SGB V a. F. Danach können die Landesverbände der Krankenkasse und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V a. F. vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. In den Verträgen ist auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt werden können. Von dieser Kompetenz haben die Partner der Gesamtverträge in Hessen Gebrauch gemacht. Nach der hier maßgeblichen Prüfvereinbarung (im Folgenden: PV) vom 12.06.2008, mit Wirkung ab 01.01.2008 in Kraft getreten, prüft die Prüfungsstelle auf Antrag, ob der Arzt im Einzelfall mit seinen Arzneiverordnungen oder Verordnungen über Heilmittel gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat (§ 13 Abs. 1 PV). Anträge müssen innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des Verordnungsquartals vorliegen (§ 13 Abs. 2 S. 1 PV). § 106b Abs. 1 SGB V n. F. gilt erst für Leistungen, die ab dem 1. Januar 2017 verordnet werden.

Prüfgegenstand ist die Arznei- bzw. verordnungsbezogene Überprüfung der Verordnungsweise nach den gesetzlichen Bestimmungen bzw. nach den Arzneimittel-Richtlinien oder Heilmittel-Richtlinien, insbesondere hinsichtlich
- Preiswürdigkeit der verordneten Arzneimittel/Heilmittel unter Berücksichtigung des therapeutischen Nutzens
- Mehrfachverordnungen für pharmakologisch oder therapeutisch gleichsinnig wirkende Arzneimittel
- Verordnung von Arzneimitteln und Arzneimittelgruppen mit umstrittener Wirksamkeit
- Mehrfachverordnung bei med. therap. gleichsinnig wirkenden Heilmitteln und deren Zielsetzung
- Verordnungsmengen, Verordnungsabständen, Verordnungsumfang
- Durchführung bzw. Veranlassung der weiterführenden Diagnostik
- Beachtung der Vorschriften innerhalb/außerhalb des Regelfalls
- Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots hinsichtlich der Verordnung von Hausbesuchen
- Wirtschaftlichkeit der Verordnungen im Einzelfall (§ 13 Abs. 4 PV).

Soweit die Prüfungsstelle im Einzelfall eine Unwirtschaftlichkeit festgestellt hat, setzt sie den vom Arzt erstatteten Regressbetrag fest. Es scheint eine gezielte schriftliche oder persönliche Beratung ausreichend, ist diese nur zulässig, wenn innerhalb von 24 Monaten vor dem Quartal für das der Prüfantrag gestellt wurde, keine derartige Maßnahme verfügt wurde (§ 13 Abs. 5 PV). Ein Verfahren ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Regressbetrag je Arzt im Quartal nicht mehr als 50,00 EUR beträgt (§ 13 Abs. 6 Satz 1 PV).

Die erfolgte Zuweisung der Sanktionierung unzulässiger bzw. rechtswidriger Verordnungen an die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben in § 106 SGB V a. F., mit den Bestimmungen der §§ 48 ff. BMV-Ä in der ab 1. Januar 1995 geltenden Fassung sowie mit der langjährigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. hierzu eingehend BSG, Urt. v. 14.03.2001 - B 6 KA 19/00 R - SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 52, juris Rdnr. 11 ff., s. a. LSG Bayern, Urt. v. 02.03.2005 - L 12 KA 107/03 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris).

Unter Beachtung der PV sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden.

Die Bescheide sind formell rechtmäßig. Eine mündliche Verhandlung des Beklagten war nicht notwendig. Das Verfahren vor den Prüfgremien ist grundsätzlich schriftlich (§ 18 Abs. 1 Satz 1 PV).

Eine Prüfung war auch nicht wegen Verstoßes gegen Prüf- bzw. Antragsfristen unzulässig.

Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 PV können Prüfanträge nur innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des Verordnungsquartals gestellt werden. Soweit die Anträge auf Prüfung bzgl. der Verordnungen in allen streitbefangenen Quartalen nicht innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des Verordnungsquartals und damit nicht innerhalb der Prüfantragsfrist nach § 13 Abs. 2 S. 1 PV gestellt worden sind, ist dies unerheblich.

Solche Fristen entfalten keine Schutzwirkungen zugunsten Dritter bzw. zugunsten eines Vertragsarztes (vgl. BSG, Urt. v. 27.06.2001 - B 6 KA 66/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 53, juris Rdnr. 26). Dies gilt erst Recht, seit ein (gesetzliches) Antragserfordernis, wie im hier streitbefangenen Zeitraum, nicht mehr besteht. Auch wäre das Aufstellen zusätzlicher Verfahrensvoraussetzungen problematisch (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 27.06.2001 - B 6 KA 66/00 R - a.a.O. Rdnr. 20 ff.; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Loseblattausgabe, § 106, Rdnr. 438 ff.). Die Prüfantragsfrist dient (nur) dem Interesse der Verfahrensbeschleunigung, aus deren Versäumnis nicht ein Hindernis, das Verfahren überhaupt durchzuführen, abgeleitet werden kann. Dem Interesse des Vertragsarztes, nicht damit rechnen zu müssen, dass noch nach Jahr und Tag ein Prüf- und Regressverfahren gegen ihn durchgeführt wird, dient eine andere Frist, nämlich die Vier-Jahres-Frist. Hat mithin die Nichteinhaltung der Frist für die Stellung des Prüfantrags nicht die Wirkung eines Verfahrenshindernisses, so kommt dieser Frist im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung zu (vgl. BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 29, juris Rdnr. 21 m. w. N.).

Von daher ist es unerheblich, dass alle Prüfanträge der Beigeladenen nach Ablauf der Frist von 12 Monaten gestellt wurden (vgl. auch bereits SG Marburg, Urt. v. 15.11.2017 S 12 KA 796/16 - juris Rdnr. 38).

Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.

Ein Verstoß gegen die vierjährige Ausschlussfrist liegt nicht vor.

Die Beklagte hat die vierjährige Ausschlussfrist für Festsetzung des Arzneikostenregresses (vgl. BSG, Urt. v. 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 28, juris Rdnr. 28 f.) für die streitbefangenen Quartale II und III/14 nicht eingehalten. Die Frist für Verordnungsregresse beginnt im Regelfall unmittelbar nach Ablauf des Quartals, dem die Verordnung kostenmäßig zugeordnet ist, zu laufen (vgl. BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 29, juris Rdnr. 28) und wird erst durch den Festsetzungsbescheid unterbrochen. Damit lag das Quartal II/14 bereits außerhalb der Ausschlussfrist, weil der Festsetzungsbescheid erst am 27.09.2018 ergangen ist. Das Quartal III/14 lag bereits außerhalb der Ausschlussfrist, weil der Festsetzungsbescheid erst am 06.12.2018 ergangen ist. Das Quartal IV/14 lag aber noch innerhalb der vierjährigen Ausschlussfrist, die bis Ende 2018 lief, da der Festsetzungsbescheid am 10.12.2018, also noch innerhalb der Frist, zugegangen ist. Allerdings wird in entsprechender Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 12 Halbsatz 1 BGB und § 45 Abs. 3 SGB I die vierjährige Ausschlussfrist unterbrochen bzw. gehemmt, wenn dem betroffenen Vertragsarzt vor Ablauf der Frist der Prüfantrag der Krankenkasse zugeht bzw. er hiervon Kenntnis erlangt (vgl. BSG, Urt. v. 05.05.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 28, juris Rdnr. 40 ff.; BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 29, juris Rdnr. 39; BSG, Urt. v. 18.08.2010 - B 6 KA 14/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 29; BSG, Urt. v. 14.05.2014 B 6 KA 13/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 44, juris Rdnr. 28). Die Fristwahrung durch einen Prüfantrag der Krankenkasse gilt aber nur für solche Prüfanträge, die vorgeschrieben sind, dergestalt, dass sie eine unerlässliche Voraussetzung für die Durchführung der Wirtschaftlichkeitsprüfung sind (vgl. BSG, Urt. v. 14.05.2014 - B 6 KA 13/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 44, juris Rdnr. 27; Clemens in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 106 SGB V, Rdnr. 242). Von dieser Kompetenz haben die Partner der Gesamtverträge in Hessen Gebrauch gemacht. Nach der hier maßgeblichen Prüfvereinbarung prüft die Prüfungsstelle nur auf Antrag, ob der Arzt im Einzelfall mit seinen Arzneiverordnungen oder Verordnungen über Heilmittel gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat (§ 13 Abs. 1 PV), ist der Prüfantrag also Voraussetzung für die Regressfestsetzung (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 16.05.2018 - S 12 KA 505/17 – juris Rdnr. 93, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 26/18 -). Von daher war durch die am selben Tag per Telefax übersandte Antragsmitteilung der Beklagten vom 25.06.2018 und den Prüfantrag die Ausschlussfrist bzgl. der im Quartal II/14 erfolgten Verordnung gehemmt. Für das Quartal III/14 erfolgte die Übersendung bis zum 26.09.2018 und damit ebf. innerhalb der bis Ende September 2018 laufenden Ausschlussfrist.

Die Beklagte hat auch im Übrigen in nicht zu beanstandender Weise den strittigen Arzneikostenregress festgesetzt. Das strittige Arzneimittel durfte im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden.

Der Ausschluss der Verordnungsfähigkeit folgt aus den Vorschriften des SGB V und aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Der Vertragsarzt kann Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen (§ 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V). Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Er soll insbesondere u. a. Richtlinien beschließen über die Verordnung von Arzneimitteln (§ 92 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und 3 und Satz 2 Nr. 6 SGB V).

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat auf der Rechtsgrundlage des §§ 31 Abs. 1 Satz 1 und 4, 92 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 und 3 und Satz 2 Nr. 6 SGB V die Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie/AM-RL) erlassen. Die nach den Absätzen 1 und 2 des § 16 AM-RL in ihrer Verordnung eingeschränkten und von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel sind in einer Übersicht als Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie zusammengestellt (§ 16 Abs. 3 AM-RL). Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt kann die nach den Absätzen 1 und 2 in ihrer Verordnung eingeschränkten und von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen (§ 16 Abs. 5 AM-RL). Soweit die Verordnung von Arzneimitteln oder bei Arzneimittelgruppen die Verordnung für einzelne Arzneimittel aufgrund der jeweils genannten Ausnahmetatbestände zulässig ist, ist die Therapieentscheidung nach den Vorgaben der Übersicht nach § 16 Abs. 3 zu dokumentieren (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AM-RL). Die Dokumentation erfolgt im Sinne von § 10 (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte. Im Regelfall genügt die Angabe der Indikation und ggf. die Benennung der Ausschlusskriterien für die Anwendung wirtschaftlicher Therapiealternativen, soweit sich aus den Bestimmungen der Richtlinie nichts anderes ergibt (§ 10 Abs. 2 AM-RL). Nach Anlage III Nr. 49 AM-RL sind Glitazone zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 grundsätzlich nicht verordnungsfähig. Hierzu zählen: Pioglitazon und Rosiglitazon.

Das strittige Arzneimittel Actos enthält nach der Lauer-Taxe das zur Klasse der Thiazolidindione gehörende Pioglitazon. Aufgrund des Wirkstoffs Pioglitazon durfte das Arzneimittel daher im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat mit Beschluss vom 17.06.2010 (BAnz 2010, 3855), Inkrafttreten am 01.04.2011, Glitazone zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 als unzweckmäßig ausgeschlossen. In den "Tragenden Gründen" weist der Gemeinsame Bundesausschuss darauf hin, dass ihm als Empfehlung die Nutzenbewertung von Glitazonen zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 zugeleitet worden sei (Version 1.0 vom 26.11.2008; Auftrag A05-05A). Die vom Unterausschuss "Arzneimittel" eingesetzte Arbeitsgruppe "Nutzenbewertung" habe die IQWiG-Empfehlung überprüft und die Plausibilität festgestellt. Der Unterausschuss "Arzneimittel" sei nach Würdigung des Abschlussberichts des IQWiG und der Beratungen der Arbeitsgruppe "Nutzenbewertung" zu dem Ergebnis gekommen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Verordnungsfähigkeit von Glitazonen zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz SGB V erfüllt seien. Die Regelung betreffe sowohl Mono- als auch Kombinationspräparate, die Rosiglitazon bzw. Pioglitazon enthielten (vgl. Tragenden Gründe, S, 3 f., www.g-ba.de). Auf Einwand der Aufsichtsbehörde führte der Gemeinsame Bundesausschuss unter Datum vom 19.10.2010 weiter aus, der IQWiG-Abschlussbericht zeige, dass ein Zusatznutzen der Glitazone hinsichtlich patientenrelevanter klinischer Endpunkte, wie makro- und mikrovaskuläre Folgekomplikationen nicht belegt sei, während dies für andere Antidiabetika (Metformin, Sulfonylharnstoff und Insulin) der Fall sei. Das finde sich auch in der 20. Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung vom 23.06.2009 seinen Ausdruck, in der Anforderungen an strukturierte Behandlungsprogramme für Diabetes mellitus Typ 2 formuliert worden seien. Dort werde im Hinblick auf die Therapieziele einer Reduktion von makrovaskulärer Morbidität und Mortalität sowie mikrovaskulärer Folgekomplikationen des Diabetes mellitus gefordert, dass Metformin, Gilbenclamid (einem Sulfonylharnstoff) oder Human-Insulin vorrangig eingesetzt werden sollten, da "deren positiver Effekt und die Sicherheit ( ) in prospektiven, randomisierten, kontrollierten Langzeitstudien nachgewiesen wurden." Bei Einsatz anderer Antidiabetika sollten die Patienten darüber informiert werden, "dass derzeit hierfür keine ausreichenden Belege zur Sicherheit im Langzeitgebrauch sowie zur Risikoreduktion klinischer Endpunkte vorliegen". Daraufhin sah die Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 03.11.2010 (www.g-ba.de) von einer Beanstandung ab

Der Ausschluss von Pioglitazon ist nicht zu beanstanden. Dem Gemeinsamen Bundesausschuss kommt als Normgeber ein Gestaltungsspielraum zu. Daher beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle untergesetzlicher Normen regelmäßig darauf, ob die äußersten Grenzen der Rechtssetzungsbefugnis durch den Normgeber eingehalten; dies ist der Fall, wenn sich die getroffene Regelung auf eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage stützen kann und die maßgeblichen Verfahrensvorschriften sowie die Grenzen des dem Normgeber ggf. zukommenden Gestaltungsspielraums beachtet worden sind (vgl. BSG, Urt. v. 13.05.2015 - B 6 KA 14/14 R - BSGE 119, 57= SozR 4-2500 § 34 Nr. 17, juris Rdnr. 53 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben ist der Ausschluss von Pioglitazon nicht zu beanstanden. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die bestehende Studienlage ausgewertet und keine Belege für einen Nutzen in der Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus gefunden. Er weist auf Belege für Schäden und auf zweckmäßigere Behandlungsmöglichkeiten hin.

Die Voraussetzungen für einen Ausnahmetatbestand liegen nicht vor. Es besteht eine besondere sozialrechtliche Dokumentationspflicht, nicht aber eine besondere Pflicht zur Bekanntgabe der Begründung.

Soweit nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V, dessen Inhalt § 16 Abs. 5 AM-RL wiederholt, der Vertragsarzt Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen kann, liegt eine Arzneimittelverordnung "mit Begründung" nicht vor. Weil der Gesetzgeber die Durchbrechung des vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorgenommenen Verordnungsausschlusses nur unter sehr engen Voraussetzungen zulassen will ("ausnahmsweise", "in medizinisch begründeten Einzelfällen", "mit Begründung"), ist davon auszugehen, dass die Begründung i. S. v. § 34 Abs. 1 Satz 4 SGB V in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung abgegeben werden muss. Eine Kundgabe nach außen war auch vor Änderung der Arzneimittelrichtlinie durch den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 24.11.2016 (BAnz AT 27.01.2017 B3, in Kraft getreten am 28.01.2017) nicht erforderlich. Mit dem Beschluss hat der Gemeinsame Bundesausschuss klargestellt, dass die Begründung für die ausnahmsweise Therapieentscheidung in der Patientenakte zu dokumentieren ist (§§ 10 Abs. 1 Satz 3, 16 Abs. 5 Satz 2 AM-RL in der Neufassung). Damit reagiert der Gemeinsame Bundesausschuss auf unterschiedliche Auffassungen zu den Anforderungen an die Dokumentation der Therapieentscheidung eines Arzneimittels in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung. Insb. das LSG Berlin-Brandenburg hatte in einer Entscheidung die Auffassung vertreten, die Begründung müsse auch nach außen kundgetan werden, z. B. indem sie auf dem Verordnungsvordruck selbst enthalten ist oder diesem beigefügt oder zeitnah der betroffenen Krankenkasse übermittelt wird. Würde es hingegen genügen, dass bei einer auf § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V gestützten vertragsärztlichen Verordnung die gesetzlich vorgeschriebene Begründung z. B. erstmals in einem viel später durchgeführten Regressverfahren gegeben wird, unterschiede sich der Fall nicht von anderen Einzelverordnungsregressen, in denen typischerweise die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels erstmals im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung (§ 106 SGB V) geklärt wird. Das Tatbestandsmerkmal "mit Begründung" liefe dann leer (so LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.02.2012 - L 9 KR 292/10 - juris Rdnr. 41). Soweit die Kammer diese Ausführungen in vergangenen Entscheidungen aufgenommen hat, war die Frage einer Kundgabe nicht streiterheblich. Die Kammer stellt jedoch jetzt klar, dass sie der Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg nicht folgt.

Die allgemeine medizinische Dokumentationspflicht ist eine dem Arzt dem Patienten gegenüber obliegende Pflicht. Die weitere Behandlung des Patienten sowohl durch den selben Arzt als auch durch dessen zwangsläufigen oder frei gewählten Nachfolger kann durch unzulängliche Dokumentation entscheidend erschwert werden (vgl. BGH, Urt. v. 27.06.1978 - VI ZR 183/76 - BGHZ 72, 132, juris Rdnr. 27; OLG München, Urt. v. 18.01.2017 - 3 U 5039/13 - juris Rdnr. 33, Nichtzulassungsbeschwerde anhängig: BGH VI ZR 49/17 -; OLG Bamberg, Beschl. v. 27.11.2015 - 4 U 82/15 - GesR 2016, 492 = KHE 2015/156, juris Rdnr. 22; OLG Köln, Urt. v. 06.08.2014 - I-5 U 137/13 - juris Rdnr. 28). Daraus folgt eine Bedeutung der ärztlichen Dokumentation für die Beweislastverteilung im Arztfehlerprozess (vgl. BGH, Urt. v. 27.06.1978, a.a.O., Rdnr. 28; BGH, Urt. v. 18.03.1986 - VI ZR 215/84 - NJW 1986, 2365, juris Rdnr. 10; BGH, Urt. v. 02.06.1987 - VI ZR 174/86 - NJW 1986, 2365, juris Rdnr. 12). Die Dokumentation bestimmt sich nach rein medizinischen Notwendigkeiten, die ihrerseits sachverständiger Überprüfung zugänglich sind. Auf die Dokumentation können sich sowohl Patient als auch Behandler zu ihren Gunsten berufen: was nicht dokumentiert ist, aber hätte dokumentiert werden müssen, gilt als nicht geschehen; umgekehrt ist einer zeitnahen und vollständigen, äußerlich unverdächtigen ärztlichen Dokumentation grundsätzlich Glauben zu schenken (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 13.08.2014 - 5 U 57/14 - juris Rdnr. 2).

Der durch das Patientenrechtegesetz eingeführte § 630f BGB verpflichtet den Behandelnden, zum Zweck der Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Dies ist auch für elektronisch geführte Patientenakten sicherzustellen. Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen. Aus § 630f Abs. 1 Satz 1 BGB folgt, dass die Eintragungen jeweils in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Behandlung vorgenommen werden. Aus der Formulierung ist ersichtlich, dass es keiner "unverzüglichen" oder "sofortigen" Eintragung bedarf, sondern dass sich der Zeitrahmen nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insb. der Art und des Umfangs der Maßnahme bestimmt (vgl. K. Schmidt in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 630f BGB, Rdnr. 9 unter Hinweis auf Rehborn, GesR 2013, 257, 266; M. Rehborn/S. Gescher in: Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, § 630f BGB, Rdnr. 6).

Entsprechend sieht § 23 Nr. 4 hessisches Heilberufsgesetz und § 10 Berufsordnung der hessischen Ärztekammer (v. 02.09.1998, zuletzt geändert am 07.10.2015, zitiert nach www.laekh.de) eine Dokumentationspflicht vor. Die berufsrechtliche Norm statuiert eine Pflicht zur ausführlichen und sorgfältigen Dokumentation der ärztlichen Behandlung. Sie obliegt demjenigen Arzt, der die Behandlung des Patienten verantwortlich übernommen hat. Jeder Arzt, der eine dokumentationspflichtige Maßnahme durchführt, trägt demnach auch die Verantwortung für deren Dokumentation. Zweck der Dokumentationspflicht ist die Therapiesicherung, daneben auch die Beweissicherung und Rechenschaftslegung. Die Dokumentation soll insb. eine sachgerechte (Weiter-)Behandlung des Patienten gewährleisten, indem sie jeden mit- und nachbehandelnden Arzt in die Lage versetzt, sich über durchgeführte Maßnahmen und die angewandte Therapie kundig zu machen. Dies gilt in besonderer Weise für Berichte über durchgeführte Operationen, die wichtige Informationen über das gebotene postoperative Vorgehen vermitteln. In zeitlicher Hinsicht hat die Dokumentation in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behandlung oder dem Eingriff zu erfolgen, jedenfalls aber in einem Zeitraum, in dem dem Arzt die Einzelheiten der Behandlung noch präsent sind (vgl. LandesberufsG für Heilberufe Münster, Urt. v. 25.11.2015 - 6t A 2679/13.T - juris Rdnr. 39 ff.). Eine inhaltlich unrichtige Darstellung der (zahn-)ärztlichen Maßnahmen verletzt die Dokumentationspflicht. Die Aufzeichnungen haben Urkundencharakter und müssen oftmals noch nach Jahren nachvollziehbar und beweiskräftig sein (vgl. Berufsgericht für Heilberufe Berlin, Urt. v. 25.06.2014 - 90 K 2.12 T - juris Rdnr. 20). Eine Dokumentation ist berufsrechtlich unzureichend, wenn sie ohne Erläuterungen des Arztes aus sich heraus für einen anderen Arzt (hier: den Gutachter) nicht verständlich ist (vgl. VG Berlin, Urt. v. 23.05.2012 - 90 K 1.10 T - juris Rdnr. 41).

Das Vertragsarztrecht baut auf den allgemeinen Dokumentationspflichten auf und begründet weitere Dokumentationspflichten. Insofern kann insb. das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 Satz 2, 92. Abs. 1 Satz 1, 106 SGB V) und die Sicherung der Qualität der Leistungserbringung (§§ 2 Abs. 1 Satz 3, 135 SGB V ff.) Grundlage weitergehender Dokumentationspflichten sein. Allgemein bestimmt § 294 SGB V als Pflichten der Leistungserbringer:
Die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und die übrigen Leistungserbringer sind verpflichtet, die für die Erfüllung der Aufgaben der Krankenkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigungen notwendigen Angaben, die aus der Erbringung, der Verordnung sowie der Abgabe von Versicherungsleistungen entstehen, aufzuzeichnen und gemäß den nachstehenden Vorschriften den Krankenkassen, den Kassenärztlichen Vereinigungen oder den mit der Datenverarbeitung beauftragten Stellen mitzuteilen.

Der Umfang der Aufzeichnungsflicht nach § 294 ist zu unterscheiden und kann wegen der unterschiedlichen Regelungszwecke (einerseits versicherungsrechtliche Zwecke wie Abrechnung, Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfung - anderseits berufsrechtliche Zwecke der fachlich qualifizierten Behandlung der Patienten) abweichen von berufsrechtlich vorgeschriebenen Aufzeichnungs- oder Dokumentationspflichten (vgl. Kranig in: Hauck/Noftz, SGB, 12/07, § 294 SGB V, Rdnr. 7; Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 294 SGB V, Rdnr. 10; Hess in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 92. EL Dezember 2016, Rdnr. 3). Bei den in § 294 SGB V genannten "Angaben" handelt es sich u. a. um Sozialdaten i. S. v. § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB X, die im Zusammenhang mit der Erbringung, der Verordnung oder der Abgabe von Versicherungsleistungen anfallen. Hierbei handelt es sich um die Angaben, die von den Krankenkassen zur Erfüllung der in § 284 SGB V genannten Aufgaben oder von den Kassenärztlichen Vereinigungen für die in § 285 SGB V genannten Aufgaben benötigt werden. Konkretisiert werden die notwendigen Angaben für die jeweiligen Leistungserbringer in den §§ 295 ff. SGB V (vgl. Didong in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 294 SGB V, Rdnr. 8). Nach § 284 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen die Krankenkassen Sozialdaten für Zwecke der Krankenversicherung nur erheben und speichern, soweit diese erforderlich sind u. a. für die Prüfung der Leistungspflicht und der Erbringung von Leistungen an Versicherte einschließlich der Voraussetzungen von Leistungsbeschränkungen, die Bestimmung des Zuzahlungsstatus und die Durchführung der Verfahren bei Kostenerstattung, Beitragsrückzahlung und der Ermittlung der Belastungsgrenze (Nr. 4) und die Überwachung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung (Nr. 9).

Nach § 295 Abs. 1 SGB V gilt für die Abrechnung ärztlicher Leistungen eine Verpflichtung der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen, an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen aufzuzeichnen und zu übermitteln, u. a.
2. in den Abrechnungsunterlagen für die vertragsärztlichen Leistungen die von ihnen erbrachten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung, bei ärztlicher Behandlung mit Diagnosen, bei zahnärztlicher Behandlung mit Zahnbezug und Befunden,
3. in den Abrechnungsunterlagen sowie auf den Vordrucken für die vertragsärztliche Versorgung ihre Arztnummer, in Überweisungsfällen die Arztnummer des überweisenden Arztes sowie die Angaben nach § 291 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 maschinenlesbar.

§ 291 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 SGB V bezieht sich auf die elektronische Gesundheitskarte als Versicherungsnachweis und die darin normierten - hier unerheblichen - personenbezogenen Daten des Versicherten. § 295 Abs. 3 SGB V ermächtigt die Bundesmantelvertragsparteien und den Bewertungsausschuss zu weitergehenden Regelungen. Danach vereinbaren die Vertragsparteien der Verträge nach § 82 Abs. 1 und § 87 Abs. 1 als Bestandteil dieser Verträge das Nähere über
1. Form und Inhalt der Abrechnungsunterlagen für die vertragsärztlichen Leistungen,
2. Form und Inhalt der im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung erforderlichen Vordrucke,
3. die Erfüllung der Pflichten der Vertragsärzte nach Absatz 1,
4. die Erfüllung der Pflichten der Kassenärztlichen Vereinigungen nach Absatz 2, insbesondere auch Form, Frist und Umfang der Weiterleitung der Abrechnungsunterlagen an die Krankenkassen oder deren Verbände,
5. Einzelheiten der Datenübermittlung einschließlich einer einheitlichen Datensatzstruktur und der Aufbereitung von Abrechnungsunterlagen nach den §§ 296 und 297.

Nach § 57 Abs. 1 Bundesmantelvertrag (BMV-Ä) hat der Vertragsarzt die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter Weise zu dokumentieren. Besondere Dokumentationsanforderungen für Verordnung von veranlassten Leistungen bestimmt § 25a BMV-Ä:
(1) Näheres über die Verordnung von Krankenhausbehandlung, häuslicher Krankenpflege, spezialisierter ambulanter Palliativversorgung, Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln, medizinischer Rehabilitation, Soziotherapie und Krankentransport (veranlasste Leistungen) bestimmen die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses.
(2) Die Verordnung von veranlassten Leistungen ist auf den jeweils dafür vorgesehenen Vordrucken gemäß der Vordruckvereinbarung (Anlage 2 dieses Vertrages) vorzunehmen. Die gilt auch, wenn der Versicherte die ärztlichen Leistungen im Wege der Kostenerstattung erhält.

§ 34 Abs. 1 BMV-Ä bestimmt für Vordrucke:
(1) Abrechnungs- und Verordnungsvordrucke sowie Vordrucke für schriftliche Informationen werden als verbindliche Muster in der Vordruckvereinbarung (Anlage 2) festgelegt. Gegenstand der Vordruckvereinbarung sind auch die Erläuterungen zur Ausstellung der Vordrucke. Die Vordrucke können gemäß der Vereinbarung über den Einsatz des Blankoformularbedruckungs-Verfahrens zur Herstellung und Bedruckung von Vordrucken für die vertragsärztliche Versorgung (Anlage 2a) mittels zertifizierter Software und eines Laserdruckers vom Vertragsarzt selbst in der Praxis erzeugt werden.

Nach Abschnitt 2.16 Muster 16: Arzneiverordnungsblatt der Vordruck-Vb (Anl. 2 zum BMV-Ä) ist für die Verordnung von Arznei- und Verbandmitteln sowie Hilfsmitteln mit Ausnahme von Sehhilfen und Hörhilfen das anliegende Muster 16 zu verwenden. Muster 16 sieht keine besonderen Angaben oder Begründungen vor. Dies folgt auch aus den gleichfalls verbindlichen Erläuterungen. Die Erläuterungen zur Vereinbarung über Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung, Stand: Januar 2017, die insofern unverändert im hier strittigen Zeitraum formuliert waren, bestimmen zu Muster 16:
Arzneiverordnungsblatt unter Nr. 17:
Das Feld "Begründungspflicht" ist zurzeit nicht besetzt und wird vorerst zur Kennzeichnung von zahnärztlichen Verordnungen verwendet.

Damit fehlte es auch bereits vor der Änderung der Arzneimittelrichtlinie an einer Pflicht zur Kundgabe der Begründung nach § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V (so auch SG Dresden, Urt. v. 27.02.2013 - S 18 KA 141/11 - juris Rdnr. 49; LSG Sachsen, Urt. v. 10.12.2014 L 8 KA 15/13 - juris Rdnr. 49). Weder das Gesetz noch der Bundesmantelvertrag noch die Vordruckvereinbarung sahen (und sehen) eine solche Verpflichtung vor. Maßgebend ist allein, dass der Vertragsarzt aufgrund der gesetzlichen und bundesmantelvertraglichen Anforderungen, zu denen auch die Vorgaben der Arzneimittelrichtlinie gehören, seine ausnahmsweise Therapieentscheidung begründet und dies in seinen Aufzeichnungen, d. h. der Patientendokumentation, festhält.

Bereits die gesetzliche Vorgabe einer Begründung in § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V bedeutet, dass die Angabe der bloßen Diagnose und der Verordnungsentscheidung selbst nicht ausreichen. So verlangt § 10 Abs. 1 Satz 2 AM-RL, dass die Therapieentscheidung nach den Vorgaben der Übersicht nach § 16 Abs. 3 zu dokumentieren ist, soweit die Verordnung von Arzneimitteln oder bei Arzneimittelgruppen die Verordnung für einzelne Arzneimittel aufgrund der jeweils genannten Ausnahmetatbestände zulässig ist. Nach § 16 Abs. 5 AM-RL kann die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt die nach den Absätzen 1 und 2 in ihrer Verordnung eingeschränkten und von der Verordnung ausgeschlossenen Arzneimittel ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Damit verlangt die Arzneimittelrichtlinie, anders als z. B. für die in der Anlage I aufgeführten Indikationsgebiete, bei denen zur Begründung der Verordnung lediglich die zugrunde liegende Diagnose in der Patientendokumentation aufzuzeichnen ist (§ 12 Abs. 6 Satz 2 AM-RL; siehe auch § 12 Abs. 9 AM-RL), eine über die Angabe der Diagnose hinausgehende Begründung für die Verordnungsentscheidung in der Dokumentation.

Auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts betrifft § 10 AM-RL nicht allgemeine Dokumentationspflichten des Vertragsarztes, sondern regelt speziell die Dokumentation in den Ausnahmefällen. Für diese gilt, dass ein medizinisch begründeter "Einzelfall" nicht nur objektiv gegeben sein, sondern auch dokumentiert sein muss. Bei der Dokumentation handelt es sich um eine formelle Anforderung hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Ausnahmefalls (vgl. BSG, Urt. v. 02.07.2014 B 6 KA 25/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 45, juris Rdnr. 24 und 29). Nach dem Bundessozialgericht soll es nicht darauf ankommen, ob der Vertragsarzt sich selbst gegenüber der Prüfungsstelle auf die Ausnahmebestimmung beruft. Maßgeblich ist allein, ob er die erforderliche Begründung seiner Verordnungen gegeben hat. Wenn die umstrittenen Verordnungen objektiv von einem Ausnahmetatbestand erfasst werden und der Vertragsarzt - gleichgültig aus welchen Gründen - auch den formellen Anforderungen dieses Tatbestandes - insb. im Hinblick auf die Begründung seiner Verordnungen - entsprochen hat, scheitert die Berücksichtigung dieses Umstandes im gerichtlichen Verfahren nicht von vornherein daran, dass der Vertragsarzt den Ausnahmetatbestand nach seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren gar nicht gekannt hat (vgl. BSG, Urt. v. 02.07.2014 - B 6 KA 25/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 45, juris Rdnr. 28 f.; vgl. auch SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 33).

Eine nachträglich angefertigte Einzelfallbegründung genügt dem Begründungserfordernis nicht. Bei der Begründungspflicht handelt es sich um eine Dokumentationsobliegenheit. Die Dokumentation der medizinischen Begründung soll zum einen den Prüfgremien ermöglichen, die Einhaltung der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V zu kontrollieren und so einer Umgehung des grundsätzlichen Verordnungsausschlusses in der Arzneimittelrichtlinie entgegenzuwirken. Zum anderen dient die Begründung der Verordnung aber auch der Selbstkontrolle des behandelnden Arztes, um in den zugelassenen Ausnahmefällen eine strenge Indikationsstellung zu gewährleisten (vgl. SG Dresden, Urt. v. 27.02.2013 - S 18 KA 141/11 - juris Rdnr. 48 f.; SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 24;

Wegen der Beweis- und Warnfunktion der Begründung muss diese jedoch im zeitlichen Zusammenhang mit der Verordnung dokumentiert sein, eine erst mit erheblichem zeitlichem Abstand im Nachhinein angefertigte Begründung genügt nicht. Zu dokumentieren sind die Umstände, aus denen der Arzt den Schluss zieht, dass die für den Verordnungsausschluss in der Arzneimittelrichtlinie tragenden Erwägungen im konkreten Einzelfall nicht eingreifen. Formeller Maßstab für eine ausreichende Dokumentation ist der Verständnishorizont eines Fachkollegen. Spätere Erläuterungen oder Zusammenfassungen, um die Nachvollziehbarkeit der Dokumentation in der Patientenakte für die fachkundigen Prüfgremien zu erleichtern, können zwar auch noch nachträglich angefertigt und im Prüfungsverfahren vorgelegt werden. Sie können die zeitnahe und vollständige Dokumentation der für die Anerkennung einer Einzelfallindikation ausschlaggebenden Gründe jedoch nicht ersetzen. Es müssen sich die für die medizinische Begründung der Verordnung im Einzelfall ausreichenden Angaben zum bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlauf sowie den Behandlungsalternativen ergeben (vgl. SG Dresden, Urt. v. 27.02.2013 - S 18 KA 141/11 - juris Rdnr. 52 f.; SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 24; LSG Sachsen, Urt. v. 10.12.2014 - L 8 KA 15/13 - juris Rdnr. 49; LSG Bayern, Urt. v. 02.03.2016 - L 12 KA 107/14 - juris Rdnr. 23 f.). Bei einem auf Dauer verschriebenen Arzneimittel genügt die Dokumentation der Gründe zu Beginn der Behandlung, wenn diese Gründe im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Verordnungen noch fortwirkten (vgl. SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 38). Die Begründung muss sich insb. auf die Auswahl des grundsätzlich ausgeschlossenen Arzneimittels unter den in Betracht kommenden Behandlungsalternativen erstrecken, wenn auch verordnungsfähige oder von vornherein nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel in Betracht kommen (vgl. LSG Bayern, Urt. v. 02.03.2016 - L 12 KA 107/14 - juris Rdnr. 23 f.). Aus der Dokumentation muss hervorgehen, welche zusätzlichen Komplikationen und Risiken bestehen, die Anlass sind, nicht andere verfügbare Arzneimittel zu verordnen (vgl. Clemens in jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 106, Rdnr. 124).

Eine zeitnah angelegte Dokumentation wurde im Prüfverfahren nicht vorgelegt. Zu berücksichtigen sind aber auch die im Gerichtsverfahren nachgereichten Dokumentationen.

Soweit die Kammer früher die Auffassung vertreten hat, es komme wesentlich auf die Angaben bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens an (vgl. zuletzt Urt. v. 07.09.2016 - S 12 KA 188/16 -, Berufung anhängig: LSG Hessen - L 4 KA 59/16 -; Urt. v. 07.09.2016 - S 12 KA 167/16 -), so hält sie an dieser Auffassung nicht mehr fest (vgl. bereits SG Marburg, Urt. v. 13.09.2017 - S 12 KA 810/16 - juris Rdnr. 57; 13.09.2017 S 12 KA 349/16, juris Rdnr. 80).

Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeitsprüfverfahren vor dem Beschwerdeausschuss begründet das Bundessozialgericht den Einwendungsausschluss des Vertragsarztes im gerichtlichen Verfahren damit, dass die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise eines Arztes sachverständigen Ausschüssen übertragen wird. Den Gerichten ist es zudem grundsätzlich verwehrt, eine umfassende Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen; ihnen obliegt lediglich die Kontrolle, ob die - im Rahmen des Beurteilungs- und Ermessensspielraums getroffenen - Entscheidungen der Prüfungsausschüsse mit Gesetz und Recht in Einklang stehen. Den Prüfungsausschüssen kann aber eine unvollständige Berücksichtigung des Sachverhalts nicht vorgeworfen werden, soweit entscheidungserhebliche Umstände nur dem Vertragsarzt bekannt sind, von diesem aber nicht im Prüfverfahren geltend gemacht werden (vgl. BSG, Urt. v. 20.09.1988 - 6 RKa 22/87 - SozR 2200 § 368n Nr. 57, juris Rdnr. 33).

Für die Verfahren, in denen die Prüfungsstelle abschließend zuständig ist, kommt ihr weder ein Beurteilungs- noch ein Ermessensspielraum zu, auch handelt es sich nicht um ein fachlich besetztes Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung, das zudem mit unterschiedlichen Interessenvertretern besetzt ist. Die Prüfungsstelle ist eine monokratische Behörde (§ 106c Abs. 3 SGB V n. F. bzw. § 106 Abs. 4a SGB V a. F.). Die Prüfungsstelle hat in diesen Verfahren keinen Beurteilungsspielraum. Sie entscheidet nur bei Leistungen, die aufgrund rechtlicher Vorschriften ausgeschlossen sind (§ 106c Abs. 3 Satz 6 SGB V n. F. bzw. § 106 Abs. 5 Satz 8 SGB V a. F.). Die abschließende Entscheidungskompetenz der Prüfungsstelle ist auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergibt (BSG, Urt. v. 02.07.2014 - B 6 KA 25/13 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 45, juris Rdnr. 16). Von daher ist kein Grund ersichtlich, abweichend von allgemeinen Verfahrensanforderungen den Vertragsarzt auf seinen Sachvortrag vor der Prüfungsstelle zu beschränken (vgl. zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung LSG Hessen, Urt. v. 20.03.2013 - L 4 KA 60/10 - juris Rdnr. 30 f.; LSG Hessen, Urt. v. 27.05.2015 - L 4 KA 50/12 - juris Rdnr. 174, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.03.2016 - B 6 KA 60/15 B - BeckRS 2016, 68302; SG Marburg, Urt. v. 18.03.2015 - S 12 KA 616/14 - juris Rdnr. 30 f.).

Soweit das Bundessozialgericht in Bezug auf Mitwirkungspflichten des Vertragsarztes in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht zwischen der Prüfungsstelle und dem Beschwerdeausschuss unterscheidet, sondern hinsichtlich der Darlegungsobliegenheiten des Vertragsarztes davon ausgeht, dass die erforderlichen Darlegungen grundsätzlich "gegenüber den Prüfgremien" (und nicht erst im nachfolgenden Gerichtsverfahren) zu erfolgen haben (vgl. BSG, Urt. v. 28.08.2013 - B 6 KA 46/12 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 42 juris Rdnr. Rdnr. 32 mit Hinweis auf BSG, Urt. v. 21.03.2012 - B 6 KA 17/11 - SozR 4-2500 § 106 Nr. 3, juris Rdnr. 41, zu Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflicht vgl. Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB, 08/14, § 106 SGB V, Rdnr. 543 ff.), beziehen sich diese Ausführungen nicht auf das einstufige Verwaltungsverfahren. Der Einwendungsausschluss für das gerichtliche Verfahren gilt auch nur für solche Umstände, die sich aus der Atypik der Praxis ergeben, aus der Sicht des Arztes auf der Hand liegen und den Prüfgremien nicht ohne Weiteres an Hand der Verordnungsdaten und der Honorarabrechnung bekannt sind oder sein müssen. Nicht gefordert werden können von einem Arzt hingegen Einwände, die das Prüfungsverfahren selbst betreffen, also etwa Bedenken gegen die Größe und richtige Zusammensetzung der Vergleichsgruppe. Dasselbe gilt für Aspekte, die auf der Basis der im Prüfverfahren vorliegenden Unterlagen so offenkundig sind, dass die Gremien dem schon von Amts wegen nachgehen müssen bzw. die anhand der bei der Kassenärztlichen Vereinigung vorhandenen Unterlagen oder den Angaben des Arztes zumindest erkennbar sind. So muss ein Arzt im Rahmen einer statistischen Vergleichsprüfung der veranlassten Leistungen der physikalischen Therapie nicht um den Preis einer Präklusion von sich aus darauf hinweisen, wenn in seiner Praxis physikalisch-medizinische Leistungen nicht oder nur unterdurchschnittlich erbracht werden (vgl. BSG, Urt. v. 21.03.2012 - B 6 KA 17/11 - SozR 4-2500 § 106 Nr. 3, juris Rdnr. 42 f.). Liegen besondere offenkundige Anhaltspunkte vor, so müssen die Prüfgremien diese auch ohne besonderen Hinweis aufgreifen (BSG, Urt. v. 27.06.2001 - B 6 KA 66/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 53, juris Rdnr. 28). Besteht allerdings Anlass zu der Annahme, dass der Vertragsarzt seinen bisherigen Vortrag ergänzen kann, so müssen die Prüfgremien ihm dazu Gelegenheit geben. In einem solchen Fall empfiehlt es sich, dem Kassenarzt zur Ergänzung seines Vortrages eine Frist zu setzen und ihn darauf hinzuweisen, dass nach Ablauf der Frist entschieden wird und ein späteres Vorbringen keine Berücksichtigung mehr findet (vgl. BSG, Urt. v. 20.09.1988 - 6 RKa 22/87 - SozR 2200 § 368n Nr. 57, juris Rdnr. 34).

Für den Nachweis der Begründung kann die maßgebliche Dokumentation in den Krankenunterlagen auch noch im Laufe des gerichtlichen Verfahrens vorgelegt werden, ohne mit diesem Sachvortrag präkludiert zu sein. Zu unterscheiden ist der Zeitpunkt der Anfertigung der Dokumentation vom Zeitpunkt der Vorlage (vgl. SG Dresden, Urt. v. 25.11.2015 - S 18 KA 210/11 - juris Rdnr. 30 f.; siehe auch LSG Bayern, Urt. v. 02.03.2016 - L 12 KA 107/14 - juris Rdnr. 25). Hinsichtlich der Begründungspflicht kommt es wesentlich auf die ausreichende Niederlegung in der Dokumentation an. Dies hat die Prüfungsstelle grundsätzlich im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zu überprüfen. Reicht der Vertragsarzt trotz Anfrage der Prüfungsstelle die Dokumentation nicht ein, so läuft er Gefahr, mit einem Verordnungsregress belastet zu werden. Reicht der Vertragsarzt die Dokumentation erst im anschließenden Gerichtsverfahren ein, so kann er mit den Verfahrenskosten belastet werden (§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 156 VwGO).

Die Klägerin hat auch im Gerichtsverfahren keine Patientendokumentation vorgelegt. Sie hat auch nicht zeitnah erstellte ergänzende Dokumentationsunterlagen wie eigene Arztbriefe oder Bescheinigungen vorgelegt. Bereits von daher fehlt es an einer Begründung für den Ausnahmefall.

Von daher kann dahingestellt bleiben, ob im strittigen Behandlungsfall die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall vorlagen oder nicht. Insgesamt hat die fachkundig mit einer hausärztlich tätigen Ärztin besetzte Kammer im Übrigen den Eindruck gewonnen, dass das strittige Arzneimittel nicht als Mittel der letzten Wahl in einem Ausnahmefall verordnet worden ist. Die Beklagte hat eine Reihe von Alternativtherapien genannt, die noch in Betracht gekommen wären.

Eine verpflichtende vorherige Beratung vor Festsetzung eines Regresses war nicht erforderlich.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, von der abzuweichen die Kammer hier keine Veranlassung sieht, ist die Festsetzung eines Regresses nicht davon abhängig, dass die Prüfgremien die Klägerin zuvor über die Unwirtschaftlichkeit ihrer Verordnungsweise beraten haben (vgl. BSG, Urt. v. 15.08.2012 - B 6 KA 45/11 R - juris Rdnr. 12). Soweit in § 106 Abs. 5e Satz 2 SGB V a. F. in der ab dem 01.01.2012 geltenden Fassung des GKV-VStG vom 22.12.2011 (BGBl I 2983) bestimmt ist nunmehr für alle Verfahren, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren (Gesetz v. 19.10.2012, BGBl. I 2192) -, die Festsetzung von Erstattungsbeträgen bei Überschreitung des Richtgrößenvolumens (§ 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V a. F.) könne erst für Zeiträume nach einer individuellen Beratung erfolgen, findet diese Regelung hier bereits aus sachlichen Gründen keine Anwendung. Die Abs. 5a und 5c bis 5e des § 106 SGB V a. F. befassen sich allein mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Überschreitung von Richtgrößenvolumina i. S. des § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V a. F. und finden auf andere Prüfungen keine Anwendung. Auch nach der Neufassung der §§ 106 ff. SGB V zum 01.01.2017 durch Art. 2 Nr. 6 bis 8 GKV-VSG, gilt der Grundsatz "Beratung vor Regress" nur bei statistischen Prüfungsmethoden (§ 106b Abs. 2 S. 3 SGB V).

Weitergehende Ausnahmeregelungen sind nicht ersichtlich. Auf Vertrauensschutz kann die Klägerin sich nicht berufen, da weder die Prüfungsstelle noch die Beigeladene in der Vergangenheit die strittige Verordnungsweise gutgeheißen haben.

Auf ein Verschulden der Klägerin kommt es nicht an.

Das Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfungen ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass es auf ein "Verschulden" des betroffenen Arztes bzw. auf eine besondere Vorwerfbarkeit für die festgestellte unwirtschaftliche Behandlungsweise - anders als z. B. im Falle eines echten Schadensregresses - nicht ankommt. So führt selbst die fehlerhafte ärztliche Verordnung von Mitteln, die nicht der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung unterfallen, im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen zu Ersatzansprüchen gegen den Vertragsarzt, und zwar auch dann, wenn er in "gutem Glauben" von ihrer Verordnungsfähigkeit ausging (vgl. BSG, Urt. v. 21.05.2003 - B 6 KA 32/02 R -SozR 4-2500 § 106 Nr. 1, juris Rdnr. 36; BSG, Urt. v. 14.03.2001 -B 6 KA 19/00 R - a.a.O., juris Rdnr. 15). Ist einem Vertragsarzt eine unwirtschaftliche Verordnungsweise anzulasten, so ist ein Regress gegen ihn berechtigt, wobei dieser in Höhe des der Krankenkasse entstandenen Schadens festzusetzen ist. Ein Verschuldenserfordernis besteht im Rahmen von Honorarkürzungen oder Verordnungsregressen gemäß § 106 SGB V nicht (vgl. BSG, Urt. v. 05.11.2008 - B 6 KA 63/07 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 21, juris Rdnr. 28 m. w. N.). Im Übrigen schließt eine Unkenntnis vom Verordnungsausschluss ein Verschulden nicht aus. Jeder Arzt ist für seine Verordnungen selbst verantwortlich. Von daher ist es unerheblich, ob er lediglich eine von anderen Ärzten vorgeschlagene oder verordnete Medikation fortführt.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung war zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür vorliegen (§ 144 SGG).
Rechtskraft
Aus
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