S 17 KA 47/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
17
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 17 KA 47/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 63/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Im Rahmen der Bildung einer statistischen Vergleichsgruppe ist bei psychologischen Psychotherapeuten eine Differenzierung nach den verschiedenen Fachrichtungen geboten.

2. Die GOP 23220 EBM ist grundsätzlich auch neben laufenden Kurz- oder Langzeittherapien sowie in der Phase der Probatorik abrechnungsfähig. Sie kann jedoch nicht zur Streckung von Therapiekontingenten genutzt werden. Vielmehr müssen sich die Gespräche von den Therapiesitzungen durch den beteiligten Personenkreis, den Inhalt oder den Zweck des Gesprächs unterscheiden. Dies ist im Rahmen der Einzelfallprüfung von den Prüfgremien zu ermitteln.

3. Die GOP 23220 EBM kann auch grundsätzlich nach beendeter Kurz- oder Langzeittherapie niederfrequent zur Stabilisierung des Therapieergebnisses genutzt werden. Dies ist nicht unwirtschaftlich.

Der Beschluss des Beklagten vom 7. Januar 2016 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte trägt die Gerichtskosten sowie die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Regresses in Höhe von 9.706,52EUR aufgrund einer Einzelfallprüfung der Gebührenordnungsposition (GOP) 23220 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) im Jahr 2011.

Der Kläger ist als psychologischer Psychotherapeut seit dem 11. Februar 1999 in einer Einzelpraxis in A-Stadt niedergelassen und nimmt seitdem als Verhaltenstherapeut an der vertragspsychotherapeutischen/-ärztlichen Versorgung teil.

Mit Schreiben vom 22. Januar 2014 informierte die Prüfungsstelle (PS) den Kläger über die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung in den Quartalen l/2011 bis lV/2011 bezogen auf die GOP 23220 EBM (Psychotherapeutisches Gespräch als Einzelbehandlung) und bat um Mitteilung eventuell bestehender Praxisbesonderheiten und kompensatorischer Einsparungen. Es seien die folgenden Überschreitungen im Verhältnis zur maßgeblichen Vergleichsgruppe (VG) der vollzugelassenen psychologischen Psychotherapeuten festgestellt worden:
Quartal GO-NR. Anz.-GO-Nr. pro 100-Fälle Arzt Durch. je Fall-Praxis Anz. GO-NR. pro 100-Fälle, VG Durch. je Fall ausf. Praxen-VG Abw. in %
I/2011 23220 562 60,03 178 19,02 + 215,62
II/2011 23220 507 54,24 187 20,02 + 170,93
III/2011 23220 863 92,31 189 20,18 + 357,43
IV/2011 23220 965 103,12 198 21,16 + 387,33

ln seiner Stellungnahme vom 25. Januar 2014 erläuterte der Kläger, dass er praktisch ausschließlich Kurzeittherapien (KZT) durchführe. Dabei sei der von ihm abgerechnete 2- bis 3-fache (höhere) Ansatz der GOP 23220 EBM nicht unwirtschaftlich. Ganz im Gegenteil sei er durch die qualitativ hochwertiger KZT eher als wirtschaftlich (im Sinne der Krankenkasse) und als effizient (im Sinne der Patienten) zu sehen. lnsbesondere sei es ihm darüber hinaus möglich gewesen, Wartezeiten für die Patienten zu vermeiden.

Die PS stellte eine Überschreitung bei den Ansätzen der GOP 23220 EBM im Vergleich zur VG im Umfang eines sog. ,,offensichtlichen Missverhältnisses" fest und beauftragte eine Prüfreferentin, eine psychologische Psychotherapeutin, mit der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Ansatzes der GOP 23220 EBM. Die Prüfreferentin führte aus, dass sie tiefenpsychologisch fundiert arbeite und ihre Prüfungstätigkeit nur aus dieser Sicht habe vornehmen können. Es erscheine ihr grundsätzlich sinnvoller, für die Prüfung jemanden zu bestimmen, der im gleichen Verfahren wie der zu überprüfende Psychotherapeut zugelassen sei. Sie kam auf der Grundlage der Prüfung für alle vier Quartale des Jahres 2011 – zusammengefasst – zu folgendem Ergebnis:

1. Es sei nicht nachvollziehbar, dass bei laufender KZT mehrfach die GOP 23220 EBM statt einer regulären (das heißt: im Antragsverfahren erfolgenden) Psychotherapie-Sitzung abgerechnet würde.

2. Es sei auch zu beanstanden, wenn während der Phase der probatorischen Sitzungen 40-, 50- oder 70-minütige therapeutische Gespräche abgerechnet würden und keine weitere GOP 35150 EBM (= probatorische Sitzung). Probatorische Sitzungen sollten ausschließlich dem Zweck dienen, festzustellen, ob ein Antrag auf Psychotherapie gestellt werden müsse. Auch wenn eine Behandlung insgesamt nur wenige Therapieeinheiten umfasse, so handele es sich doch um eine KZT, welche bei der für den Patienten zuständigen Krankenkasse hätte beantragt werden müssen.

3. Hingegen sei nicht zu beanstanden, wenn Erstgespräche als therapeutisches Gespräch bis zu acht Mal abgerechnet worden seien, da noch nicht vorauszusehen gewesen sei, ob eine Therapie angestrebt werde, notwendig oder sinnvoll sei.

4. Nicht beanstandet werde auch, wenn bei einer leichteren Diagnose nach der Probephase keine Psychotherapie beantragt, sondern lediglich noch einige psychotherapeutische Gespräche abgerechnet worden seien.

Die PS setzte sodann auf der Grundlage der Feststellungen der Prüfreferentin mit Bescheid vom 29. September 2014 die nachfolgenden Bruttohonorarkürzungen fest:
Quartal Anzahl beanstandeter GOP 23220 Wert GOP 23220 Brutto-Kürzung
I/2011 118 10,69 EUR 1.261,42 EUR
II/2011 150 10,69 EUR 1.603,50 EUR
III/2011 296 10,69 EUR 3.164,24 EUR
IV-/2011 344 10,69 EUR 3.677,36 EUR

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2014 erhob der Kläger Widerspruch, den er mit Schreiben vom 27. November 2014 im Wesentlichen wie folgt begründete: Die Prüfung sei oberflächlich und formalistisch erfolgt. Es sei nicht die Wirtschaftlichkeit geprüft worden, sondern die Konformität und Augenscheinlichkeit bestimmter Zahlen. Die Durchführung der KZT erfolge wirtschaftlich und zu Gunsten der Krankenkassen; seine Vorgehensweise sei wesentlich günstiger als die Durchführung von Langzeittherapien (LZT). Er könne damit auch den Vorgaben des Gesetzgebers und den Forderungen der Krankenkassen gerecht werden und habe praktisch keine Wartezeit gehabt, während normalerweise Patienten in A-Stadt Wartezeiten von 6-9 Monate hätten in Kauf nehmen müssen. Seine Abrechnungsweise ermögliche eine höhere Fallzahl.

Letztlich sei zwar zu Recht eine Einzelfallprüfung durchgeführt worden, die Feststellung einer unwirtschaftlichen Behandlungs- und Abrechnungsweise beruhe im Ergebnis jedoch wieder ausschließlich auf der statistischen Auffälligkeit. Dabei sei nicht berücksichtigt worden, dass die vorgeschlagene Alternative letztlich zu teureren Behandlungen führen würde.

Der Beklagte wies den Widerspruch, über den er in seiner Sitzung am 4. November 2015 ohne persönliche Anhörung beraten hatte, mit Beschluss vom 7. Januar 2016 zurück und schloss sich der Bewertung der Prüfreferentin an. Weil die tatsächliche Fallzahl in der VG sehr gering sei, habe sich eine rein statistische Vergleichsprüfung als nicht geeignet erwiesen, weshalb eine Einzelfallprüfung angezeigt gewesen sei.

Es sei zutreffend, dass die GOP 23220 EBM grundsätzlich auch bei laufenden, nach dem Antragsverfahren gemäß den Psychotherapie-Richtlinien (PT-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) durchgeführten und neben solchen Behandlungen in Ansatz gebracht werden könne. Dies ergebe sich auch aus der Leistungslegende zu GOP 23220 EBM, wo nur die Abrechnung nebeneinander in einer Sitzung bei Abrechnungen nach dem Abschnitt 35.2 - Antragspflichtige Leistungen - ausgeschlossen sei. Allerdings schrieben die PT-RL ein striktes und differenziertes Zulassungsverfahren vor, wenn Psychotherapie im Rahmen des Versorgungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden solle. Insofern gebühre der Richtlinien-Psychotherapie und der Einhaltung der dazu erlassenen Regeln ein gewisser Vorzug. Deshalb erweise sich die Kürzung seitens der PS auch nicht als eine sachlich-rechnerische Richtigstellung.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 8. Februar 2016 zum Sozialgericht Marburg erhobene Klage, zu deren Begründung der Kläger darauf verweist, dass alternativ zu einem Ansatz der GOP 23220 EBM jeweils eine genehmigungspflichtige KZT oder LZT hätte durchgeführt werden müssen. Dies sei nicht wirtschaftlicher, sondern hätte einen größeren Kostenaufwand verursacht. Es sei widersinnig, in einem solchen Fall Kürzungen vorzunehmen. Zumindest hätten die als Alternative durchzuführenden KZT oder LZT als kompensatorische Einsparungen berücksichtigt werden müssen. Es sei zudem teilweise notwendig, Partner*innen der Patient*innen in die Therapie einzubeziehen, was nur über die eingeschobenen Gespräche nach der GOP 23220 EBM neben einer genehmigungspflichtigen Therapie abrechnungsfähig sei.

Er strebe bewusst eine nur kurze Behandlungsdauer an und könne so 40-50% mehr Patienten behandeln als die Berufsgruppe im Durchschnitt. So könnten Wartezeiten vermieden und die Behandlungskosten gesenkt werden.

Schließlich seien nach der Änderung der PT-RL zum 1. April 2017 nunmehr 12 Behandlungsstunden genehmigungsfrei, was bestätige, dass mit diesem Stundenkontingent durchaus adäquate Therapien durchführbar seien, auch ohne KZT.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2016 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er legt dar, dass bei einer Einzelfallprüfung grundsätzlich keine Anerkennung von kompensatorischen Einsparungen erfolgen könne, denn im Rahmen einer Einzelfallprüfung werde anhand der Behandlungsscheine die Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung des jeweiligen Arztes überprüft. Jedenfalls fehle es an einem kausalen Zusammenhang zwischen dem Mehraufwand und den Kostenunterschreitungen auf der anderen Seite.

Für die Einbeziehung von Bezugspersonen in die Psychotherapie seien weder in der Psychotherapie-Richtlinie noch in der Psychotherapie-Vereinbarung additive Leistungen vorgesehen, so dass die Einbeziehung von Bezugspersonen im Rahmen des Stundenkontingents der KZT für den Patienten erfolgen müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Krankenkassen verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie konnte dies trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beigeladenen zu 1) bis 7) tun, weil diese ordnungsgemäß geladen worden sind.

Die Klage ist zulässig.

Gegenstand des Verfahrens ist nur der Beschluss des Beklagten, nicht auch der der PS. In Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle auf die das Verwaltungsverfahren abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses. Dieser wird mit seiner Anrufung für das weitere Prüfverfahren ausschließlich und endgültig zuständig. Sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt der Prüfungsstelle, der abweichend von § 95 SGG im Fall der Klageerhebung nicht Gegenstand des Gerichtsverfahrens wird.

Die Klage ist auch begründet.

Der Beschluss des Beklagten vom 7. Januar 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

Im System der gesetzlichen Krankenversicherung nimmt der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt – Vertragsarzt – die Stellung eines Leistungserbringers ein. Er versorgt die Mitglieder der Krankenkassen mit ärztlichen Behandlungsleistungen, unterfällt damit auch und gerade dem Gebot, sämtliche Leistungen im Rahmen des Wirtschaftlichen zu erbringen. Leistungen, die für die Erzielung des Heilerfolges nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, darf er nach dem hier anzuwendenden Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (§ 12 Abs. 1 SGB V) nicht erbringen.

Rechtsgrundlage für Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise ist § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V (in der bis zum 31.Dezember 2016 gültigen Fassung) i.V.m. der Prüfvereinbarung gemäß § 106 Abs. 3 SGB V, gültig ab 1. Januar 2008 (PV). Der Beklagte hat vorliegend im Rahmen seiner Zuständigkeit auch eine Wirtschaftlichkeitsprüfung und keine Abrechnungsprüfung durchgeführt. Die durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) durchzuführende Abrechnungsprüfung beziehungsweise sachlich rechnerische Richtigstellung nach § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V (in der in der bis zum 31.Dezember 2016 gültigen Fassung) ist auf die Übereinstimmung der vertragsärztlichen Abrechnung mit dem Regelwerk des EBM und der Honorarverteilungsregelungen sowie auf die Korrektheit der Abrechnung bezogen auf die Leistungserbringung und ihrer Zuordnung zu den Leistungspositionen des EBM gerichtet.

Die Abrechnungsprüfung unterscheidet sich von der Wirtschaftlichkeitsprüfung, die bemisst, ob die abgerechneten Leistungen ausreichend, zweckmäßig, für die Erzielung des Heilerfolgs notwendig und wirtschaftlich waren und ob das Maß des Notwendigen überschritten wird (Hess: in Kasseler Kommentar 101. EL 2018 § 106, Rn. 3). Regelmäßig ist die sachlich-rechnerische Richtigstellung durch die KVen vorrangig. Denn eine Honorarforderung eines Arztes kann nur dann sinnvoller Weise auf ihre Wirtschaftlichkeit geprüft werden, wenn sie sachlich-rechnerisch richtig und rechtmäßig ist. Honorarforderungen für fehlerhaft erbrachte Leistungen unterfallen nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 6. September 2006, B 6 KA 40/05 R).

Für die Wirtschaftlichkeitsprüfung sind die PrüVGremien, die Prüfungsstelle und dann der Beklagte zuständig. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung erkennt das BSG zwar eine so genannte Annexkompetenz der PrüVGremien zur Durchführung von sachlich-rechnerischen Honorarberichtigungen an. Diese ist nach der Rechtsprechung aber nur dann gegeben, wenn sich die Notwendigkeit der sachlich-rechnerischen Richtigstellung im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung nachträglich ergibt und der Frage der Berechnungsfähigkeit einer Leistung im Verhältnis zur Wirtschaftlichkeit keine so überragende Bedeutung zukommt, dass eine Abgabe an die KV geboten wäre (vgl. BSG, Urteil vom 27. April 2005, B 6 KA 39/04 R). Wenn der Schwerpunkt der Beanstandungen bei einer fehlerhaften Anwendung der Gebührenordnung liegt, müssten die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung das Prüfverfahren abschließen und der KV Gelegenheit geben, eine sachlich-rechnerische Richtigstellung durchzuführen (BSG, Urteil vom 6. September 2006, B 6 KA 40/05 R). Die Prüfungseinrichtungen müssen im Umkehrschluss bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung davon ausgehen, dass der Vertrags(zahn)arzt die abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht hat, und diese Leistungen ihrer Beurteilung zugrunde legen (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 1992 - 6 RKa 3/92). Eine sachlich-rechnerische Berichtigung der Honorarabrechnung hat der Wirtschaftlichkeitsprüfung nur dann zwingend vorauszugehen, wenn es sich um Abrechnungsunrichtigkeiten handelt, die offenkundig und aus den Behandlungsunterlagen ohne weiteres zu ersehen sind.

Der Beklagte konnte im Rahmen seiner Wirtschaftlichkeitsprüfung, bei der er gerade nicht die fehlerhafte Erbringung der Gesprächsleistung nach GOP 23220 EBM rügt, die ordnungsgemäße Abrechnung dieser Leistungen seiner Beurteilung zugrunde legen (vgl. BSG, Urteil vom 28. Oktober 1992 - 6 RKa 3/92 - BSGE 71, 194) und sich mit der Wirtschaftlichkeit der Nebeneinanderabrechnung mit anderen Therapien, insbesondere genehmigungspflichtigen Richtlinien-Therapien befassen.

Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten beurteilt, hier § 10 PV (Auffälligkeitsprüfung). Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die statistische Vergleichsprüfung die Regelprüfmethode. Die Abrechnungs- bzw. Verordnungswerte des Arztes werden zunächst mit denjenigen seiner Fachgruppe – bzw. mit denen einer nach verfeinerten Kriterien gebildeten engeren Vergleichsgruppe – im selben Quartal verglichen. Ergänzt durch die sog. intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, ist dies die Methode, die typischerweise die umfassendsten Erkenntnisse bringt.

Vorliegend hat der Beklagte im Rahmen der statistischen Vergleichsprüfung die Gruppe aller vollzugelassenen psychologischen Psychotherapeuten seinen vergleichenden Betrachtungen zugrunde gelegt. Dies ist zur Überzeugung der Kammer bei der Bewertung psychotherapeutischer Leistungen unzureichend, da sich die drei im streitgegenständlichen Zeitraum anerkannten Richtlinienverfahren (Analytische Psychotherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Verhaltenstherapie) fundamental voneinander unterscheiden und per se ausgeschlossen erscheint, dass die unterschiedlichen Verfahren sowohl fachlich-inhaltlich als auch von den rechtlichen Rahmenbedingungen vergleichbar wären. Es handelt sich bei den psychoanalytisch begründeten Verfahren einerseits und der Verhaltenstherapie andererseits um unterschiedliche Versorgungsbereiche, die jeweils eigenständig zu beurteilen sind (so für die Sonderbedarfszulassung auch BSG, Urteil vom 28. Juni 2017 – B 6 KA 28/16 R). Zwar ist dem Beschwerdeausschuss grundsätzlich ein Entscheidungsspielraum zu belassen, ab welchem Ausmaß atypischer Praxisumstände eine engere Vergleichsgruppe gebildet wird oder eine Praxisbesonderheit anerkannt wird oder dem Arzt eine größere Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts belassen wird (BSG, Beschluss vom 11. Dezember 2002, B 6 KA 21/02 B). Dies wird überwiegend so aufgefasst, dass zunächst nach statistischen Kriterien über das Vorliegen eines offensichtlichen Missverhältnisses zu befinden und erst danach gegebenenfalls zu prüfen ist, ob und inwieweit der durch die Fallkostendifferenz begründete Nachweis der Unwirtschaftlichkeit durch Praxisbesonderheiten widerlegt wird. Indessen wird eine derartige Ausgestaltung des Prüfverfahrens weder der beweisrechtlichen Funktion und Bedeutung des offensichtlichen Missverhältnisses noch den Erfordernissen einer effizienten Wirtschaftlichkeitsprüfung gerecht. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt der Feststellung eines offensichtlichen Missverhältnisses praktisch die Wirkung eines Anscheinsbeweises zu, so dass aus einer Überschreitung des Vergleichsgruppendurchschnitts nur dann auf eine Unwirtschaftlichkeit geschlossen werden kann, wenn ein solcher Zusammenhang einem typischen Geschehensablauf entspricht, also die Fallkostendifferenz ein Ausmaß erreicht, bei dem erfahrungsgemäß von einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise auszugehen ist. Ein dahingehender Erfahrungssatz besteht aber nur unter der Voraussetzung, dass die wesentlichen Leistungsbedingungen des geprüften Arztes mit den wesentlichen Leistungsbedingungen der verglichenen Ärzte übereinstimmen. Der Beweiswert der Statistik wird eingeschränkt oder ganz aufgehoben, wenn bei der geprüften Arztpraxis besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogene Gruppe untypisch sind. Sind solche kostenerhöhenden Praxisbesonderheiten bekannt oder anhand der Behandlungsausweise oder der Angaben des Arztes erkennbar, so müssen ihre Auswirkungen bestimmt werden, ehe sich auf der Grundlage der statistischen Abweichungen eine verlässliche Aussage über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise treffen lässt. Das gilt umso mehr, als mit der Feststellung des offensichtlichen Missverhältnisses eine Verschlechterung der Beweisposition des Arztes verbunden ist, die dieser nur hinzunehmen braucht, wenn die Unwirtschaftlichkeit nach Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Falles als bewiesen angesehen werden kann (BSG, Urteil vom 9. März 1994, 6 RKa 18/92; so auch bereits Urteil der erkennenden Kammer vom 17. Dezember 2018 – S 17 KA 223/17). Diese Grundsätze auf Psychotherapeuten übertragend ist bei der statistischen Vergleichsprüfung eine Differenzierung nach Fachkunde der Psychotherapeuten für die Bewertung einer statistische Auffälligkeit und damit eines offensichtlichen Missverhältnisses erforderlich. Diese Überzeugung des Gerichts gründet sich zum einen auf die Systematik des Psychotherapeutengesetzes, der Vereinbarung über die Anwendung von Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung (Psychotherapie-Vereinbarung) und der PT-RL, die die Unterschiede der verschiedenen Richtlinienverfahren sehr deutlich hervorheben. Zunächst ist die fachliche Befähigung des Psychologischen Psychotherapeuten gemäß § 6 der Psychotherapie-Vereinbarung an den Fachkundenachweis in einem der Richtlinienverfahren im Sinne von § 95c SGB V gebunden. Die Verfahren sind nicht miteinander kombinierbar (§ 18 PT-RL). Zudem gelten für sämtliche Richtlinienverfahren im EBM unterschiedliche Abrechnungsziffern, die auch die differenzierten Rahmenbedingungen jeder Therapierichtung beschreiben. Nicht zuletzt manifestiert sich die Unterschiedlichkeit der Therapieansätze in deren Definition in den §§ 16, 16a, 16b und 17 PT-RL und zudem in den damit verbundenen unterschiedlichen Bewilligungsschritten nach § 29 PT-RL (analytische Psychotherapie bei Erwachsenen bis 300 Stunden, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie bei Erwachsenen bis 100 Stunden und Verhaltenstherapie bei Erwachsenen bis 80 Stunden). Im Umkehrschluss folgt daraus, dass mit den einzelnen Richtlinienverfahren unterschiedliche Therapieinhalte und auch Therapiedauern verbunden sind und damit in der Konsequenz auch, dass die Fallzahlen bei analytischen Psychotherapeuten in aller Regel nicht annährend die Fallzahlen von Verhaltenstherapeuten erreichen dürften. Diese Feststellungen werden im Ergebnis auch von der Prüfreferentin im vorliegenden Verfahren bestätigt, die ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass es ihr grundsätzlich sinnvoller erscheine, für die Prüfung jemanden zu bestimmen, der im gleichen Verfahren wie der zu überprüfende Psychotherapeut zugelassen sei. Im Rahmen der Neubescheidung sollte der Beklagte deshalb den Kläger als Verhaltenstherapeuten im ersten Prüfungsschritt nur mit der Vergleichsgruppe der Psychologischen Psychotherapeuten messen, die ebenfalls verhaltenstherapeutisch tätig sind. Die Kammer geht davon aus, dass sich bei dieser Betrachtungsweise das Maß der festgestellten Überschreitungen reduzieren dürfte.

Nicht zu beanstanden ist, dass der Beklagte dann – aufgrund der insgesamt geringen Fallzahlen in der Gruppe der psychologischen Psychotherapeuten und der damit verbundenen fehlenden Vergleichbarkeit – zu einer Einzelfallprüfung nach § 11 Abs. 2 PV umgeschwenkt ist.

Demgegenüber erscheint die Auswahl der Prüfreferentin im Kontext der oben dargestellten Grundsätze zwar nicht als rechtswidrig, da allgemeine Vorgaben zur Auswahl von Prüfärzten nicht bestehen. Gleichwohl ist für die Akzeptanz der Bewertung des Abrechnungsverhaltens durch einen Prüfreferent*innen eine vergleichbare Qualifikation bzw. Fachkunde wünschenswert. Dies spiegelt sich gerade bei Psychotherapeuten beispielsweise auch in den Vorgaben der PT-RL für das Gutachterverfahren (§35) wieder, wo Gutachter den gleichen Fachkundenachweis wie zu Begutachtende haben müssen.

Der Bescheid des Beklagten ist auch in materieller Hinsicht zu beanstanden.

Die Leistungslegende der GOP 23220 EBM lautet wie folgt:

Psychotherapeutisches Gespräch als Einzelbehandlung
Obligater Leistungsinhalt
- Dauer mindestens 10 Minuten
- Einzelbehandlung
Fakultativer Leistungsinhalt
- Syndrombezogene therapeutische Intervention,
- Krisenintervention,
- Anleitung der Bezugsperson(en),
je vollendet 10 Minuten, höchstens 15-mal im Behandlungsfall.

Der Beklagte stützt seinen Beschluss ausschließlich auf die Beanstandungen der Prüfreferentin, die jeglichen Ansatz der GOP 23220 EBM bei laufender KZT bzw. während der Phase der probatorischen Sitzungen bemängelt hat. Diese Vorgehensweis kommt einem Verbot der Abrechnung der GOP 23220 EBM bei laufender Probatorik oder KZT gleich. Für ein derartiges Verständnis der GOP 23220 EBM gibt es jedoch keinen rechtlichen Anknüpfungspunkt. Vielmehr hat der Beklagte in seinem Beschluss selber zugestanden, dass die GOP 23220 EBM grundsätzlich auch bei laufenden, nach dem Antragsverfahren gemäß den PT-RL durchgeführten und neben solchen Behandlungen in Ansatz gebracht werden kann. Dies ergibt sich auch aus der Leistungslegende zu GOP 23220 EBM, wo nur die Abrechnung nebeneinander in einer Sitzung bei Abrechnungen nach dem Abschnitt 35.2 - Antragspflichtige Leistungen - ausgeschlossen ist.

Insofern kann eine Abrechnung bei laufender Probatorik oder KZT nicht per se eine Unwirtschaftlichkeit im Einzelfall begründen. Der Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit kann sich im vorliegenden Fall damit ohne nähere Betrachtung jedes einzelnen Behandlungsfalles in der Art eines Zirkelschlusses nur noch auf die Überschreitung der Durchschnittswerte der Vergleichsgruppe und damit die statistische Auffälligkeit gründen, die der Beklagte jedoch selber als nicht aussagekräftig eingestuft hat.

Dem Beklagten ist jedoch zuzugeben, dass die PT-RL ein striktes und differenziertes Zulassungsverfahren vorsieht, wenn Psychotherapie im Rahmen des Versorgungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden soll. Insofern trägt die Kammer die Auffassung des Beklagten, dass der Richtlinien-Psychotherapie und der Einhaltung der dazu erlassenen Regeln grundsätzlich ein gewisser Vorzug gebührt. Nicht zu tolerieren ist deshalb, wenn die GOP 23220 EBM ausschließlich zur Streckung von Therapiekontingenten genutzt würde und damit die in der PT-RL vorgesehenen Stundenkontingente künstlich erweitert würden. Vielmehr ist zu verlangen, dass sich die Gespräche nach der GOP 23220 EBM während der Probatorik oder KZT hinsichtlich des beteiligten Personenkreises oder Inhalts oder Zwecks der Gespräche von den Therapiesitzungen unterscheiden. Die Kammer geht insoweit davon aus, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen einem "psychotherapeutischen Gespräch" und einer Psychotherapiestunde gibt. Die Leistungslegende der GOP 23220 EBM sieht jedenfalls ausdrücklich als fakultativen Leistungsinhalt die "Anleitung von Bezugsperson(en)" vor. Soweit der Kläger – wie er vorträgt – tatsächlich die GOP 23220 EBM neben den Therapiesitzung dazu genutzt hat, Bezugspersonen in den Therapieprozess einzubeziehen, so ist dies – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht zu beanstanden, sondern im EBM ausdrücklich so vorgesehen. Um beurteilen zu können, ob im Einzelfall auch entsprechende Indikationen gemäß den Leistungslegenden vorlagen, dürfte es unumgänglich sein, die Behandlungsdokumentation im Einzelfall in die Prüfung der Wirtschaftlichkeit einzubeziehen.

Die Kammer beanstandet entgegen der Prüfreferentin (die dies in ihren Prüflisten, Bl. 18 23 der Verwaltungsakte vielfach so vermerkt hat) nicht, wenn die GOP 23220 EBM nach beendeter KZT über einen kurzen Zeitraum – z.B. zur Stabilisierung des Patienten - niederfrequent weiterhin abgerechnet wurde. Allein auVGrund der Vorgabe, dass die GOP 23220 EBM max. 15x pro Quartal abgerechnet werden kann und damit im Quartal max. drei Gespräche à 50min durchgeführt werden können, erscheint es der Kammer fernliegend anzunehmen, dass damit eine in aller Regel viel hochfrequenter durchgeführte weitere KZT umgangen werden könnte.

Nach alledem musste die Klage Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 Buchst. a SGG i.V.m. § 154 VwGO.

Rechtskraft
Aus
Saved