Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 15 R 271/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 272/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Der Bescheid der Beklagten vom 10.8.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.5.2013 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte hat dem Kläger seine zur zweckgerichteten Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlungsverpflichtung des Klägers auf eine Rückforderung der Beklagten gegenüber dessen verstorbener Ehefrau.
Mit Bescheid vom 16.11.2011 hob die Beklagte gegenüber der Ehefrau des Klägers, Frau D. A., den Bescheid vom 27.7.1998 teilweise auf und forderte die Erstattung einer Überzahlung von Sozialleistungen in Höhe von 2.292,41 Euro. Mit Mahnschreiben vom 9.1.2011 verlangte die Beklagte zudem eine Mahngebühr in Höhe von 11,75 Euro.
Die Ehefrau des Klägers verstarb am xx.xxx.2012. Mit Schreiben vom 11.7.2012 hörte die Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Forderungserhebung gegenüber ihm an.
Der Kläger übersandte daraufhin unter anderem das durch den Notar Dr. E. am 21.6.2012 beurkundete Nachlassinventar, das einen Wert des Nachlasses in Höhe von 1.887,18 Euro und dem gegenüberstehende Beerdigungskosten in Höhe von 11.099,19 Euro ausweist.
Mit Bescheid vom 10.8.2012 verlangte die Beklagte vom Kläger die Erstattung der Gesamtforderung gegen seine verstorbene Ehefrau in Höhe von 2.304,16 Euro.
Hiergegen erhob der Kläger am 3.9.2012 durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch. Darin heißt es unter anderem "Vorsorglich wird hiermit die Dürftigkeitseinrede gem. § 1990 BGB erhoben."
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2.5.2013, der am 7.12.2013 zugestellt wurde, zurück.
Der Kläger hat am 27.12.2013 Klage erhoben. Er verweist vor allem auf die Überschuldung des Nachlasses.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.8.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.5.2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid, verweist darauf, dass ein Nachlassinsolvenzverfahren nicht eingeleitet worden sei und meint, der Kläger habe den Beweis über eine Unzulänglichkeit des Nachweises nicht erbracht.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Aufgrund von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG angehört.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgemäß erhoben und das Sozialgericht Marburg ist örtlich zuständig.
Die Klage ist auch begründet. Denn der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Es fehlt der Beklagten nämlich an einer Rechtsgrundlage, vom Kläger die Zahlung der bestandskräftigten Forderung gegen dessen verstorbene Ehefrau zu verlangen, weil er für diese Forderung nicht haftet.
Nach § 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten. Zu diesen Verbindlichkeiten gehören gem. Abs. 2 der Vorschrift unter anderem die Schulden des Erblassers. Um solche handelt es sich bei der hier streitgegenständlichen Forderung der Beklagten.
Der Kläger hat seine Haftung allerdings gem. § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Dieser Vorschrift zufolge kann der Erbe die Befriedigung eines Nachlassgläubigers insoweit verweigern, als der Nachlass nicht ausreicht, wenn die Anordnung der Nachlassverwaltung oder die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens wegen Mangels einer den Kosten entsprechenden Masse nicht tunlich ist oder aus diesem Grunde die Nachlassverwaltung aufgehoben oder das Insolvenzverfahren eingestellt wird. Hierbei handelt es sich um eine die Durchsetzbarkeit des Anspruches hemmende zivilprozessuale Einrede.
Diese kann nicht eins zu eins auf das sozialgerichtliche Verfahren übertragen werden, weil Einreden im rechtstechnischen Sinne hier keine Anwendung finden. Die Dürftigkeit des Nachlasses muss jedoch auch hier Berücksichtigung finden können, wenn sich der Erbe darauf beruft (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil v. 20.5.2003, L 15 BL 4/00; vgl. für das verwaltungsgerichtliche Verfahren BVerwG, Urteil v. 09.01.1963, 5 C 74/62; VGH Mannheim, Urteil v. 31.07.1985, 6 S 2606/83; VG Sigmaringen, Urteil v. 18.9.2003, 8 K 1441/01). Die zivilrechtlichen Grundsätze der erbrechtlichen Haftungsregelungen können nämlich nicht ihre Geltung dadurch verlieren, dass einzelne Verbindlichkeiten Ihren Ursprung im öffentlichen Recht haben und deshalb nicht die ordentliche Gerichtsbarkeit prozessual zuständig für die Beurteilung der konkreten Haftungsfrage ist.
Mangels unmittelbarer Anwendbarkeit der §§ 305, 780 Abs. 1 ZPO und der Tatsache, dass im Sozialverwaltungs- und Sozialgerichtsverfahren nicht erst das Urteil, sondern bereits der Verwaltungsakt einen Vollstreckungstitel darstellt, darf bereits ein Rückforderungsbescheid gegen den Erben nicht ergehen, wenn im Nachlass kein Vermögensbestand vorhanden ist und der Erbe sich hierauf beruft (vgl. VG Sigmaringen aaO). Demzufolge hat die jeweilige Behörde einer vom Erben dargelegten Dürftigkeit des Nachlasses nachzugehen und diese ggf. bei ihrer Entscheidung dergestalt zu berücksichtigen, dass sie die Haftung des Erben durch entsprechende Ausgestaltung des Leistungsbescheides auf den Nachlass beschränkt.
Das Gericht hatte vorliegend zu prüfen, ob die Beklagte die im Widerspruchsverfahren erhobene Dürftigkeitseinrede berücksichtigt hat und falls nein, ob dies rechtmäßig war. Dabei bedarf die Berücksichtigung der Dürftigkeitseinrede auch im sozialgerichtlichen Verfahren prozessualer Anpassung. Abweichend von der zivilprozessualen Konstellation ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung bei der (sozialgerichtlichen) Anfechtungsklage nach allgemeiner Auffassung nicht der Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung (so im Zivilprozess, vgl. etwa Müko-BGB/Küpper, 6. Auflage 2013, § 1990 Rz. 4), sondern die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. – wenn, wie hier, ergangen – des Widerspruchsbescheides (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BSGE 85, 98; BSG, Urteil v. 22. 9. 2009, B 2 U 32/08 R).
Diese gerichtliche Prüfung gelangt zum Ergebnis, dass die Beklagte zu Unrecht die Dürftigkeitseinrede des Klägers im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt gelassen hat.
Der Kläger erhob spätestens mit seinem Widerspruch ausdrücklich die Dürftigkeitseinrede. Bereits im Rahmen seiner Anhörung reichte er bei der Beklagten ein notariell beurkundetes Inventarverzeichnis ein, aus dem die Unzulänglichkeit des Nachlasses ersichtlich wurde. Wie aus der Begründung des Widerspruchsbescheids und dem Verteidigungsvorbringen im Klageverfahren deutlich wird, vertritt die Beklagte die Rechtsauffassung, der Kläger habe nicht den Beweis der Dürftigkeit des Nachlasses erbracht.
Im Zivilprozess gilt hierzu, dass der Erbe die Tatbestandsvoraussetzungen nachzuweisen hat. Er kann dies tun, indem er (förmlich) ein Inventar nach § 2009 BGB errichtet. Tut er dies, kann er sich gemäß vorgenannter Vorschrift gegenüber dem Nachlassgläubiger auf die Vermutung berufen, dass im Zeitpunkt des Erbfalls weitere Nachlassgegenstände nicht vorhanden waren; der Nachlassgläubiger müsste diese Vermutung dann nach zivilprozessualen Grundsätzen widerlegen. Vorliegend wurde das Inventar nicht gem. § 1993 BGB durch Einreichung beim zuständigen Nachlassgericht formwahrend (vgl. hierzu etwa OLG Hamm, NJW 1962, 53, 53) errichtet, sondern lediglich gem. § 2002 BGB aufgenommen.
Jedoch verlangt § 1990 BGB zum Nachweis nicht die förmliche Errichtung des Inventars. Das Gesetz nennt keine Beweisanforderungen, so dass dieser Nachweis im Zivilprozess grundsätzlich mit allen zulässigen zivilrechtlichen Beweismitteln erbracht werden kann. Aber auch bei der Beweisführung muss eine Anpassung an die Gegebenheiten des Sozialverwaltungsverfahrens erfolgen. Es existiert keine Rechtsgrundlage dafür, dass dem Betroffenen bei dieser Frage der Dürftigkeit des Nachlasses weiterreichenden Beweishürden auferlegt werden, als dies bei anderen im Sozialverwaltungsverfahren darzulegenden Tatsachen der Fall ist. Es gelten deshalb die allgemeinen Grundsätze des Sozialverwaltungsverfahrens.
Nach § 20 Abs. 1 SGB X ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen, ohne an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Dabei hat sie nach Abs. 2 alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Nach § 21 Abs. 1 SGB X bedient sie sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält und kann unter anderem Auskünfte jeder Art einholen, Beteiligte anhören, Zeugen vernehmen oder die schriftliche oder elektronische Äußerung von Beteiligten und Zeugen einholen, Urkunden und Akten beiziehen. § 21 Abs. 2 SGB X legt dabei den Beteiligten Mitwirkungspflichten auf.
Bereits die Übersendung der Kopie des notariell aufgenommenen Nachlassverzeichnisses (Bl. 326 der Verwaltungsakte) genügte vorliegend als Nachweis über die Dürftigkeit des Nachlasses. Selbst für den Zivilprozess wird in der Literatur vereinzelt bereits die "Anfertigung" eines Inventars (womit "Aufnahme" gemeint sein dürfte) nach § 2002 BGB als ausreichend für den Nachweis angesehen (vgl. Ermann BGB/Peter, 13. Auflage 2011, § 1990 Rdnr. 1). Übertragen auf das Sozialverwaltungsverfahren ist nicht erkennbar, welche weiteren Dokumente der Kläger unaufgefordert hätte beibringen sollen.
Die weitere tatbestandliche Voraussetzung des § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB, nämlich die Untunlichkeit der Anordnung der Nachlassverwaltung bwz. die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens wegen Mangels einer den Kosten entsprechenden Masse, sind gegeben, weil der Nachlass unzulänglich war. Denn dem Nachlasswert von 1.887,18 Euro standen Beerdigungskosten in Höhe von 11.099,19 Euro gegenüber. Gegen die vorrangige eigene Befriedigung des Klägers hinsichtlich der Beerdigungskosten bestehen im Übrigen keine Bedenken (vgl. hierzu etwa Ermann BGB/Westermann, 13. Auflage 2011, § 1991 Rz.1).
Nach Aktenlage sind auch keine Gründe erkennbar, die gem. § 2013 Abs. 1 BGB die Dürftigkeitseinrede ausschließen und zur unbeschränkten Haftung Erbenhaftung des Klägers führen würden. Insbesondere scheidet die Versäumung einer Inventarfrist mit der Folge des § 1994 Abs. 1 Satz 2 BGB aus, weil vom Nachlassgericht vorliegend keine Inventarfrist gesetzt wurde.
Im Übrigen ist der angegriffene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aber selbst unter der hypothetischen Annahme rechtswidrig, dass die Vorlage des Inventarverzeichnisses nicht als Beweis ausreichend wäre.
In diesem Fall hätte die Beklagte nämlich Ihre Amtsermittlungspflicht gem. § 20 Abs. 1 SGB X vernachlässigt. Sie hätte, um ausdrücklich vom Nichtvorliegen der Dürftigkeit des Nachlasses ausgehen zu können, den Sachverhalt dahingehend ausermitteln müssen, ob die mit der Vorlage des Inventars einhergehende Behauptung entkräftet werden kann.
Falls sie die Auffassung vertrat, dass hier Mitwirkungspflichten des Klägers (über die Vorlage des Inventarverzeichnisses hinaus) bestehen, hätte sie ihn zu weiteren Beweisvorlagen auffordern können. Dies aber hat sie nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakte nicht getan und auch nach den gerichtlichen Hinweisen vom 16.4.2014 und 2.6.2014 nichts Gegenteiliges vorgetragen.
Die Beklagte forderte den Kläger zwar mit Schreiben vom 22.10.2012 auf, eine ergänzende Begründung vorzutragen. Wie die Erläuterung in diesem Schreiben und auch die Begründung des Widerspruchsbescheids zeigen, zielt diese Anforderung einer Begründung jedoch nicht auf weitere Nachweise im Hinblick auf die Dürftigkeit des Nachlasses, sondern allenfalls auf die Frage eines Nachlassinsolvenzverfahrens.
Es heißt im Schreiben vom 22.10.2012: "Sie wurden als Erbe nach den §§ 1922, 1967 Abs. 1 BGB in Anspruch genommen. Eine Beschränkung auf den Nachlass erfolgt nicht. Über die tatsächlichen Zahlungsmöglichkeiten wird nach Geltendmachung der Forderung entschieden. Wie bitten daher um ergänzende Begründung bis zum 19.11.2012.". Im Widerspruchsbescheid heißt es "Nach § 1967 BGB haftet der Erbe für Nachlassverbindlichkeiten. [ ...] Die Bedürftigkeitseinrede des § 1990 BGB greift im vorliegende Fall nicht, da nicht ersichtlich ist, dass ein Nachlassinsolvenzverfahren eingeleitet worden ist oder nicht."
Die Beklagte ging ersichtlich davon aus, dass die Nichteinleitung eines Nachlassinsolvenzverfahrens generell zu einem Ausschluss der Anwendung des § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB führt, was mit der zivilrechtlichen Bestimmung, wie oben ausgeführt, nicht in Einklang steht. Im Übrigen hätte die Beklagte dem Kläger gegenüber im Widerspruchsverfahren zumindest Angaben machen müssen, welche Dokumente nach ihrem Dafürhalten für einen Nachweis erbracht werden müssen.
Schließlich haftet der Kläger auch nicht mit seinem eigenen Vermögen, weil die Erhebung der Dürftigkeitseinrede zu einer Trennung zwischen Nachlass und Eigenvermögen des Erben führt (Beck-OK-BGB/Lohmann, Stand: 1.5.2014, § 1990 Rz. 2).
Eine persönliche Haftung des Klägers außerhalb erbrechtlicher Gesichtspunkte, die im Ergebnis zu einer berechtigten Forderung ihm gegenüber führen würde, ist ebenfalls nicht erkennbar.
Die sich aus der Anwendung von § 1990 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebende Rechtsfolge der Herausgabepflicht des Nachlasses durch den Kläger zum Zwecke der Befriedigung der Beklagten war nicht Regelungsgegenstand der Bescheide und bedarf daher keiner Erörterung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
2. Die Beklagte hat dem Kläger seine zur zweckgerichteten Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlungsverpflichtung des Klägers auf eine Rückforderung der Beklagten gegenüber dessen verstorbener Ehefrau.
Mit Bescheid vom 16.11.2011 hob die Beklagte gegenüber der Ehefrau des Klägers, Frau D. A., den Bescheid vom 27.7.1998 teilweise auf und forderte die Erstattung einer Überzahlung von Sozialleistungen in Höhe von 2.292,41 Euro. Mit Mahnschreiben vom 9.1.2011 verlangte die Beklagte zudem eine Mahngebühr in Höhe von 11,75 Euro.
Die Ehefrau des Klägers verstarb am xx.xxx.2012. Mit Schreiben vom 11.7.2012 hörte die Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Forderungserhebung gegenüber ihm an.
Der Kläger übersandte daraufhin unter anderem das durch den Notar Dr. E. am 21.6.2012 beurkundete Nachlassinventar, das einen Wert des Nachlasses in Höhe von 1.887,18 Euro und dem gegenüberstehende Beerdigungskosten in Höhe von 11.099,19 Euro ausweist.
Mit Bescheid vom 10.8.2012 verlangte die Beklagte vom Kläger die Erstattung der Gesamtforderung gegen seine verstorbene Ehefrau in Höhe von 2.304,16 Euro.
Hiergegen erhob der Kläger am 3.9.2012 durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch. Darin heißt es unter anderem "Vorsorglich wird hiermit die Dürftigkeitseinrede gem. § 1990 BGB erhoben."
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2.5.2013, der am 7.12.2013 zugestellt wurde, zurück.
Der Kläger hat am 27.12.2013 Klage erhoben. Er verweist vor allem auf die Überschuldung des Nachlasses.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.8.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.5.2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid, verweist darauf, dass ein Nachlassinsolvenzverfahren nicht eingeleitet worden sei und meint, der Kläger habe den Beweis über eine Unzulänglichkeit des Nachweises nicht erbracht.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der Behördenvorgänge sowie der Gerichtsakten. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe:
Aufgrund von § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG angehört.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgemäß erhoben und das Sozialgericht Marburg ist örtlich zuständig.
Die Klage ist auch begründet. Denn der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Es fehlt der Beklagten nämlich an einer Rechtsgrundlage, vom Kläger die Zahlung der bestandskräftigten Forderung gegen dessen verstorbene Ehefrau zu verlangen, weil er für diese Forderung nicht haftet.
Nach § 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten. Zu diesen Verbindlichkeiten gehören gem. Abs. 2 der Vorschrift unter anderem die Schulden des Erblassers. Um solche handelt es sich bei der hier streitgegenständlichen Forderung der Beklagten.
Der Kläger hat seine Haftung allerdings gem. § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Dieser Vorschrift zufolge kann der Erbe die Befriedigung eines Nachlassgläubigers insoweit verweigern, als der Nachlass nicht ausreicht, wenn die Anordnung der Nachlassverwaltung oder die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens wegen Mangels einer den Kosten entsprechenden Masse nicht tunlich ist oder aus diesem Grunde die Nachlassverwaltung aufgehoben oder das Insolvenzverfahren eingestellt wird. Hierbei handelt es sich um eine die Durchsetzbarkeit des Anspruches hemmende zivilprozessuale Einrede.
Diese kann nicht eins zu eins auf das sozialgerichtliche Verfahren übertragen werden, weil Einreden im rechtstechnischen Sinne hier keine Anwendung finden. Die Dürftigkeit des Nachlasses muss jedoch auch hier Berücksichtigung finden können, wenn sich der Erbe darauf beruft (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil v. 20.5.2003, L 15 BL 4/00; vgl. für das verwaltungsgerichtliche Verfahren BVerwG, Urteil v. 09.01.1963, 5 C 74/62; VGH Mannheim, Urteil v. 31.07.1985, 6 S 2606/83; VG Sigmaringen, Urteil v. 18.9.2003, 8 K 1441/01). Die zivilrechtlichen Grundsätze der erbrechtlichen Haftungsregelungen können nämlich nicht ihre Geltung dadurch verlieren, dass einzelne Verbindlichkeiten Ihren Ursprung im öffentlichen Recht haben und deshalb nicht die ordentliche Gerichtsbarkeit prozessual zuständig für die Beurteilung der konkreten Haftungsfrage ist.
Mangels unmittelbarer Anwendbarkeit der §§ 305, 780 Abs. 1 ZPO und der Tatsache, dass im Sozialverwaltungs- und Sozialgerichtsverfahren nicht erst das Urteil, sondern bereits der Verwaltungsakt einen Vollstreckungstitel darstellt, darf bereits ein Rückforderungsbescheid gegen den Erben nicht ergehen, wenn im Nachlass kein Vermögensbestand vorhanden ist und der Erbe sich hierauf beruft (vgl. VG Sigmaringen aaO). Demzufolge hat die jeweilige Behörde einer vom Erben dargelegten Dürftigkeit des Nachlasses nachzugehen und diese ggf. bei ihrer Entscheidung dergestalt zu berücksichtigen, dass sie die Haftung des Erben durch entsprechende Ausgestaltung des Leistungsbescheides auf den Nachlass beschränkt.
Das Gericht hatte vorliegend zu prüfen, ob die Beklagte die im Widerspruchsverfahren erhobene Dürftigkeitseinrede berücksichtigt hat und falls nein, ob dies rechtmäßig war. Dabei bedarf die Berücksichtigung der Dürftigkeitseinrede auch im sozialgerichtlichen Verfahren prozessualer Anpassung. Abweichend von der zivilprozessualen Konstellation ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung bei der (sozialgerichtlichen) Anfechtungsklage nach allgemeiner Auffassung nicht der Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung (so im Zivilprozess, vgl. etwa Müko-BGB/Küpper, 6. Auflage 2013, § 1990 Rz. 4), sondern die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes bzw. – wenn, wie hier, ergangen – des Widerspruchsbescheides (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BSGE 85, 98; BSG, Urteil v. 22. 9. 2009, B 2 U 32/08 R).
Diese gerichtliche Prüfung gelangt zum Ergebnis, dass die Beklagte zu Unrecht die Dürftigkeitseinrede des Klägers im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt gelassen hat.
Der Kläger erhob spätestens mit seinem Widerspruch ausdrücklich die Dürftigkeitseinrede. Bereits im Rahmen seiner Anhörung reichte er bei der Beklagten ein notariell beurkundetes Inventarverzeichnis ein, aus dem die Unzulänglichkeit des Nachlasses ersichtlich wurde. Wie aus der Begründung des Widerspruchsbescheids und dem Verteidigungsvorbringen im Klageverfahren deutlich wird, vertritt die Beklagte die Rechtsauffassung, der Kläger habe nicht den Beweis der Dürftigkeit des Nachlasses erbracht.
Im Zivilprozess gilt hierzu, dass der Erbe die Tatbestandsvoraussetzungen nachzuweisen hat. Er kann dies tun, indem er (förmlich) ein Inventar nach § 2009 BGB errichtet. Tut er dies, kann er sich gemäß vorgenannter Vorschrift gegenüber dem Nachlassgläubiger auf die Vermutung berufen, dass im Zeitpunkt des Erbfalls weitere Nachlassgegenstände nicht vorhanden waren; der Nachlassgläubiger müsste diese Vermutung dann nach zivilprozessualen Grundsätzen widerlegen. Vorliegend wurde das Inventar nicht gem. § 1993 BGB durch Einreichung beim zuständigen Nachlassgericht formwahrend (vgl. hierzu etwa OLG Hamm, NJW 1962, 53, 53) errichtet, sondern lediglich gem. § 2002 BGB aufgenommen.
Jedoch verlangt § 1990 BGB zum Nachweis nicht die förmliche Errichtung des Inventars. Das Gesetz nennt keine Beweisanforderungen, so dass dieser Nachweis im Zivilprozess grundsätzlich mit allen zulässigen zivilrechtlichen Beweismitteln erbracht werden kann. Aber auch bei der Beweisführung muss eine Anpassung an die Gegebenheiten des Sozialverwaltungsverfahrens erfolgen. Es existiert keine Rechtsgrundlage dafür, dass dem Betroffenen bei dieser Frage der Dürftigkeit des Nachlasses weiterreichenden Beweishürden auferlegt werden, als dies bei anderen im Sozialverwaltungsverfahren darzulegenden Tatsachen der Fall ist. Es gelten deshalb die allgemeinen Grundsätze des Sozialverwaltungsverfahrens.
Nach § 20 Abs. 1 SGB X ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen, ohne an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. Dabei hat sie nach Abs. 2 alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Nach § 21 Abs. 1 SGB X bedient sie sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält und kann unter anderem Auskünfte jeder Art einholen, Beteiligte anhören, Zeugen vernehmen oder die schriftliche oder elektronische Äußerung von Beteiligten und Zeugen einholen, Urkunden und Akten beiziehen. § 21 Abs. 2 SGB X legt dabei den Beteiligten Mitwirkungspflichten auf.
Bereits die Übersendung der Kopie des notariell aufgenommenen Nachlassverzeichnisses (Bl. 326 der Verwaltungsakte) genügte vorliegend als Nachweis über die Dürftigkeit des Nachlasses. Selbst für den Zivilprozess wird in der Literatur vereinzelt bereits die "Anfertigung" eines Inventars (womit "Aufnahme" gemeint sein dürfte) nach § 2002 BGB als ausreichend für den Nachweis angesehen (vgl. Ermann BGB/Peter, 13. Auflage 2011, § 1990 Rdnr. 1). Übertragen auf das Sozialverwaltungsverfahren ist nicht erkennbar, welche weiteren Dokumente der Kläger unaufgefordert hätte beibringen sollen.
Die weitere tatbestandliche Voraussetzung des § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB, nämlich die Untunlichkeit der Anordnung der Nachlassverwaltung bwz. die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens wegen Mangels einer den Kosten entsprechenden Masse, sind gegeben, weil der Nachlass unzulänglich war. Denn dem Nachlasswert von 1.887,18 Euro standen Beerdigungskosten in Höhe von 11.099,19 Euro gegenüber. Gegen die vorrangige eigene Befriedigung des Klägers hinsichtlich der Beerdigungskosten bestehen im Übrigen keine Bedenken (vgl. hierzu etwa Ermann BGB/Westermann, 13. Auflage 2011, § 1991 Rz.1).
Nach Aktenlage sind auch keine Gründe erkennbar, die gem. § 2013 Abs. 1 BGB die Dürftigkeitseinrede ausschließen und zur unbeschränkten Haftung Erbenhaftung des Klägers führen würden. Insbesondere scheidet die Versäumung einer Inventarfrist mit der Folge des § 1994 Abs. 1 Satz 2 BGB aus, weil vom Nachlassgericht vorliegend keine Inventarfrist gesetzt wurde.
Im Übrigen ist der angegriffene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids aber selbst unter der hypothetischen Annahme rechtswidrig, dass die Vorlage des Inventarverzeichnisses nicht als Beweis ausreichend wäre.
In diesem Fall hätte die Beklagte nämlich Ihre Amtsermittlungspflicht gem. § 20 Abs. 1 SGB X vernachlässigt. Sie hätte, um ausdrücklich vom Nichtvorliegen der Dürftigkeit des Nachlasses ausgehen zu können, den Sachverhalt dahingehend ausermitteln müssen, ob die mit der Vorlage des Inventars einhergehende Behauptung entkräftet werden kann.
Falls sie die Auffassung vertrat, dass hier Mitwirkungspflichten des Klägers (über die Vorlage des Inventarverzeichnisses hinaus) bestehen, hätte sie ihn zu weiteren Beweisvorlagen auffordern können. Dies aber hat sie nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakte nicht getan und auch nach den gerichtlichen Hinweisen vom 16.4.2014 und 2.6.2014 nichts Gegenteiliges vorgetragen.
Die Beklagte forderte den Kläger zwar mit Schreiben vom 22.10.2012 auf, eine ergänzende Begründung vorzutragen. Wie die Erläuterung in diesem Schreiben und auch die Begründung des Widerspruchsbescheids zeigen, zielt diese Anforderung einer Begründung jedoch nicht auf weitere Nachweise im Hinblick auf die Dürftigkeit des Nachlasses, sondern allenfalls auf die Frage eines Nachlassinsolvenzverfahrens.
Es heißt im Schreiben vom 22.10.2012: "Sie wurden als Erbe nach den §§ 1922, 1967 Abs. 1 BGB in Anspruch genommen. Eine Beschränkung auf den Nachlass erfolgt nicht. Über die tatsächlichen Zahlungsmöglichkeiten wird nach Geltendmachung der Forderung entschieden. Wie bitten daher um ergänzende Begründung bis zum 19.11.2012.". Im Widerspruchsbescheid heißt es "Nach § 1967 BGB haftet der Erbe für Nachlassverbindlichkeiten. [ ...] Die Bedürftigkeitseinrede des § 1990 BGB greift im vorliegende Fall nicht, da nicht ersichtlich ist, dass ein Nachlassinsolvenzverfahren eingeleitet worden ist oder nicht."
Die Beklagte ging ersichtlich davon aus, dass die Nichteinleitung eines Nachlassinsolvenzverfahrens generell zu einem Ausschluss der Anwendung des § 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB führt, was mit der zivilrechtlichen Bestimmung, wie oben ausgeführt, nicht in Einklang steht. Im Übrigen hätte die Beklagte dem Kläger gegenüber im Widerspruchsverfahren zumindest Angaben machen müssen, welche Dokumente nach ihrem Dafürhalten für einen Nachweis erbracht werden müssen.
Schließlich haftet der Kläger auch nicht mit seinem eigenen Vermögen, weil die Erhebung der Dürftigkeitseinrede zu einer Trennung zwischen Nachlass und Eigenvermögen des Erben führt (Beck-OK-BGB/Lohmann, Stand: 1.5.2014, § 1990 Rz. 2).
Eine persönliche Haftung des Klägers außerhalb erbrechtlicher Gesichtspunkte, die im Ergebnis zu einer berechtigten Forderung ihm gegenüber führen würde, ist ebenfalls nicht erkennbar.
Die sich aus der Anwendung von § 1990 Abs. 1 Satz 2 BGB ergebende Rechtsfolge der Herausgabepflicht des Nachlasses durch den Kläger zum Zwecke der Befriedigung der Beklagten war nicht Regelungsgegenstand der Bescheide und bedarf daher keiner Erörterung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
HES
Saved